EuGH, Urt. v. 21.06.2018 – C 20/17 Zuständigkeitsvorschriften der EuErbVO sind abschließend auch für die Erteilung nationaler Erbschaftszeugnisse

September 16, 2018

EuGH, Urt. v. 21.06.2018 – C 20/17

Zuständigkeitsvorschriften der EuErbVO sind abschließend auch für die Erteilung nationaler Erbschaftszeugnisse

(KG, Beschl. v. 10.1.2017 – 6 W 125/16; AG Schöneberg, Beschl. v. 17. und 28.11.2016)

Urteil:

Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.07.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107).

Ersuchen ergeht im Rahmen eines von Vincent Pierre Oberle angestrengten Verfahrens beim AG Schöneberg (Deutschland) zur Erlangung eines nationalen Nachlasszeugnisses infolge des Ablebens seines Vaters, eines französischen Staatsangehörigen, dessen letzter gewöhnlicher Aufenthalt in Frankreich war.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage:

Der französische Staatsangehörige Adrien Théodore Oberle (im Folgenden: Erblasser), dessen letzter gewöhnlicher Aufenthalt in Frankreich war, verstarb am 28.11.2015 ohne Testament. Der Erblasser, dessen Ehefrau vorverstorben war, hinterließ zwei Söhne, Vincent Pierre und dessen Bruder. Das Nachlassvermögen befindet sich in Frankreich und Deutschland.

Auf Antrag von Vincent Pierre Oberle stellte das Tribunal d’instance de Saint-Avold (Gericht erster Instanz, Saint-Avold, Frankreich) am 08.03.2016 einen nationalen Erbschein aus, in dem Vincent Pierre Oberle und sein Bruder jeweils zur Hälfte als Erben dieses Vermögens bestimmt wurden.

Beim AG Schöneberg beantragte Vincent Pierre Oberle die Ausstellung eines auf den in Deutschland belegenen Nachlassteil gegenständlich beschränkten Fremdrechts-Erbscheins, da er nach französischem Recht gemeinsam mit seinem Bruder jeweils zur Hälfte das Vermögen des Erblassers geerbt habe.

Nach Prüfung seiner Zuständigkeit gem. Art. 15 der Verordnung Nr. 650/2012 hat sich das AG Schöneberg mit Beschlüssen vom 17. und 28.11.2016 für zur Entscheidung über diesen Antrag unzuständig erklärt. Die Vorschriften der §§ 105 und 343 Abs. 3 FamFG dürften nämlich für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nicht herangezogen werden, da sie gegen Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 verstießen, wonach für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig seien, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Gegen diesen Beschluss legte Vincent Pierre Oberle Beschwerde beim vorlegenden Gericht, dem KG (Berlin, Deutschland), ein.

Das vorlegende Gericht erachtet das AG Schöneberg wegen des Vorhandenseins von Nachlassvermögen im deutschen Bundesgebiet gemäß der Voraussetzung des § 343 Abs. 3 FamFG für international zuständig zur Ausstellung des von Vincent Pierre Oberle beantragten beschränkten Erbscheins.

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Unionsverordnungsgeber über die Regelungen in Kapitel II der Verordnung Nr. 650/2012 die internationale Zuständigkeit für die Erteilung der nationalen Erbnachweise abschließend bestimmen wollte, wie er es hinsichtlich des Europäischen Nachlasszeugnisses in Art. 64 Abs. 1 dieser Verordnung getan habe.

Wenn nämlich die internationale Zuständigkeit für die Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses bereits durch die Bestimmungen des Kapitels II der Verordnung Nr. 650/2012 geregelt wäre, so wäre es für den Verordnungsgeber überflüssig gewesen, diesbezüglich eine spezielle Bestimmung, nämlich Art. 64 Abs. 1, vorzusehen. Wenn der Verordnungsgeber die internationale Zuständigkeit für den Erlass der nationalen Erbscheine genauso wie die internationale Zuständigkeit für das Europäische Nachlasszeugnis hätte regeln wollen, dann hätte er in diese Verordnung eine mutatis mutandis Art. 64 Abs. 1 der Verordnung entsprechende Regelung für die nationalen Erbscheine aufgenommen.

Darüber hinaus habe das AG Schöneberg im vorliegenden Fall zu Unrecht die Regelung des Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 angewendet. Die allgemeine Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, für „Entscheidungen in Erbsachen … für den gesamten Nachlass“ im Sinne dieser Bestimmung betreffe nämlich nur den Erlass gerichtlicher Entscheidungen, während die nationalen Erbscheine keine solchen gerichtlichen Entscheidungen seien. Diese würden nämlich nach einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ausgestellt, und der Beschluss zur Erteilung eines solchen Erbscheins enthalte lediglich Tatsachenfeststellungen, weshalb er nicht der Rechtskraft fähig sei.

Unter diesen Umständen hat das KG beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin gehend auszulegen, dass damit auch die ausschließliche internationale Zuständigkeit für den Erlass der nicht vom Europäischen Nachlasszeugnis ersetzten nationalen Nachlasszeugnisse in den jeweiligen Mitgliedstaaten (vgl. Art. 62 Abs. 3 der Verordnung Nr. 650/2012) bestimmt wird, mit der Folge, dass abweichende Bestimmungen der nationalen Gesetzgeber hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit für die Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse – wie z.B. in Deutschland § 105 FamFG – wegen Verstoßes gegen höherrangiges Europarecht unwirksam sind?

Zur Vorlagefrage:

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen ist, dass er einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren entgegensteht, die vorsieht, dass, auch wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in diesem Mitgliedstaat hatte, dessen Gerichte ihre Zuständigkeit für die Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug behalten, wenn Nachlassvermögen auf dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats belegen ist oder der Erblasser dessen Staatsangehörigkeit besaß.

Zunächst sei festgehalten, dass die Verordnung Nr. 650/2012 gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 i.V.m. ihrem neunten Erwägungsgrund auf alle zivilrechtlichen Aspekte der Rechtsnachfolge von Todes wegen mit Ausnahme von Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten anzuwenden ist. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung nimmt wiederum verschiedene Fragen von ihrem Anwendungsbereich aus, zu denen weder die nationalen Nachlasszeugnisse noch die dazugehörigen Verfahren zählen.

Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung Nr. 650/2012 stellt klar, dass der Begriff „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ „jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge“, bezeichnet.

Des Weiteren findet diese Verordnung auf Erbfälle mit grenzüberschreitendem Bezug Anwendung, wie sich ihren Erwägungsgründen 7 und 67 entnehmen lässt. Ein solcher Fall liegt hier vor, da der Nachlass Vermögen umfasst, das in verschiedenen Mitgliedstaaten belegen ist.

Hinsichtlich der konkreten Frage, ob Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte für die Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse festlegt, ist daran zu erinnern, dass nach st. Rspr. des Gerichtshofs die Vorschriften über die Zuständigkeitsregeln, soweit sie für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 18.12.2014 – C 400/13 und C 408/13, Sanders und Huber, EU:C:2014:2461, Rn. 24, sowie v. 01.03.2018 – C 558/16, Mahnkopf, EU:C:2018:138, Rn. 32).

Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 bestimmt nach seinem Wortlaut die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass.

Diesbezüglich lässt zwar der Wortlaut dieser Bestimmung keinen Anhaltspunkt dafür erkennen, dass die Anwendung der dort aufgestellten allgemeinen Zuständigkeitsregel davon abhinge, dass ein Erbfall vorliegt, in den mehrere Mitgliedstaaten involviert sind. Nichtsdestotrotz gründet diese Regelung auf dem Vorliegen eines Erbfalls mit grenzüberschreitendem Bezug.

Darüber hinaus lässt sich der Überschrift des Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 entnehmen, dass diese Vorschrift die Bestimmung der allgemeinen Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten regelt, während sich die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung gem. Art. 2 der Verordnung nach den nationalen Regeln richtet.

Aus dem Wortlaut dieses Art. 4 geht hervor, dass sich die dort normierte allgemeine Zuständigkeitsregel auf „den gesamten Nachlass“ bezieht, was, wie auch der Generalanwalt in Nr. 67 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, darauf hindeutet, dass sie grds. auf alle Verfahren in Erbsachen vor den Gerichten der Mitgliedstaaten anwendbar sein soll.

Hinsichtlich der Auslegung des Wortes „Entscheidungen“ in dieser Bestimmung ist zu prüfen, ob sich der Unionsverordnungsgeber damit auf die von den nationalen Gerichten in Ausübung ihrer rechtsprechenden Funktion getroffenen Entscheidungen beschränken wollte. Im vorliegenden Fall geht, wie in Rn. 27 dieses Urteils festgehalten, aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das Verfahren zur Ausstellung der nationalen Erbscheine unter die freiwillige Gerichtsbarkeit fällt und die Beschlüsse zur Erteilung solcher Erbscheine lediglich Tatsachenfeststellungen enthalten, aber keine Regelungen, die in Rechtskraft erwachsen können.

Diesbezüglich liefert der Begriff „Gerichte“ in Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012, wie er in Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung definiert ist, keine Anhaltspunkte für die Tragweite des Begriffs „Entscheidungen“, wie auch der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge anmerkt.

Somit ist festzuhalten, dass sich allein anhand des Wortlauts des Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 nicht bestimmen lässt, ob sich der – streitige oder nicht streitige – Charakter des Verfahrens auf die Anwendbarkeit der in dieser Bestimmung vorgesehenen Zuständigkeitsregel auswirkt und ob unter dem Begriff „Entscheidungen“ im Sinne dieser Bestimmung nur der Erlass einer rein judiziellen Entscheidung zu verstehen ist. Insofern führt die wörtliche Auslegung dieser Bestimmung zu keiner Antwort auf die Frage, ob ein Verfahren zur Ausstellung nationaler Nachlasszeugnisse wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende unter diesen Art. 4 zu subsumieren ist.

Was die Analyse des systematischen Zusammenhangs dieser Bestimmung betrifft, geht aus Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 hervor, dass außer dem gemäß dieser Verordnung für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständigen Gericht die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht eine Erklärung über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils oder eine Erklärung zur Begrenzung der Haftung der betreffenden Person für die Nachlassverbindlichkeiten abgeben kann, für die Entgegennahme dieser Erklärungen zuständig sind.

So zielt dieser Art. 13 i.V.m. dem 32. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 650/2012 auf die Vereinfachung der Amtswege der Erben und Vermächtnisnehmer ab, indem von den Zuständigkeitsregeln der Art. 4 bis 11 dieser Verordnung abgewichen wird. Folglich sind die gem. Art. 4 der Verordnung für Entscheidungen in Erbsachen über den gesamten Nachlass zuständigen Gerichte grds. auch zur Entgegennahme von Erbserklärungen zuständig. Demzufolge erfasst die Zuständigkeitsregel des Art. 4 auch solche Verfahren, die nicht zum Erlass einer judiziellen Entscheidung führen.

Diese Auslegung findet im 59. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 650/2012 Bestätigung, aus dem hervorgeht, dass ihre Bestimmungen unabhängig davon anwendbar sind, ob Entscheidungen über einen Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug in streitigen oder nicht streitigen Verfahren ergangen sind.

Somit bestimmt Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte für Verfahren über Maßnahmen in Erbsachen betreffend den gesamten Nachlass wie insbesondere die Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse unabhängig vom streitigen oder außerstreitigen Charakter dieser Verfahren.

Diese Auslegung wird durch Art. 64 der Verordnung Nr. 650/2012 nicht deshalb entkräftet, weil dieser vorsieht, dass das Europäische Nachlasszeugnis in dem Mitgliedstaat ausgestellt wird, dessen Gerichte nach den Art. 4, 7, 10 oder 11 der Verordnung zuständig sind.

Wie der Generalanwalt in Nr. 90 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gilt für das durch die Bestimmungen in Kapitel VI der Verordnung Nr. 650/2012 geschaffene Europäische Nachlasszeugnis eine autonome rechtliche Regelung. In diesem Zusammenhang dient Art. 64 der Verordnung zur Klarstellung, dass sowohl die Gerichte als auch bestimmte andere Behörden für die Ausstellung eines solchen Nachlasszeugnisses zuständig sind, wobei er mittels Verweises auf die Zuständigkeitsregelungen der Art. 4, 7, 10 und 11 der Verordnung bestimmt, in welchem Mitgliedstaat diese Ausstellung stattzufinden hat.

Im Übrigen ist anzumerken, dass gem. Art. 62 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 650/2012 die Verwendung des Europäischen Nachlasszeugnisses nicht verpflichtend ist und dieses Zeugnis nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke tritt, die in den Mitgliedstaaten zu ähnlichen Zwecken verwendet werden, wie z.B. die nationalen Nachlasszeugnisse.

Unter diesen Umständen kann Art. 64 der Verordnung Nr. 650/2012 nicht dahin ausgelegt werden, dass die nationalen Nachlasszeugnisse vom Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregel des Art. 4 der Verordnung ausgeschlossen wären.

Hinsichtlich der mit der Verordnung Nr. 650/2012 verfolgten Ziele geht aus ihren Erwägungsgründen 7 und 8 hervor, dass sie insbesondere darauf gerichtet ist, den Erben und Vermächtnisnehmern, den anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und den Nachlassgläubigern die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug zu erleichtern sowie es den Unionsbürgern zu ermöglichen, ihren Nachlass zu regeln.

Unter demselben Blickwinkel betont der 27. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 650/2012, dass die Vorschriften dieser Verordnung so angelegt sind, dass sichergestellt wird, dass die mit der Erbsache befasste Behörde in den meisten Situationen ihr eigenes Recht anwendet.

In dieser Hinsicht knüpfen Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 mit der allgemeinen Kollisionsnorm für das anwendbare Recht sowie Art. 4 der Verordnung über die allgemeine Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte beide an das Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes an.

Eine Anwendung des nationalen Rechts bei der Bestimmung der allgemeinen Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte für die Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse würde allerdings dem im 27. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 650/2012 erklärten Ziel dieser Verordnung zuwiderlaufen, das in der Sicherstellung der Kohärenz zwischen den Bestimmungen über die Zuständigkeit und denen über das in diesem Bereich anwendbare Recht liegt.

Darüber hinaus wird im Einklang mit der im 59. Erwägungsgrund statuierten allgemeinen Zielsetzung der Verordnung, nämlich der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen in Erbsachen, im 34. Erwägungsgrund der Verordnung angeführt, dass in den verschiedenen Mitgliedstaaten keine Entscheidungen ergehen sollten, die miteinander unvereinbar sind.

Dieses Ziel fügt sich in den insbesondere in Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 niedergelegten Grundsatz der Einheitlichkeit der Erbfolge ein, wonach dem gemäß dieser Verordnung anzuwendenden Recht „die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen“ unterliegen soll.

Dieser Grundsatz der Einheitlichkeit der Erbfolge liegt auch der Regelung des Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 zugrunde, da auch dort vorgesehen ist, dass sich die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte für Entscheidungen in Erbsachen „für den gesamten Nachlass“ nach dieser Regel richtet.

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 109 und 110 seiner Schlussanträge in Erinnerung gerufen hat, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine Auslegung der Normen der Verordnung Nr. 650/2012, die eine Nachlassspaltung nach sich zöge, mit den Zielen dieser Verordnung unvereinbar wäre (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 12.10.2017 – C 218/16, Kubicka, EU:C:2017:755, Rn. 57). Da nämlich eines dieser Ziele in der Schaffung einer einheitlichen Regelung für Erbfälle mit grenzüberschreitendem Bezug besteht, erfordert dessen Verwirklichung die Harmonisierung der Vorschriften über die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte sowohl bei streitigen als auch bei außerstreitigen Verfahren.

Die Auslegung von Art. 4 der Verordnung, wonach diese Bestimmung die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten für die Verfahren zur Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse festlegt, wirkt im Interesse einer geordneten Rechtspflege innerhalb der Union auf die Verwirklichung dieses Ziels hin, indem sie die Gefahr von Parallelverfahren vor den Gerichten der verschiedenen Mitgliedstaaten sowie von daraus resultierenden Widersprüchen einschränkt.

Hingegen wäre die Erfüllung der mit der Verordnung Nr. 650/2012 angestrebten Zwecke beeinträchtigt, wenn in einer Konstellation wie im Ausgangsverfahren die Bestimmungen des Kapitels II der Verordnung, insbesondere ihr Art. 4, dahin ausgelegt würden, dass sie nicht die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte für die Verfahren zur Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse regeln.

Aus all diesen Erwägungen folgt, dass Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen ist, dass er einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren entgegensteht, die vorsieht, dass, auch wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in diesem Mitgliedstaat hatte, dessen Gerichte ihre Zuständigkeit für die Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug behalten, wenn Nachlassvermögen auf dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats belegen ist oder der Erblasser dessen Staatsangehörigkeit besaß.

 

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