OLG Frankfurt am Main, 19.07.2018 – 6 U 54/17

März 17, 2019

OLG Frankfurt am Main, 19.07.2018 – 6 U 54/17
Leitsatz:

Soweit sich im Falle des Imports von Arzneimitteln oder Medizinprodukten der Markeninhaber nach der Entscheidung „Debrisoft“ des EuGH (Urt. v. 17.5.2018 – C-642/16) der Anbringung eines Aufklebers mit der eigenen PZN des Importeurs generell, d.h. ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer „Zwangslage“ hierzu, nicht widersetzen kann, hängt auch die Frage, ob bei dieser Gelegenheit vorgenommene weitere Eingriffe in die Packung einer Berufung des Importeurs auf die eingetretene Erschöpfung entgegenstehen, nicht davon ab, ob für die Anbringung des PZN-Aufklebers eine „Zwangslage“ besteht.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 28.02.2017 verkündete Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe

I.

Die Parteien streiten über markenrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem Parallelimport von Medizinprodukten.

Die Klägerin vertreibt in Deutschland unter der Marke „URGO“ Produkte zur Wundversorgung. Unter anderem vertreibt sie die Wundauflagen UrgoTül 5 × 5 cm und 10 × 10 cm. Es handelt sich um Medizinprodukte der Klasse IIb, die mit einer CE-Kennzeichnung versehen sind.

Die Unionswortmarke URGO mit Priorität vom 13.11.1998 ist unter anderem für pharmazeutische Erzeugnisse, Präparate für die Gesundheitspflege, Pflaster, und Verbandsmaterial eingetragen (Anlage K 36). Die nationale Wortmarke UrgoTül mit Priorität vom 02.10.1999 ist für Verbandsmaterial eingetragen (Anlage K 35). Die Markeninhaberin ermächtigte die Klägerin mit Vereinbarung vom 07.09.2016, als exklusive Lizenznehmerin der URGO-Marken in der Bundesrepublik Deutschland Ansprüche aus den Marken im Bundesgebiet geltend zu machen und durchzusetzen (Anlage K 37).

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 11.08.2015 und 13.08.2015 den Parallelimport von den Produkten UrgoTül 5 × 5 cm und 10 × 10 cm nach Deutschland an und übersandte entsprechende Muster der geänderten Aufmachung (Anl. K9, K 10). Auf den Verpackungen brachte die Beklagte ein Klebeetikett mit einer eigenen Pharmazentralnummer (PZN), einem Barcode und dem Hinweis „parallel vertrieben und umgepackt von: A GmbH …“ an. Die originale Gebrauchsinformation tauschte sie aus und ersetzte sie durch eine solche, die (nur) in deutscher Sprache abgefasst ist (Anlage K 11).

Mit Schreiben vom 19.08. und 21.08.2015 widersprach die Klägerin der Umkennzeichnung und Umverpackung. Am 04.09.2015 veranlasste die Klägerin über eine Apotheke eine Testbestellung der parallel vertriebenen Produkte. Hinsichtlich der Einzelheiten der Aufmachung wird auf die Anlagen K 17, K 18 sowie die Abbildungen im Klageantrag Bezug genommen. Wegen des Vertriebs der Produkte mahnte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 11.09.2015 ab.

Das Landgericht Frankfurt hat auf Antrag der Klägerin gegen die Beklagte am 28.09.2015 eine einstweilige Verfügung erlassen, die nach Widerspruch der Beklagten mit Urteil vom 22.01.2016 bestätigt worden ist (Az. …).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 I, 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Den markenrechtlichen Ansprüchen stünde der Einwand der Erschöpfung entgegen. Der auf einen Verstoß gegen § 6 Abs. 2 MPG gestützte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch bestünde nicht, da die Verkehrsfähigkeit der Produkte nicht von der Durchführung eines erneuten Konformitätsbewertungsverfahrens abhänge. Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die Abweisung der markenrechtlichen Ansprüche. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.

Die Klägerin beantragt,

1.

unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28.2.2017, 3-10 O 9/16 die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,
a)

im geschäftlichen Verkehr Verpackungen von Produkten zur Wundversorgung, die mit den Kennzeichen „URGO“ und/oder „UrgoTül“ gekennzeichnet sind, ohne Zustimmung der Markeninhaberin durch Aufbringen eines Klebeetiketts wie nachfolgend wiedergegeben zu verändern:
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b)

wie unter Ziff. 1 lit. a) veränderte Verpackungen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland abzugeben, in Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben;
2.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 875,48 € zuzüglich Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2015 zu bezahlen;
3.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.474,75 € zuzüglich Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2015 zu bezahlen
4.

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin schriftlich und vollständig über die Herkunft und den Vertriebsweg der umetikettierten Produkte gemäß Ziff. 1 Auskunft zu erteilen und zwar
a)

durch Vorlage eines Verzeichnisses mit Angabe von Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren und der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Produkte nach Ziff. 1 lit. a) sowie über die Preise, die für die betreffenden Produkte bezahlt wurden und
b)

Belege zu den Angaben gemäß Ziff. 5 lit. a in Form von gut lesbaren Kopien von sämtlichen Auftragsschreiben, Auftragsbestätigungen, Lieferscheinen und Rechnungen zu übergeben;
5.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden Schaden zu ersetzen, der dieser durch Handlungen gemäß Ziff. 1 entstanden ist und/oder noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12.07.2018 beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main, Az. … vom 28.9.2015, bestätigt durch Urteil vom 22.01.2016, aufzuheben. Mit Schriftsatz vom 16.07.2018 hat sie den Aufhebungsantrag zurückgenommen. Die Klägerin hat insoweit einen Kostenantrag gestellt.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch aus Art. 9 II lit. a, 130 I UMV, § 14 V, II Nr. 1 MarkenG auf Unterlassung der Benutzung der angegriffenen Bezeichnungen zusteht.

a) Die Klägerin ist als exklusive Lizenznehmerin der Unionswortmarke „URGO“ und der nationalen Wortmarke „UrgoTül“ aktiv legitimiert. Sie wurde von der Markeninhaberin ermächtigt, markenrechtliche Ansprüche in Deutschland geltend zu machen (Anlage K5).

b) Es liegt ein Fall der Doppelidentität vor. Die Klagemarken sind u.a. für „Verbandsmaterial“ eingetragen. Die Beklagte importiert und vertreibt Wundauflagen unter identischen Bezeichnungen.

c) Die Beklagte kann sich jedoch mit Erfolg auf die Erschöpfung des Verbietungsrechts aus den Marken berufen (Art. 15 I UMV = Art. 13 I UMV a.F. bzw. § 24 MarkenG). Die Produkte wurden erstmals mit Zustimmung der Markeninhaberin in der Europäischen Union in den Verkehr gebracht.

d) Die Klägerin kann sich dem weiteren Vertrieb nicht wegen der von der Beklagten vorgenommen Veränderungen widersetzen. „Berechtigte Gründe“ i.S.d. Art. 15 II UMV = Art. 13 II UMV a.F. bzw. § 24 II MarkenG liegen nicht vor. Dies wäre der Fall, wenn die Veränderungen des Originalprodukts tatsächliche Gefahren für die Herkunftsgarantie der Markenware begründen würden. Eine solche Beeinträchtigung ist anzunehmen, wenn die Markenware durch einen Parallelimporteur umgepackt wird. Gleichwohl ist der Widerspruch des Markeninhabers gegen das Umpacken, der eine Abweichung vom Grundsatz des freien Warenverkehrs darstellt, nur dann zulässig, wenn die Ausübung dieses Rechts durch den Markeninhaber keine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 36 Satz 2 AEUV darstellt (EuGH, Urt. v. 17.5.2018, C-642/16, Rn. 25; BGH GRUR 2017, 71 [BGH 06.10.2016 – I ZR 165/15] Rn. 15 – Debrisoft). Eine solche verschleierte Beschränkung liegt vor, wenn der Markeninhaber durch die Ausübung seines Rechts, sich dem Umpacken zu widersetzen, zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beiträgt und wenn das Umpacken zudem unter Beachtung der berechtigten Interessen des Markeninhabers erfolgt; dies ist insbesondere der Fall, wenn das Umpacken den Originalzustand des Arzneimittels nicht beeinträchtigt und den Ruf der Marke nicht schädigt (EuGH aaO Rn. 26 m.w.N.).

Im Streitfall ist zwar von einem „Umpacken“ auszugehen (vgl. unten aa), die Ausübung des Widerspruchsrechts würde aber zu einer verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten führen (vgl. unten bb). Einer EuGH-Vorlage bedarf es nicht (vgl. unten cc).

aa) In den Veränderungen des Originalprodukts der Klägerin durch die Beklagte liegt ein „Umpacken“ im Sinne der arzneimittelrechtlichen Erschöpfungsrechtsprechung.

(1) Ein Umpacken liegt allerdings nicht bereits in der Neuetikettierung mit einem PZN und Strichcode beinhaltenden Aufkleber. Die von dem erkennenden Senat in den Eilverfahren 6 U 16/17 und 6 U 125/17 sowie vom BGH in dem Vorlagebeschluss „Debrisoft“ (GRUR 2017, 71 [BGH 06.10.2016 – I ZR 165/15]) vertretene Auffassung zum „Umpacken durch Neuetikettierung“ kann nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Der EuGH hat mit Urteil vom 17.05.2018 entschieden, dass der Begriff des „Umpackens durch Neuetikettierung“ nicht schon durch das Aufbringen eines zusätzlichen Aufklebers erfüllt wird, der einen Strichcode und eine PZN-Nummer sowie einen Hinweis auf das umpackende Unternehmen beinhaltet (EuGH, Urt. v. 17.5.2018, C-642/16, Rn. 34).

(2) Im Streitfall ist jedoch aus anderen Gründen von einem „Umpacken“ auszugehen. Die Beklagte versah die Originalprodukte nicht nur mit einem Aufkleber, der mit einem Barcode, ihrer eigenen PZN und einen Hinweis „Parallel vertrieben und umgepackt von: A GmbH …“ versehen ist (Anlage K17), sondern tauschte auch die originale Packungsbeilage durch eine solche (nur) in deutscher Sprache aus (Anlagen K11, K18). Die Beklagte weist auf der Packung auch darauf hin, dass die Verpackung zum Zwecke des Umpackens geöffnet wurde (Bl. 13 d.A.). Es liegt damit ein „klassischer“ Umpack-Fall vor, bei dem es nicht entscheidend auf das „Umpacken durch Neuetikettierung“ ankommt. Durch das Öffnen der Packung und den Austausch der Packungsbeilage wurden Gefahren für die Herkunftsgarantie der Herstellermarke begründet.

bb) Die Klägerin kann sich somit dem weiteren Vertrieb der auf diese Weise veränderten Originalpackungen widersetzen, wenn die Geltendmachung der Rechte aus der Marke nicht der künstlichen Markabschottung dient.

(1) Von einer künstlichen Marktabschottung ist auszugehen, wenn Regelungen oder Praktiken im Einfuhrland den Vertrieb der Ware in der unveränderten Originalverpackung verhindern; dagegen ist die Erforderlichkeit für das Umpacken nicht gegeben, wenn der Parallelimporteur damit lediglich einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen möchte (Senat, PharmR 2017, 304, Rn. 6; EUGH GRUR 2007, 586, Rn. 36, 37 – Boehringer Ingelheim-Swingward II). Die Anforderungen an eine objektive Zwangslage in diesem Sinne dürfen allerdings nicht überspannt werden. Sie liegen nicht erst dann vor, wenn ohne das Umpacken der Vertrieb auf sämtlichen Vertriebskanälen im Inland ausgeschlossen ist. Es reicht aus, wenn der Parallelimporteur nur von einem Teilmarkt im Einfuhrmitgliedstaat ausgeschlossen wird (BGH MarkenR 2014, 265, Rn. 15 – Micardis, m.w.N.). Dies wird schon dann angenommen, wenn der Importeur ohne das Umpacken eine von zwei gängigen Packungsgrößen nicht anbieten kann (BGH aaO). Nichts anderes kann gelten, wenn der Importeur von einem bestimmten wichtigen Vertriebskanal, etwa dem Großhandel, ausgeschlossen wird.

(2) Ob es zu einer Marktabschottung führt, wenn kein Aufkleber mit (eigener) PZN und Barcode des Importeurs auf der Packung aufgebracht werden kann, bedarf nach der neuen EuGH-Rechtsprechung keiner Entscheidung. Wenn der Aufkleber – für sich genommen – schon keine Veränderung des Originalprodukts i.S.d. Art. 15 II UMV / § 24 II MarkenG darstellt, kann hierfür auch keine Rechtfertigung verlangt werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Austausch der Packungsbeilage, der letztlich die Voraussetzungen des „Umpackens“ erfüllt, durch die 5 bekannten Erschöpfungsvoraussetzungen des EuGH gedeckt ist. Dies ist der Fall.

(a) Die Geltendmachung der Marke gegen den Vertrieb der umgepackten Markenwaren trägt zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten bei. Das umgepackte Produkt muss für den Vertrieb in Deutschland verkehrsfähig sein. Die Original-Packungsbeilage war in deutscher und niederländischer Sprache abgefasst (Bl. 13 d.A.). Ein Austausch aus sprachlichen Gründen war damit eigentlich nicht erforderlich. Die Beklagte hat den deutschsprachigen Text übernommen. Die einzige Änderung bestand darin, dass sie einen Hinweis auf den Parallelvertrieb aufgenommen hat, so dass als verantwortliche Vertreiberin die Beklagte, nicht die Klägerin aus der Gebrauchsinformation hervorgeht (vgl. Bl. 4, 14, 91 d.A.). Ob diese Änderung aus Rechtsgründen erforderlich war, kann dahinstehen. Jedenfalls hat die Klägerin nach der ersten Musterübersendung mit Schreiben vom 29.07.2015 ausdrücklich gerügt, dass die dort beigefügte originale Gebrauchsinformation die Klägerin als Vertreiberin vorsieht. Dies sei irreführend (Anlage K6). Die Beklagte ist diesen Bedenken nachgekommen. Die Klägerin kann sich bei dieser Sachlage nicht mehr darauf berufen, in dem Austausch der Packungsbeilage läge eine unzulässige Veränderung des Markenprodukts (§ 242 BGB). Die Beklagte musste befürchten, ohne die Änderung auf Unterlassung wegen Irreführung in Anspruch genommen zu werden. Die Geltendmachung der Markenrechte aus diesem Grund dient allein der künstlichen Abschottung des deutschen Marktes.

(b) Die übrigen Erschöpfungsvoraussetzungen stehen zwischen den Parteien nicht in Streit. Es ist nicht ersichtlich, dass das Umpacken den Originalzustand der in der Verpackung enthaltenen Ware beeinträchtigt [2]. Auf der neuen Verpackung ist klar angegeben, von wem das Medizinprodukt umgepackt worden ist und wer der Hersteller ist [3]. Das umgepackte Medizinprodukt ist nicht so aufgemacht, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann [4]. Die Verpackung ist weder schadhaft, noch von schlechter Qualität oder unordentlich. Die Beklagte hat die Klägerin vor dem Vertrieb informiert und Exemplare zur Bemusterung überlassen [5].

(c) Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass sich die Beklagte dem Vertrieb der parallel importierten Produkte auch nicht deshalb aus berechtigten Gründen widersetzen kann, weil die Produkte in Deutschland nicht verkehrsfähig sind. Entgegen der Ansicht der Klägerin verstößt die Gestaltung der Gebrauchsinformation im Hinblick auf die aufgedruckte CE-Kennzeichnung nicht gegen § 6 MPG. Der Parallelimporteur eines Medizinprodukts, das die CE-Kennzeichnung trägt und von einer benannten Stelle einer Konformitätsbewertung unterzogen worden ist, ist nicht verpflichtet, eine neue Bewertung vornehmen zu lassen, mit der die Konformität der Kennzeichnung und der Gebrauchsanweisung dieses Produkts bescheinigt werden soll (BGH, Urt. v. 1.6.2017 – I ZR 153/13, juris; EuGH WRP 2017, 161Rn. 44 – Servoprax/Roche Diagnostics Deutschland). Gegen die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts erinnert die Berufung nichts.

cc) Einer Vorabentscheidung bestimmter Fragen des Rechtsstreits durch den EuGH bedarf es nicht. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die vom EuGH für den Parallelimport von Arzneimitteln aufgestellten Erschöpfungsvoraussetzungen jedenfalls auf solche Medizinprodukte Anwendung finden, die durch den Austausch der Gebrauchsanleitung umgepackt wurden (vgl. BGH GRUR 2010, 756 [BGH 12.05.2010 – I ZR 185/07] Rn. 20 – One Touch Ultra). Entgegen der Ansicht der Klägerin bedarf es insoweit auch keiner Klärung der Frage, ob sich der Markeninhaber dem Vertrieb widersetzen kann, wenn zusätzlich zum Austausch der Packungsbeilage auf der Umverpackung ein Etikett mit Barcode und PZN des umpackenden Unternehmens aufgebracht wird. Wenn der Aufkleber – für sich genommen – schon keine Veränderung im Sinne der Art. 15 II UMV = Art. 13 II UMV a.F. bzw. § 24 II MarkenG darstellt, darf sich die Klägerin dem weiteren Vertrieb aus diesem Grund auch nicht widersetzen. Dies gilt unabhängig davon, ob ohne den fraglichen Aufkleber der Vertrieb für den Parallelimporteur – jedenfalls auf dem Teilmarkt des Großhandels – so weit erschwert wird, dass von einer künstlichen Marktabschottung auszugehen ist. Auf die dem EuGH vom BGH gestellte Frage, ob die für den Parallelimport von Arzneimitteln entwickelten Erschöpfungsgrundsätze uneingeschränkt auf den Parallelimport von Medizinprodukten Anwendung finden, wenn – wie im Vorlagebeschluss vorausgesetzt (BGH aaO Rn. 19) – ein Fall des Umpackens durch Neuetikettierung gegeben ist, kommt es aus den genannten Gründen nicht an. Dem „Debrisoft“ -Fall des BGH (GRUR 2017, 71 [BGH 06.10.2016 – I ZR 165/15]) lag die Besonderheit zugrunde, dass die Integrität des Produkts nicht angetastet wurde, weil die Verpackung nicht geöffnet wurde. Der BGH wollte geklärt wissen, ob in einem solchen Fall die strengen Erschöpfungsvoraussetzungen erleichtert werden können, insbesondere, ob auf eine vorherige Bemusterung durch den Markeninhaber (Obliegenheit zur Vorabinformation) verzichtet werden kann (BGH aaO Rn. 28). Dieses Problem stellt sich vorliegend schon deshalb nicht, da die Beklagte der Obliegenheit zur Vorabinformation nachgekommen ist. Sie zeigte der Markeninhaberin mit Schreiben vom 11.8.2015 den Vertrieb von parallel importierten UrgoTül-Produkten an und übersandte ein entsprechendes Muster (Anlagen K9, K10).

2. Mangels Rechtsverletzung hat die Klage auch mit den Folgeanträgen keinen Erfolg. Die Beklagte schuldet der Klägerin keine Auskunft und keinen Schadensersatz (Anträge zu 4. und 5.). Die Zahlungsansprüche (Anträge zu 2. und 3.) beziehen sich auf die Abmahnkosten (Anlage K19) und die Kosten für das Abschlussschreiben (Anlage K25) nach Erlass der erstinstanzlichen einstweiligen Verfügung. Aus den genannten Gründen war die Abmahnung nicht berechtigt. Die Klägerin hat auch mit dem Abschlussschreiben kein Geschäft der Beklagten besorgt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO. Der zurückgenommene Aufhebungsantrag hat keine weiteren Kosten verursacht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Entscheidung beruht auf einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung waren für die Entscheidung nicht tragend. Einer Revisionszulassung bedurfte es auch nicht deshalb, um in letzter Instanz eine Vorlage an den EuGH als gesetzlichen Richter zu ermöglichen. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden (vgl. 1. d) cc).

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