OLG Frankfurt am Main, 29.09.2014 – 1 U 55/13

April 17, 2019

OLG Frankfurt am Main, 29.09.2014 – 1 U 55/13
Leitsatz

1. Ein Antrag auf Prozesskostenhilfe hemmt die Verjährung nur, wenn das Gericht ihn dem Gegner bekannt gibt.

2. Hierzu ist das Gericht nur verpflichtet, wenn der Antragsteller mit dem Amtrag auf den drohenden Eintritt der Verjährung hinweist und um die zügige Veranlassung der Bekanntgabe unabhängig von den Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung bittet. Dies gilt auch für einen nicht anwaltlich vertretenen Antragsteller.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 19.12.2012 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das vorliegende Urteil ist ebenfalls vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des jeweiligen Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1

I. Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen von ihm geltend gemachter Amtspflichtverletzungen durch Zivilgerichte, zum einen wegen Versagung von Prozesskostenhilfe durch den 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main für ein Berufungsverfahren im Jahre 2006, mit welchem er eine Hebamme auf Schadensersatz in Anspruch nehmen wollte, zum anderen wegen der Nichtbekanntgabe eines auf diese Schadensersatzforderung bezogenen Prozesskostenhilfegesuchs an das beklagte Land, sofern eine solche Schadensersatzforderung deswegen verjährt sein sollte.
2

Bei der Geburt des Klägers im Jahre 1977 kam es zu erheblichen Komplikationen; es bestand aufgrund einer Asphyxie (Atemlähmung) der Zustand einer infantilen Cerebralparese (Gehirnlähmung), die beim Kläger eine erhebliche Störung der Fein- und Grobmotorik und der Sprache zur Folge hat.
3

In einem ersten Rechtsstreit nahm der Kläger den Gynäkologen, welcher an der der Geburt beteiligt war, und die Hebamme, die zeitlich nach einer anderen tätig war, auf Schadensersatz in Anspruch. Beide wurden durch Urteil des Landgerichts Hanau vom 10.03.1993 – 4 O 416/87 (Anl. K 1 zur Klageschrift) als Gesamtschuldner zu erheblichen Zahlungen von Schmerzensgeld und Schadensersatz an ihn wegen vermehrter Bedürfnisse einschließlich einer monatlichen Mehrbedarfsrente verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Gynäkologen wurde zurückgewiesen; auf die Berufung der Hebamme wurde die gegen sie gerichtete Klage abgewiesen mit der Begründung, nach dem damals eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten stehe die Ursächlichkeit der von ihr begangenen Fehler angesichts der vom Gynäkologen zu vertretenden weiteren geburtshilflichen Behandlungsfehler nicht mit hinreichender Sicherheit fest (Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29.03.1994 – 8 U 82/93, Anl. K 2). Die hiergegen vom Gynäkologen als Streithelfer für den damaligen Kläger eingelegte Revision nahm der Bundesgerichtshof nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 07.03.1995 – VI ZR 162/94, Anl. K 3). Aufgrund eines Abfindungsvergleichs vom Februar 1996 zahlten der Gynäkologe und seine Haftpflichtversicherung unter Abgeltung aller Schadensersatzansprüche bekannter oder nicht bekannter Art auch für die Zukunft einen Betrag von 800.000 DM nebst Zinsen, insgesamt 957.000 DM. Von diesem Geld ist nichts mehr vorhanden.
4

In einem zweiten Rechtsstreit nahm der Kläger nunmehr die Hebamme X auf Schadensersatz in Anspruch. Diese hatte seine Mutter ab deren Eintreffen im Krankenhaus zunächst für einige Stunden betreut, bevor dies die in dem erstgenannten Rechtsstreit verklagte Hebamme übernommen hatte. Er verlangte Feststellung der Schadensersatzpflicht und Zahlung einer monatlichen Mehrbedarfsrente, die aufgrund gestiegenen Mehrbedarfs deutlich höher anzusetzen sei als die ursprünglich ausgeurteilte Rente. Diese Klage wies das Landgericht Hanau mit Urteil vom 27.04.2006 (Anl. K 5) ab. Mit Beschluss vom 25.09.2006 – 8 U 137/06 – (Anl. K 13) versagte der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main die beantragte Prozesskostenhilfe für eine Berufung gegen dieses Urteil. Die hiergegen gerichtete Gehörsrüge wies dieser Senat mit Beschluss vom 15.11.2006 (Anl. K 19) zurück, mit Beschluss vom selben Tag verwarf dieser Senat die Berufung in dem dortigen Rechtsstreit (Anl. nach K 19). Beide Beschlüsse wurden dem Kläger am 28.11.2006 zugestellt.
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Mit einem am 29.12.2009 beim Landgericht eingegangenen Prozesskostenhilfegesuch vom 24.12.2009 (Anl. K 21) machte der Kläger erstmals geltend, die Versagung der Prozesskostenhilfe durch den 8. Zivilsenat stelle eine schuldhafte Amtspflichtverletzung dar, das beklagte Land habe deshalb den Schadensersatz zu leisten, welcher ihm durch die Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe für die Berufung im Rechtsstreit gegen die Hebamme X entgangen sei. Der Senat habe in einer im Prozesskostenhilfeverfahren rechtlich unzulässigen Weise eine antizipierte Beweiswürdigung auf der Grundlage des im ersten Rechtsstreit eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens dahingehend vorgenommen, dass der Kläger nicht beweisen könne, dass der beklagten Hebamme ein für seinen Geburtsschaden kausaler Behandlungsfehler unterlaufen sei; dabei habe das Gericht sein gegenüber dem ersten Rechtsstreit neues Vorbringen unzureichend berücksichtigt. Einen Antrag, die Bekanntgabe des Prozesskostenhilfegesuchs unabhängig von dessen Erfolgsaussichten an das beklagte Land zu veranlassen, stellte der Kläger als dortiger Antragsteller nicht.
6

Das Landgericht gab das Prozesskostenhilfegesuch dem beklagten Land nicht bekannt und wies den Antrag mit Beschluss vom 19.02.2010 zurück (Bl. 223 ff. der Beiakte 2-04 O 599/09). Auf die sofortige Beschwerde des dortigen Antragstellers und nach Erledigung eines Ablehnungsgesuchs gelangte die Akte am 09.07.2010 an den erkennenden Senat als Beschwerdegericht. Dieser wies mit Beschluss vom 26.01.2011 – 1 U 37/10 (Bl. 263 ff. der genannten Beiakte) die sofortige Beschwerde zurück, da er – nach dem Maßstab für richterliches Handeln außerhalb des sog. Richterspruchprivilegs (§ 839 Abs. 2 BGB) – keine besonders grobe, schuldhafte Amtspflichtverletzung durch den 8. Zivilsenat hatte feststellen können. Dieser Beschluss wurde dem damaligen Antragsteller am 03.02.2011 zugestellt (Bl. 281 der Beiakte).
7

Der Kläger stellte sodann mit am 11.04.2011 eingegangenem Schriftsatz ein weiteres Prozesskostenhilfegesuch für eine beabsichtigte Klage mit denselben Anträgen wie im Gesuch vom 29.12.2009 mit der Begründung, über das erste Prozesskostenhilfegesuch sei falsch entschieden worden; es sei zu Unrecht für richterliches Handeln außerhalb des Richterspruchprivilegs ein eingeschränkter Haftungsmaßstab angelegt worden. Das Landgericht wies diesen zweiten Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 18.04.2011 zurück (im PKH-Heft der Beiakte 2-04 O 142/11). Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 16.05.2011 (1 W 28/11, Bl. 48 der genannten Beiakte) zurück, die hiergegen gerichtete Gehörsrüge verwarf er mit Beschluss vom 25.05.2014 (Bl. 54 der genannten Beiakte) als unzulässig.
8

Mit am 02.08.2011 per Fax eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit erneut Amtshaftungsklage auf Ersatz aller durch die Nichtgewährung der Prozesskostenhilfe durch den 8. Zivilsenat entgangener Ersatzleistungen seitens der Hebamme X erhoben. Er hat auch hier geltend gemacht, die Versagung der Prozesskostenhilfe für die Berufung gegen die Hebamme X durch den 8. Zivilsenat stelle eine Amtspflichtverletzung dar, für welche das beklagte Land einzustehen habe. Er wiederholt sein Vorbringen, dieser Senat habe in einer im Prozesskostenhilfeverfahren rechtlich unzulässigen Weise eine antizipierte Beweiswürdigung auf der Grundlage des im ersten Rechtsstreit eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens dahingehend vorgenommen, dass der Kläger nicht beweisen könne, dass der beklagten Hebamme ein für seinen Geburtsschaden kausaler Behandlungsfehler unterlaufen sei; dabei habe das Gericht sein gegenüber dem ersten Rechtsstreit neues Vorbringen unzureichend berücksichtigt. Er hat die Auffassung vertreten, die Ansprüche wegen des Fehlverhaltens des 8. Zivilsenats seien nicht verjährt. Der Kläger habe als juristischer Laie davon ausgehen dürfen, dass sein am 29.12.2009 eingegangenes Prozesskostenhilfegesuch die Verjährung der Ansprüche hemme. Das Landgericht sei verpflichtet gewesen, den bei seiner Antragstellung anwaltlich nicht vertretenen Kläger darauf hinzuweisen, dass die Zustellung von Prozesskostenhilfeanträgen nicht von Amts wegen erfolge. Im Übrigen sei für das Gericht ersichtlich gewesen, dass der Klage sein damaliges Gesuch in den letzten Tagen des Jahres 2009 gerade zur Hemmung der Verjährung eingereicht habe. Er hat weiter die Auffassung vertreten, dass selbst dann, wenn die Schadensersatzansprüche aus dem Fehlverhalten des 8. Zivilsenats aufgrund der mangelnden Bekanntgabe des am 29.12.2009 eingegangenen Prozesskostenhilfegesuchs verjährt sein sollten, sich hieraus ebenfalls Amtshaftungsansprüche gegen das beklagte Land ergäben; denn dieses hafte dann für die unterlassene Bekanntgabe durch das Landgericht.
9

Wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens 1. Instanz wird auf seine Schriftsätze vom 02.08.2011 (Bl. 1a d. A.), 06.02.2012 (Bl. 58 d. A.), 09.05.2012 (Bl. 68 d. A.) und 04.12.2012 (Bl. 100 d. A.) nebst Anlagen verwiesen.
10

Auf die Anforderung des Landgerichts vom 15.08.2011 bezüglich des Vorschusses auf die Verfahrensgebühr (Vorblatt I) hat der Kläger diesen nicht gezahlt, sondern mit am 17.11.2011 eingegangenem Schriftsatz (Bl. 47 d. A.) einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für die vorliegende Klage gestellt. Dieser Antrag ist dem beklagten Land daraufhin – zur Stellungnahme im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens – mit Verfügung des Kammervorsitzenden vom 22.11.2011 (Bl. 46 R d. A.) am 25.11.2011 (Bl. 49 d. A.) bekannt gegeben worden. Mit Beschluss vom 15.03.2012 (Bl. 61 d. A.) hat das Landgericht den Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 24.05.2012 – 1 W 29/12 (Bl. 75 d. A.), dem Kläger zugestellt am 30.05.2012 (Bl. 81 d. A.), zurückgewiesen. Der Kläger hat dann am 17.08.2012 die Verfahrensgebühr eingezahlt. Daraufhin ist die Klage dem beklagten Land am 13.09.2012 zugestellt worden (Bl. 92 d. A.).
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Das beklagte Land ist der Klage entgegengetreten. Es hat die Auffassung vertreten, eine einen Amtshaftungsanspruch begründende Pflichtverletzung der Richter des 8. Zivilsenats durch die Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrags und der nachfolgenden Gehörsrüge sei nicht gegeben. Es hat die Einrede der Verjährung bezüglich etwaiger Amtshaftungsansprüche wegen dieser Beschlüsse erhoben. Es hat die Auffassung vertreten, eine Verpflichtung des Landgerichts in dem Prozesskostenhilfeverfahren 2-04 O 599/09, den am 29.12.2009 eingegangenen Prozesskostenhilfeantrag dem beklagten Land bekannt zu machen, habe nicht bestanden, da eine solche Bekanntgabe nicht beantragt war. Abgesehen davon wäre selbst dann, wenn man die Unterlassung der Bekanntgabe des genannten Prozesskostenhilfeantrags als amtspflichtwidrig ansehen wollte, aufgrund des weiteren Laufs der Dinge Verjährung eingetreten. Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 26.09.2012 (Bl. 93 ff. d. A.) verwiesen.
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Mit dem angefochtenen Urteil vom 19.12.2012 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung gemäß Art. 34 GG / § 839 BGB zu, da es an einer schuldhaften Amtspflichtverletzung im Rahmen der Verweigerung von Prozesskostenhilfe durch die Richter des 8. Zivilsenats fehle. Deshalb komme es nicht auf die Frage an, ob sich das beklagte Land auf die Nichtbekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags im Verfahrens 2-04 O 599/09 und damit auf Verjährung des genannten Amtshaftungsanspruchs berufen könne, oder ob nunmehr infolge der Nichtbekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags Amtshaftungsansprüche begründet sein könnten.
13

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Wegen der Einzelheiten wird auf seinen Schriftsatz vom 17.04.2013 (Bl. 157 ff. d. A.) Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt nach teilweiser Rücknahme der Berufung,
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I. das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19.12.2012 mit dem Aktenzeichen 2-04 O 308/11 abzuändern, (…)
IV. das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger ab dem 01.10.2011 einen vierteljährlich vorauszuzahlenden Betrag i.H. von 1.800,00 €, jeweils im Voraus zum 1.1., 1.4., 1.7., 1.10. eines jeden Jahres zu zahlen, abzüglich solcher Beträge, welche der Kläger gem. § 116 SGB X von Sozialversicherungsträgern oder sonstigen Dritten erhält,
V. festzustellen, dass das beklagte Land dem Kläger zum Ersatz aller materiellen Schäden verpflichtet ist, welche ihm anlässlich der fehlerhaften Geburtsbetreuung durch die Hebamme X noch entstehen werden, soweit solche Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
18

Es verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 25.07.2013 (Bl. 173 d. A.) verwiesen.
19

Es sind beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden die Akten 2-04 O 599/09 Landgericht Frankfurt am Main = 1 W 37/10 Oberlandesgericht Frankfurt am Main und 2-04 O 142/11 Landgericht Frankfurt am Main = 1 W 28/11 Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
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II. Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Ihm steht gegen das beklagte Land kein Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung (Art. 34 GG / § 839 BGB) zu. Etwaige Ansprüche wegen der Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe für eine Berufung im Rechtsstreit gegen die Hebamme X durch den 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main sind jedenfalls verjährt (dazu unten A.). Eine schuldhafte, zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung ergibt sich auch nicht daraus, dass der am 29.12.2009 eingegangene Prozesskostenhilfeantrag des Klägers betreffend die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen der Entscheidung des 8. Zivilsenats nicht alsbald an das beklagte Land bekannt gegeben worden ist und aufgrund dessen die beschriebene Verjährung eingetreten ist (dazu unten B. 1.). Jedenfalls ist eine solche vermeintliche Amtspflichtverletzung für die zwischenzeitlich eingetretene Verjährung nicht ursächlich geworden; denn Verjährung wäre aufgrund des weiteren prozessualen Verhaltens des Klägers auch dann eingetreten, wenn der Prozesskostenhilfeantrag alsbald an das beklagte Land bekannt gegeben worden wäre und damit die Verjährung zunächst gehemmt hätte (dazu unten B. 2.).
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A. Etwaige Amtshaftungsansprüche des Klägers wegen amtspflichtwidriger, das beklagte Land zu Schadensersatz verpflichtender Entscheidungen der Richter des 8. Zivilsenats sind verjährt.
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1. Gemäß § 195 beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt. Dieser Verjährungsbeginn ist hier mit Ablauf des 31.12.2006 anzusetzen. Der Kläger erlangte Kenntnis von dem Beschluss vom 15.11.2006 über die Zurückweisung seiner Gehörsrüge, welche er gegen die Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug in dem Berufungsverfahren 8 U 137/06 eingelegt hatte, und ebenso von der Verwerfung seiner Berufung mit Beschluss vom selben Tage mit Zustellung dieser Beschlüsse am 28.11.2006. Zu diesem Zeitpunkt ist der etwaige Schadensersatzanspruch auch entstanden. Die dreijährige Verjährungsfrist lief demnach bis 31.12.2009.
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2. Zu diesem Zeitpunkt ist auch Verjährung eingetreten. Der am 29.12.2009 eingegangene Prozesskostenhilfeantrag des Klägers für die wegen der Versagung der Prozesskostenhilfe beabsichtigte Amtshaftungsklage vermochte den Lauf der Verjährungsfrist nicht zu hemmen. Das wäre gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB nur dann der Fall gewesen, wenn das Landgericht eine Bekanntgabe an den Antragsgegner veranlasst hätte; die bloße Antragstellung genügt nach dem klaren Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers für die Fassung dieser Vorschrift nicht, um die Verjährungshemmung in Gang zu setzen (vgl. BGH, Urt. v. 24.01.2008 – IX ZR 195/06, NJW 2008, 1939 [juris Rn. 7 ff. m. w. N.]). Wird die danach erforderliche Bekanntgabe „demnächst“ veranlasst, tritt gemäß § 214 Abs. 1 Nr. 14, 2. Halbs. BGB die Hemmung der Verjährung bereits mit dem Eingang des Antrags bei Gericht ein. „Demnächst“ ist eine Bekanntgabe dann erfolgt, wenn sie in einem nicht allzu erheblichen zeitlichen Abstand vom Fristablauf erfolgt. Dieser Zeitraum ist – bei Unschärfe in der genauen Grenze – auf einen Zeitraum von 14 Tagen bis zu einem Monat und 14 Tagen zu bestimmen (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 167 Rn. 10, 11). In diesem Zeitraum erfolgte hier keine Veranlassung der Bekanntgabe. Mithin konnte eine solche auch nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht zurückwirken.
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3. Die vom Kläger später eingereichten weiteren Prozesskostenhilfegesuche in derselben Angelegenheit vom 11.04.2011 – 2-04 O 142/11 – und vom 14.11.2011 betreffend den vorliegenden Rechtsstreit waren von vornherein nicht geeignet, die Verjährung von Amtshaftungsansprüchen wegen der Entscheidung des 8. Zivilsenats zu unterbrechen, da zum Zeitpunkt des Eingangs der Gesuche die Verjährungsfrist bereits abgelaufen war.
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B. Einen Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land kann der Kläger auch nicht darauf stützen, dass eine Verjährung seines ursprünglich geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs wegen der Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe durch den 8. Zivilsenat dadurch eingetreten ist, dass sein am 29.12.2009 eingegangenes Prozesskostenhilfegesuch nicht alsbald dem beklagten Land bekanntgegeben wurde.
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1. Das Landgericht hat seine Amtspflichten nicht dadurch verletzt, dass es den Prozesskostenhilfeantrag nicht alsbald dem beklagten Land zwecks Bekanntgabe zugeleitet hat.
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a) Ein Gericht ist nicht verpflichtet, von Amts wegen ein Prozesskostenhilfegesuch vorab dem Gegner zur Stellungnahme bekannt zu geben. Nach weithin vertretener Auffassung, welcher der Senat folgt, kann das Gericht die Bekanntgabe an die Gegenseite unterlassen, wenn es meint, diesen Antrag nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers abweisen zu können; denn dann braucht dem Gegner zu dem Vorbringen des Antragstellers kein rechtliches Gehör gewährt zu werden (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 118 Rn. 3; Musielak-Fischer, ZPO, 14. Aufl. 2014, § 118 Rn. 3; MünchKommZPO-Motzer, 4. Aufl. 2013, § 118 Rn. 7; BeckOK ZPO-Reichling, Ed. 13, Stand 15.06.2014, § 118 Rn. 6, 6.1; vgl. zu Nachweisen zur vereinzelt vertretenen Gegenmeinung BGH, Urt. v. 24.01.2008, a.a.O., juris Rn. 17). Will der Antragsteller sicher gehen, dass der Antrag zwecks Verjährungshemmung der Gegenseite demnächst bekannt gegeben wird, kann er das Gericht darauf hinweisen, dass die Verjährung gehemmt werden solle, und deshalb darum bitten, unabhängig von den Erfolgsaussichten des Prozesskostenhilfegesuchs dessen Bekanntgabe zu veranlassen; dem hat dann das Gericht zu entsprechen (BGH, a.a.O.). Ein derartiges Verhalten ist einem Antragsteller auch zumutbar, denn bereits die Lektüre des Gesetzes mit der ausdrücklichen Festlegung der Rückwirkung einer demnächst erfolgenden Bekanntgabe auf den Zeitpunkt der Einreichung des Antrags im 2. Halbsatz der Vorschrift gibt zu einem solchen Verhalten Anlass (BGH, a.a.O.). Diese Anforderung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 19.07.2010 – 1 BvR 1873/09, NJW 2010, 3083 [juris Rn. 16]).
28

An einem solchen Hinweis des Klägers fehlte es hier.
29

b) Das Landgericht war auch nicht verpflichtet, besonders darauf hinzuweisen, dass die Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs allein noch nicht zur Hemmung der Verjährung geeignet war. Zwar war der Kläger damals anwaltlich nicht vertreten. Bereits bei unbefangener Lektüre der Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB wurde aber deutlich, dass die Einreichung des Antrags nicht ausreichte, sondern eine Veranlassung der Bekanntgabe an den Gegner erforderlich war. Es wäre demnach Sache des Klägers als des Antragstellers gewesen, nachzufragen, ob eine Bekanntgabe an das beklagte Land demnächst erfolgt war. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Bundesgerichtshof in dem zitierten Urteil v. 24.01.2008 darauf abgestellt hat, dass der dortige Antragsteller selbst Anwalt sei und deshalb die Gesetzeslage habe kennen müssen. Denn dies erscheint angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift nur als zusätzlicher, nicht tragender Hinweis darauf, dass der dortige Antragsteller eine entsprechende Bitte um Bekanntgabe hätte äußern oder aber jedenfalls bei Gericht vorsorglich hätte nachfragen müssen, ob eine Bekanntgabe erfolgt war. Eine solche Nachfrage wäre entgegen seiner Auffassung auch dem hiesigen Kläger möglich gewesen, denn es hätte gereicht, wenn diese innerhalb des Zeitraums von vier bis sechs Wochen erfolgt wäre, in dem eine Bekanntgabe noch als „demnächst“ veranlasst anzusehen gewesen wäre.
30

c) Zu einer anderen Betrachtung zwingt auch nicht der Umstand, dass das Prozesskostenhilfegesuch am 29.12.2009 eingereicht wurde. Zwar mag das Datum der Einreichung nahelegen, dass durch Bekanntgabe des Schriftsatzes die Hemmung einer Verjährung herbeigeführt werden sollte. Die dargestellte Obliegenheit des Antragstellers, auf eine drohende Verjährung ausdrücklich hinzuweisen und eine zeitnahe Veranlassung der Bekanntgabe des Gesuchs zu erbitten, bestand aber schon unter Berücksichtigung der weitreichenden Folgen der beabsichtigten Klageerhebung für ihn (vgl. zu einer solchen Wertung BVerfG, a.a.O., juris Rn. 17). Er durfte sich nicht darauf verlassen, dass ohne einen Hinweis auf den drohenden Ablauf der Verjährungsfrist das Gericht gerade diesen Punkt von sich aus innerhalb einer als „demnächst“ anzusehenden Zeitspanne prüfen würde, zumal etwaige weitere, vorangehende Hemmungstatbestände dem Gericht naturgemäß nicht bekannt sein konnten.
31

d) Keinen für den Eintritt der Verjährung ursächlichen Pflichtenverstoß stellt es dar, dass das Prozesskostenhilfegesuch auch dann nicht an das beklagte Land bekannt gegeben wurde, als der Kläger sich mit Schreiben vom 13.04.2010 beim Präsidenten des Landgerichts Frankfurt am Main darüber beschwert hatte, dass ihm weder der Eingang seines Antrags bestätigt noch der Antrag der Gegenseite zugestellt worden sei. Denn zu diesem Datum war der Zeitraum, in dem eine „demnächst“ erfolgende Bekanntgabe des Antrags die Verjährung bereits ab der Einreichung des Gesuchs hätte hemmen können, schon abgelaufen. Die Rechtsfolge einer Hemmung der Verjährung bezogen auf den Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs konnte nicht mehr herbeigeführt werden, die Schadensersatzansprüche waren zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt.
32

2. Selbst wenn man entgegen den vorangehenden tragenden rechtlichen Erwägungen annehmen wollte, es sei als schuldhafte Amtspflichtverletzung anzusehen, dass der am 29.12.2009 eingegangene Prozesskostenhilfeantrag nicht alsbald dem beklagten Land bekannt gegeben wurde, könnte auch dies einen Schadensersatzanspruch des Klägers nicht begründen. Denn eine solche Pflichtverletzung wäre nicht ursächlich für einen Verjährungseintritt. Es ist nämlich zwischenzeitlich aus anderen Gründen Verjährung eingetreten.
33

a) Wäre der Prozesskostenhilfeantrag alsbald bekannt gegeben worden, hätte diese Bekanntgabe den Lauf der Verjährungsfrist gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB), und zwar gemäß § 167 ZPO rückwirkend auf den Tag des Eingangs des Prozesskostenhilfegesuchs. Diese Hemmung hätte gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB sechs Monate nach dem formell rechtskräftigen Abschluss des Prozesskostenhilfeverfahrens geendet, wobei für die Berechnung der Sechs-Monats-Frist auf den Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung abzustellen ist (MünchKommBGB-Grothe, 6. Aufl. 2012, § 204 Rn. 106 m. w. N.). Da das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht in seinem Beschluss vom 26.01.2011 – 1 W 37/10 – die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat und dies mit einem ordentlichen Rechtsbehelf nicht angreifbar ist, hätte die Sechs-Monats-Frist mit Zustellung des Beschlusses am 03.02.2011 (Bl. 281 der Beiakte 2-04 O 599/09) begonnen. Die Hemmung hätte dann am 03.08.2011 geendet. Die Verjährungsfrist wäre demnach aufgrund der Hemmung bis zum 06.08.2011 gelaufen. Denn gemäß § 209 BGB wird der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Da der Tag, in dessen Verlauf der Hemmungsgrund entsteht oder wegfällt, zur Hemmungszeit gehört (BGH NJW 1998, 1058 [BGH 20.11.1997 – IX ZR 136/97]), betrug der noch nicht abgelaufene Teil der Verjährungsfrist drei Tage; die Zeit zwischen dem Eingang des Prozesskostenhilfegesuchs bei Gericht am 29.12.2009 bis zum 31.12.2009.
34

b) Zum 06.08.2011 wäre aber auch dann Verjährung eingetreten, wenn – wie hier im Rahmen der Hilfsbegründung unterstellt – das Prozesskostenhilfegesuch vom 29.12.2009 alsbald bekannt gegeben worden wäre und daher den Lauf der Verjährungsfrist hätte hemmen können.
35

(1) Zum einen hätte der Eingang der vorliegenden Klage den Lauf der Verjährungsfrist nicht erneut gehemmt. Zwar erfolgte der Eingang der Klage beim Landgericht per Fax bereits am 02.08.2011. Dieser Eingang hatte aber keine gemäß § 167 ZPO verjährungshemmende Wirkung. Denn die Klage ist dem beklagten Land erst am 13.09.2012 und damit nicht mehr „demnächst“ in dem oben erörterten Sinn zugestellt worden, da der Kläger erst am 17.08.2012 den Kostenvorschuss eingezahlt hat (Vorblatt III d. A.).
36

(2) Zum anderen wären auch die weiteren Prozesskostenhilfeanträge des Klägers in derselben Angelegenheit vom 11.04.2011 – 2-04 O 142/11 – und vom 14.11.2011 betreffend den vorliegenden Rechtsstreit von vornherein nicht geeignet gewesen, die Verjährung erneut zu hemmen. Denn gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB entfaltet nur der erstmalige Prozesskostenhilfeantrag in – was hier der Fall ist – derselben Sache eine Hemmungswirkung; der Gesetzgeber hat die Hemmungswirkung bewusst auf den erstmaligen Prozesskostenhilfeantrag beschränkt. Eine Wiederholung würde selbst dann keine Hemmungswirkung entfalten, wenn der erste Antrag zu Unrecht zurückgewiesen worden sein sollte (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, 73. Aufl. 2014, § 204 Rn. 31). Zwar löst ein Antrag, welcher der Gegenseite nicht bekannt gegeben worden ist, sondern ohne deren Anhörung abgelehnt wurde, keine Hemmung der Verjährung aus; in einem solchen Fall wäre ein weiterer, nunmehr dem Gegner bekannt gegebener Antrag als „erstmaliger“ Antrag i. S. d. § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB zu behandeln (vgl. BGH, Urt. v. 02.12.2008 – XI ZR 525/07, NJW 2009, 1137 [juris Rn. 22]). Dieser Gesichtspunkt ist aber für den hier hilfsweise erörterten fiktiven Kausalverlauf ohne Bedeutung; denn es wird – wie ausgeführt – gerade unterstellt, dass der erste Prozesskostenhilfeantrag dem beklagten Land bekannt gegeben worden ist.
37

C. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen, da sein Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
38

D. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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