BGH, Urt. v. 07.02.2018 – IV ZR 53/17
Das Bezugsrecht bei der Risikolebensversicherung
(OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.01.2017 – 5 U 22/16; LG Saarbrücken, Entsch. v. 21.04.2016 – 14 O 245/15)
Tatbestand:
Die klagende Sparkasse verlangt aus abgetretenem Recht von dem beklagten Versicherer Auszahlung der Todesfallleistung aus einer Risikolebensversicherung.
Diese schloss die Versicherungsnehmerin bei der Beklagten im Dezember 2007 mit einer Versicherungssumme von 500.000 € ab, die sich aufgrund der vereinbarten Dynamisierung auf 524.023 € erhöhte.
Die im Antragsformular im Rahmen der „Risiko- und Gesundheitserklärung der zu versichernden Person“ gestellten Fragen „Litten Sie in den letzten 5 Jahren oder leiden Sie zurzeit an Krankheiten, Störungen oder Beschwerden (… Nerven, Psyche …)?“ und „Wurden Sie in den letzten 10 Jahren stationär behandelt?“ verneinte die Versicherungsnehmerin, ebenso die Fragen in einer „Erklärung vor dem Arzt“ nach Krankheiten der Psyche und einem Selbsttötungsversuch.
Als bezugsberechtigte Person im Todesfall benannte die Versicherungsnehmerin ihren Ehemann.
„Sofern Sie uns keine andere Person als Bevollmächtigten benannt haben, gilt nach Ihrem Ableben ein Bezugsberechtigter als bevollmächtigt, eine Rücktritts- oder Anfechtungserklärung entgegenzunehmen. Ist auch ein Bezugsberechtigter nicht vorhanden oder kann sein Aufenthalt nicht ermittelt werden, so können wir den Inhaber des Versicherungsscheins zur Entgegennahme der Erklärung als bevollmächtigt ansehen.“
Am 13.02.2008 trat die Versicherungsnehmerin „die gegenwärtigen und zukünftigen Rechte und Ansprüche aus dem … Lebensversicherungsvertrag für den Todesfall in voller Höhe“ zur Sicherung „aller bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen des Kreditinstituts …“ aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung an die Klägerin ab und übergab dieser den Originalversicherungsschein. Die Abtretungserklärung enthält unter der Überschrift „Bezugsrecht“ folgende Regelung:
„Der Versicherungsnehmer widerruft für die Dauer der Abtretung ein etwaiges Bezugsrecht, insoweit es den Rechten des Kreditinstituts entgegensteht. Übersteigt der vom Versicherungsunternehmen nach dem Ableben des Versicherten an das Kreditinstitut ausgezahlte Geldbetrag die gesicherten Ansprüche des Kreditinstituts, so wird das Kreditinstitut die Differenz an den/die von dem Versicherungsunternehmen mitgeteilten Bezugsberechtigten auszahlen.“
Die Klägerin übersandte der Beklagten die Abtretungserklärung sowie eine Abtretungsanzeige, in der die Versicherungsnehmerin erklärte:
„Ich habe dem oben genannten Kreditinstitut die mir zustehenden gegenwärtigen und künftigen Rechte und Ansprüche aus dem oben genannten Versicherungsvertrag im Umfange der beigefügten Abschrift der Abtretungserklärung abgetreten …. Den Versicherungsschein habe ich dem Kreditinstitut übergeben. Ich widerrufe hiermit für die Dauer der Abtretung das bisherige Bezugsrecht insoweit, als es dieser entgegensteht.“
Am 19.10.2013 verstarb die Versicherungsnehmerin durch Suizid. Nachdem die Klägerin davon Kenntnis erlangt hatte, bat sie die Beklagte um Auszahlung der Versicherungsleistung.
Mit Schreiben vom 05.02.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe gegenüber dem Ehemann der Versicherungsnehmerin wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht die Anfechtung erklärt. Mit Schreiben vom 07.02.2014 focht die Beklagte gegenüber dem Ehemann der Versicherungsnehmerin ihre Vertragserklärung an. Hintergrund der Anfechtung war, dass die Beklagte im Rahmen der Leistungsprüfung festgestellt hatte, dass die Versicherungsnehmerin nach einem Suizidversuch Anfang August 2001 einen Monat in einer Fachklinik für Psychiatrie behandelt worden war, nach Aufnahme in die geschlossene Station einen weiteren Suizidversuch begangen hatte und anschließend mit Antidepressiva behandelt worden war.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Anfechtung gegenüber dem Ehemann der Versicherungsnehmerin greife schon deshalb nicht durch, weil dieser nicht der richtige Anfechtungsgegner gewesen sei.
Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 524.023 € sowie außergerichtliche Anwaltskosten jeweils nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die Anfechtung sei auch gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner erklärt worden. § 7 Abs. 8 AVB sei wirksam und begründe eine Empfangsvollmacht des Bezugsberechtigten, hier des Ehemannes der Versicherungsnehmerin. Infolge der Sicherungsabtretung der Ansprüche aus der Lebensversicherung sei das Bezugsrecht des Ehemannes der Versicherungsnehmerin nicht vollständig weggefallen. Es sei nur in dem durch den Sicherungszweck bestimmten Umfang im Rang hinter die Rechte der Klägerin zurückgetreten und im Übrigen voll wirksam geblieben. Folglich sei der Ehemann der Versicherungsnehmerin weiter Empfangsbevollmächtigter gem. § 7 Abs. 8 AVB gewesen. Die Klägerin sei auch nicht als Inhaberin des Versicherungsscheins Empfangsbevollmächtigte der Anfechtungserklärung geworden. Nach § 7 Abs. 8 AVB könne der Inhaber des Versicherungsscheins nur dann zur Entgegennahme der Erklärung als bevollmächtigt angesehen werden, wenn ein Bezugsberechtigter nicht vorhanden sei oder sein Aufenthalt nicht ermittelt werden könne.
(1) Nach dem Wortlaut, von dem ein verständiger Versicherungsnehmer ausgeht, sieht er als Bezugsberechtigten i.S.d. § 7 Abs. 8 AVB jedenfalls diejenige Person an, die nach seinem dem Versicherer mitgeteilten Willen im Versicherungsfall die Versicherungsleistung erhalten soll. Ob er einen Sicherungsnehmer, an den er seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abgetreten hat, auch als „Bezugsberechtigten“ ansieht, kann dahinstehen. Der Versicherungsnehmer wird die Mitteilung einer Sicherungsabtretung an den Versicherer jedenfalls nicht so verstehen, dass er damit den Zessionar zugleich als alleinigen oder vorrangigen Empfangsbevollmächtigen für Rücktritts- oder Anfechtungserklärungen benennt.
(2) Dies entspricht auch dem einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck des § 7 Abs. 8 Satz 1 AVB, hinsichtlich des richtigen Erklärungsadressaten für Klarheit zu sorgen. Der Versicherer will sich auf die Empfangsvollmacht eines ihm benannten Bezugs berechtigten verlassen können und nicht aufgrund einer ihm mitgeteilten Sicherungsabtretung nach Eintritt des Versicherungsfalles prüfen müssen, ob und in welchem Umfang die gesicherten Forderungen bei Eintritt des Versicherungsfalles noch bestehen und ob der Sicherungsnehmer die ihm abgetretenen Ansprüche aus der Lebensversicherung verwerten will.
(3) Dieses Verständnis steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung zur Kollision einer Sicherungsabtretung mit einer widerruflichen Bezugsrechtsbestimmung.
(a) Bei Einräumung eines widerruflichen, im Übrigen nicht eingeschränkten Bezugsrechts liegt in einer nachträglichen Sicherungsabtretung der Ansprüche aus einer Lebensversicherung nicht auch ein konkludenter Widerruf bestehender Bezugsrechtsbestimmungen. Ein anlässlich der Sicherungsabtretung erklärter Widerruf „für die Dauer der Abtretung“ ist vielmehr regelmäßig so zu verstehen, dass etwaige Bezugsrechte im Rang hinter das vereinbarte Sicherungsrecht zurücktreten und im Übrigen bestehen bleiben sollen (BGH, VersR 2012, 344 Rn. 16; BGHZ 187, 220 Rn. 13; jeweils m.w.N.). Soweit im maßgeblichen Zeitpunkt des Versicherungsfalles dem Sicherungsnehmer gesicherte Forderungen gegen den Versicherungsnehmer zustehen, ist er – als Inhaber des Anspruchs, nicht nur als Bezugsberechtigter – allein befugt, Zahlung der Todesfallleistung an sich zu verlangen (BGH, VersR 2012, 344 [BGH 18.01.2012 – IV ZR 196/10] Rn. 16; BGHZ 187, 220 Rn. 14; jeweils m.w.N.). Dies bedeutet nur, dass der Sicherungsnehmer infolge seiner unmittelbaren Anspruchsinhaberschaft hinsichtlich der Versicherungsleistung eine stärkere Stellung als ein Bezugsberechtigter hat. Daraus ergibt sich nicht, dass der Sicherungsnehmer darüber hinaus zugleich aufgrund einer Klausel wie der hier streitgegenständlichen zur Entgegennahme von Willenserklärungen des Versicherers allein oder vorrangig bevollmächtigt ist.
(b) Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Revision nicht aus dem Senatsurt. vom 24.03.1993 (BGH, VersR 1993, 868 [BGH 24.03.1993 – IV ZR 36/92] unter 3 a). In jenem Verfahren hat der Senat entschieden, nach der dort in Rede stehenden Klausel wäre – mangels Benennung eines Bezugsberechtigten – der Rücktritt gegenüber der Sicherungsnehmerin zu erklären gewesen, die infolge der dem Versicherer angezeigten Abtretung „auch Bezugsberechtigte“ geworden sei. Dies bedeutet aber nicht, dass ein Sicherungsnehmer auch dann zur Entgegennahme von Rücktritts- oder Anfechtungserklärungen allein oder vorrangig bevollmächtigt ist, wenn ein vom Versicherungsnehmer benannter Bezugsberechtigter vorhanden ist.
Die Revision beruft sich weiterhin ohne Erfolg auf das Senatsurt. v. 05.05.1982 (BGH, VersR 1982, 746 unter II 3). Die Frage, ob die Anfechtung auch gegenüber einem – nicht benannten Bezugsberechtigten erklärt werden konnte, stellte sich in jenem Streitfall nicht. Die Sicherungsnehmerin war als Inhaberin des Versicherungsanspruchs und des Versicherungsscheins zur Entgegennahme von Willenserklärungen bevollmächtigt.
bb) In der dargelegten Auslegung hält § 7 Abs. 8 Satz 1 AVB der Inhaltskontrolle stand. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, sind Klauseln in einer Lebensversicherung, die den Versicherer berechtigen, nach dem Tod des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass dieser bestimmte Personen zur Entgegennahme von Willenserklärungen des Versicherers nach Eintritt des Versicherungsfalles bevollmächtigt hat, grds. rechtlich unbedenklich (BGH, VersR 1993, 868 [BGH 24.03.1993 – IV ZR 36/92] unter 3 a; BGH, VersR 1982, 746 unter II 1 und 2). Durch eine solche Bestimmung wird der Versicherungsnehmer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben gem. 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen benachteiligt. § 7 Abs. 8 Satz 1 AVB weicht nicht von einer gesetzlichen Regelung ab und schränkt auch nicht wesentliche Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
Die Erteilung einer Empfangsvollmacht für den Bezugsberechtigten oder den Inhaber des Versicherungsscheins entspricht – zumindest in aller Regel – nicht nur den Interessen des Versicherers, sondern auch denen des Versicherungsnehmers. Lebensversicherungsverträge werden vom Versicherungsnehmer für den Fall, dass er den Versicherungsfall nicht selbst erlebt, im Interesse des Bezugsberechtigten geschlossen. Dieser ist nach dem Tode des Versicherungsnehmers an der Versicherung wirtschaftlich interessiert. Es kann deshalb regelmäßig den Interessen des Versicherungsnehmers nicht widersprechen, für den Fall seines Todes den Bezugsberechtigten zu bevollmächtigen. Hingegen hat der Versicherer ein besonderes Interesse, nach Eintritt des Versicherungsfalles den notwendigen legitimierten Erklärungsempfänger zu haben. Dies widerspricht den Interessen des Versicherungsnehmers nicht, sondern dient dem Vertragszweck und damit den Interessen beider Vertragspartner (BGH, VersR 1982, 746 unter II 2 b).
III. Da es zu den subjektiven Voraussetzungen der Arglist an ausreichenden Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird der Beklagten Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen und Beweisantritt zu geben haben.
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