Verfahrensfähigkeit in Betreuungssachen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Oktober 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Weber-Monecke, Dr. Günter, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 31. Mai 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000 €
I.
Für die unter einer schweren Demenz leidende Betroffene bestand seit November 2011 eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen der Vermögenssorge, der Gesundheitsfürsorge und der Aufenthaltsbestimmung. Mit Beschluss vom 18. Januar 2013 ist das Amtsgericht der Bitte des als berufsmäßiger Betreuer bestellten Rechtsanwalts O., aus seinem Betreueramt entlassen zu werden, nachgekommen und hat die Beteiligte zu 1 zur neuen Betreuerin bestellt. Zudem hat es für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
Hiergegen hat Rechtsanwalt R. ausdrücklich namens und in Vollmacht der Betroffenen Beschwerde eingelegt. Nach Anhörung der Betroffenen hat das Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Beschwerdeentscheidung.
Die ganz herrschende Meinung leitet daraus auch die grundsätzliche Befugnis des Betroffenen ab, jederzeit selbst einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen (KG FamRZ 2010, 835; OLG Schleswig FamRZ 2007, 1126; BayObLG BtPrax 2005, 148; BayObLG Beschluss vom 3. März 2004 – 3Z BR 268/03 – […] Rn. 5; OLG Saarbrücken FGPrax 1999, 108, 109; Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 275 Rn. 5; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 2. Aufl. § 275 Rn. 3; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl. § 275 Rn. 11; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 2. Aufl. § 275 Rn. 2; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 275 FamFG Rn. 5; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1.3.2013] § 275 FamFG Rn. 9; Horndrasch/Viefhues/ Beermann FamFG § 275 Rn. 2; Brosey in Bahrenfuss FamFG § 275 Rn. 2; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 3. Aufl. § 275 Rn. 5; Grabow in Holzer FamFG § 275 Rn. 2; BeckOK-FamFG/Günter [Stand: 1.7.2013] § 275 Rn. 2; Heidebach in Haußleiter FamFG § 275 Rn. 3; Jurgeleit/Meier Betreuungsrecht 3. Aufl. § 275 FamFG Rn. 3; HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2011] § 275 Rn. 7; a.A. Prütting/Helms/Roth FamFG 3. Aufl. § 316 Rn. 3 f.). Der Senat teilt diesen Ansatz.
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Die Norm des § 275 FamFG ersetzt § 66 FGG, der wiederum auf das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz) vom 12. September 1990 (BGBl. I S. 2002) zurückging. Ein wesentliches Ziel der mit dem Betreuungsgesetz vorgenommenen Änderungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit war es, die Rechtsposition des Betroffenen auch im Verfahren zu stärken. In einem fairen Verfahren sollte er eigenständiger Beteiligter und nicht „Verfahrensobjekt“ sein. Als Kernstück der Verfahrensvorschriften wurde daher schon in § 66 FGG die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen ausdrücklich geregelt und auf alle die Betreuung betreffenden Verfahren ausgedehnt. Damit sollte der Betroffene in die Lage versetzt werden, seinen Willen nach Kräften selbst zu vertreten, ohne auf Andere, insbesondere gesetzliche Vertreter, angewiesen zu sein (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Mai 2011 – XII ZB 632/10 – FamRZ 2011, 1049 Rn. 10; BT-Drucks. 11/4528 S. 89 und 170).
Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck einer Stärkung der verfahrensrechtlichen Position des Betroffenen würde ohne die Möglichkeit, selbst einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen, in vielen Fällen verfehlt. Denn wie schon der Blick auf die in § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB genannten medizinischen Voraussetzungen der Betreuung verdeutlicht, wird es dem Betroffenen häufig nur mit anwaltlicher Vertretung möglich sein, seine Rechte im Betreuungsverfahren effektiv wahrzunehmen.
Mit dieser gesetzgeberischen Intention wäre es nicht vereinbar, aus den das Betreuungsverfahren erst auslösenden krankheitsbedingten Beeinträchtigungen der Willensbildungsfähigkeit eines Betroffenen wiederum auf Einschränkungen der Verfahrensfähigkeit – und der daraus folgenden Fähigkeit zur Erteilung einer Verfahrensvollmacht – rückzuschließen. Dies würde § 275 FamFG einen maßgeblichen Teil seiner Wirkung nehmen und zu einer gegenüber der Geschäftsfähigkeit nur wenig erweiterten Verfahrensfähigkeit führen (vgl. Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 2. Aufl. § 275 Rn. 3). Das war jedoch vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt.
Grundsätzlich liegt ein (nur) natürlicher Wille vor, wenn es einem Betroffenen an einem der beiden für eine freie Willensbestimmung erforderlichen Elemente, der Einsichtsfähigkeit oder der Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, fehlt (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2011 -XII ZB 526/10 -FamRZ 2011, 630 Rn. 7 und vom 14. März 2012 – XII ZB 502/11 – FamRZ 2012, 869 Rn. 14). Die im Zusammenhang mit § 275 FamFG verwendeten – zudem uneinheitlichen – Definitionen des „natürlichen Willens“ greifen daher teilweise auf Begrifflichkeiten wie „ungefähre Vorstellung“ und „ansatzweise“ zurück (vgl. dazu Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 275 Rn. 7 mwN; HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2011] § 275 FamFG Rn. 8). Das ist folgerichtig, weil die Unterscheidung zur „einfachen“ Geschäftsunfähigkeit, bei der § 275 FamFG noch Platz greifen soll, nur mittels gradueller Kriterien möglich ist. Diese entziehen sich jedoch weitgehend einer für die gerichtliche Praxis brauchbaren Handhabung.
Zum einen schließt die Sollvorschrift des § 276 Abs. 4 FamFG die Bestellung eines Verfahrenspflegers etwa bei Vorliegen eines Interessenkonflikts auch dann nicht aus, wenn der Betroffene durch einen Rechtsanwalt oder einen anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird (vgl. KG FGPrax 2004, 117 [KG Berlin 06.02.2004 – 1 W 33/04]; Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 276 Rn. 15). Zum anderen war dem Gesetzgeber bewusst, dass mit der uneingeschränkten Verfahrensfähigkeit des Betroffenen Probleme einhergehen können (vgl. OLG Schleswig FamRZ 2007, 1126 mwN; ausführlich Sonnenfeld in Bienwald/Sonnenfeld/ Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 275 FamFG Rn. 9; Jurgeleit/Meier 3. Aufl. § 275 FamFG Rn. 4; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 2. Aufl. § 275 Rn. 6). Gleichwohl hat er in § 275 FamFG keine Einschränkungen aufgenommen.
Dose
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