OLG Frankfurt am Main, 31.10.2013 – 22 U 89/12

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 31.10.2013 – 22 U 89/12
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 30.4.2012 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 503,29 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 1.8.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen der Übergangsfähigkeit nach § 116 SGB X die Aufwendungen aufgrund des Verkehrsunfalls vom …6.2006 nach einer Haftungsquote von 75 % zu erstatten, die die Klägerin zukünftig an den Versicherten V, auch aufgrund neuer Gesetze, längstens bis zum 30.9.2026 zu erbringen hat.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die zukünftigen unfallbedingten Ausfälle der Beitragsleistungen an die Rentenversicherung aufgrund des Verkehrsunfalls vom …6.2006, die vom mutmaßlichen Bruttoverdienst des Versicherten V auch aufgrund neuer Gesetze abzuführen wären, durch Zahlung in Höhe von 75 % an die Klägerin im Sinne des Beitragsregresses nach § 119 SGB X, längstens bis zum 30.9.2026, zu ersetzen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Hohe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.

Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz wird auf 110.368,98,- € festgesetzt.
Gründe
1

I.

Die Klägerin verlangt für die Zeit vom 31.7.2006 bis 4.2.2007 Ausfall von Rentenversicherungsbeiträgen und berechnet diesen auf der Basis der Differenz zwischen dem vorherigen Verdienst und dem nach dem Unfall erzielbaren Verdienst des Geschädigten. Hinsichtlich der Berechnung im Einzelnen wird auf Bl. 70, 71 der Akte verwiesen. Sie beantragt weiter die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich des weiteren Ausfalls solcher Beträge sowie von Aufwendungen aufgrund des Verkehrsunfalls des Versicherten V vom … Juni 2006.
2

Die Beklagtenseite bestreitet in der Berufungsinstanz die Höhe des Beitragsausfalls nicht mehr. Der wesentliche Streitpunkt zwischen den Parteien bezieht sich auf die Frage der grob fahrlässigen Unkenntnis und der Frage der Zurechnung der verschiedenen Abteilungen der Klägerin hinsichtlich der Frage der Verjährung.
3

Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands und der Anträge erster Instanz Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass hinsichtlich des Beginns der Verjährung darauf abzustellen sei, wann Mitarbeiter der Klägerin Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erhalten hätten. Der Klägerin sei allerdings grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen. Die Sachbearbeiter der Leistungsabteilung seien verpflichtet gewesen, ihre Kenntnis der Regressabteilung zu melden. Angesichts des Kontoverlaufs hätten sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen geradezu aufgedrängt. Auch dürfe hinsichtlich der Alternative der grob fahrlässigen Unkenntnis nicht allein auf die Regressabteilung abgestellt werden.
4

Der Hinweis der Klägerin auf das in § 119 Abs. 2 SGB X geregelte Verfahren greife zu kurz. Zwar sei eine Datenerhebung durch den Sozialversicherungsträger nach Meldung von geringeren Entgelten auf dem Versicherten-Konto nicht vorgesehen und auch nicht zumutbar. Vorliegend gelte jedoch etwas anderes, da nach § 149 Abs. 3 SGB VI eine Obliegenheit der Klägerin angenommen werden könne, bei Abweichungen von einem Zeitraum von mehr als sechs Monaten das Versichertenkonto zu überprüfen.
5

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen weiter verfolgt. Sie wendet sich dagegen, dass das Landgericht hinsichtlich der grob fahrlässigen Unkenntnis auch auf die Mitarbeiter der Leistungsabteilung abgestellt habe. Dies entspreche nicht der Rechtsprechung des BGH. Aus § 143 SGB VI ergebe sich keine Obliegenheit der Klägerin, an ihre Versicherten heranzutreten, um die Gründe für die Veränderungen im Versicherten-Konto abzuklären. Die Nichtabführung von Beiträgen könne eine Vielzahl von Ursachen haben. § 149 SGB VI regele deshalb eine turnusmäßige Kontenklärung, wie sie auch durchgeführt worden sei.
6

Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz die Klage um 11.470,52 € erweitert, die Erweiterung jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.
7

Die Klägerin beantragt nunmehr,

wie erkannt.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und legt dar, dass die Rechtsprechung. des BGH sich im Jahr 2012 dahingehend entwickelt habe, dass auch ein Organisationsverschulden ausreiche. Eine Hemmung sei nicht ausreichend vorgetragen worden, könne sich allerdings lediglich auf kurzfristige Verhandlungen beziehen.
10

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.
11

Die auf die Klägerin gemäß den §§ 116, 119 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche des Geschädigten hinsichtlich des Ausfalls von Rentenversicherungsbeiträgen sind nicht verjährt. Unstreitig hat der Sachbearbeiter der Regressabteilung der Klägerin erst im Jahr 2009 von dem Bestehen von Schadensersatzansprüchen Kenntnis erhalten. Der Streit der Parteien geht deshalb dahin, inwieweit entweder den Mitarbeitern der Leistungsabteilung oder der Regressabteilung grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen ist oder eine Unkenntnis auf ein Organisationsverschulden der Klägerin zurückzuführen ist.
12

Nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Bei Behörden und öffentlichen Körperschaften beginnt die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst dann zu laufen, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist (BGH, Urteile vom 22. April 1986 – VI ZR 133/85 – und vom 12. Mai 2009 – VI ZR 294/08 -mwN).
13

Sind innerhalb einer regressbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig – nämlich die Leistungsabteilung hinsichtlich der Einstandspflicht gegenüber dem Verletzten und die Regressabteilung bezüglich der Geltendmachung von Schadensersatz- oder Regressansprüchen gegenüber Dritten -, so kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Das Wissen der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber regelmäßig unmaßgeblich und zwar auch dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine schuldhafte Verursachung des Schadens durch Dritte oder eine Gefährdungshaftung ergeben (vgl. BGH, Urteile vom 11. Februar 1992 -; vom 15. März 2011 – VI ZR 162/10 -; vom 9. März 2000 – III ZR 198/99 -, vom 28. Februar 2012 – VI ZR 9/11 -; vom 17. April 2012 – VI ZR 108/11 -).
14

Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
15

Dass auch die Leistungsabteilung mit dem Schadensfall verantwortlich befasst ist, soweit es um die an den Geschädigten zu erbringenden Leistungen geht, ist regelmäßig ohne Belang, weil diese in der Verantwortung der Leistungsabteilung liegende Tätigkeit nicht auf die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen abzielt. Unerlässliche Voraussetzung für eine Wissensvertretung ist daher, dass der betreffende Bedienstete eigenverantwortlich (zumindest) mit der Vorbereitung von Regressansprüchen betraut ist (vgl. BGH a.a.O.; Urteile vom 15. März 2011 – VI ZR 162/10 -).
16

Deshalb kommt lediglich die Frage eines Organisationsverschuldens in Betracht. Dies könnte aber allenfalls darin zu sehen sein, dass die Geschäftsanweisung der Klägerin hinsichtlich der Abgabe einschlägiger Fälle an die Regressabteilung nicht eindeutig gewesen sein könnte. Dies ist vorliegend allerdings, wie Bl. 90ff.d.A. zeigen, nicht der Fall. Des Weiteren muss die Klägerin sicherstellen, dass die Geschäftsanweisungen eingehalten werden. Auch dies ist vorliegend der Fall, wie sich daraus ergibt, dass nach der Kontenklärung ohne weiteres die Sache an die Regressabteilung abgegeben worden ist.
17

Die für das Landgericht entscheidende Frage ist allerdings, ob nicht bei einem längerfristigen Ausfall wie vorliegend eine individuelle Überprüfung des Versicherten-Kontos erforderlich wäre. Da dies der einzelne Sachbearbeiter der Leistungsabteilung sicherlich nicht allein entscheiden kann, kommt auch insoweit lediglich ein Organisationsverschulden in Betracht. Die Klägerin hat allerdings in der Berufung sehr deutlich dargelegt, dass eine solche individuelle Überprüfung angesichts des Umfangs von mehreren Millionen Konten nicht möglich ist und auch eine erhebliche zusätzliche Belastung darstellen würde, zumal alleine der Ausfall von Beiträgen über eine längere Zeit nichts darüber aussagt, dass es entsprechende Regressforderungen geben könnte.
18

Der Senat hält deshalb den Ansatz des Landgerichts für nicht zutreffend. Die einschlägigen Regelungen (§§ 149 SGB VI, 7 VKVV) zeigen deutlich, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine regelmäßige Kontenklärung alle fünf Jahre ausreicht und zusätzliche Überprüfungen nicht erforderlich sind.
19

Für den Gläubiger besteht keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiativen zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten (BGH Urteil vom 10. November 2009 – VI ZR 247/08 -, BGH, Urteil vom 16. September 2005 – V ZR 242/04 -; BGH Urteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 9/11 -; OLG Saarbrücken, OLGR 2008, 817, 818 f.).
20

Ist der Geschädigte nicht gehalten, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist von sich aus Nachforschungen zu betreiben, können solche auch nicht von einem Versicherer verlangt werden, der aufgrund seiner Leistungspflicht mit dem Schadensfall befasst wird. Den Mitarbeitern des Sozialversicherungsträgers bietet die Schwere des Krankheitsbilds des Leistungsempfängers ohne Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein der Leistung zugrundeliegendes Behandlungsgeschehen mit haftungsrechtlicher Relevanz, denen nicht nachzugehen unverständlich wäre. Aus Gründen des Schuldnerschutzes würde die Durchsetzung der Regressansprüche für erbrachte Heilbehandlungs- und Pflegekosten in einer nicht gebotenen Weise erschwert, müsste in jedem umfangreicheren Leistungsfall von vornherein vorsorglich geprüft werden, ob Anhaltspunkte für eine möglicherweise fremdverschuldete Schädigung des Patienten gegeben sind, denen sodann nachzugehen und von denen die Regressabteilung in Kenntnis zu setzen wäre (BGH a.a.O.).
21

Auch der Zweck der Verjährung gebietet solches nicht. Zwar soll die Verjährung den Schuldner davor bewahren, nach längerer Zeit mit von ihm nicht mehr erwarteten Ansprüchen überzogen zu werden. Sie soll auch den Gläubiger dazu veranlassen, rechtzeitig gegen den Schuldner vorzugehen (BGH Urteil vom 15. März 2011 – VI ZR 162/10-). Doch muss der Gläubiger nicht von vornherein Ansprüchen nachspüren, weil andernfalls der Verlust der Durchsetzungsmöglichkeit allein durch Zeitablauf droht. Die Auffassung des Landgerichts führt letztlich zu einem von der Kenntnis des Versicherers unabhängigen Verjährungsbeginn. Diese Folge widerspricht der aus der Regelung in § 199 BGB zu entnehmenden Grundentscheidung des Gesetzgebers, den Lauf der Verjährung mit der Kenntniserlangung des Geschädigten zu verknüpfen.
22

Auch die weiteren Anträge sind begründet. Das Feststellunginteresse ist hinsichtlich der verschiedenen Anträge ohne weiteres zu bejahen, wie sich auch daraus ergibt, dass mittlerweile erhebliche Rentenbeitragsausfälle sowie auch Rentenzahlungspflichten für die Klägerin entstanden sind.
23

Weitergehende Bedenken hinsichtlich der Begründetheit der Klage sind nicht ersichtlich.
24

Die Nebenforderungen folgen aus § 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 269, 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
25

Der Streitwert hat sich durch die Zustellung des klageerweiternden Schriftsatzes hinsichtlich des Leistungsantrags erhöht. Die grundsätzlich von der Klägerin zu tragenden Mehrkosten, die sich aus der zunächst erhobenen, dann aber zurückgenommenen Klageerweiterung ergeben, sind geringfügig, so dass der Senat von der Möglichkeit des § 92 Abs. 2 ZPO Gebrauch gemacht hat, zumal bei den Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren kein Gebührensprung vorliegt.
26

Bei der Streitwertbemessung ist zu berücksichtigen:
27

Die Streitwertfestsetzung erster Instanz bleibt bestehen. Dort war hinsichtlich des Feststellungsantrags betreffend den Rentenbeitragsausfallschaden ein monatlicher Betrag von 49,07 € errechnet worden, der entsprechend § 42 Abs. 1 GKG bei fünfjährigem Bezug den Betrag von 2.944,20 € ergibt. Legt man einen Abschlag für den Feststellungsantrag von 20% zugrunde, ergibt sich ein Betrag von 2.355,36 €. Deshalb erscheint der festgesetzte Betrag von 2.500,- € als angemessen. Gleiches gilt für den Feststellungsantrag hinsichtlich einer etwaigen Erwerbsunfähigkeitsrente. In der ersten Instanz war ein Rentenbezug noch nicht erfolgt, weshalb mangels konkreter Anhaltspunkte hinsichtlich der Höhe eine allgemeine Schätzung angemessen war.
28

Für die Berufungsinstanz hat sich der Senat von denselben Erwägungen leiten lassen und unter Berücksichtigung eines fünfjährigen Bezugs und eines Abschlags von 20% folgende Beträge ermittelt:

Zahlungsantrag

503,29 €

Zahlungsantrag

11.924,01 €

Feststellung Rente

1.233,47 € x 60 x 80%

59.206,56 €

Feststellung Rentenausfall

4.841,89 €: 6 x 60 x 80%

38.735,12 €

Summe

110.368,98 €
29

Anhaltspunkte für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor, da der Senat nicht von der Rechtsprechung des BGH abweicht.

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