BGH, 30.11.1994 – XII ZB 197/94

Januar 8, 2019

BGH, 30.11.1994 – XII ZB 197/94

In dem Rechtsstreit
hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
am 30. November 1994
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und
die Richter Dr. Krohn, Dr. Zysk, Dr. Hahne und Gerber
beschlossen:
Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 7. Oktober 1994 wird auf Kosten der Beklagten zu 1 zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 19.765,00 DM.
Gründe
1

I.

Das Urteil des Landgerichts, das die Beklagte zu 1 zur Zahlung von Mietzins in Höhe von 19.765,00 DM nebst gestaffelten Zinsen verurteilt hat, wurde ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 5. Mai 1994 zugestellt. Hiergegen legte sie durch einen am 7. Juli 1994 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung ein und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist. Das Oberlandesgericht wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1.
2

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
3

1.

Die Beklagte zu 1 hat die Frist zur Einlegung der Berufung (§ 516 ZPO) nicht eingehalten. Diese endete am 6. Juni 1994 (Montag). Durch die erst am 7. Juli 1994 eingereichte Berufung wurde sie nicht gewahrt.
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2.

Das Oberlandesgericht hat der Beklagten zu 1 zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist versagt.
5

a)

Es hat angenommen, daß schon die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO für die Anbringung des Wiedereinsetzungsgesuchs versäumt ist, weil der Bochumer Verkehrsanwalt der Beklagten zu 1 am 22. Juni 1994 ein Schreiben des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin erhalten hat, in dem mitgeteilt wurde, daß das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig sei. Auf diese Nachricht hin hätte der Verkehrsanwalt sich nach Auffassung des Berufungsgerichts unverzüglich darüber vergewissern müssen, ob die Nachricht zutreffe, d.h. ob die Berufungsfrist versäumt sei. Die danach am 6. Juli 1994 endende Frist sei nicht eingehalten worden, weil das Wiedereinsetzungsgesuch erst am folgenden Tage eingegangen sei.
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Demgegenüber vertritt die sofortige Beschwerde die Auffassung, die Wiedereinsetzungsfrist habe erst am 23. Juni 1994 zu laufen begonnen, weil ein Telefax des Verkehrsanwalts, das auf die mögliche Versäumung der Berufungsfrist hingewiesen habe, zwar noch am 22. Juni 1994 um 16.44 Uhr in der Kanzlei der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zu 1 eingegangen, aber diese zu jenem Zeitpunkt nicht mehr besetzt gewesen sei. Erst am folgenden Tage habe daher das Telefax zur Kenntnis genommen werden können. Dem ist im Ergebnis nicht zu folgen.
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Dabei kann dahinstehen, ob am 22. Juni 1994 (einem Mittwoch) der Zeitpunkt des Eingangs des Telefax noch in die übliche Geschäftszeit einer Rechtsanwaltskanzlei fiel und die Nachricht von den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten schon an diesem Tage zur Kenntnis genommen werden mußte. Denn die Wiedereinsetzungsfrist begann gemäß § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag zu laufen, an dem das der Berufungseinlegung entgegenstehende Hindernis, hier die Unkenntnis von der Versäumung der Berufungsfrist, behoben war. Nach den gegebenen Umständen ist davon auszugehen, daß jedenfalls der Bochumer Verkehrsanwalt der Beklagten zu 1 die erforderliche Kenntnis schon am 22. Juni 1994 erlangt hat. Da sich eine Partei auch den Kenntnisstand ihres Verkehrsanwalts gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 1980 – VI ZB 6/80 – VersR 1981, 280 und vom 16. Juni 1982 – IVa ZB 2/82 – NJW 1982, 2447), begann die Frist an diesem Tage unabhängig vom Zugang des Telefax bei den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zu laufen und endete gemäß §§ 222 ZPO, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 6. Juli 1994 (vgl. dazu auch Senatsbeschluß vom 18. Mai 1988 – IVb ZB 40/88 – FamRZ 1988, 1257, 1258). Das erst am folgenden Tage eingegangene Wiedereinsetzungsgesuch war demnach in der Tat verspätet.
8

b)

Das Oberlandesgericht hat auch insoweit Recht, als – vom Vorstehenden abgesehen – der Wiedereinsetzung ein der Beklagten zu 1 gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden ihrer erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten entgegensteht (§233 ZPO).
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch des Senats, darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, daß die Frist im Fristenkalender notiert worden ist. Bescheinigt der Rechtsanwalt den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich damit die Gefahr, daß die Fristnotierung unterbleibt und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um dieses Risiko auszuschließen, muß der Anwalt, falls er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen. Auf allgemeine Anordnungen darf er sich in einem solchen Fall nicht verlassen (vgl. etwa BGH, Beschluß vom 16. September 1993 – VII ZB 20/93 – VersR 1994, 371; Senatsbeschluß vom 25. März 1992 – XII ZR 268/91 – FamRZ 1992, 1058 m.w.N.).
10

Hier hat die Beklagte zu 1 selbst vorgetragen, daß in der Kanzlei ihrer erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten die Behandlung von zugestellten Schriftstücken, über die ein Empfangsbekenntnis erteilt wird, in der Weise organisiert ist, daß nur das Büropersonal aufgrund einer allgemeinen Anweisung das Datum der Zustellung durch Anbringung eines Eingangsstempels auf dem zuzustellenden Schriftstück festhält. Der Rechtsanwalt, der hier das Empfangsbekenntnis am 5. Mai 1994 unterzeichnet hat, hat sich demgemäß nicht selbst darüber vergewissert und auch diesbezüglich keine Einzelanweisung erteilt. Auf diese gefahrenträchtige Handhabung ist die Fristversäumnis im vorliegenden Fall zurückzuführen; dadurch blieb nämlich unbemerkt, daß das zuzustellende Urteil des Landgerichts ohne Eingangs Stempel in die Handakte eingelegt worden war.
Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: 19.765,00 DM.

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