Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 91/10 Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft

Juni 2, 2018

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 91/10

Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft

 

Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 11.10.2010 – 3 BV 29/09 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

 

Gründe

 

A

 

Die Beteiligten streiten um Unterlassungsansprüche.

 

Die Antragstellerin ist die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

 

Die Arbeitgeberin, ein Bäckereiunternehmen, produziert an ihrem Firmensitz Backwaren und beliefert von dort aus eine Vielzahl von Filialen. Am Produktionsstandort und in den Filialen beschäftigt sie mehr als 900 Arbeitnehmer/innen, davon etwa 700 überwiegend in Teilzeit in den einzelnen Filialen. Zur Unternehmensgruppe S1 gehören neben der Arbeitgeberin ein weiteres Unternehmen in E1 und eines in A1.

 

Am 29.09.2004 schlossen die Arbeitgeberin und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat eine Vereinbarung zur Arbeitsplatzsicherung durch betriebliche Mehrarbeit. Diese Betriebsvereinbarung sah vor, dass die wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitkräfte um drei Stunden verlängert wird, ohne dass hierfür eine Vergütung gezahlt wird. Die Betriebsvereinbarung war befristet bis zum 31.12.2005. In einem Individualrechtsstreit stellte das Arbeitsgericht Paderborn – 3 (2) Ca 784/05 – rechtskräftig die Unwirksamkeit dieser Betriebsvereinbarung wegen Tarifwidrigkeit fest.

 

Am 21.10.2005 schlossen die antragstellende Gewerkschaft und die Arbeitgeberin eine Reihe von Haustarifverträgen ab, und zwar einen Manteltarifvertrag, einen Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, einen Entgeltrahmentarifvertrag und einen Entgelttarifvertrag. Zur Beschäftigungssicherung wurde insbesondere eine Absenkung der Entgelthöhe vereinbart.

 

Am 21.08.2006 wurde im Bäckereihandwerk in Nordrhein-Westfalen ein neuer Manteltarifvertrag vereinbart, der seit dem 01.01.2007 allgemeinverbindlich ist. Sowohl der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag als auch der Haustarifvertrag der Arbeitgeberin vom 21.10.2005 sehen eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden für Vollzeitmitarbeiter vor.

 

Etwa seit Oktober 2008 führte die antragstellende Gewerkschaft mit Vertretern der Arbeitgeberin Gespräche über ein Sanierungskonzept. Die Gewerkschaft kündigte den Entgelttarifvertrag zum 31.03.2009. Die übrigen Haustarifverträge wurden durch die Arbeitgeberin bereits am 24.03.2009 schriftlich außerordentlich gekündigt. Ob diese Kündigungen rechtmäßig gewesen sind, blieb zwischen den Beteiligten ungeklärt.

 

Nach Ausspruch der fristlosen Kündigungen fanden zwischen den Beteiligten zunächst weitere Verhandlungen über eine Anpassung der Tarifverträge statt. Diese Verhandlungen wurden von der Arbeitgeberin am 10.06.2009 für gescheitert erklärt.

In der Folgezeit nahm die Arbeitgeberin Verhandlungen mit dem Betriebsrat ihres Betriebes über eine „Regelungsabrede“ zur Einführung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden bei Vollzeitkräften auf. Am 19.08.2009 unterzeichneten die Arbeitgeberin und der Betriebsrat eine „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ (Bl. 8 ff. d. A.). § 1 dieser Regelungsabrede lautet wie folgt:

„Die folgende Regelungsabrede gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG) der Backstube S1 GmbH & Co oHG. Ausgenommen sind die leitenden Angestellten, die minderjährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sowie die Auszubildenden.

Ebenfalls ausgenommen sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Schwerbehinderungsgrad von mindestens 50 %“.

Unter § 3 legten die Betriebsparteien die Berechnung der monatlichen Sollzeit wie folgt fest:

„Die wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte wird ab 01.07.2009 auf 42 Stunden festgelegt. Die monatliche Sollzeit für Vollzeitbeschäftigte beträgt somit 182 Stunden statt bisher 167 Stunden. Die Verlängerung der monatlichen Arbeitszeit erfolgt ohne Lohnausgleich.

Zur Berechnung der Stunden im Urlaub oder Krankheitsfall wird ein entsprechend angepasster Durchschnitt angesetzt.

Die Abrechnung, der in dieser Regelungsabrede vereinbarten Mehrarbeit, erfolgt durch entsprechende Kürzung auf der monatlichen Stundenauswertung“.

In § 4 war für Teilzeitkräfte folgendes geregelt:

„Die tägliche, wöchentliche und monatliche Arbeitszeit von Teilzeitkräften wird anteilig entsprechend § 3 angepasst“.

In § 5 der Regelungsabrede wurde folgendes festgelegt:

„Als besonderen Vorteil für die Arbeitnehmer/innen, die entsprechend dieser Regelungsabrede tätig sind, wird der von der Arbeitgeberin freiwillig gewährte Mitarbeiterrabatt auf 33 % (vgl. „Verbindliche Regeln zum Mitarbeitereinkauf) mit Abschluss dieser Regelungsabrede erhöht.

Weiterhin werden mit der Novemberabrechnung 2009 Warengutscheine in einer Gesamthöhe von 40.00 € pro Beschäftigten ausgegeben.

Im Jahr 2010 wird mit der Augustabrechnung eine Erholungsbeihilfe von 156 € für Vollzeitkräfte, Teilzeitkräfte anteilmäßig, ausgezahlt.“

In § 9 der Regelungsabrede heißt es:

„Diese Regelungsabrede tritt rückwirkend zum 01.07.2009 in Kraft.

Die Mehrarbeit endet mit dem Erreichen eines ausgeglichenen operativen Betriebsergebnisses ohne Berücksichtigung der Effekte der aus der Mehrarbeit; frühestens zum 31.12.2010.

Bei Nichterreichen eines ausgeglichenen Betriebsergebnisses gilt diese Regelungsabrede bis zum 31.12.2012.

Sie verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr wenn sie nicht von einem der Vertragspartner mit dreimonatiger Frist zum Ablauf gekündigt wird“.

Eine ausdrückliche Vereinbarung zur Umsetzung der „Regelungsabrede“ auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse trafen die Betriebsparteien nicht.

Mit schriftlicher Mitteilung vom 19.08.2009 (Bl. 6 f. d. A.) informierte die Arbeitgeberin ihre Mitarbeiter/innen über die mit dem Betriebsrat getroffene Vereinbarung. Gleichzeitig wurde von der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat ein offener Brief an die antragstellende Gewerkschaft (Bl. 5 d. A.) ausgehängt.

Nach Abschluss der Regelungsvereinbarung vom 19.08.2009 begann die Arbeitgeberin damit, mit ihren Mitarbeitern/innen einzelvertraglich die 42-Stunden-Woche zu vereinbaren. Einzelvertraglich stimmten ca. 68 % der Mitarbeiter/innen der Vereinbarung vom 19.08.2009 zu. Auch Mitarbeiter/innen, mit denen eine einzelvertragliche Vereinbarung über die Geltung der 42-Stunden-Woche nicht zustande gekommen war, leisteten in der Folgezeit eine Arbeitszeit von 42 Stunden pro Woche. Etwa 20 Mitarbeiter gingen gegen die Neuregelung der Arbeitszeit klageweise und machten Zahlungsansprüche oder Ansprüche auf Gutschriften auf ihrem Arbeitszeitkonto geltend.

Mit dem am 15.09.2009 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren verlangt die antragstellende Gewerkschaft von der Arbeitgeberin, die Anwendung und Umsetzung der in den §§ 3 und 4 der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 getroffenen Regelungen zu unterlassen. Bei der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 handele es sich tatsächlich um eine Betriebsvereinbarung, die tariflich festgelegte Arbeitsbedingungen zum Inhalt habe und daher unter das Verbot des § 77 BetrVG falle. Die Auslegung der vereinbarten „Regelungsabrede“ unter Heranziehung der erteilten Informationen an die Beschäftigten ergebe, dass die getroffene Vereinbarung unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirken und die Arbeitszeiten ohne weitere Umsetzungsakte ändern solle. Trotz der ausdrücklichen Bezeichnung als „Regelungsabrede“ handele es sich tatsächlich um eine Betriebsvereinbarung. Das ergebe sich zudem daraus, dass die Vereinbarung rückwirkend ab 01.07.2009 gelten sollte. Auch wenn es zu individuellen Vereinbarungen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über eine Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit gekommen sei, sei dies nach dem Inhalt der Regelungsabrede vom 19.08.2009 nicht erforderlich gewesen.

Der Abschluss dieser tarifwidrigen Betriebsvereinbarung stelle einen groben Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten dar, gegen den der Gewerkschaft als eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft ein Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG zustehe. Zumindest aber ergebe sich der Unterlassungsanspruch aus den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG, da die als Regelungsabrede bezeichnete Vereinbarung das Ziel habe, die tariflichen Regelungen über die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit als kollektive Ordnung zu verdrängen und damit ihrer zentralen Funktion zu berauben. Die sogenannte Regelungsabrede vom 19.08.2009 und die auf ihrer Grundlage abgeschlossenen individualrechtlichen Vereinbarungen stellten eine betriebliche Einheitsregelung dar, die tarifwidrige Arbeitsbedingungen schaffen wolle und damit die Koalitionsfreiheit beeinträchtige. Im Gegensatz zur Darstellung der Arbeitgeberin habe sich die Gewerkschaft auch Verhandlungen über ein Sanierungskonzept und über ein neues tarifliches Modell nicht verschlossen. Die von der Gewerkschaft durchgeführte Mitarbeiterbefragung habe im Gegensatz zur Darstellung der Arbeitgeberin auch ergeben, dass lediglich weniger als ein Viertel der Mitarbeiter/innen für den Vorschlag „Mehrarbeit ohne Lohnausgleich“ gestimmt habe.Die Gewerkschaft hat beantragt,

  1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, die in den §§ 3 und 4 der sog. „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 mit dem Betriebsrat vereinbarten Regelungen sowie darauf basierende einzelvertraglich vereinbarte Regelungen jeweils mit dem Inhalt, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte auf 42 Stunden bzw. die monatliche Sollzeit auf 182 Stunden festgelegt wird, bzw. die wöchentliche und monatliche Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten entsprechend anteilig angepasst wird, anzuwenden;
  1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, mit dem Betriebsrat ihres Betriebes in B2 Vereinbarungen hinsichtlich der Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zu treffen, solange tarifliche Regelungen zur Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit bestehen, unter deren Geltungsbereich die Antragsgegnerin fällt bzw. solange solche tariflichen Regelungen üblich sind und die tariflichen bzw. tarifüblichen Regelungen keine Festlegung der Dauer der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit durch die Betriebsparteien zulassen;
  1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, gegenüber den Arbeitnehmern ihres Betriebes in B2 einschließlich der zugeordneten Filialen in Abweichung von der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit des Einheitlichen Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer/Innen der Backstube S1 GmbH & Co.oHG vom 21.10.2005 bzw. des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages für das Bäckerhandwerk in Nordrhein-Westfalen vom 21.08.2006 während der Laufzeit dieser Tarifverträge eine jeweils inhaltsgleiche betriebliche Einheitsregelung mit dem Inhalt zu vereinbaren, die regelmäßige Arbeitszeit der Vollzeitarbeitnehmer auf mehr als 38,5 Wochenstunden, insbesondere auf 42 Wochenstunden, zu verlängern bzw. das regelmäßige Arbeitszeitvolumen von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern proportional entsprechend anteilig zu erhöhen, zu vereinbaren und anzuwenden, es sei denn, es handelt sich um solche Beschäftigte, mit denen die Beklagte AT-Verträge ohne Verweis auf die für den Betrieb fachlich und räumlich gültigen Tarifverträge abgeschlossen hat;
  1. der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die beantragten Verpflichtungen zu Ziffer 1, 2 und 3 ein in das Ermessen des Gerichts zu stellendes Ordnungsgeld anzudrohen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht auf § 23 Abs. 3 BetrVG i.V.m. § 77 Abs. 3 BetrVG gestützt werden könne, da die Betriebspartner keine Betriebsvereinbarung, sondern eine Regelungsabrede getroffen hätten. Die Regelungsabrede unterliege nicht dem Tarifvorrang. Sie habe auch keine normative Wirkung. Die Arbeitgeberin habe vielmehr die Regelungsabrede vom 19.08.2009 mit der großen Mehrheit der Belegschaft einzelvertraglich umgesetzt.

Auch die §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG kämen als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Die antragstellende Gewerkschaft könne sich auch nicht auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – berufen. Diese Entscheidung sei unzutreffend und bedürfe im Hinblick auf die geübte Kritik einer grundsätzlichen Überprüfung in rechtlicher Hinsicht. Durch den in dieser Entscheidung getroffenen Ansatz der faktischen Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit seien Abgrenzungsschwierigkeiten Tür und Tor geöffnet.

Zudem könne der Unterlassungsanspruch nicht auf sämtliche Arbeitnehmer/innen der Arbeitgeberin bezogen werden, da die Regelungsabrede vom 19.08.2009 nur für den in § 1 definierten Personenkreis getroffen worden sei. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch könne sich im Hinblick auf die Einschränkung der Koalitionsfreiheit nur auf die organisierten Arbeitnehmer/innen beziehen, sofern überhaupt ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG vorliege. Die Erstreckung eines Unterlassungsanspruchs auf nicht organisierte Arbeitnehmer/innen stelle selbst nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Ausnahmefall dar, für den die antragstellende Gewerkschaft nichts vorgetragen habe. Der Arbeitgeberin sei es schlicht und einfach darum gegangen, mit möglichst vielen Arbeitnehmern Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, um die Erhaltung des Standorts B2 zu ermöglichen. Der Standort könne nicht aufrechterhalten werden, wenn die in der Regelungsabrede enthaltenen Regelungen nicht durchgeführt würden. Darauf nehme die antragstellende Gewerkschaft keine Rücksicht.

Mit Nichtwissen werde bestritten, dass bei der Arbeitgeberin überhaupt Mitglieder der antragstellenden Gewerkschaft beschäftigt würden.

Zu berücksichtigen sei außerdem, dass die Regelungsabrede nicht nur nachteilige Abweichungen vom Haustarifvertrag beinhalte, sondern auch Vorteile.

Schließlich sei der Antrag der Gewerkschaft auch zu unbestimmt und verlagere die daraus folgenden Probleme in unzulässiger Weise in die Zwangsvollstreckung.

Durch Beschluss vom 11.10.2010 hat das Arbeitsgericht den Unterlassungsantrag zu 3. als unzulässig zurückgewiesen und die Unterlassungsanträge zu 1. und 2. für zulässig und begründet gehalten. Zur Begründung der stattgebenden Entscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, bei der Regelungsabrede vom 19.08.2009 handele es sich inhaltlich um eine Betriebsvereinbarung, die gegen den Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG verstoße, weil sich die Vereinbarung vom 19.08.2009 unmittelbare und zwingende Wirkung zumesse. Die normative Wirkung sei nicht abbedungen worden. Eine Vereinbarung, wonach die Regelungen zur Arbeitszeiterhöhung noch einzelvertraglich umgesetzt werden müssten, sei nicht getroffen worden. Zudem habe die Regelungsabrede sich Rückwirkung zum 01.07.2009 beigemessen, sie gelte für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitgeberin mit Ausnahme der leitenden Angestellten und der Auszubildenden. Dass die Betriebsparteien die getroffene Vereinbarung vom 19.08.2009 als „Regelungsabrede“ bezeichnet hätten, stehe dem nicht entgegen. Selbst wenn es sich bei der Vereinbarung vom 19.08.2009 tatsächlich um eine Regelungsabrede handele, stehe der antragstellenden Gewerkschaft ein Unterlassungsanspruch nach den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG zu, weil die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft durch die Regelungsabrede beeinträchtigt werde. Es liege eine betriebliche Regelung vor, die einheitlich wirke und an die Stelle der Tarifnorm treten solle. Die Arbeitgeberin greife durch das gezielte Unterlaufen geltender Tarifverträge massiv in die grundrechtlich geschützte Position der Gewerkschaft ein.

Gegen den der Arbeitgeberin am 15.10.2010 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Arbeitgeberin am 25.10.2010 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 17.01.2011 mit dem am 17.01.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Im Beschwerderechtszug ist der im Betrieb der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat durch Beschluss vom 30.03.2011 am Verfahren beteiligt worden.

Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags ist die Arbeitgeberin weiter der Auffassung, die geltend gemachten Unterlassungsansprüche stünden der Gewerkschaft nicht zu.

Die Gewerkschaft sei schon nicht antragsbefugt. Die streitige Regelungsabrede vom 19.08.2009 betreffe lediglich das Rechtsverhältnis zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat. Hieran sei die Gewerkschaft nicht beteiligt.

Entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts seien die Unterlassungsanträge auch nicht hinreichend bestimmt. Schon aus diesem Gesichtspunkt hätten sie als unzulässig zurückgewiesen werden müssen.

Auf die §§ 23 Abs. 3 i.V.m. § 77 Abs. 3 BetrVG könnten die Unterlassungsanträge nicht gestützt werden, weil die Betriebspartner keine Betriebsvereinbarung, sondern lediglich eine Regelungsabrede getroffen hätten. Regelungsabreden unterlägen nicht dem Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG. Eine normative Wirkung, wie sie § 77 Abs. 3 BetrVG fordere, komme der Regelungsabrede nicht zu.

Die geltend gemachten Unterlassungsansprüche ergäben sich auch nicht aus den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG. Regelungsabreden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat könnten die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie gar nicht beeinträchtigen. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.04.1999 – 1 ABR 72/98 – sei falsch und widersprüchlich. Der dogmatische Begründungsansatz überzeuge nicht. Mindestens habe das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung die selbst nach dieser Entscheidung notwendige Einzelfallbetrachtung nicht in ausreichendem Maße durchgeführt. Das Arbeitsgericht gehe nämlich unzutreffend davon aus, dass die Arbeitgeberin die in der Regelungsabrede vom 19.08.2009 getroffene Vereinbarung entweder ausschließlich für sämtliche Beschäftigte habe anwenden wollen oder gar nicht. Es sei das legitime Ziel der Arbeitgeberin gewesen, die Regelungen zur Mehrarbeit für möglichst viele Arbeitnehmer einzuführen. Allerdings sei auch von Anfang an klar gewesen, dass nicht sämtliche Arbeitnehmer sich ausnahmslos dieser Regelung anschließen würden. Dennoch sei es für die Arbeitgeberin wirtschaftlich vorzugswürdig gewesen, mit einer möglichst hohen Anzahl von Arbeitnehmern die Regelung zur Mehrarbeit zu praktizieren. Damit habe eine betriebseinheitliche Regelung schon nicht vorgelegen.

Selbst wenn man von dem unzutreffenden Ansatz des Arbeitsgerichts ausgehe, läge durch die Abweichung der Regelungsabrede vom Haustarifvertrag lediglich eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit in Bezug auf die organisierten Arbeitnehmer vor. Auch das Bundesarbeitsgericht sei der Auffassung, dass es einem Arbeitgeber nicht untersagt werden könne, mit nicht organisierten Arbeitnehmern untertarifliche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sei es für die Arbeitgeberin ausreichend gewesen, die Regelungsabrede ausschließlich mit Tarifaußenseitern abzuschließen. Sie habe mit dem Abschluss der Regelungsabrede einzig und allein die Erhaltung des Standortes ermöglichen wollen.

Dem stehe auch nicht entgegen, dass neben dem Haustarifvertrag ein allgemeinverbindlicher Manteltarifvertrag bestehe. Im Hinblick auf die Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 TVG könnte allenfalls dem für die Allgemeinverbindlichkeit zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Unterlassungsanspruch zustehen, nicht jedoch der antragstellenden Gewerkschaft.

Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat beantragen,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Paderborn vom 11.10.2010 – 3 BV 29/09 – den Antrag der Gewerkschaft zurückzuweisen.

Die Gewerkschaft beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist wie das Arbeitsgericht der Auffassung, die sogenannte „Regelungsabrede“ vom 19.08.2009 verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, weil es sich bei ihr in Wirklichkeit um eine Betriebsvereinbarung handele. Dies habe das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss ausführlich begründet. Damit setze die Arbeitgeberin sich nicht in ausreichender Weise auseinander. Die Arbeitgeberin und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat hätten durch die Vereinbarung vom 19.08.2009 entgegen den Bestimmungen im allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk NRW vom 21.08.2006 und im Hausmanteltarifvertrag vom 21.10.2005 die wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden für Vollzeitmitarbeiter auf 42 Stunden ohne Lohnausgleich heraufgesetzt. Diese Vereinbarung sei unwirksam. Mit der Vereinbarung der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 habe die Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz in grober Weise verstoßen.

Mindestens stehe der Gewerkschaft gegenüber der Arbeitgeberin ein Unterlassungsanspruch nach den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG zu. Auch insoweit seien die Ausführungen des Arbeitsgerichts in dem angefochtenen Beschluss zutreffend, weil die Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberin durch die streitige „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 bzw. durch die hierauf basierenden einzelvertraglich vereinbarten Regelungen beeinträchtigt werde. Zu Recht habe sich das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung auf die zutreffende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bezogen. Das Arbeitsgericht habe auch deutlich gemacht, dass die Arbeitgeberin die Erhöhung der Arbeitszeit auf 42 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich für alle Mitarbeiter/innen habe umsetzen wollen. Die Arbeitgeberin wolle dadurch, dass sie mit nicht organisierten Arbeitnehmer einzelvertragliche Vereinbarungen abschließe, die vom Haustarifvertrag und vom für allgemeinverbindlich erklärten Manteltarifvertrag abweichen, auch erreichen, dass auch die organisierten Arbeitnehmer solche Regelungen akzeptierten. Wenn durch derartige Regelungen, wie sie die Arbeitgeberin anstrebe, die Allgemeinverbindlichkeit eines Manteltarifvertrages ausgehöhlt werde, sei die Koalitionsfreiheit beeinträchtigt.

Schließlich seien die geltend gemachten Unterlassungsanträge auch in ausreichender Weise bestimmt. Dem stehe nicht entgegen, dass die einzelnen betroffenen Arbeitnehmer nicht namentlich benannt seien. Eine Namensnennung sei nicht erforderlich, weil die Unterlassung der Anwendung der Regelungsabrede für alle Mitarbeiter verlangt werde.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

B

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht den geltend gemachten Unterlassungsansprüchen der antragstellenden Gewerkschaft stattgegeben.

  1. Die Unterlassungsanträge sind zulässig.
  2. Zutreffend verfolgt die Gewerkschaft die geltend gemachten Unterlassungsansprüche im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach den §§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, 80 ff. ArbGG. Es handelt sich um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Soweit der Antrag auf § 23 Abs. 3 BetrVG gestützt wird, ergibt sich das schon daraus, dass die Gewerkschaft einen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch geltend macht. Das trifft auch zu, soweit der geltend gemachte Anspruch auf die §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG hergeleitet wird. Die Anträge richten sich nämlich gegen die Durchführung von Betriebsvereinbarungen bzw. Regelungsabreden. Verfahrensgegenstand sind normative Regelungen, für die das Betriebsverfassungsgesetz sowohl die rechtliche Grundlage bietet wie auch den Vollzug durch den Arbeitgeber fordert. Auch in diesem Fall bezieht sich der Gegenstand der Anträge ausschließlich auf die betriebliche Ordnung, nämlich die Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat einerseits und die durch betriebsverfassungsrechtliche Normsetzung gestalteten Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmern andererseits (BAG 20.08.1991 – 1 ABR 85/90 – AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 2; BAG 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89, unter B. I. 2. der Gründe; BAG 13.03.2001 – 1 AZB 19/00 – AP ArbGG 1979 § 2 a Nr. 79, unter C. I. 1. und 2. der Gründe; LAG Baden-Württemberg 07.12.2007 – 20 TaBV 7/06 – AuR 2008, 185, Fitting/Engels/-Schmidt/-Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 25. Aufl., § 77 Rn. 237; GK/Kreutz, BetrVG, 9. Aufl., § 77 Rn. 427 m.w.N.).
  3. Die Gewerkschaft ist antragsbefugt.

Im Beschlussverfahren ist ein Beteiligter nur insoweit antragsbefugt, als er eigene Rechte geltend macht. Antragsbefugnis und Beteiligtenstatus fallen nicht notwendig zusammen; § 83 Abs. 3 ArbGG besagt nichts darüber, ob ein Beteiligter im Beschlussverfahren einen Antrag stellen kann. Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen, § 81 Abs. 1 ArbGG. Regelmäßig kann nur derjenige ein gerichtliches Verfahren einleiten, der vorträgt, Träger eines streitbefangenen Rechts zu sein. Ausnahmen gelten im Fall zulässiger Prozessstandschaft. Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren und Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dienen dazu, Popularklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis deshalb nur gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen werden kann. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht (BAG 25.08.1981 – 1 ABR 61/79 – AP ArbGG 1979 § 83 Nr. 2; BAG 30.10.1986 – 6 ABR 52/83 – AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 6; BAG 18.08.1987 – 1 ABR 65/86 – AP ArbGG 1979 § 81 Nr. 6; BAG 18.02.2003 – 1 ABR 17/02 – AP BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung Nr. 11).

Die Auslegung des Begehrens der antragstellenden Gewerkschaft im vorliegenden Fall ergibt, dass diese eigene Rechte geltend macht. Dies gilt zunächst für den Rückgriff auf den eigenen Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG. Vor allem aber gilt es, soweit sich die Gewerkschaft gegen Verletzungen ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit wendet (BAG 20.08.1991 – 1 ABR 85/90 – AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 2, unter B. II. der Gründe; BAG 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89, unter B. I. 3. der Gründe).

Die Gewerkschaft ist auch befugt, die von ihr geltend gemachten Unterlassungsansprüche allein zu verfolgen, es bedarf insoweit keines gemeinsamen Vorgehens beider Tarifvertragsparteien. Auch dies ergibt sich aus § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, der ein Antragsrecht nur für die Gewerkschaft, nicht dagegen für den Arbeitgeberverband vorsieht.

Die Beschwerdekammer ist auch davon ausgegangen, dass die antragstellende Gewerkschaft im Betrieb der Arbeitgeberin vertreten ist. Zwar hat die Arbeitgeberin dies erstinstanzlich mit Nichtwissen bestritten. Das Arbeitsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss aber ausgeführt, dass die Gewerkschaft im Betrieb der Arbeitgeberin vertreten sei, sei gerichtsbekannt, dies ergebe sich allein aus den bei der 3. Kammer des Arbeitsgerichts derzeit anhängigen Verfahren von gewerkschaftlich vertretenen Mitarbeiterinnen gegen die Arbeitgeberin. Hiergegen sind von der Arbeitgeberin mit der Beschwerde keine durchgreifenden Einwendungen erhoben worden.

  1. Entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin sind die geltend gemachten Unterlassungsansprüche auch nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt.

Ein auf Unterlassung gerichteter Antrag muss so genau bestimmt sein, dass der Arbeitgeber der Entscheidung unschwer entnehmen kann, welches Verhalten ihm aufgegeben worden ist. Die Geltendmachung eines Unterlassungsantrages im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren erfordert einen Antrag, der auf einzelne, tatbestandlich umschriebene, konkrete Handlungen als Verfahrensgegenstand bezogen ist. Der Streitgegenstand muss so genau bezeichnet werden, dass die eigentliche Streitfrage selbst mit Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten entschieden werden kann. Das gilt auch und vor allem für Anträge, mit denen die Unterlassung von Handlungen verlangt wird. Mit der Entscheidung über den Antrag muss feststehen, welche Maßnahmen der Schuldner zu unterlassen hat; diese Prüfung darf nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden (BAG 11.12.1991 – 7 ABR 16/91 – AP BetrVG 1972 § 90 Nr. 2; BAG 24.01.2001 – 7 ABR 2/00 – AP ArbGG 1979 § 81 Nr. 50; BAG 13.01.2001 – 1 ABR 34/00 – AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 34; BAG 11.12.2007 – 1 ABR 73/06 – AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 54; BAG 21.01.2008 – 1 ABR 74/06 – AP AÜG § 14 Nr. 14; BAG 09.12.2008 – 1 ABR 75/07 – AP BGB § 613 a Nr. 356 Rn. 22; BAG 14.09.2010 –1 ABR 32/09 – NZA 2011, 364, Rn. 14 m.w.N.).

Den genannten Anforderungen werden die noch in der Beschwerdeinstanz anhängigen Unterlassungsanträge zu 1. und zu 2. der Gewerkschaft gerecht. Die Anträge beschreiben diejenigen Maßnahmen, die die Arbeitgeberin hinsichtlich der Regelung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit unterlassen soll. Die beanstandeten Inhalte sind hinreichend genau umschrieben.

Gegen die Bestimmtheit der Anträge spricht auch nicht, dass die Gewerkschaft weder ihre Mitglieder, noch die Mitarbeiter, mit denen die Arbeitgeberin die vertragliche Einheitsregelung abgeschlossen hat, namentlich benannt hat. Zwar kann eine Gewerkschaft im Allgemeinen nicht verlangen, dass der Arbeitgeber den Vollzug einer tarifwidrigen betrieblichen Regelung auch hinsichtlich der Tarifaußenseiter unterlässt. Es steht ihm grundsätzlich frei, mit nicht organisierten Arbeitnehmer untertarifliche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren (BAG 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89, Rn. 119). Für die hinreichende Bestimmtheit von Klageanträgen einer Gewerkschaft ist aber die namentliche Benennung der Gewerkschaftsmitglieder jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn die Betriebsparteien die vertragliche Einheitsregelung bei sämtlichen Beschäftigten, also sowohl bei den bei der Gewerkschaft organisierten als auch bei den nicht tarifgebundenen, zur Anwendung bringen wollten (LAG Baden-Württemberg 07.12.2007 – 20 TaBV 7/06 – AuR 2008, 185, Rn. 140 ff.; LAG Hamburg 18.06.2009 – 2 Sa 176/08 – Rn. 76 f.). So liegt der vorliegende Fall. Aus den Unterlassungsanträgen der Gewerkschaft geht mit ausreichender Deutlichkeit hervor, dass die Unterlassungsanträge sich auf sämtliche Arbeitnehmer, die bei der Arbeitgeberin beschäftigt sind, bezieht, die in den Anwendungsbereich der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 fallen. Der von den Unterlassungsanträgen betroffene Personenkreis ist für die Arbeitgeber hiernach hinreichend bestimmbar, weil die „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 sich unabhängig von der bestehenden Tarifbindung auf die Gesamtbelegschaft der Arbeitgeberin – mit Ausnahme der in § 1 der Regelungsabrede angesprochenen Personenkreise – bezieht.

  1. Die Anträge sind auch nicht erledigt. Zwar hat die Arbeitgeberin im Anhörungstermin vor der Beschwerdekammer am 29.07.2011 erklärt, es sei beabsichtigt, zum 01.10.2011 zur 38,5-Stunden-Woche zurückzukehren. Zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Beschwerdekammer hält die Arbeitgeberin jedoch an der in der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 festgelegten 42-Stunden-Woche fest.
  2. Die Beteiligung der antragstellenden Gewerkschaft, der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG.

Die Beteiligung der Gewerkschaft am vorliegenden Verfahren ergibt sich schon daraus, dass sie aus eigenem Recht Anträge stellt. Ein Antragsteller ist bereits aufgrund seines Antrags Beteiligter an einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren (BAG 25.08.1981 – 1 ABR 61/79 – AP ArbGG 1979 § 83 Nr. 2; GK/Dörner, ArbGG, § 83 Rn. 26 m.w.N.).

Auch die Arbeitgeberin ist am vorliegenden Verfahren zu beteiligen. Sie wird von der antragstellenden Gewerkschaft auf Unterlassung in Anspruch genommen. Auch wenn es im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren von Gesetzes wegen keinen Antragsgegner gibt (BAG 20.07.1982 – 1 ABR 19/81 – AP BetrVG 1952 § 76 Nr. 26; GK/Dörner, ArbGG, § 83 Rn. 35), ist der Arbeitgeber, der im vorliegenden Fall an der Regelungsabrede vom 19.08.2009 festhält, an einem entsprechenden arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu beteiligen.

Am vorliegenden Beschlussverfahren war schließlich auch der Betriebsrat zu beteiligen.

Nach § 83 Abs. 3 ArbGG ist Beteiligter an einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, wer durch die vom Antragsteller begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen ist (BAG 11.11.1998 – 4 ABR 40/97 – AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 18; BAG 16.03.2005 – 7 ABR 40/04 – AP BetrVG 1972 § 15 Nr. 3; BAG 22.07.2008 – 1 ABR 40/07 – AP BetrVG 1972 § 87 Nr. 14 m.w.N.). Betroffen ist ein Betriebsverfassungsorgan, wenn es als Inhaber eines streitigen Rechts materiell-rechtlich ernsthaft in Betracht kommt.

So liegt der vorliegende Fall. Die Beteiligten des vorliegenden Beschlussverfahrens streiten u.a. darum, ob die Arbeitgeberin berechtigt ist, die streitige „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 anzuwenden. Diese Regelungsabrede, um deren Durchführung/Nichtdurchführung bzw. Wirksamkeit es vorliegend geht, ist von der Arbeitgeberin und dem in ihren Betrieb gebildeten Betriebsrat abgeschlossen worden. Insoweit ist auch der Betriebsrat von dem vorliegenden Beschlussverfahren betroffen.

Die erstinstanzlich unterbliebene Beteiligung des Betriebsrats am vorliegenden Verfahren wird durch die nunmehrige zweitinstanzliche Beteiligung am vorliegenden Beschlussverfahren geheilt (BAG 03.04.1979 – 6 ABR 63/76 – AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 16; BAG 31.05.2005 – 1 ABR 22/04 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 125; BAG 15.05.2007 – 1 ABR 32/06 – AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 30; BAG 13.06.2007 – 7 ABR 62/06 – AP BetrVG 1972 § 38 Nr. 31). Da die beim Arbeitsgericht unterbliebene Beteiligung des Betriebsrats von keinem der bisher Beteiligten gerügt wurde, ist der Verfahrensfehler für die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses ohne Bedeutung.

  1. Der Unterlassungsantrag zu 1. ist begründet.

Die Arbeitgeberin ist nicht berechtigt, die in den §§ 3, 4 der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 enthaltene 42-Stunden-Woche und die darauf basierenden einzelvertraglichen Vereinbarungen im Betrieb anzuwenden.

  1. Der von der Gewerkschaft geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich bereits aus § 23 Abs. 3 i.V.m. § 77 Abs. 3 BetrVG. Dies hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend erkannt.
  2. a) Nach § 23 Abs. 3 BetrVG können der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen.
  • 23 Abs. 3 BetrVG verlangt eine grobe Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist allein, ob der Verstoß objektiv so erheblich war, dass unter Berücksichtigung des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit die Anrufung des Arbeitsgerichts gerechtfertigt erscheint. Die Pflichtverletzung muss objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend sein. So kann ein grober Verstoß regelmäßig dann bejaht werden, wenn der Arbeitgeber mehrfach erzwingbare Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats übergangen hat (BAG 19.07.1991 – 1 ABR 69/90 – AP BetrVG 1972 § 77 Arbeitszeit Nr. 44; BAG 23.06.1992 – 1 ABR 11/92 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 20; BAG 29.02.2000 – 1 ABR 4/99 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105; BAG 26.07.2005 – 1 ABR 29/04 – AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 43; BAG 19.01.2010 – 1 ABR 55/08 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 47, Rn. 28; BAG 09.03.2011 – 7 ABR 137709 – NZA 2011, 871, Rn. 15; Fitting, a.a.O., § 23 Rn. 59 ff.; GK/Oetker, a.a.O., § 23 Rn. 168; ErfK/Koch, 11. Aufl., § 23 BetrVG Rn. 18; Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG, 4. Aufl., § 23 Rn. 58 m.w.N.). Bereits ein einmaliger Verstoß kann eine grobe Pflichtverletzung darstellen (Fitting, a.a.O., § 23 Rn. 62; ErfK/Koch, a.a.O., § 23 BetrVG Rn. 18 m.w.N.).
  1. b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat auch die Beschwerdekammer angenommen, dass die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall durch den Abschluss der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 in grober, schwerwiegender Weise gegen den in § 77 Abs. 3 BetrVG enthaltenen Grundsatz des Tarifvorranges verstoßen hat.
  2. aa) Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Das Bundesarbeitsgericht sieht § 77 Abs. 3 BetrVG als eine Grundnorm der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung an, deren Beachtung § 23 Abs. 1 und 3 BetrVG gewährleisten soll (BAG 22.06.1993 – 1 ABR 62/92 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 22).

(1) Zwar gilt die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nach seinem Wortlaut nur für Betriebsvereinbarungen, nicht dagegen für Regelungsabreden. Nach überwiegender Auffassung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und der arbeitsrechtlichen Literatur werden andere Vereinbarungen der Betriebspartner, insbesondere Regelungsabreden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, von der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht erfasst. Die Sperrwirkung eines Tarifvertrages steht individualrechtlichen Absprachen und bloßen Regelungsabreden der Betriebsparteien, die gerade nicht normativ auf den Inhalt der Arbeitsverhältnisse einwirken, nicht entgegen (BAG 23.08.1989 – 5 AZR 391/88 – AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 42; BAG 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89, unter B. II. 1. b) aa) der Gründe; BAG 21.01.2003 – 1 ABR 9/02 – AP BetrVG 1972 § 21 a Nr. 1, unter B. II. 2. c) aa) der Gründe; Fitting, a.a.O., § 77 Rn. 102; GK/Kreutz, a.a.O., § 77 Rn. 135; WPK/Preis, a.a.O., § 77 Rn. 59; ErfK/Kania, a.a.O., § 77 Rn. 56; andere Auffassung: Däubler/Kittner/Klebe/Berg, BetrVG, 11. Aufl., § 77 Rn. 78; Thon, NZA 2005, 858, 860; Annuß RdA 2000, 291; Wohlfahrth NZA 1999, 963; Zachert RdA 1996, 145 m.w.N.).

(2) Entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin stellt sich die streitige „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 jedoch in Wirklichkeit als Betriebsvereinbarung im Sinne des § 77 BetrVG dar. Insbesondere die Regelungen in §§ 3, 4 der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 sind keine bloße Regelungsabrede ohne Normwirkung. Dies hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend erkannt.

Ob eine Regelungsabrede oder eine – bei fehlender Schriftform unwirksame – Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, ist durch Auslegung festzustellen (BAG 26.01.2011 – 4 AZR 159/09 – NZA 2011, 808 = DB 2011, 1454, Rn. 18, 21). Dabei kommt es darauf an, ob die Regelung nach ihrem Inhalt unmittelbar und zwingend wirken soll (BAG 09.12.1997 – 1 AZR 330/97 – AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 3; Fitting, a.a.O., § 77 Rn. 218) oder ob sie nur schuldrechtlichen Charakter hat.

Zu Recht ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass es sich bei der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 um eine Betriebsvereinbarung im Sinne des § 77 BetrVG handelt. Die Parteien der Regelungsabrede wollten nämlich alle Arbeitnehmer des Betriebes der Arbeitgeberin erfassen und für die gesamte Belegschaft die 42-Stunden-Woche einführen. Dies ergibt sich aus den einzelnen Bestimmungen der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009.

Zwar haben die Betriebspartner der Vereinbarung vom 19.08.2009 diese mit „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ überschrieben. Die bloße Bezeichnung der Vereinbarung vom 19.08.2009 als „Regelungsabrede“ ist aber unbeachtlich, weil die Betriebspartner der Vereinbarung normative Wirkung zugemessen haben. Zu Recht hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss festgestellt, dass die Arbeitgeberin und der Betriebsrat in der am 19.08.2009 abgeschlossenen Vereinbarung die normative Wirkung der vereinbarten 42-Stunden-Woche nicht abbedungen haben, wie dies häufig bei Regelungsabreden der Fall ist. Es findet sich auch an keiner Stelle der „Regelungsabrede“ eine Vereinbarung dahin, dass die Regelungen zur Arbeitszeiterhöhung noch in die einzelnen Arbeitsverträge transformiert werden müssten.

In § 1 der Vereinbarung vom 19.08.2009 haben die Parteien den Geltungsbereich der „Regelungsabrede“ festgelegt. Hiernach erstreckt sich die „Regelungsabrede“ auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitgeberin mit Ausnahme der ausdrücklich festgelegten Personenkreise (leitende Angestellte, minderjährige Mitarbeiter, Auszubildende, Schwerbehinderte). In § 3 der „Regelungsabrede“ ist ohne Ausnahme die wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte bereits rückwirkend ab 01.07.2009 auf 42 Stunden ohne Lohnausgleich festgelegt worden. § 4 der „Regelungsabrede“ regelt ohne Wenn und Aber die anteilige Anpassung der wöchentlichen Arbeitszeit auf Teilzeitkräfte. In § 9 Satz 1 der „Regelungsabrede“ vom 19.08.2009 ist ausdrücklich festgelegt, dass diese Regelungsabrede rückwirkend zum 01.07.2009 in Kraft tritt. Aus alledem kann nur entnommen werden, dass die Betriebspartner der „Regelungsabrede“ normative Kraft zumessen wollten. Insbesondere ist nicht vereinbart worden, dass die getroffenen Regelungen nur dann Gültigkeit haben sollen, wenn eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern einer entsprechenden Vertragsänderung zugestimmt hat. Solche Vereinbarungen sind jedoch typische Merkmale von Regelungsabreden (BAG 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89, unter B. II. 1. b) bb) der Gründe).

Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Mitteilungen der Arbeitgeberin und des Betriebsrats vom 19.08.2009 (Bl. 5 und 6 f. d. A.) bestätigt. Auch aufgrund dieser Schreiben musste die Belegschaft davon ausgehen, dass die zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen unmittelbar für ihre Arbeitsverhältnisse Geltung erlangen würde, ohne dass es noch einer weiteren einzelvertraglichen Umsetzung bedurfte. Den Mitarbeitern ist auch nicht bekannt gegeben worden, dass es noch einer einzelvertraglichen Umsetzung der mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarung bedurfte. Allein der Umstand, dass die Arbeitgeberin nach Abschluss der Vereinbarung vom 19.08.2009 daran gegangen ist, die 42-Stunden-Woche mit jedem einzelnen Arbeitnehmer arbeitsvertraglich zu vereinbaren, ändert danach an der Auslegung der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 als Betriebsvereinbarung nichts. Die 42-Stunden-Woche, wie sie in der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 festgelegt worden ist, sollte nach ihrem Inhalt unmittelbar und zwingend wirken.

(3) Stellen die Regelungen der sogenannte „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 inhaltlich eine Betriebsvereinbarung dar, verstoßen sie gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und sind daher gemäß § 134 BGB unwirksam.

Der Gegenstand der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009, die Vereinbarung einer 42-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich, ist nämlich tariflich geregelt. Sowohl der Haustarifvertrag vom 21.10.2005, der zwar gekündigt ist, aber kraft Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG fortgilt, wie auch der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag vom 21.08.2006 sehen eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden für Vollzeitmitarbeiter vor. Eine Öffnungsklausel ist insoweit weder im Haustarifvertrag vom 21.10.2005 noch im allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag vom 21.08.2006 enthalten. Bei der Frage der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit kommt dem Betriebsrat keine Normkompetenz zu. Damit liegt ein Verstoß gegen den Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG vor.

  1. bb) Mit der Vereinbarung der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 hat die Arbeitgeberinn gegen ihre Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz verstoßen. Dieser Verstoß ist auch als grober Verstoß im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG anzusehen. Der Arbeitgeberin war bekannt, dass sie mit dem Betriebsrat nicht die Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren konnte. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung vom 29.04.2004 ist bereits seinerzeit vom Arbeitsgericht Paderborn – 3 (2) Ca 784/05 – rechtskräftig für unwirksam erachtet worden. Dass der Arbeitgeberin bewusst war, dass vom Tarifvertrag abweichende Arbeitsbedingungen nur durch Vereinbarungen mit der zuständigen Gewerkschaft vereinbart werden können, zeigen auch die der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 vorangegangenen Verhandlungen mit der antragstellenden Gewerkschaft, die die Arbeitgeberin schließlich für gescheitert erklärt hat.
  2. Selbst wenn mit der Arbeitgeberin davon ausgegangen würde, dass es sich bei der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 nicht um eine Betriebsvereinbarung, sondern tatsächlich um eine Regelungsabrede handelte, steht der an-tragstellenden Gewerkschaft gegen die Arbeitgeberin ein Unterlassungsanspruch nach den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG zu.
  3. a) Nach allgemeiner Auffassung kann der in § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelte Unterlassungsanspruch zur Abwehr von Eingriffen in alle nach § 823 BGB geschützten Rechte, Lebensgüter und Interessen herangezogen werden. Hieraus wird in ständiger Rechtsprechung geschlossen, dass sich eine Koalition gegen rechtswidrige Eingriffe in ihre von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit mit Hilfe von Unterlassungsklagen wehren kann. Zum Schutzbereich des § 823 BGB i.V.m. Art 9 Abs. 3 GG gehört nämlich auch das Recht der Koalition auf koalitionsmäßige, hier gewerkschaftliche Betätigung. Demnach sind Abreden, welche die Koalitionsfreiheit einschränken oder zu behindern suchen, nichtig. Hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig und mit Rechtsbehelfen zu verhindern (BAG 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89, unter B. II. 2. a) der Gründe).
  4. b) Zu Recht hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss erkannt, dass die Koalitionsfreiheit der antragstellenden Gewerkschaft durch die streitige „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 bzw. durch die darauf beruhenden einzelvertraglich vereinbarten Regelungen beeinträchtigt ist.
  5. aa) Die Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft kann grundsätzlich durch eine betriebseinheitliche Regelung, die tarifwidrige Arbeitsbedingungen schaffen will, beeinträchtigt werden (BAG 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89, unter B. II. 2. b) bb) der Gründe; ebenso: LAG Hamburg 18.06.2009 – 2 Sa 176/08 – Rn. 86). Zwar stellt nicht jede normwidrige Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. GG dar. Eine derartige Beeinträchtigung muss aber angenommen werden, wenn eine betriebliche Regelung einheitlich wirken und die entsprechende Tarifnorm als kollektive Ordnung verdrängen soll (vgl. BAG 17.05.2011 – 1 AZR 473/09 – Pressemitteilung).
  6. bb) So liegt der vorliegende Fall. Es liegt eine betriebliche Einheitsregelung vor, die tarifwidrige Arbeitsbedingungen schaffen will. Die Arbeitgeberin hat durch die mit dem Betriebsrat getroffene Vereinbarung vom 19.08.2009 die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Stunden rückwirkend zum 01.07.2009 bei allen beschäftigten Arbeitnehmern/innen bzw. eine anteilige Anpassung bei allen Teilzeitkräften vorgenommen. Auch nach dem Willen der Arbeitgeberin sollte diese Regelung einheitlich im Betrieb der Arbeitgeberin umgesetzt werden. Dies wird durch eine Erklärung der Arbeitgeberin vom 10.09.2009 (Bl. 73 d. A.) gegenüber einer Mitarbeiterin, die mit der Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Stunden nicht einverstanden war, bestätigt. In dieser Erklärung weist die Arbeitgeberin ausdrücklich darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter hinter der Regelung stehe und sie aufgefordert worden sei, alle Beschäftigten gleich zu behandeln; man werde hiervon nicht abweichen. Hieraus ergibt sich, dass die Arbeitgeberin gerade nicht nur mit denjenigen Mitarbeitern/innen, die nicht tarifgebunden sind, einzelvertraglich untertariflicher Arbeitsbedingungen schaffen wollte. Die Arbeitgeberin beabsichtigte gerade, den allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag und den kraft Nachwirkung geltenden Haustarifvertrag als kollektive Regelung jedenfalls hinsichtlich der wöchentlichen Arbeitszeit durch eine betriebliche Regelung zu verdrängen. Die Vereinbarung vom 19.08.2009 unterscheidet gerade nicht zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Mitarbeitern, sie sollte alle Belegschaftsmitglieder erfassen. Damit ist die Koalitionsfreiheit der antragstellenden Gewerkschaft beeinträchtigt worden.
  7. cc) Die Arbeitgeberin kann auch nicht darauf verweisen, die Vereinbarung vom 19.08.2009 enthielte auch für die Belegschaft günstige Regelungen.

Zwar ist in § 5 der „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 der Mitarbeiterrabatt für alle Mitarbeiter, die entsprechend der Vereinbarung tätig sind, auf 33 % erhöht worden, mit der Novemberabrechnung sollten Warengutscheine in einer Gesamthöhe von 40,00 € ausgegeben werden. Diese Regelungen sind aber nicht als günstigere Regelungen im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG anzusehen. In den insoweit anzustellenden Günstigkeitsvergleich können nur vergleichbare Regelungen einbezogen werden. Zwischen den zu vergleichenden Vertragsbestandteilen muss ein Sachzusammenhang bestehen. Ein Vergleich von Regelungen, deren Gegenstände sich theoretisch nicht berühren, ist methodisch unmöglich (Vergleich von „Äpfeln“ mit „Birnen“) und mit § 4 Abs. 3 TVG nicht vereinbar (BAG 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89, unter B. III. 1. b) der Gründe; Fitting, a.a.O., § 77 Rn. 102 m.w.N.).

Die in § 5 der streitigen „Regelungsabrede zur Mehrarbeit“ vom 19.08.2009 gewährten Vergünstigungen stehen in keinem Sachzusammenhang mit der Heraufsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden auf 42 Stunden ohne Lohnausgleich. Dies gilt auch für die von der Arbeitgeberin ins Feld geführte Standortgarantie, die nicht einmal gegenüber dem Betriebsrat vertraglich fest zugesagt, sondern in § 2 der Vereinbarung vom 19.08.2009 nur als „Zielstellung“ bezeichnet worden ist.

  1. c) Soweit die Arbeitgeberin mit der Beschwerde unter Hinweis auf ihren erstinstanzlichen Schriftsatz vom 05.11.2009 die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere die mehrfach zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – angreift und sich dabei auf die entgegenstehende arbeitsrechtliche Literatur bezieht, vermag ihr auch insoweit die Beschwerdekammer nicht zu folgen. Ebenso wie das Arbeitsgericht schließt sich auch die erkennende Beschwerdekammer den Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts im Beschluss vom 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 – an, die im Übrigen in der arbeitsrechtlichen Literatur auch Zustimmung erfahren hat (vgl. Dieterich, AuR 2005, 121; Kocher NZA 2005, 140; Fitting, a.a.O., § 77 Rn. 236 m.w.N.).

III. Auch der Unterlassungsantrag zu 2. ist begründet.

Die antragstellende Gewerkschaft hat gegen die Arbeitgeberin auch einen Anspruch auf Unterlassung von Vereinbarungen mit dem Betriebsrat in B2 hinsichtlich der Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit, solange tarifliche Regelungen zur Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit bestehen, bzw. solange solche tarifliche Regelungen üblich sind und die tariflichen bzw. tarifüblichen Regelungen keine Festlegung der Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit durch die Betriebsparteien zulassen, § 23 Abs. 3 i.V.m. § 77 Abs. 3 BetrVG.

Zur Begründung kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.

  1. Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht dem Antrag der Gewerkschaft, der Arbeitgeberin für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld anzudrohen, stattgegeben. Dieser Antrag folgt aus § 890 ZPO. Die Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO ist auch bereits im Erkenntnisverfahren möglich und zulässig (BAG 26.10.2004 – 1 ABR 31/03 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 113, unter B. II. 3. der Gründe; LAG Frankfurt 03.06.1988 – 12 TaBV 154/87 – DB 1989, 536; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a.a.O., § 85 Rn. 27; Fitting, a.a.O., § 23 Rn. 72; GK/Oetker, a.a.O., § 23 Rn. 192; ErfK/Koch, a.a.O., § 23 BetrVG Rn. 27 m.w.N.). Die Möglichkeit der Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO wird auch nicht durch die Regelung in § 23 Abs. 3 BetrVG ausgeschlossen oder eingeschränkt, § 23 Abs. 3 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung (Fitting, a.a.O., § 23 Rn. 108; GK/Oetker, a.a.O., § 23 Rn. 185, 192 m.w.N.).
  2. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerdekammer die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht nach den §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.

 

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