LSG München, Urteil vom 28.09.2017, L 8 SO 219/15 Erfolglose Berufung gegen Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruches

Mai 23, 2018

LSG München, Urteil vom 28.09.2017, L 8 SO 219/15

Erfolglose Berufung gegen Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruches

Leitsätze:

  1. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 93 Abs. 1 SGB XII ist eine Ermessensausübung, nicht im Sinne eines intendierten Ermessens eingeschränkt. Der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe ist als gewichtiges Kriterium bei der Ermessensausübung zu beachten.

 

  1. Eine versäumte Anhörung des Gläubigers des übergeleiteten Anspruchs nach § 24 SGB X führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Überleitungsanzeige in Bezug auf den Schuldner des übergeleiteten Anspruchs

 

Vorinstanz:

SG Augsburg, Urteil vom 24.09.2015 – S 15 SO 34/15

 

Tenor

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 24.09.2015 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 

Die Kläger wenden sich gegen die Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruches.

 

Die Kläger sind Geschwister und haben eine weitere Schwester, Frau I. A. (im Folgenden Leistungsberechtigte). Diese erhielt zunächst Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt von der Stadt E-Stadt, ab dem 01.03.2009 erhielt sie Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens sowie ab dem 01.04.2009 Hilfe zum Lebensunterhalt vom Beklagten. Seit dem 01.04.2014 stand die Leistungsberechtigte im Leistungsbezug nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Der Leistungsbezug beim Beklagten dauerte bis zum 31.07.2014 an. Nach Aktenlage wurden für den Zeitraum 01.03.2009 bis 31.07.2014 Netto-Sozialhilfeleistungen in Höhe von 39.317,38 Euro erbracht.

 

Im April 2011 erhielt der Beklagte vom Amtsgericht A-Stadt die Auskunft, dass die Leistungsberechtigte neben ihren beiden Geschwistern Miterbin zu 1/3 am Nachlass des Vaters, der am 01.12.2003 verstorben war, geworden ist. Das Amtsgericht A-Stadt wies einen Wert des im Nachlass befindlichen Grundbesitzes in Höhe von 638.101,71 Euro sowie einen sonstigen Nachlass in Höhe von 28.070 Euro aus. Die Mutter der Kläger und Leistungsberechtigten war im Jahr 2001 vorverstorben.

 

Im Rahmen einer Teil-Erbauseinandersetzung durch notariellen Vertrag am 20.12.2004 wurde die bestehende Erbengemeinschaft der Kläger und der Leistungsberechtigten teilweise aufgehoben und der Nachlass bezüglich des Immobilienbesitzes aufgeteilt auf den Kläger und die Klägerin. Es wurde vereinbart, dass der übrige noch vorhandene Nachlass nicht verteilt werden solle und die Erbengemeinschaft dafür uneingeschränkt bestehen bleibe. Als Gegenleistung wurde vereinbart, dass sich die Kläger verpflichten, der Tochter der Leistungsberechtigten (geboren am 23.07.1992) im Wege des echten Vertrages zu Gunsten Dritter bei deren Volljährigkeit eine unbelastete Immobilie zu übertragen, deren Wert mindestens 100.000 Euro und höchstens 120.000 Euro betragen solle. Hilfsweise solle ein entsprechender Geldbetrag an die Tochter der Leistungsberechtigten gezahlt werden. Die Urkunde enthielt den notariellen Hinweis, dass bei Verarmung des Veräußerers (der Leistungsberechtigten) ein gesetzliches Rückforderungsrecht nach § 528 BGB bestehen könne, das bei Bezug von Sozialhilfe gemäß § 90 BSHG auf den Sozialleistungsträger übergeleitet werden könne.

 

Die Bank des Erblassers teilte am 23. Januar 2012 dem Beklagten mit, dass die Leistungsberechtigte bei der Erbaufteilung des Bankvermögens auf ihren Anteil am Nachlassguthaben zu Gunsten der anderen Erben verzichtet habe. Ein entsprechender Nachweis über die Erbaufteilung wurde vorgelegt. Am 24.02.2012 hörte der Beklagte die Kläger zur beabsichtigten Überleitung eines Anspruchs auf Rückforderung einer Schenkung aufgrund des Verzichts der Leistungsberechtigten auf ihren Erbanteil am Bankvermögen in Höhe von 28.265.-Euro an. Auch eine Rückforderung der Schenkung des Immobilienanteils werde geprüft. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger erklärte daraufhin, dass die Leistungsberechtigte zwar auf ihren Erbanteil verzichtet habe, es handele sich jedoch weder um eine Zuwendung noch um eine Schenkung, da die Leistungsberechtigte keinen entsprechenden Willen gehabt habe. Die Leistungsberechtigte habe vielmehr keinerlei Erbe von ihren Eltern annehmen wollen. Der Kontakt zu ihren Geschwistern sei auch sehr gering. Ein überleitungsfähiger Anspruch bestehe damit nicht. Vorsorglich werde die Einrede der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB erhoben.

 

Am 05.06.2012 leitete der Beklagte den Anspruch der Leistungsberechtigten gegen die Kläger auf Rückforderung einer Schenkung bezüglich des zugewandten Bankvermögens i. H. v. 9.421,66 Euro auf sich über. Hiergegen legten die Kläger am 29.06.2012 Widerspruch ein.

 

Am 12.08.2013 leitete der Beklagte den Anspruch der Leistungsberechtigten gegen die Kläger auf Rückforderung einer Schenkung aufgrund des Verzichts der Leistungsberechtigten auf ihren Anteil am Grundvermögen in Höhe von 212.700,57 Euro begrenzt auf die Höhe der Sozialhilfeaufwendungen auf sich über. Eine Rückzahlungsforderung bzgl. des bislang aufgelaufenen Sozialhilfeaufwandes i. H. v. 30.709,98 Euro wurde geltend gemacht.

 

Hiergegen legten die Kläger am 16.09.2013 Widerspruch ein. Weder der in dem angegriffenen Bescheid ausgewiesene Wert des Grundvermögens noch der des Barvermögens entspreche den Tatsachen. Die Vereinbarung mit der Tochter der Leistungsberechtigten sei zwischenzeitlich vollzogen worden. Mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Schwaben vom 26.05.2014 wurden die Widersprüche der Kläger gegen die Bescheide vom 05.06.2012 und 12.08.2012 zurückgewiesen.

 

Im Folgenden wurde ein Kaufvertrag vom 13.03.2014 vorgelegt, nach dem der Tochter der Leistungsberechtigten eine Wohnung für einen Preis von 95.000 Euro von den Klägern gekauft wurde.

Gegen die Bescheide vom 05.06.2012 und 12.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2014(zugegangen am 25.02.2015) haben die Kläger am 25.03.2015 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und beantragt, diese aufzuheben.

Die Überleitung sei vorliegend ausgeschlossen, da ein übergeleiteter Anspruch offensichtlich nicht bestehe. Damit liege ein Fall der so genannten Negativevidenz vor. Die Leistungsberechtigte habe seit mehr als 30 Jahren den Kontakt zur Familie abgebrochen und keinerlei Geschenke oder Geld annehmen wollen. Sie habe auch ihr Erbe nicht gewollt. Einen Willen, ihren Geschwistern etwas zuzuwenden, habe sie nicht gehabt. Damit liege keine Schenkung im Sinne des § 516 BGB vor und auch ein Recht auf Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers sei nicht gegeben. Der Beklagte habe den Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X verletzt, da die Leistungsberechtigte vom Beklagten zum Vorgang nicht angehört worden sei.

Ebenso liege eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes vor. Weiterhin stelle die Rückforderung eine unbillige Härte nach § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII dar. Der Kläger sei an Krebs erkrankt, die Klägerin gegenwärtig erwerbslos.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens sei nicht das tatsächliche Bestehen und die Höhe der Schenkungsrückforderung, die Entscheidung hierüber obliege alleine den Zivilgerichten. Nur wenn ein Anspruch aus § 528 BGB offensichtlich ausscheide, habe eine Überleitung zu unterbleiben. Dies sei vorliegend jedoch gerade strittig.

Am 09.09.2015 hat der Beklagte den klägerischen Anspruch teilweise anerkannt und die Überleitung bezüglich des Schenkungsrückforderungsanspruches in Zusammenhang mit der Aufhebung der Erbengemeinschaft am Bankvermögen (Bescheid vom 05.06.2012) aufgehoben. Die Kläger haben das Teilanerkenntnis angenommen und die Klage im Übrigen aufrechterhalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.09.2015 hat das SG die Klage abgewiesen und entschieden, dass die Parteien die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte tragen. Die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Streitgegenstand sei nach Annahme des Teilanerkenntnisses nur noch der Bescheid vom 12.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2014. Rechtsgrundlage für die Überleitung stelle § 93 Abs. 1 und 2 SGB XII dar. Der Bescheid sei formell rechtmäßig ergangen, die Kläger seien vor Erlass angehört worden. Eine Anhörung der Leistungsberechtigten sei rechtlich nicht vorgeschrieben, da sie nicht Adressatin des streitigen Bescheides sei. Der Bescheid sei auch ausreichend bestimmt. Der Beklagte habe die aus seiner Sicht erfolgte Zuwendung der Leistungsberechtigten bezüglich ihres Anteils am Grundvermögen in Höhe von 212.700,57 Euro an sich in Höhe des Nettosozialhilfeaufwandes übergeleitet. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Für die Wirksamkeit der Überleitung nach § 93 SGB X sei es bereits ausreichend, dass ein überleitungsfähiger Anspruch in Betracht komme, somit nicht von vornherein ausgeschlossen sei. Dies sei vorliegend bezüglich des Bestehens des Schenkungsrückforderungsanspruches gegeben. Es sei gerade strittig, wie der von der Leistungsempfängerin erklärte Verzicht auf das Erbe rechtlich zu bewerten sei. Dies sei typischerweise Aufgabe der Zivilgerichte. An der Rechtmäßigkeit der an die Leistungsempfängerin gewährten Leistungen seien Zweifel weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Überleitungsanzeige berücksichtige auch die Grundsätze der personalen und zeitlichen Deckungsgleichheit. Auch das gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII eingeräumte Ermessen sei hinreichend ausgeübt worden. Aus der Zusammenschau des vorangehenden Schriftverkehrs und den Ausführungen im Bescheid, der auch auf die vorangehende Anhörung Bezug nehme, werde erkennbar, dass der Beklagte die von der Klägerseite vorgebrachten Erwägungen in sein Ermessen eingestellt habe. § 94 SGB X sei vorliegend nicht anwendbar.

Gegen den am 30.09.2015 zugestellten Gerichtsbescheid des SG haben die Kläger am 22.10.2015 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Die Überleitung sei offensichtlich sinnlos. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Dies sei der Erlass des Widerspruchsbescheides am 26.05.2014. Mit Kaufvertrag vom 13.03.2014 hätten die Kläger die mit der Leistungsberechtigten vereinbarte Gegenleistung des Teil-Erbauseinandersetzungsvertrages vom 20.12.2004 zu Gunsten der Tochter der Leistungsberechtigten erfüllt. Durch diese Erfüllung sei die nach dem Erbfall entstandene Gemeinschaft zur gesamten Hand aufgehoben worden. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des 26.05.2014 habe die Erbengemeinschaft und damit auch der gegen die übrigen Miterben gerichtete Anspruch nicht mehr bestanden, so dass die Überleitung ins Leere gehe. Auch sei die von dem Beklagten an die Leistungsberechtigte erfolgte Leistungsgewährung rechtswidrig gewesen. Weiter werde vorsorglich auf § 529 BGB hingewiesen. Ebenso würden die Einreden gemäß § 818 Abs. 3 BGB sowie der Verwirkung erhoben. Der Beklagte ist weiterhin der Meinung, dass ein Anspruch der Kläger gegen die Leistungsberechtigte besteht. Unter Anrechnung der Zahlungen des Kaufpreises für die Immobilie der Tochter der Leistungsberechtigten habe diese immer noch 117.700,57 Euro den Klägern unentgeltlich zugewendet. Diesbezüglich sei von einer Schenkung und einem Anspruch gemäß § 528 BGB auszugehen. Ob ein Schenkungswille der Leistungsberechtigten vorgelegen habe, sei ausschließlich im zivilrechtlichen Verfahren zu klären. Zweifel an dieser subjektiven Seite würden die Überleitung nicht offensichtlich rechtswidrig machen. Ebenso sei die Frage des Notbedarfs nach § 529 BGB ausschließlich durch die Zivilgerichtsbarkeit zu klären. Weshalb die Leistungsgewährung an die Leistungsberechtigte rechtswidrig sein solle, erschließe sich dem Beklagten nicht.

Mit Beschluss vom 24.08.2017 ist die Leistungsberechtige zum Verfahren beigeladen worden.

In der mündlichen Verhandlung am 28.09.2017 haben die Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 24.09.2015 sowie den Bescheid vom 12.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2015 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat sich dem Antrag des Beklagten angeschlossen. Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

A.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG am 19.10.2015 gegen den am 30.09.2015 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegt.

Die Berufung bedarf auch nicht gemäß § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstandes – eine Überleitung in Höhe des Nettosozialhilfeaufwandes des Beklagten – 39.317,38 Euro beträgt und damit 750.-Euro übersteigt.

B.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 12.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2014, mit dem der Beklagte einen Anspruch auf Rückforderung einer Schenkung der Leistungsberechtigten an die Kläger auf sich überleitete. Statthafte Klageart ist gemäß § 54 Abs. 1 SGG die Anfechtungsklage, da das Klageziel der Kläger durch Aufhebung des streitigen Bescheides zu erreichen wäre.

 

Die Überleitung des Anspruchs der Leistungsberechtigten auf Rückforderung einer Schenkung an den Beklagten ist rechtmäßig.

 

Der Bescheid vom 12.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2014 ist formell rechtmäßig. Die Überleitung wurde sowohl gegenüber den Klägern als auch gegenüber der Leistungsberechtigten am 12.08.2013 angezeigt. Diese Überleitungsanzeige ist ein Verwaltungsakt nach § 31 SGB X, die den Übergang eines Anspruchs vom bisherigen Gläubiger (der Leistungsberechtigten) auf den Beklagten als neuen Gläubiger i. S. e. Magistralzession bewirkt.

 

Ein Verstoß gegen § 24 SGB X liegt nicht vor. Danach ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Ausnahmen der Anhörungspflicht gemäß § 24 Abs. 2 SGB X greifen vorliegend nicht. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 24.02.2012 den Kläger und die Klägerin zur beabsichtigten Überleitung eines Anspruchs auf Rückforderung einer Schenkung bezüglich des geerbten Bankvermögens sowie des Grundvermögens angehört.

 

Die Leistungsberechtigte wurde nicht angehört. Dieser Verstoß gegen § 24 SGB X führt jedoch in Bezug auf den Überleitungsbescheid gegenüber den Klägern nicht zur Rechtswidrigkeit. Gegenstand des Verfahrens ist die Überleitungsanzeige an die Kläger. Die Überleitungsanzeige gegen die Leistungsberechtigte ist nicht streitgegenständlich und wurde, da die Leistungsberechtigte gegen diese keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, bestandskräftig. Zwar entfaltet die Überleitungsanzeige, mit der in das bestehende Rechtsverhältnis zwischen dem Drittschuldner und dem Hilfeempfänger eingegriffen wird, Rechtswirkung gegenüber diesen beiden. Infolgedessen haben Drittschuldner und Hilfeempfänger eine Klagebefugnis bzgl. der Überleitungsanzeige. Eine Verletzung lediglich subjektiver Rechte des jeweils anderen kann jedoch im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die ihm gegenüber ergangene Überleitungsanzeige nicht geltend gemacht werden. Die Anhörung stellt ein solches subjektives Recht dar. Sinn und Zweck der Anhörung ist, dem Einzelnen rechtliches Gehör einzuräumen, ihn von der Absicht der Behörde in Kenntnis zu setzen sowie ihm dadurch Einflussmöglichkeiten zu eröffnen. Das Versäumen der Anhörung der Leistungsberechtigten kann daher nicht zur Rechtswidrigkeit der Überleitungsanzeige gegenüber den Klägern führen.

 

Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nach § 20 SGB X zu erkennen. Danach hat die Behörde alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Die Kläger sind der Ansicht, dass der Beklagte hiergegen verstoßen hat, da er die Leistungsberechtigte nicht vor der Überleitung des Schenkungsrückforderungsanspruches angehört hat. Aus Sicht des Senats war eine solche Anhörung zur Sachverhaltsermittlung nicht erforderlich. Der Beklagte hatte nicht vollständig zu prüfen und zu ermitteln, ob der überzuleitende Anspruch tatsächlich besteht. Dies ist gegebenenfalls Aufgabe der Zivilgerichtsbarkeit. Ausreichend ist, dass der überzuleitende Anspruch mutmaßlich besteht bzw. nicht offensichtlich nicht besteht (so genannte Negativevidenz). Der Amtsermittlungspflicht ist der Beklagte ausreichend nachgekommen, da er aufgrund der vorgelegten Nachweise, insbesondere des notariellen Vertrages über die Teil-Erbauseinander-setzung vom 20.12.2004, Kenntnis von einem – für eine Überleitung nach § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII ausreichend – mutmaßlich bestehenden Schenkungsrückforderungsanspruch hatte.

 

Die Überleitungsanzeige entspricht auch dem Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs. 1 SGB X. Danach muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dies bedeutet, dass der Adressat des Verwaltungsaktes in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Aus dem Bescheid vom 12.08.2013 geht klar hervor, dass der Beklagte das Rückforderungsrecht aus einer Schenkung durch Verzicht der Leistungsberechtigten auf ihren Anteil am Grundvermögen der Erbschaft begrenzt auf die Höhe der Sozialhilfeaufwendungen auf sich überleitet. Der Bescheid ist überschrieben mit „Überleitung eines Anspruchs auf Rückforderung einer Schenkung; Sozialhilfe für A.I., geb. 1964“. Alleine dass der Verfügungssatz der Überleitungsanzeige erst auf Seite 2 erfolgt, führt nicht dazu, dass der Bescheid unbestimmt ist. Denn nach dem objektiven Empfängerhorizont ist der Überleitungsanzeige klar zu entnehmen, welcher Anspruch aufgrund welcher Rechtsgrundlage übergeleitet wird.

 

Die Überleitung ist auch materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage hierfür stellt § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dar. Danach kann der Träger der Sozialhilfe, wenn eine leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, einen Anspruch gegen einen anderen hat, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I ist, durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht. Gem. § 93 Abs. 2 S. 1 SGB XII bewirkt die Anzeige den Übergang des Anspruchs für die Zeit, für die der leistungsberechtigten Person die Leistung ohne Unterbrechung erbracht wird.

 

Der Leistungsberechtigten wurden rechtmäßig Leistungen der Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens sowie der Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII vom Beklagten ohne Unterbrechung im Zeitraum 01.03.2009 bis 31.07.2014 i. H. v. 39.317,38 Euro erbracht.

 

Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Leistungsberechtigte für die Zeit, für die Leistungen erbracht wurden, einen Anspruch gegen die Kläger auf Schenkungsrückforderung gemäß § 528 BGB hat. Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. nur BSG, Beschluss vom 25.04.2013, B 8 SO 104/12 B; jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 93 Rn. 59) muss das Bestehen des Anspruchs nicht zum Zeitpunkt der Überleitung positiv feststehen und ist mithin keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. Die Überleitung ist nur dann ausgeschlossen und damit rechtswidrig, wenn das Bestehen des übergeleiteten Anspruchs nach materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen und damit die Überleitung erkennbar sinnlos ist (so genannte Negativevidenz).

 

Durch den Verzicht der Leistungsberechtigten auf ihren Anteil am Erbe des Vaters in Form des Immobilienvermögens kann eine Schenkung im Sinne des § 516 BGB vorliegen. Denn der Verzicht der Leistungsberechtigten bewirkt eine unentgeltliche Zuwendung ihres Erbteils an die Kläger. Diese Unentgeltlichkeit betrifft zumindest den Anteil am Immobilienvermögen der Erbschaft, der nicht durch die Verpflichtung der Kläger, der Tochter der Leistungsberechtigten eine Immobilie im Wert von 100.000 Euro bis 120.000 Euro zu übertragen, ausgeglichen wurde. Unter Annahme des Wertes des Nachlasses bezüglich der Immobilien, der vom Amtsgericht A-Stadt übermittelt und mit 638.101,71 Euro angegeben wurde, betrug der Wert des Erbanteils der Leistungsberechtigten rund 213.000 Euro, so dass selbst unter Berücksichtigung der Immobilienübertragung an die Tochter der Leistungsberechtigten i. H. v. 95.000 Euro eine Schenkung an die Kläger i. H. v. rund 118.000 Euro anzunehmen ist.

 

Ob ein von den Klägern angeführter fehlender Schenkungswille der Leistungsberechtigten an der rechtlichen Einordnung als Schenkung etwas ändert, bzw. ob die Einreden nach § 818 Abs. 3 BGB bzw. Verwirkung greifen, sind zivilrechtliche Fragestellungen, die gegebenenfalls in einem folgenden Zivilrechtsverfahren geklärt werden müssen, jedoch nicht dazu führen, dass der Rückforderungsanspruch der Leistungsberechtigten als von vornherein ausgeschlossen erachtet werden kann. Nicht nachvollziehbar ist auch der Einwand der Kläger, dass ein Anspruch der Leistungsberechtigten deshalb nicht mehr bestehen solle, weil die Erbengemeinschaft durch Erfüllung der Gegenleistung aufgehoben worden sei. Zum einen erscheint fraglich, ob die Erbauseinandersetzung bezüglich des Immobilienerbes nicht bereits durch entsprechenden Vertrag am 20.12.2004 erfolgt ist. Zum anderen stellt der Schenkungsrückforderungsanspruch keinen Anspruch dar, der eine Erbengemeinschaft voraussetzt. Vielmehr wurde er durch die Erbauseinandersetzung und die damit einhergehende unentgeltliche Zuwendung des Erbteils der Leistungsberechtigten an die Kläger erst begründet.

 

Auch die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sind gegeben. Danach darf der Übergang des Anspruchs nur insoweit bewirkt werden, als bei rechtzeitiger Leistung des anderen entweder die Leistungen nicht erbracht worden wäre oder in den Fällen des § 19 Abs. 5 SGB XII und des § 92 Abs. 1 SGB XII Aufwendungsersatz oder ein Kostenbeitrag zu leisten wäre. Bei Rückübertragung der Schenkung hätte die Leistungsberechtigte über Vermögen verfügt, das einem Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII entgegengestanden hätte (§ 90 SGB XII).

 

Die Ermessensentscheidung des Beklagten hält einer gerichtlichen Überprüfung stand. Die Überleitung von Ansprüchen steht nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII im pflichtgemäßen Ermessen, das sich sowohl auf das „ob“ einer Überleitung (Entschließungsermessen, als auch auf das „wie“ (Auswahlermessen), insbesondere die Höhe der Überleitung, bezieht. Im gerichtlichen Verfahren ist zu prüfen, ob Ermessensfehler vorliegen, insbesondere ein Ermessensausfall, ein Ermessensfehlgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung. Nicht zu prüfen ist die Zweckmäßigkeit der Ermessensentscheidung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12.Aufl., § 54 RdNr. 28).

 

Die Ermessensausübung im Rahmen einer Entscheidung nach § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist nicht eingeschränkt durch den in § 2 SGB XII verankerten Nachranggrundsatz der Sozialhilfe in dem Sinne, dass von einem so genannten intendierten Ermessen auszugehen wäre, so dass eine bestimmte Richtung der Erwägung vorgezeichnet und deshalb geringere Anforderungen an die Ermessenserwägungen zu stellen wären (so Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 5. Auflage, § 93 RdNr. 21; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2016 – L 23 SO 109/14 -, Rn. 69). Hiergegen spricht der klare Gesetzestext („…kann der Träger der Sozialhilfe …“), der keine Anhaltspunkte für die Annahme eines intendierten Ermessens liefert. Es unterfällt in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers ggf. eine Sollbestimmung zu Gunsten einer Überleitung festzulegen. Auch der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII führt nicht dazu, dass die Entscheidungsrichtung des Ermessens vorrangig zu Gunsten der Überleitung angezeigt wäre, so dass eine Ermessensausübung ohne Einschränkung zu fordern ist (ebenso Armbruster in jurisPK, § 93 SGB XII RdNr. 124). Der Nachranggrundsatz ist jedoch als gewichtiges Kriterium bei der Ermessensausübung zu beachten.

 

Der Beklagte hat das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt und der Begründungspflicht der Ermessensentscheidung genüge getan. Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Der Beklagte hat erkannt, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen ist und hat die von ihm gewerteten Argumente dargelegt. Weitere Gründe, die insbesondere gegen eine Überleitungsanzeige aufgrund von berechtigten Interessen der Kläger oder der Leistungsberechtigten sprechen würden oder gegen eine Überleitung in Höhe der vollständigen Nettosozialhilfeaufwendungen, waren von den Beteiligten weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich, so dass sie auch nicht in die Ermessensentscheidung eingestellt werden konnten. In der Stellungnahme der Kläger zur Anhörung bezüglich der beabsichtigten Überleitung haben die Kläger lediglich Einwendungen gegen das Bestehen des zivilrechtlichen Anspruchs erhoben, nicht jedoch Gründe, die gegen eine Überleitung sprechen würden. Auch in der Widerspruchsbegründung wurden keine in die Ermessensentscheidung einzubringenden Gründe genannt. Erst mit der Klageschrift wurde ausgeführt, dass eine Rückforderung eine unbillige Härte darstellen würde, weil der Kläger schwer an Krebs erkrankt sei und die Klägerin sich um den Kläger kümmere und überdies aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht erwerbstätig sein könne.

 

  1. Ein Anspruchsübergang scheitert auch nicht an § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII. Danach gehen Ansprüche nach § 94 Abs. 1 und 2 SGB XII nicht über, wenn der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde.

 

Vorliegend erfolgte die Überleitung nicht nach § 94 Abs. 1 und 2 SGB XII, der Unterhaltsansprüche betrifft, sondern nach § 93 SGB XII. Hierauf ist § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII nach dem klaren Wortlaut nicht anwendbar.

 

Das SG hat daher zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 12.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2014 abgewiesen. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG ist folglich zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

 

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