OLG Frankfurt am Main, 21.03.2018 – 4 U 269/16

März 18, 2019

OLG Frankfurt am Main, 21.03.2018 – 4 U 269/16
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. Oktober 2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 26. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt a. M. wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zur Vollstreckung gebrachten Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert des zweiten Rechtszugs wird auf 95.400,00 € festgesetzt.
Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 45.000,- € in Anspruch und begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden.

Nach ihrer Behauptung wurden ihr am XX.XX.2004 Silikon-Brustimplantate des Herstellers A (A) eingesetzt. Am XX.XX.2008 sei das Implantat an der … Brust entfernt und durch ein anderes Implantat desselben Herstellers ersetzt worden.

Die Beklagte zu 1) war seit Oktober 1997 von der A u.a. mit der Konformitätsbewertung gemäß deutschen, europäischen und anderen internationalen Normen beauftragt worden, wobei sie als „Benannte Stelle“ i.S. der Medizinprodukterichtlinie RL 93/42/EWG vom 14.06.1993 (später in der Fassung der RL 2003/12/EG vom 03.02.2003) tätig wurde.

Bei der Beklagten zu 2) unterhielt A u.a. eine Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung, wobei sie von der zuständigen französischen Behörde (Bureau Central de Tarification) einem Kontrahierungszwang zu näher festgelegten Konditionen unterworfen worden war. Nach französischem Recht (Gesetz Nr. 2002-303 v. 04.03.2002) gewährt die von A genommene Haftpflichtversicherung Geschädigten einen Direktanspruch gegen den Versicherer. Den Versicherungsbedingungen zufolge erstreckt sich der Versicherungsschutz auf Schadensfälle, die in Frankreich und den überseeischen französischen Gebieten eintreten.

A verwendete teilweise anstelle des in den Produktunterlagen beschriebenen und zugelassenen Silikons des Herstellers B Industriesilikon anderer Hersteller.

Wegen des erstinstanzlichen Streitstandes wird im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen, der wie folgt zu ergänzen ist:

Der Beklagten zu 1) als „Benannte Stelle“ iS der Richtlinie oblag gemäß Anhang II der Richtlinie die förmliche Überprüfung (Audit) des Qualitätssicherungssystems der A. Sie führte am 15./16.07.1997, 16.-18.07.2002 und 04.-07.09. 2007 (Re-)Zertifizierungsaudits sowie am 02./.03.11. 1998, 18./19.01. 2000, 21./22.11.2000, 06.02.2001, 06.12.2001, 24./25.11.2003, 24.-26.11.2004, 27.-29.03.2006, 18.-20.02.2009 und 25.-27.01.2010 Überwachungsaudits bei A durch, die jeweils vorher angekündigt wurden.

Das Bureau Central de Tarification gab der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 2) eine Versicherungsprämie in Höhe von 2% des Umsatzes der A auf dem französischen Markt vor Steuern vor. In der Haftpflichtversicherung ist die Deckungssumme auf 3 Mio € pro Schadensfall und 10 Mio € pro Versicherungsjahr für alle Schadensfälle begrenzt. Den Anlagen B 8 (Original) / B 8 a (Übersetzung) der Beklagten zu 2) zufolge verpflichtete das Bureau Central de Tarification die Beklagte zu 2) dazu, mit Wirkung ab dem 17.02.2005 einen Versicherungsvertrag mit A abzuschließen.

Im Mai 2000 entdeckte die US-Behörde FDA (Federal Drug Administration) Abweichungen im Produktionsprozess der A von Implantaten, die mit Kochsalzlösung gefüllt waren (Bericht als Anlage K1). Im Dezember 2000 verlautbarte die britische Gesundheitsbehörde MDA eine kritische Bewertung von Hydrogel-Implantaten. Dies gab der Beklagten zu 1) Anlass, am 06.02.2001 ein zusätzliches Audit gemäß Auditplan vom 06.02.2001 (T 37/ 37 A) durchzuführen. Im Juni 2001 erfolgte ein Kontrollbesuch durch die französische Aufsichtsbehörde, die Agentur für Sicherheit von Gesundheitsprodukten (AFSSAPS), bei A. Diese Behörde kontrolliert die Richtlinienkonformität der Medizinprodukte als solcher, nicht, wie die Beklagte zu 1), die des Qualitätssicherungsmanagements. Dem Bericht der AFSSAPS zufolge sei eine „erhebliche Anzahl von Abweichungen“ festgestellt worden. Indessen habe A die Mängel zufriedenstellend aufgearbeitet, weshalb keine weiteren Kontrollen erfolgten.

Im März 2010 stellte die französische Aufsichtsbehörde bei einer Inspektion erstmals fest, dass A unzulässigerweise Industriesilikone verwendete. A wurde insolvent und im Jahr 2011 liquidiert. Der Gründer des Unternehmens, C, wurde im Dezember 2013 wegen der Herstellung und des Vertriebs von gesundheitsgefährdenden Produkten zu vier Jahren Haft verurteilt.

Insoweit hat die Klägerin darauf abgestellt, dass die Beklagte zu 1) die von der französischen Aufsichtsbehörde erlangten Erkenntnisse ebenso, und früher, hätte erlangen können. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte zu 1) aktiv nach Warnzeichen hätte suchen müssen, die Anlass zu einem unangekündigten Audit hätten geben können. Eine Kontrolle des Wareneingangs bei A durch die Beklagte zu 1) hätte extrem auffällige Differenzen zwischen der Menge des beschafften (konformen) B-Silikons einerseits und der für die hergestellten Implantate benötigten Silikonmenge andererseits aufgedeckt.

Hinsichtlich der Beklagten zu 2) hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass „das Medizinprodukt selbst bzw. die damit verbundenen Risiken“ versichert seien.

Die Parteien haben darüber hinaus zur Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldes und insoweit insbesondere zur Kausalität des Einsetzens der ursprünglichen Implantate für die zweite Operation und für weiter behauptete Folgen sowie zur Zulässigkeit des Feststellungsantrags vorgetragen. Darüber hinaus hat die Beklagte zu 1) Verjährung und die Beklagte zu 2) eine Erschöpfung der Deckungshöchstsumme eingewendet.

Das Landgericht hat die Klage gegen beide Beklagte abgewiesen. In Bezug auf den gegen die Beklagte zu 1) geltend gemachten Anspruch hat es ausgeführt, dass die Klägerin einen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen deren Verpflichtungen nicht substantiiert dargetan habe. Unangemeldete Verdachtskontrollen seien nach der Richtlinie (dort Anhang II Nr. 5.4.) nur bei Anlass für einen Verdacht, dass angemeldete Inspektionen nicht ausreichend sein könnten, angezeigt gewesen. Konkrete Verdachtsmomente habe die Klägerin jedoch nicht dargelegt. In Bezug auf die gegen die Beklagte zu 2) geltend gemachten Ansprüche hat das Landgericht sich darauf beschränkt, auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe (7 U 241/14) und des Landgerichts Frankfurt a.M. (2-04 O 37/14) zu verweisen, in denen die räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes gebilligt wurde.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 26.10.2016 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Klägerin am 05.12.2016 Berufung eingelegt. Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 17.03.2017 Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist gewährt. Nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 18.01.2017 hat die Klägerin die Berufung am 27.12.2016 begründet. Sie verfolgt ihre erstinstanzlichen Anträge weiter und beantragt hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

In Bezug auf die Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 1) wendet sie erstmals ein, dass zwischen den von der Beklagten zu 1) erteilten Zertifikaten und den Auditberichten zu unterscheiden sei, was das Landgericht nicht berücksichtigt habe. Aus den Auditberichten ergebe sich die Fehlerhaftigkeit des Konformitätsprüfungsverfahrens. Insbesondere ergebe sich daraus, dass das Ermessen der Beklagten hinsichtlich der Durchführung unangemeldeter Audits auf Null reduziert gewesen sei. Die Klägerin macht geltend, dass das Landgericht der Beklagten zu 1) die Vorlage der Auditberichte hätte aufgeben müssen, legt aber die Berichte, aus denen sie ihre o.g. Schlussfolgerungen zieht, selbst nicht vor. Sie trägt unbestritten vor, dass die Audits im Zeitraum zwischen 1997 und 2006 insgesamt 38 Abweichungen ergeben hätten. Nähere Ausführungen zu Art und Gegenstand der Abweichungen macht die Klägerin nicht. Sie hält daran fest, dass der Beklagten zu 1) eine Rechnungsprüfung oblegen habe, welche die Beklagte zu 1) aber nicht bzw. nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe. Anderenfalls wären ihr die Differenzen zwischen den eingekauften Mengen B und den für die Herstellung der Implantate benötigten Silikonmengen aufgefallen.

In Bezug auf die Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 2) hält die Klägerin daran fest, dass die räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes europarechtswidrig sei und dass eine europarechtskonforme Auslegung des Versicherungsvertrags ergebe, dass EU-weit Versicherungsschutz bestehe. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes eine unzulässige mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit sowie einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit beinhalte.

Zuletzt stellt die Klägerin darauf ab, dass der Umstand der Entdeckung der Verwendung von Industriesilikon bei einer einzigen Inspektion durch die AFSSAPS es erlaube, mit dem Beweismaß des § 287 ZPO festzustellen, dass dies auch bei einer unangekündigten Kontrolle durch die Beklagte zu 1) entdeckt worden wäre. Darüber hinaus legt die Klägerin ein Rechtsgutachten (Ergänzungsgutachten) der Professoren D und E zur Frage der Wirksamkeit der räumlichen Beschränkung des Versicherungsschutzes auf Frankreich und die französischen überseeischen Gebiete vor.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, das in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;

festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren, materiellen und – im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren – immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser anlässlich der Implantation von Brustimplantaten aus dem Hause der Firma A (A) entstanden sind und noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;

sowie hilfsweise;

den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Frankfurt a.M. zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Die Beklagte zu 1) macht geltend, dass sie mangels Hinweisen auf Verstöße seitens der A keine Pflicht zu unangemeldeten Kontrollen gehabt habe. Sie bestreitet, dass der Betrug bei solchen Kontrollen aufgedeckt worden wäre. Als Benannte Stelle sei sie nicht zu Durchsuchungen berechtigt gewesen. Die Betriebsstätten der Zulieferer von A hätte sie nur dann besichtigen müssen, wenn dazu hinreichender Anlass bestanden hätte, was nicht der Fall gewesen sei. Im Übrigen hätte eine solche Besichtigung das Herstellungsverfahren betroffen, nicht aber die kaufmännischen Beziehungen zwischen Lieferanten und Hersteller. Auch insoweit bestreitet die Beklagte, dass eine Besichtigung beim Lieferanten den Betrug aufgedeckt hätte. Der Betrug durch A sei vielmehr für sie nicht erkennbar gewesen. Mangels Pflichtverletzung und Kausalität hafte sie weder aus EU-Recht noch aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Klägerin noch aus § 823 Abs. 2 BGB.

Die Beklagte zu 2) macht geltend, dass nach französischem Recht weder zivilrechtlich noch strafrechtlich eine verbotene Diskriminierung vorliege. Die räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes knüpfe weder an die Staatsangehörigkeit noch an die ethnische Zugehörigkeit an. Allenfalls könne insoweit eine mittelbare Betroffenheit vorliegen, die aber aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sei. Dabei bezieht sich die Beklagte zu 2) wie in erster Instanz auf private Rechtsgutachten der Professoren F (B 75), G und H (B 24) und nochmals H (B 2) sowie auf gerichtlich eingeholte Rechtsgutachten der Professoren I (B 34 b, eingeholt vom LG München I, 9 O 11759/14) und J (B 39, eingeholt vom LG Aschaffenburg 34 O 73/14).

Sie stellt weiter darauf ab, dass ein räumlich unbeschränkter Versicherungsschutz unkalkulierbare Risiken beinhalte. Auch existierten keine unionsrechtlichen Vorgaben, wonach EU-weit Versicherungsschutz zu gewähren sei. Wie in erster Instanz wendet die Beklagte zu 2) noch ein, dass die Deckungssumme erschöpft sei.

Nach Einlegung der Berufung hat der Gerichtshof der Europäischen Union auf Vorlage des Bundesgerichtshofs zur Auslegung des Anhangs II der RL 93/42/EWG entschieden, dass deren Bestimmungen keine generelle Pflicht der benannten Stelle zu unangemeldeten Inspektionen und/oder zur Sichtung von Geschäftsunterlagen des Herstellers vorsehe. Allerdings könne die benannte Stelle unangemeldete Besichtigungen durchführen und dabei erforderlichenfalls Prüfungen zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Funktionierens des Qualitätssicherungssystems durchführen (lassen). Die Richtlinie diene dem Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte (Urteil vom 16.02.2017 – C-219/15 – Rn. 40, 42, 50). Im Anschluss hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 22.06.2017 – VII ZR 36/14 -) entschieden, dass im konkreten Fall, welcher der Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zugrunde gelegen hatte, für die dortige Beklagte (die hiesige Beklagte zu 1)) kein Anlass bestanden habe, unangemeldete Kontrollen durchzuführen oder Geschäftsunterlagen zu prüfen. Dabei hat der Bundesgerichtshof teilweise eine mangelnde Substantiierung des Vorbringens der dortigen Klägerin beanstandet und teilweise auch Vortrag als verspätet zurückgewiesen.

Wegen des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Berufungsbegründung vom 27.12.2016 sowie auf die klägerischen Schriftsätze vom 30.10.2017 und vom 12.02.2018, auf die Berufungserwiderung der Beklagten zu 1) vom 27.04.2017sowie auf deren weitere Schriftsätze vom 06.11.2017, 02.02.2018 und vom 16.02.2018, auf die Berufungserwiderung der Beklagten zu 2) vom 30.03.2017 sowie auf deren weitere Schriftsätze vom 05.05.2017, 04.08.2017, 18.11.201, 16.02.2018 und auf die Sitzungsniederschrift vom 21.02.2018 Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Weder beruht das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung i.S. des § 546 ZPO noch gebieten die vom Senat gemäß §§ 529, 531 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen eine abweichende Beurteilung; § 513 ZPO.

Das Landgericht hat die gegen die Beklagte zu 1) erhobene Klage zu Recht abgewiesen. Es ist ohne nähere Begründung, aber im Ergebnis zutreffend, davon ausgegangen, dass die Rechtsbeziehungen der Klägerin zu der Beklagten zu 1) sich nach deutschem Recht richten. Weiter hat das Landgericht zu Recht mögliche vertragliche Ansprüche der Klägerin aus dem zwischen der Beklagten zu 1) und A geschlossenen Vertrag unter dem Gesichtspunkt einer Schutzwirkung dieses Vertrags zugunsten der Klägerin wie auch deliktische Ansprüche mit der zutreffenden Begründung verneint, dass eine Pflichtverletzung der Beklagten zu 2) nicht festgestellt werden kann.

Das anwendbare Vertragsstatut bestimmt sich nicht nach der Rom-I-VO, weil dieses Regelwerk nach seinem Art. 28 erst auf Verträge angewandt wird, die nach dem 16.12.2009 geschlossen worden sind. Der Vertrag zwischen der Beklagten zu 1) und A wurde dagegen bereits im Jahr 1997 abgeschlossen. Mithin ergibt sich das für vertragliche Ansprüche der Klägerin maßgebliche Recht zunächst aus dem EGBGB. Da die Beklagte zu 1) und A den zwischen ihnen geschlossenen Vertrag ausdrücklich dem deutschen Recht unterstellt haben, ist nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB deutsches Vertragsrecht anzuwenden (vgl. BGH Urt. v. 22.06.2017 – VII ZR 36/14 – Rn. 18 f. in juris).

Das auf außervertragliche Ansprüche anwendbare Recht bestimmt sich nicht nach der Rom-II-VO, weil dieses Regelwerk nach seinen Art. 31 und 32 erst auf Ansprüche anzuwenden ist, die auf einem nach dem 10.01.2009 eingetretenen schadensbegründenden Ereignis beruhen. Im vorliegenden Fall soll nach dem Vortrag der Klägerin das schadensbegründende Ereignis, das erste Einsetzen von Implantaten, bereits am XX.XX.2004 stattgefunden haben. Vielmehr bestimmt sich das anzuwendende Deliktsstatut ebenfalls nach dem EGBGB. Gemäß Art. 40 Abs. 2 EGBGB ist auch insoweit deutsches Recht anwendbar, weil beide Parteien zum Zeitpunkt des behaupteten schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 15 ff. in juris).

Sowohl Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) aus Vertrag, eine Schutzwirkung des zwischen der Beklagten zu 1) und A geschlossenen Vertrags zugunsten der Patientinnen – hier: der Klägerin – einmal unterstellt, wie auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit der Richtlinie 93/42/EWG, die dem Gerichtshof der Europäischen Union zufolge (Urteil vom 16.02.2017 – C-219/15 – Rn. 40, 42, 50) den Schutz der Verbraucher bezweckt, setzen notwendig eine schuldhafte Pflichtverletzung seitens der Beklagten zu 1) voraus.

Die Klägerin lastet der Beklagten zu 1) letztlich drei Pflichtverletzungen an:

Die Beklagte zu 1) habe das Vorgehen der A schon früher als die französische Behörde AFSSAPS entdecken können. Dieser Vorwurf ergibt sich implizit aus dem Vorbringen der Klägerin, die Beklagte hätte ebenso wie die AFSSAPS die Verwendung von Industriesilikon durch A entdecken können, in Verbindung mit dem Umstand, dass die AFSSAPS erst im Jahr 2010 „fündig“ wurde, die Klägerin ihrer Behauptung zufolge aber schon 2004 und 2008 Implantate von A eingesetzt bekommen hat. Insoweit ist der Vortrag der Klägerin nicht ausreichend substantiiert. Nach der RL 93/42/EWG unterscheiden sich die Aufgaben der nationalen Überwachungsbehörden und der Benannten Stellen. Die Überwachungsbehörde kontrolliert das Medizinprodukt (vgl. Art. 2 der RL), die Benannte Stelle den Mechanismus der Qualitätssicherung (vgl. Anhang II der RL). Schon deshalb ist abstrakt nicht ersichtlich, dass die Beklagte zu 1) dieselben Prüfmaßnahmen hätte vornehmen müssen und v.a. dürfen wie die AFSSAPS. Konkret hat die Klägerin nichts dazu vorgetragen, aufgrund welcher Kontrollmaßnahmen die AFSSAPS die Verwendung von Industriesilikon entdeckt hat, und dass diese Maßnahmen auch der Beklagten zu 1) erlaubt und für sie indiziert gewesen seien.

Weiter wirft die Klägerin der Beklagten zu 1) vor, keine unangemeldeten Kontrollen vorgenommen zu haben. Unter Zugrundelegung der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (a.a.O.) und des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) würde eine Verpflichtung der Beklagten zu 1) zur Vornahme unangemeldeter Kontrollen jedenfalls voraussetzen, dass Hinweise darauf vorgelegen hätten, dass das Implantat den Anforderungen der Richtlinie in der aktuellen Fassung nicht genügt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 25). Derartige Hinweise hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt.

Die Warnung der FDA aus dem Jahr 2000 bezog sich auf mit Kochsalzlösung gefüllte Implantate von A, nicht aber auf die erst 2001 aufgelegte Produktlinie jener Silikonimplantate, die auch der Klägerin eingesetzt wurden. Der Bericht der MDA datierte ebenfalls aus 2000 und hatte Alternativen zu einer Silikonfüllung zum Gegenstand. Weder aus dem Bericht der FDA noch aus dem der MDA konnten sich Hinweise auf eine mangelnde Zuverlässigkeit der A ergeben (so auch BGH, a.a.O., Rn. 30 f.). Rückschlüsse auf die erst im Jahr 2001 in Angriff genommene Herstellung der verfahrensgegenständlichen Produktlinie verbieten sich schon wegen des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs. Das weitere, in zweiter Instanz neue, aber nicht bestrittene und daher zuzulassende Vorbringen der Klägerin, dass die Audits in den Jahren 1997 bis 2006 insgesamt 38 Abweichungen ergeben hätten, ist unsubstantiiert. Denn offensichtlich liegen die Audit-Berichte der Klägerin bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten vor. Denn die Klägerin nennt Seitenzahlen der Berichte, auf denen Abweichungen vermerkt sein sollen. Dann müsste die Klägerin näher aus den Berichten zitieren bzw. diese vorlegen, um ihre Schlussfolgerungen nachvollziehbar zu machen. Dies hat sie nicht getan.

Unabhängig davon sagt die bloße Zahl der Abweichungen noch nichts über den Qualitätsstandard des Produktionsprozesses oder die Zuverlässigkeit der Herstellerin aus. Maßgeblich ist vielmehr, Abweichungen von welcher Norm und in welcher Art festgestellt wurden und ob diese Regelwidrigkeiten behoben wurden (vgl. OLG München, Urt. v. 30.11.2017 – 1 U 174/14 -, S. 14). Dazu hat die Klägerin nichts dargelegt.

Weiter macht die Klägerin geltend, dass die Beklagte zu 1) durch eine Rechnungsprüfung die schon mehrfach erwähnten Mengendifferenzen unschwer hätte feststellen können. Den zitierten Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs zufolge wäre die Beklagte zu 1) wiederum allenfalls dann zu einer Prüfung von Geschäftsunterlagen der A verpflichtet gewesen, wenn Hinweise darauf vorgelegen hätten, dass das Implantat den Anforderungen der Richtlinie in der aktuellen Fassung nicht genügt. Dies war aus den zuvor erörterten Gründen nicht der Fall. In diesem Zusammenhang ist der Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 30.10.2017, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dem o.g. Verfahren durch eine vom BGH angenommene Präklusion prädeterminiert gewesen sei, zwar zutreffend, aber im Ergebnis unbehelflich, weil die Klägerin auch nicht besser substantiiert vorträgt.

Darüber hinaus vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die Beklagte zu 1) aktiv nach Warnzeichen für einen nicht normkonformen Produktionsablauf habe suchen müssen, wobei sie zuletzt noch darauf abstellt, dass die Aufsichtsbehörde AFSSAPS in der Lage gewesen sei, bei einer einzigen Kontrolle zu entdecken, dass A nicht zugelassenes Industriesilikon verwendete, und dass der Beklagten zu 1) dies bei einer unangemeldeten Kontrolle schon viel früher möglich gewesen wäre. Insoweit übergeht die Klägerin den bereits in der Klageerwiderung der Beklagten zu 2) gehaltenen und nicht bestrittenen, auf den Bericht der AFSSAPS gestützten Vortrag, dass die AFSSAPS vor der Entdeckung des Betrugs einen anonymen Hinweis sowie ein Foto erhalten hatte, was dann zur Entdeckung der mit Industriesilikon gefüllten Behälter führte. Im Übrigen bestand nach den vom Gerichtshof der Europäischen Union und vom Bundesgerichtshof formulierten Maßstäben keine Verpflichtung der Beklagten zu 1) zu einer anlasslosen Suche nach Warnzeichen für einen möglichen Betrug.

Nach allem kann dahingestellt bleiben, ob eventuelle Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) verjährt sind.

Auch die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Es hat – ebenfalls im Ergebnis zutreffend und im Übrigen von den Parteien auch nicht beanstandet – die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und die Anwendbarkeit französischen materiellen Rechts bejaht.

Da der vorliegende Rechtsstreit nach dem 09.01.2015 anhängig geworden ist, richtet sich die internationale Zuständigkeit gemäß Art. 66 Abs. 1 EuGVVO nach diesem Regelwerk. Da sich die Beklagte zu 2) rügelos in der Sache auf die vor dem Landgericht Frankfurt a.M. erhobene Klage eingelassen hat, ist eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte jedenfalls nach Art. 26 Abs. 1 EuGVVO begründet worden.

Das anzuwendende materielle Recht bestimmt sich aus den bereits bezüglich der gegen die Beklagte zu 1) geltend gemachten Ansprüche erörterten Gründen nach dem EGBGB. Danach ist französisches Recht, aus dem die Klägerin auch ihren Anspruch gegen die Beklagte zu 2) herleiten will (Gesetz Nr. 2002-303 v. 04.03.2002), anzuwenden. Deliktische Ansprüche der Klägerin gegen A unterliegen nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB dem Recht der Republik Frankreich, weil die Verantwortlichen von A in Frankreich gehandelt haben. Eine nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB mögliche, davon abweichende Rechtswahl hat die Klägerin nicht getroffen. Da das im Verhältnis der Klägerin zu A anzuwendende französische Recht einen Direktanspruch der Geschädigten gegen den Versicherer vorsieht, kann die Klägerin nach Art. 40 Abs. 4 EGBGB diesen Anspruch gegen die Beklagte zu 2) geltend machen.

Im Ergebnis zu Recht, wenn auch mit sehr sparsamer Begründung, hat das Landgericht einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) verneint. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist das von der Klägerin behauptete Einsetzen von zwei nicht den Anforderungen der Medizinprodukterichtlinie entsprechenden Brustimplantaten am XX.XX.2004 nicht durch den zwischen A und der Beklagten zu 2) geschlossenen Versicherungsvertrag gedeckt. Dies gilt indessen nicht nur in räumlicher, sondern bereits in zeitlicher Hinsicht.

Der Versicherungsvertrag zwischen A und der Beklagten zu 2) wurde ausweislich der Anlagen B 8 und B 8 a mit Wirkung ab dem 17.02.2005 abgeschlossen. Das nach dem Vortrag der Klägerin schadensbegründende Ereignis, die erste Operation, soll indessen bereits am XX.XX.2004 stattgefunden haben. Den Anlagen B 8 und B 8 a ist nicht zu entnehmen, dass eine – in deutscher versicherungsrechtlicher Terminologie – Rückwärtsversicherung abgeschlossen worden wäre, die auch Schadensfälle abdeckt, die vor Versicherungsbeginn eingetreten sind. Schon deshalb gewährt der Versicherungsvertrag keinen Deckungsschutz für eine Implantation am XX.XX.2004.

Zudem scheitert ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) daran, dass der Schadensfall nicht in Frankreich eingetreten ist. Die in dem Versicherungsvertrag vereinbarte räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes auf in Frankreich und in den französischen überseeischen Gebieten eingetretene Schadensfälle ist wirksam. Da die Klägerin nicht geltend macht, dass die Beklagte zu 2) nach nationalem französischem Recht verpflichtet gewesen wäre, EU-weiten Versicherungsschutz einzudecken – was ersichtlich auch nicht in Betracht kommt -, kommt es alleine darauf an, ob zum einen die räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes gegen Unionsrecht verstößt und ob zum anderen ein solcher Verstoß nicht lediglich eine Unwirksamkeit der nationalen französischen Bestimmungen zur Pflichtversicherung zur Folge hätte, sondern zu einer EU-weiten Ausdehnung des Versicherungsschutzes führen würde.

Die räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes verstößt nicht gegen Unionsrecht. Eine nach Art. 18 AEUV verbotene unmittelbare Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit liegt nicht vor, weil auch Bürgerinnen anderer EU-Staaten, die sich in Frankreich ein Brustimplantat des Herstellers A hätten einsetzen lassen, Quasi-Versicherungsschutz in der Gestalt eines Direktanspruchs gegen die Beklagte zu 2) genossen hätten. Eine nahe liegende mittelbare Diskriminierung – Nicht-Französinnen werden sich wahrscheinlich eher außerhalb Frankreichs ein Implantat einsetzen lassen – wäre gerechtfertigt, weil das Differenzierungskriterium „Ort des Schadensfalls“ auf von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen sachlichen Erwägungen beruht. Ein Verstoß gegen die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit nach Art. 34 f. und 56 AEUV liegt nicht vor. Außerhalb Frankreichs ansässige Hersteller von Medizinprodukten sind nicht daran gehindert, ihre Produkte in Frankreich in Verkehr zu bringen, müssen dann aber ebenso wie in Frankreich ansässige Hersteller für auf Frankreich und die überseeischen Gebiete beschränkten Versicherungsschutz sorgen. Unionsbürgerinnen und -bürger können frei entscheiden, ob sie mit der Anwendung von Medizinprodukten verbundene Dienstleistungen in Frankreich in Anspruch nehmen – wobei ihnen ein Direktanspruch gegen einen Haftpflichtversicherer zustehen kann – oder in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Gegen die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit würde vielmehr gerade dann verstoßen, wenn in Frankreich ansässige Hersteller von Implantaten anders als Hersteller mit Sitz in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichtet wären, unionsweit einen Haftpflichtversicherungsschutz einzudecken. Darin läge eine Behinderung der französischen Unternehmen auf dem Binnenmarkt. Der Senat folgt insoweit den Erwägungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe in den Urteilen vom 20.04.2016 (7 U 241/14) und vom 17.08.2016 (7 U 23/16), auf die ergänzend Bezug genommen wird. Im Übrigen hätte, sofern die Versicherungspflicht nach dem französischen Gesetz Nr. 2002-303 vom 04.03.2002 eine Behinderung französischer Unternehmen auf dem Binnenmarkt bewirken würde, diese Behinderung jedenfalls keine Verpflichtung der Haftpflichtversicherer jener französischen Unternehmen zur Folge, auch noch unionsweit Versicherungsschutz zu gewähren.

Nach allem bestehen Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten bereits dem Grunde nach nicht. Damit kann dahingestellt bleiben, ob ein Feststellungsinteresse für den Feststellungsantrag hinreichend dargelegt ist. Vielmehr bleibt die Klage auch hinsichtlich des Feststellungsantrags in der Sache abgewiesen.

Der Hilfsantrag hat keinen Erfolg, weil der Rechtsstreit weiterhin zur Endentscheidung reif ist.

Da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat, hat die Klägerin nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Was die Billigung der Abweisung der gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klage angeht, setzt sich der Senat mit seinen Erwägungen nicht in Widerspruch zu den Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 22.06.2017 (VII ZR 36/14). Die Erwägungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Urteile vom 20.04.2016 und vom 17.08.2016, a.a.O.) zur Wirksamkeit der räumlichen Beschränkung des von der Beklagten zu 2) gewährten Versicherungsschutzes, die der Senat teilt, haben einer Prüfung durch den Bundesgerichtshof standgehalten. Nichtzulassungsbeschwerden gegen beide Urteile hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen (VI ZR 192/16 bzgl. des Urteils vom 20.04.2016 und IV ZR 400/16 bzgl. des Urteils vom 17.08.2016).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 1 GKG i.V. mit §§ 3 und 5 ZPO. Der festgesetzte Wert entspricht der Bezifferung ihres Interesses durch die Klägerin in der Klageschrift, die unangegriffen geblieben ist.

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