OLG Frankfurt am Main, 04.05.2017 – 18 W 58/17

März 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 04.05.2017 – 18 W 58/17
Leitsatz:

1.

Für alle Varianten von § 8a JVEG gilt ein einheitlicher Verschuldensmaßstab, der auch die Fahrlässigkeit umfasst. Für das Entfallen des Vergütungsanspruchs eines Sachverständigen gemäß § 8a Abs. 1 JVEG reicht deshalb die fahrlässige Unterlassung der Anzeige des Vorliegens eines Ablehnungsgrundes aus.
2.

§ 8a Abs. 1 a. E. JVEG enthält darüber hinaus ebenso wie § 8a Abs. 5 a. E. JVEG eine Verschuldensvermutung, weshalb es demjenigen, der die Vergütung beansprucht, obliegt, entlastende Umstände darzutun.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Staatskasse vom 02.03.2017 wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27.02.2017 wie folgt abgeändert:

Der Vergütungsfestsetzungsantrag des Sachverständigen und Beschwerdegegners vom 19.11.2015 wird abgelehnt.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe

I.

Die Antragstellerin ist die Bauherrin eines Bauvorhabens, über das sie mit der Antragsgegnerin zu 1. einen Generalunternehmervertrag geschlossen hatte. Nach Errichtung und Abnahme der Gebäude im Jahr 2009 beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22.12.2014 (Bl. 1 bis 17 d. A.) die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zwecks Feststellung von Baumängeln gegen die Antragsgegnerin zu 1. sowie die ebenfalls am Bau beteiligt gewesenen Antragsgegner zu 2., 3., 4. und 5. Ihrer Antragsschrift fügte die Antragstellerin u. a. ein Gutachten des von ihr beauftragten Sachverständigen SV1 vom 05.08.2013 bei (Anlage ASt 9). Die Antragsgegnerin zu 1. erwiderte mit Schriftsatz vom 24.02.2015 (Bl. 102 bis 113 d. A.), in welchem sie u. a. vortrug, sie habe baubegleitend ein Gutachten der Sachverständigen SV2 eingeholt. Die Antragsgegnerin zu 1. reichte die Blätter 22 und 23 dieses Gutachtens als Anlage AG1-7b zur Akte. Mit Beschluss vom 01.04.2015 (Bl. 144 bis 153 d. A.) bestellte das Landgericht den Beschwerdegegner als Sachverständigen und übersandte ihm die Akten mit Schreiben vom 20.05.2015 (Bl. 185, 186 d. A.).

Der Beschwerdegegner unterließ in der Folgezeit die Mitteilung, dass er seit vielen Jahren gemeinsam mit der Sachverständigen SV2 einen X betreibt, für den er gemeinsam mit dieser unter der Bezeichnung „X“ auch damit wirbt, dass die beiden Sachverständigen ein „Team“ bzw. „Vortragsduo“ seien.

Nachdem der Beschwerdegegner sein Gutachten erstattet hatte, lehnte ihn die Antragstellerin, die unterdessen von der Beteiligung des Beschwerdegegners an dem X erfahren hatte, ab, weil sie besorgt war, der Beschwerdegegner könne befangen sein. Das Landgericht wies dieses Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 14.06.2016 (Bl. 616 bis 618 d. A.) zurück. Auf die gegen diesen Beschluss von der Antragstellerin eingelegte sofortige Beschwerde änderte der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 12.09.2016 (Az.: 21 W 97/16, Bl. 650 bis 657 d. A.) den Beschluss des Landgerichts ab und erklärte das Ablehnungsgesuch für begründet.

Auf den Antrag des Beschwerdegegners vom 19.11.2015 (Bl. 387, 388 d. A.) hat das Landgericht mit Beschluss vom 27.02.2017 (Bl. 722 bis 726 d. A.) zugunsten des Beschwerdegegners eine Vergütung von € 8.517,31 gegen die Staatskasse festgesetzt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit Schreiben vom 02.03.2017 (Bl. 727 d. A) eingelegte und mit Schreiben vom 21.03.2017 (Bl. 728, 729 d. A.) begründete Beschwerde der Staatskasse, zu der der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 17.04.2017 (Bl. 734 d. A.) und vom 22.04.2017 (Bl. 739 d. A.) Stellung genommen und sich dabei u. a. auf seine Schreiben vom 22.03.2016 (Bl. 559 bis 565 d. A.) und vom 23.11.2016 (Bl. 701, 702 d. A.) bezogen hat.

II.

Der Beschluss des Landgerichts vom 27.02.2017 ist auf die Beschwerde der Staatskasse vom 21.03.2017 dahin abzuändern, dass der Vergütungsfestsetzungsantrag des Beschwerdegegners vom 19.11.2015 abgelehnt wird.

1. Die gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 JVEG statthafte Beschwerde der Staatskasse vom 21.03.2017 (Bl. 728, 729 d. A.) ist zulässig, insbesondere ist der für die Zulässigkeit der Beschwerde vorausgesetzte Beschwerdewert von mehr als € 200,- erreicht.

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Zu Unrecht hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 27.02.2017 auf den Vergütungsfestsetzungsantrag des Beschwerdegegners vom 19.11.2015 zu dessen Gunsten eine Vergütung in Höhe von € 8.517,31 gegen die Staatskasse festgesetzt.

Dies folgt aus § 8a Abs. 1 JVEG. Dieser Regelung zufolge entfällt der Vergütungsanspruch eines Sachverständigen, wenn er es unterlässt, der heranziehenden Stelle unverzüglich solche Umstände anzuzeigen, die zu seiner Ablehnung durch einen Beteiligten berechtigen, es sei denn, er hat die Unterlassung nicht zu vertreten.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

a) § 8a Abs. 1 JVEG sanktioniert einen „Anfangsfehler“ (so Hartmann, Kostengesetze, Rdnr. 9 zu § 8a JVEG) des Sachverständigen, der darin liegt, dass er die Anzeige eines schon vor der Annahme des Auftrags zur Begutachtung gegebenen Ablehnungsgrundes unterlässt. Ein solcher Fehler ist dem Beschwerdegegner vorliegend vorzuwerfen.

aa) Schon vor der Annahme des Gutachtenauftrags war ein Grund gegeben, der die Antragstellerin gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 42 Abs. 1 a. E., Abs. 2 ZPO zur Ablehnung des Beschwerdegegners wegen Besorgnis der Befangenheit berechtigte. Diese Besorgnis ist gegeben, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Sachverständigen aufkommen lassen (vgl. § 1036 Abs. 2 Satz 1, 1. Var. ZPO). Es muss insoweit ein Grund vorliegen, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken kann, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und nicht unparteiisch gegenüber (vgl. Vollkommer in Zöller, Rdnr. 9 zu § 42 ZPO). Ein solcher Umstand war hier gegeben, weil der Beschwerdegegner seit vielen Jahren gemeinsam mit der in der streitgegenständlichen Sache als Privatgutachterin für die Antragsgegnerin zu 1. tätig gewesenen Sachverständigen SV2 einen X betreibt, für den er gemeinsam mit der Privatsachverständigen der Antragsgegnerin zu 1. wirbt und sich mit dieser als „Team“ bzw. „Vortragsduo“ bezeichnet. Dieser Umstand erweckt aus Sicht einer vernünftigen Partei den Eindruck des Bestehens eines engen fachlichen und geschäftlichen Kontaktes zwischen dem Beschwerdegegner und der Privatsachverständigen der Antragsgegnerin zu 1. (vgl. Beschluss des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12.09.2016, Az.: 21 W 97/16, Bl. 650 bis 657 d. A.). Aus Sicht der Antragstellerin bestand damit bei vernünftiger Betrachtungsweise die Besorgnis, der Beschwerdegegner werde die Darlegungen der Privatsachverständigen der Antragsgegnerin zu 1. und insbesondere auch deren Fachkompetenz nicht mit gebotener Objektivität und Unparteilichkeit kritisch überprüfen, weil Zweifel an der Fachkompetenz der Privatsachverständigen und deren Feststellungen der Reputation des gemeinsamen X schaden könnten.

Die in seinen Schreiben vom 17.04.2017 (Bl. 734 d. A.) geäußerte Auffassung des Beschwerdegegners, er habe sich nicht mit dem Gutachten der Privatsachverständigen der Antragsgegnerin zu 1. auseinandersetzen müssen, weil er sich gemäß dem Beschluss des Landgerichts vom 01.04.2015 (Bl. 144 bis 153 d. A.) nur mit dem Gutachten des Privatsachverständigen der Antragstellerin SV1 habe befassen müssen, ist unzutreffend. Denn im Gutachten des Gutachten des Privatsachverständigen SV1 vom 05.08.2014 heißt es auf Seite 5, die „seitens der Fa. A eingesetzte sachverständige Kollegin Frau SV2“ sei „in ihrem Gutachten 12333.1/2012 zu einem gegenteiligen Ergebnis als der SV SV1“ gekommen. Eine Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Privatsachverständigen SV1 erforderte damit auch die Befassung mit den Ausführungen der Privatsachverständigen der Antragsgegnerin zu 1.

Darauf, dass der Beschwerdegegner keiner Partei „etwas Schlechtes“ wollte – worauf er in seinem Schreiben vom 17.04.2017 hinweist, – kommt es insoweit ebensowenig an wie auf den Inhalt seines Gutachtens, weil schon die Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung begründet, §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 a. E., Abs. 2 ZPO.

bb) Der Beschwerdegegner hat es unterlassen, dem Landgericht anzuzeigen, dass er mit der Privatsachverständigen der Antragsgegnerin zu 1. den X betreibt.

b) Es ist auch nicht festzustellen, dass der Beschwerdegegner diese Unterlassung im Sinne § 8a Abs. 1 a. E. JVEG nicht zu vertreten hätte.

Dies wäre der Fall, wenn der Beschwerdegegner bei der Unterlassung weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hätte. Dass schon eine fahrlässige Unterlassung der Anzeige des Vorliegens eines Ablehnungsgrundes zum Entfallen des Vergütungsanspruchs führt, folgt aus dem Umstand, dass nach dem Willen des Gesetzgebers für die in § 8a Abs. 2 und 4 JVEG geregelten Fälle der Beschränkung des Vergütungsanspruchs Fahrlässigkeit ausreichen soll (vgl. BT-Drs. 17/11471, S. 260), was in § 8a Abs. 5 JVEG mit denselben Worten zum Ausdruck gebracht ist, die auch in § 8a Abs. 1 a. E. JVEG Verwendung gefunden haben („nicht zu vertreten hat“). § 8a JVEG hat deshalb einen einheitlichen Verschuldensmaßstab, der auch die Fahrlässigkeit umfasst. § 8a Abs. 1 a. E. JVEG enthält darüber hinaus ebenso wie § 8a Abs. 5 a. E. JVEG eine Verschuldensvermutung, weshalb es demjenigen, der die Vergütung beansprucht, obliegt, entlastende Umstände darzutun (vgl. zu § 8a Abs. 5 JVEG: OLG Hamm, Beschluss vom 08.05.2015 – I-12 U 62/14 -, juris mit Verweis auf BT-Drs. 17/11471, S. 260).

Es ist dem Beschwerdegegner nicht gelungen, Umstände darzutun, aus denen sich ergibt, dass er die gebotene Anzeige nicht fahrlässig unterlassen hat. Solche Umstände ergeben sich weder aus dem Inhalt der Akte noch aus den Schreiben des Beschwerdegegners vom 22.03.2016, vom 23.11.2016, vom 17.04.2017 oder vom 22.04.2017.

Nach der hier entsprechend anwendbaren Regelung des § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dies setzt im Fall des § 8a Abs. 1 a. E. voraus, dass der Sachverständige das Vorliegen eines die Besorgnis der Befangenheit begründenden Umstandes zumindest voraussehen konnte. Dies war vorliegend der Fall. Der Beschwerdegegner hätte voraussehen können, dass das Betreiben eines gemeinsamen X mit der Privatsachverständigen der Antragsgegnerin zu 1. bei der Antragstellerin eine begründete Besorgnis seiner Befangenheit hervorrufen konnte. Bei gründlicher Durchsicht der ihm mit Schreiben vom 20.05.2015 übersandten Akten hätte er feststellen können, dass die Antragsgegnerin zu 1. in ihrem Schriftsatz vom 24.02.2015 vorgetragen hatte, ein Gutachten bei ihrer Privatsachverständigen eingeholt zu haben. Überdies hatte sie Kopien der Blätter 22 und 23 dieses Gutachtens als Anlage AG1-7b zur Akte gereicht. Bei genügender Sorgfalt hätte der Beschwerdegegner auch vorhersehen können, dass wegen seiner beruflichen Beziehung zur Privatsachverständigen der Antragsgegnerin ein die Antragstellerin zu seiner Ablehnung berechtigender Grund gegeben war. Zwar hatte der Sachverständige kein unmittelbares Näheverhältnis zu einer der Parteien des Verfahrens. Indes steht die Privatsachverständige aufgrund ihres Gutachtens für die Antragsgegnerin zu 1. derart in deren Lager, dass die berufliche Nähe des Beschwerdegegners zur Privatsachverständigen einem Näheverhältnis zu einer Partei gleich steht. Die Auffassung des Landgerichts, da das Näheverhältnis nicht persönlicher, sondern beruflicher Natur sei, habe das Gegebensein eines Ablehnungsgrundes aus Sicht des Beschwerdegegners nicht nahe gelegen, ist unzutreffend. Da der Erfolg der beruflichen Zusammenarbeit des Beschwerdegegners mit der Privatsachverständigen der Antragsgegnerin zu 1. maßgeblich von ihrer Reputation als kompetente Sachverständige abhängig ist, konnte der Beschwerdegegner vorhersehen, dass eine vernünftige Partei befürchten könnte, er werde die Kompetenz seiner Geschäftspartnerin und die Richtigkeit ihrer Feststellungen in der vorliegenden Sache nicht kritisch hinterfragen.

Der Beschwerdegegner geht fehl, wenn er annimmt, es sei in Rechtsprechung und Literatur kein Fall veröffentlicht, in dem ein Näheverhältnis eines Richters oder Sachverständigen zu einer Person, die nicht Partei des Rechtsstreits ist, die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit begründen könnte und deshalb von einem Sachverständigen unverzüglich anzuzeigen ist. So hat das Oberlandesgericht Hamm in seinem Beschluss vom Beschluss vom 08.11.2012 – I- 32 W 24/12-, juris), veröffentlicht in MDR 2013, 169-170 [BGH 07.11.2012 – XII ZB 325/12], IBR 2013, 114 [OLG Hamm 08.11.2012 – I-32 W 24/12] und BauR 2013, 278, entschieden, dass enge fachliche oder persönliche Beziehungen zwischen einem gerichtlich beauftragten Sachverständigen und einer Person, die für eine Prozesspartei Leistungen, die in einem Zusammenhang mit dem im Rechtsstreit zu entscheidenden Sachverhalt stehen, erbracht hat oder nach wie vor erbringt, die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründen können.

3. Das Verfahren zur Entscheidung über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei, § 4 Abs. 8 Satz 1 JVEG. Kosten werden gemäß § 4 Abs. 8 Satz 2 JVEG nicht erstattet.

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