OLG Frankfurt am Main, 19.11.2013 – 6 U 210/13

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 19.11.2013 – 6 U 210/13
Leitsatz

1. Über die Frage der Berufungsrücknahme ist auch dann durch einen Verlustigkeits- und Kostenbeschluss nach § 516 III ZPO zu entscheiden, wenn zwischen den Parteien Streit über die Wirksamkeit der Rücknahme besteht.

2. Legen namens der unterlegenen Partei zwei Prozessbevollmächtigte unabhängig voneinander Berufung ein und nimmt einer von ihnen sodann die Berufung zurück, bewirkt dies grundsätzlich den Verlust des – einheitlich zu behandelnden – Rechtsmittels. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich aus der Erklärung deutlich ergibt, dass diese nur die von dem betreffenden Prozessbevollmächtigten abgegebene Prozesshandlung betreffen soll und dieser Prozessbevollmächtigte sich somit lediglich für seine Person aus dem Verfahren zurückziehen will (im Streitfall verneint).
Tenor:

Die Beklagte ist des eingelegten Rechtsmittels der Berufung gegen das am 27.8.2013 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt verlustig; ihr werden die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 7.000,- € festgesetzt.
Gründe
1

I.

Das angefochtene Urteil ist den für die erste Instanz bestellten Prozessbevollmächtigten der Beklagten (A Rechtsanwälte) am 30.8.2013 zugestellt worden.
2

Mit Schriftsatz vom 27.9.2013 (Bl. 220, 226 d.A.), bei Gericht per Telefax eingegangen am selben Tage, hat sich Rechtsanwältin B als Prozessbevollmächtigte der Beklagten bezeichnet, für die Beklagte Berufung gegen das Urteil eingelegt und Akteneinsicht beantragt. Mit Schriftsatz vom 30.9.2013 (Bl. 234 d.A.), bei Gericht eingegangen am selben Tage, hat Rechtsanwalt C die „A Rechtsanwälte“ ebenfalls als Prozessbevollmächtigte der Beklagten bezeichnet und namens und in Vollmacht der Beklagten Berufung gegen das Urteil mit dem Hinweis eingelegt, die Einlegung der Berufung erfolge derzeit lediglich fristwahrend.
3

Mit Schriftsatz vom 1.10.2013 (Bl. 237, 241 d.A.) hat Rechtsanwalt C die „A Rechtsanwälte“ wiederum als Prozessbevollmächtigte der Beklagten bezeichnet und erklärt: „… nehmen wir die am 30.9.2013 fristwahrend eingelegte Berufung zurück“.
4

Der Senatsvorsitzende hat mit Verfügungen vom 15.10.2013 (Bl. 245 d.A.) und vom 1.11.2013 (Bl. 263 d.A.) darauf hingewiesen, dass die Berufung durch den Schriftsatz des Rechtsanwalts C vom 1.10.2013 wirksam zurückgenommen worden sein könnte.
5

Die Beklagte ist der Auffassung, die Berufung sei nicht wirksam zurückgenommen worden, und trägt vor, Rechtsanwalt C sei nach einem erkennbar vorgenommenen Anwaltswechsel zur Einlegung der Berufung nicht bevollmächtigt gewesen; sie habe ihm mitgeteilt, dass die Vollmacht nach Abschluss der ersten Instanz beendet sei. Im Übrigen habe sich die Rücknahmeerklärung von Rechtsanwalt C nur darauf bezogen, dass die von ihm eingelegte Berufung nicht weiterverfolgt werden solle.
6

Der Kläger hält die Berufungsrücknahme für wirksam.
7

II.

Die Beklagte war gemäß § 516 III ZPO des eingelegten Rechtsmittels der Berufung für verlustig zu erklären; gleichzeitig waren ihr die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Denn die zunächst eingelegte Berufung ist mit Schriftsatz des Rechtsanwalts C vom 1.10.2013 wirksam zurückgenommen worden.
8

1.

Auch wenn über die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme Streit besteht, ist über diese Frage – soweit das Berufungsgericht die Berufungsrücknahme für wirksam hält – durch einen Verlustigkeits- und Kostenbeschluss nach § 516 III ZPO zu entscheiden. Dies hat der Bundesgerichtshof (vgl. NJW 1995, 2229) bereits für die Regelung des § 515 III ZPO a.F. ungeachtet des Umstandes entschieden, dass nach damaliger Rechtslage (§ 515 III 3 ZPO a.F.) ein solcher Beschluss unanfechtbar war. Etwaigen Bedenken hiergegen (vgl. hierzu die Literaturnachweise in der genannten Entscheidung) ist mittlerweile die Grundlage entzogen, nachdem heute gegen einen Beschluss nach § 516 III ZPO unter den Voraussetzungen des § 574 ZPO das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben ist.
9

2.

Legen namens der unterlegenen Partei zwei Prozessbevollmächtigte unabhängig voneinander Berufung ein und nimmt einer von ihnen „die Berufung“ ohne einschränkenden Zusatz zurück, so bewirkt dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. NJW 2007, 3640 [BGH 30.05.2007 – XII ZB 82/06]; juris-Tz. 25) den Verlust des – insoweit einheitlich zu behandelnden – Rechtsmittels. Diese Voraussetzungen sind auch hier erfüllt.
10

Die Rücknahmeerklärung im Schriftsatz des Rechtsanwalts C enthielt keine erkennbare Beschränkung dahin, dass diese Erklärung nur die von ihm abgegebene Prozesshandlung betreffen solle und er sich somit für seine Person aus dem Berufungsverfahren zurückziehen wolle (vgl. dazu BGH a.a.O., juris-Tz. 26). Der Wortlaut der Erklärung im Schriftsatz vom 1.10.2013 bezieht sich auf das Rechtsmittel selbst („die … Berufung“) und nicht etwa nur auf die von Rechtsanwalt C zuvor abgegebene Prozesserklärung. Dass dabei ergänzend das Datum der Berufungseinlegung genannt wurde („… am 30.9.2013 fristwahrend eingelegte …“), diente aus Sicht des Erklärungsempfängers lediglich der Konkretisierung des Rechtsmittels. Ein anderer objektiver Erklärungsinhalt ergibt sich auch nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit (vgl. hierzu BGH a.a.O., juris-Tz. 27) aus den sonstigen Umständen. Zwar mochte der etwa zeitgleiche Eingang zweier Berufungsschriften sowie der Umstand, dass einerseits die jetzige Beklagtenvertreterin (Rechtsanwältin B) mit ihrer Berufungsschrift Akteneinsicht verlangt und andererseits Rechtsanwalt C in seiner Berufungsschrift die Berufung nur als fristwahrend eingelegt bezeichnet hat, die Vermutung nahelegen, dass nach einem beabsichtigten Anwaltswechsel die beiden Prozessbevollmächtigten von den jeweiligen Prozesserklärungen des jeweils anderen nichts wussten. Diese Vermutung allein reicht aber nicht aus, um der nach ihrem objektiven Gehalt auszulegenden Rücknahmeerklärung im Schriftsatz des Rechtsanwalts C entgegen ihrem Wortlaut einen anderen Sinn beizulegen (vgl. BGH a.a.O., juris-Tz. 28).
11

Rechtsanwalt C hatte zum Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung vom 1.10.2013 auch die hierfür erforderliche Prozessvollmacht der Beklagten. Die in erster Instanz erteilte Prozessvollmacht erstreckte sich nach § 81 ZPO sowohl auf die Einlegung der Berufung als auch auf deren Rücknahme (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 71. Aufl., Rdz. 8 zu § 81; Zöller-Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., Rdz. 3 zu § 81).
12

Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die Prozessvollmacht des Rechtsanwalts C sei bereits zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung durch ihn am 30.9.2013 beendet gewesen, was auch mit der Berufungsschrift der derzeitigen Beklagtenvertreterin (Rechtsanwältin B) vom 27.9.2013, in der sich diese als Prozessbevollmächtigte bezeichnet habe, angezeigt worden sei. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob darin, dass sich ein weiterer Anwalt als (alleiniger) Prozessbevollmächtigter bezeichnet, zugleich die Anzeige gesehen werden kann, dass die Prozessvollmacht des ersten Prozessbevollmächtigten erloschen sei (so BSG NJW 1990, 600 [BSG 26.07.1989 – 11 RAr 31/88]; offengelassen in BGH a.a.O.; juris-Tz. 32). Denn jedenfalls war zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung durch Rechtsanwältin B am 27.9.2013 die Prozessvollmacht des Rechtsanwalts C noch nicht beendet. Rechtsanwalt C hat mit Schriftsatz vom 22.10.2013 (Bl. 256 ff. d.A.) ausgeführt, er habe seine Berufungsschrift am 30.9.2013 deswegen fristwahrend eingelegt, weil er mit der Beklagten die Sache bis dahin nicht hatte abschließend erörtern können; erst am Morgen des 1.10.2013 habe die Beklagte ihm mitgeteilt, dass sie eine Berufungseinlegung durch ihn nicht wünsche. Dieser Darstellung – von der die Beklagte durch Übersendung einer Kopie des Schriftsatzes vom 22.10.2013 unterrichtet worden ist – ist die Beklagtenvertreterin mit dem zuletzt eingereichten Schriftsatz vom 15.11.2013 nicht entgegengetreten.
13

Die demnach erst am Morgen des 1.10.2013 erfolgte Beendigung der Prozessvollmacht des Rechtsanwalts C ist für die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme durch Rechtsanwalt C am selben Tag ohne Bedeutung. Denn die Beendigung der Prozessvollmacht erlangt gemäß § 78 I ZPO nach außen erst Wirksamkeit, wenn sie dem Gericht gegenüber angezeigt ist (vgl. BGH FamRZ 2004, 865; juris-Tz. 7). Im vorliegenden Fall ist diese Beendigung der Prozessvollmacht des Rechtsanwalts C dem Senat gegenüber bis zum Eingang des Rücknahmeschriftsatzes vom 1.10.2013 nicht – wie ausgeführt auch nicht mit diesem Rücknahmeschriftsatz selbst – angezeigt worden.
14

Der Wirksamkeit der Berufungsrücknahme steht schließlich nicht entgegen, dass der Senatsvorsitzende nach der Rücknahmeerklärung die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag der Beklagtenvertreterin zunächst verlängert hat (vgl. auch hierzu BGH a.a.O., juris-Tz. 34, 35). Hier kommt hinzu, dass mit der Verlängerungsverfügung vom 30.10.2012 (Bl. 261 d.A.) die Prüfung, ob die Berufung wirksam zurückgenommen worden ist, ausdrücklich vorbehalten worden ist.
15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.
16

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 II ZPO) liegen nicht vor, da – wie ausgeführt – die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen bereits durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt sind.

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