OLG Frankfurt am Main, 22.12.2016 – 1 UF 296/16

März 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 22.12.2016 – 1 UF 296/16
Tenor:

1.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht- Frankfurt am Main vom 28.10.2016 wird zurückgewiesen.
2.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
3.

Der Antrag der Kindesmutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
4.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die in Tschechien lebende Kindesmutter begehrt im vorliegenden Verfahren die Rückführung des aus der Ehe mit dem Kindesvater hervorgegangenen Kindes A, geb. am XX.XX.2004. Den Kindeseltern steht die gemeinsame elterliche Sorge zu. A hat noch eine Halbschwester, B, geb. am XX.XX.1998.

A lebte nach der Scheidung der Kindeseltern im Jahre 2006 mit seiner Halbschwester und der Kindesmutter in Stadt1. Im Jahre 2008 zog die Kindesmutter mit den Kindern in ihr Heimatland Tschechien. A lebte fortan bis in das Jahr 2015 in Tschechien; mit dem Kindesvater bestand Kontakt. A verbrachte mit dem Kindesvater Zeit an Wochenenden und in den Ferien. Entsprechend einer zwischen den beteiligten Kindeseltern getroffenen Absprache reiste A im Juni 2015 nach Deutschland und wohnte in der Folgezeit zusammen mit dem Kindesvater und seiner Halbschwester B im Haushalt des Kindesvaters in Stadt2. Dort besuchte er seit Herbst 2015 die Schule. Zur Kindesmutter, die ebenfalls nach Deutschland übersiedelte und versuchte, beruflich in Deutschland Fuß zu fassen, bestanden Umgangskontakte nach Absprache der Kindeseltern.

Zwischen den beteiligten Kindeseltern waren verschiedene Verfahren zum Sorgerecht anhängig. Ein Antrag des Kindesvaters vom 08.01.2016, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A zur alleinigen Ausübung zu übertragen, wurde mit Beschluss vom 04.02.2016 des Amtsgerichts – Familiengericht – Stadt3 zurückgewiesen; die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, 7. Senat für Familiensachen, vom 10.06.2016 zurückgewiesen.

Am 13.01.2016 kehrte die Kindesmutter mit A und der Halbschwester B ohne Kenntnis bzw. Zustimmung des Kindesvaters nach Tschechien zurück, wobei die genaueren Umstände der Ausreise nach Tschechien und insbesondere die Frage, ob A Kenntnis von dem dauerhaften Fortgang nach Tschechien hatte, zwischen den beteiligten Kindeseltern streitig ist. Gegenüber der tschechischen „Behörde für den sozial-rechtlichen Schutz von Kindern“ sprach sich A in einer Anhörung am 27.06.2016 für einen Verbleib bei seiner Mutter aus. Am 30.08.2016 reiste A allein vom Wohnort der Kindesmutter in Tschechien zu seinem Vater nach Stadt4, der sich dort zwecks eines Kuraufenthalts aufhielt. Seither lebt A im väterlichen Haushalt und besucht seit Beginn des Schuljahres 2016/2017 die Schule in Stadt2.

Mit Antrag vom 15.09.2016, eingegangen beim Amtsgericht Stadt3 am 16.09.2016, stellte die Kindesmutter den Antrag auf Rückführung des Sohnes nach dem HKÜ. Das Amtsgericht Frankfurt, an welches das Verfahren zuständigkeitshalber mit Beschluss vom 19.09.2016 verwiesen wurde, bestellte A eine Verfahrensbeiständin, holte eine Stellungnahme des Jugendamtes ein und hat den Kindesvater und das Kind persönlich angehört.

Die Kindesmutter, deren persönliches Erscheinen angeordnet war, erschien nicht und ließ im Termin über ihren Verfahrensbevollmächtigten mitteilen, dass sie erkrankt sei, jedoch für diese Instanz auf ihre Anhörung verzichte, da ihr Verfahrensbevollmächtigter bevollmächtigt und in der Lage sei, sämtliche Erklärungen und Auskünfte zu erteilen.

Mit Beschluss vom 28.10.2016 hat das Amtsgericht den Rückführungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Ausnahmetatbestand des Artikel 13 Abs. 2 HKÜ eingreife, denn A wiedersetze sich einer Rückführung nach Tschechien und habe zudem ein Alter und eine Reife erlangt, angesichts derer die Berücksichtigung seiner Meinung angebracht sei.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde vom 22.11.2016. Die Verfahrensbeiständin und der Kindesvater verteidigen den angefochtenen Beschluss. Das zuständige Jugendamt hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Mit Schreiben vom 12.12.2016 wurde die Kindesmutter darauf hingewiesen, dass die Beschwerde nach Ansicht des Senats keinen Erfolg haben kann und eine Anhörung der Kindesmutter in der Beschwerdeinstanz nicht nachzuholen sei. Hierzu hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 19.12.2016 ergänzend Stellung genommen.

Von einer weitergehenden Darstellung des Sachverhalts wird abgesehen.

II.

Die gemäß § 40 Abs. 2 IntFamRVG, 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss erweist sich auch im Lichte des Beschwerdevorbringens nach Ansicht des Senats als zutreffend.

Zwar sind die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 HKÜ erfüllt. Dabei können die Umstände der Ausreise im Januar 2016 nach Tschechien dahinstehen, da mit dem Amtsgericht davon auszugehen ist, dass A zwischen Januar 2016 und seiner erneuten Einreise nach Deutschland am 30.08.2016 wieder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Tschechien genommen hat, wo er bei seiner Mutter lebte und die Schule besuchte. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens schließt sich der Senat den Ausführungen des Amtsgerichts insoweit an, als davon auszugehen ist, dass der Kindesvater bei der Ausreise von A am 30.08.2016 steuernd mitwirkte und in der Folgezeit die Herausgabe von A an die Antragstellerin ablehnte. Auch war bei Eingang des Antrags die Jahresfrist (vgl. Artikel 12 Abs. 1 HKÜ) noch nicht verstrichen.

Gleichwohl liegen die Voraussetzungen für eine Rückführung nicht vor. Denn zu Recht hat das Amtsgericht die Rückgabe mit Blick auf Artikel 13 Abs. 2 HKÜ aufgrund der Willensäußerungen des 12,5 Jahre alten Kindes abgelehnt. Gemäß Artikel 13 Abs. 2 HKÜ kann die Anordnung der Rückgabe abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, dass sich das Kind der Rückgabe wiedersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen. Eine feste Altersgrenze im Sinne eines erforderlichen Mindestalters für im Rahmen des HKÜ beachtliche Willensäußerungen besteht nicht (vgl. BVerfG, FamRZ, 2006, 1261). Maßgeblich sind damit die Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerfG, FamRZ 1999, 3053 ff.). Nach diesen Maßstäben geht der Senat unter Bezugnahme auf die zutreffenden Erwägungen des Amtsgerichts von einem nachhaltigen und beachtlichen Widersetzen seitens As aus. Ergänzend zu den amtsgerichtlichen Ausführungen ist auch darauf abzustellen, dass es dem erstinstanzlichen Richter und der der Kindesanhörung beiwohnenden Verfahrensbeiständin am Ende der Kindesanhörung am 28.10.2016 laut Vermerk des Richters kaum mehr möglich war, A zu beruhigen, nachdem das Thema der Rückkehr zu seiner Mutter angesprochen worden war und A hier „ganz stark verängstigt und fast panisch“ reagiert und zu weinen begonnen habe.

Soweit die Kindesmutter in ihrer Beschwerdebegründung maßgeblich darauf abstellt, dass die Äußerungen von A entweder auf dessen Wankelmütigkeit oder aber auf eine nachhaltige Beeinflussung des Kindesvaters zurück zu führen seien, so vermag weder die eine noch die andere Erklärung die Beachtlichkeit des Kindeswillens in Frage zu stellen. Im Rahmen des Artikel 13 Abs. 2 HKÜ kommt es maßgeblich darauf an, ob der Kindeswille, der in jedem Fall – auch wenn er beeinflusst ist – psychische Realität ist, bereits so verfestigt ist, dass er nicht mehr einfach, d.h. ohne physischen Schaden anzurichten veränderbar ist (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2016, 1403). Dies ist vorliegend aufgrund der Vehemenz der von A gegenüber dem erstinstanzlichen Richter und der Verfahrensbeiständin geäußerten Ängste zu bejahen, zumal A seine Ängste und seine Motivation für einen Verbleib beim Vater mit Erfahrungen im Haushalt der Kindesmutter aus der Vergangenheit begründen konnte. Diesen Willen zu ignorieren, weil er sich zu einem Zeitpunkt, als er noch bei seiner Mutter lebte, für einen Verbleib bei der Mutter ausgesprochen hat oder weil seine Ausführungen zu seiner Reise nach Tschechien nicht schlüssig sind, würde dem mittlerweile fast 13 Jahre alten Jungen signalisieren, dass seine Ängste und Gefühle von den Erwachsenen nicht berücksichtigt werden und ihn somit zum bloßen Objekt des Verfahrens machen.

Auch die von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19.12.2016 beigefügten eidesstattlichen Versicherungen des Zeugen C und der Halbschwester von A führen zu keiner anderen Beurteilung. Nach den obigen Ausführungen kommt es auf die Umstände der Rückkehr der Kindesmutter mit A am 13.01.2016 nach Tschechien ebenso wenig an, wie auf die Versicherung der Halbschwester, dass der Freund ihrer Mutter kein Drogendealer sei. Soweit sich die Kindeseltern wechselseitig kindeswohlschädigendes Verhalten vorwerfen, so kann dies nicht im vorliegenden Rückführungsverfahren geklärt werden, da dieses Verfahren ausschließlich auf die Herstellung des status quo ante gerichtet ist (Heilmann/Schweppe, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, Art. 1 HKÜ Rn.1).

Die Durchführung eines Termins und eine erneute Anhörung der Kindesmutter oder des Kindes sieht der Senat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht als geboten an. Insofern wurde die persönliche Anhörung von A vom Amtsgericht ausführlich – auch zu den nonverbalen Äußerungen As – dokumentiert. Der Kindesmutter wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben (vgl. Artikel 11 Abs. 5 VO EG Nr. 2201/2003 v. 27.11.2003, Brüssel II a – VO). Soweit die Kindesmutter in der ersten Instanz auf Ihre Anhörung für die „hiesige Instanz“ verzichtet hat, vermag dies nach Auffassung des Senats nicht dazu führen, dass die Anhörung in der Beschwerdeinstanz nachzuholen ist. Hierbei sind die Besonderheiten des HKÜ-Verfahrens und die Vorschriften der einschlägigen Brüssel II a-VO (VO EG Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003) zu beachten, wobei die Brüssel II a -VO in Art. 11 Abs. 5 lediglich vorsieht, dass der die Rückgabe des Kindes begehrenden Person Gelegenheit gegeben wird, gehört zu werden, was vorliegend unzweifelhaft erfolgt ist. Im Lichte dieser Vorschriften und vor dem Hintergrund der besonderen Eilbedürftigkeit des Verfahrens (vgl. Art. 11 Abs. 3 Brüssel II a-VO) ist eine persönliche Anhörung der Kindesmutter i. S. v. § 160 Abs. 1 FamFG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorliegend nicht geboten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 Nr. 2 IntFamRVG in Verbindung mit § 84 FamFG. Die Festsetzung des Geschäftswerts hat ihre Rechtsgrundlage in § 14 Nr. 2 IntFamRVG i. V. m. § 42 Abs. 3 FamGKG. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht konnte der Kindesmutter keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden (§ 76 FamFG i. V. m. 114 ZPO).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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