OLG Frankfurt am Main, 14.10.2013 – 19 U 163/13

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 14.10.2013 – 19 U 163/13
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.5.2013 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Gießen wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 114.240,00 € festgesetzt.

Gründe
1

I.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird entsprechend § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen.
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Mit ihrer am 21.6.2013 eingelegten und – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.8.2013 – am letzten Tag der Frist eingelegten Berufung wenden sich die Beklagten gegen das ihren Einspruch gegen das am 29.1.2013 erlassene Versäumnisurteil wegen Versäumung der Einspruchsfrist verwerfende und ihnen am 23.5.2013 zugestellte Urteil des Landgerichts. Sie rügen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft eine wirksame Ersatzzustellung des Versäumnisurteils (§ 178 ZPO) angenommen habe. Die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzzustellung seien vorliegend nicht erfüllt, weil sich der Zustellungsadressat, der Geschäftsführer der Beklagten zu 2), der Komplementär-GmbH der Beklagten zu 1), im Zustellungszeitpunkt in den Geschäftsräumen der Beklagten befunden habe, der Zusteller jedoch das zuzustellende Schriftstück ohne weiteres Nachfragen nach der Anwesenheit des Zustellungsadressaten und ohne weitere sonstigen Nachforschungen einer in den Geschäftsräumen anwesenden Mitarbeiterin der Beklagten zu 1) gegen Erteilung eines Empfangsbekenntnisses übergeben habe. Da die persönliche Zustellung nach der gesetzlichen Regelung des § 178 ZPO der Regelfall sei und die Zustellungsvorschriften eng auszulegen seien, erfordere eine wirksame Zustellung eine Nachfrage des Zustellers nach der Anwesenheit der Person des Zustellungsadressaten und ggf. weitere Nachforschungen, wie etwa die Überprüfung der Türschilder der Büroräume.
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Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
6

Der Senat hat die Beklagten mit Beschluss vom 13.9.2013 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe. Er hat hierzu ausgeführt:

„Das Landgericht hat mit überzeugender Begründung festgestellt, dass die am 11.1.2013 erfolgte Zustellung des Versäumnisurteils an beide Beklagte gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO wirksam erfolgt sei.

1. Soweit das Landgericht im Ausgangspunkt davon ausgeht, dass der Zustellungsversuch in den Geschäftsräumen (im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) beider Beklagter erfolgte und dass es sich bei der Mitarbeiterin der Beklagten zu 1), Frau A, um eine – wiederum für beide Beklagte – dort beschäftigte Person im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO handelte, ist die eingehende Begründung des Landgerichts in jeder Hinsicht überzeugend. Diese Feststellungen werden auch mit der Berufung nicht angegriffen und können daher der weiteren Prüfung zu Grunde gelegt werden.

2. Das Landgericht hat auch ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Übergabe der zuzustellenden Schriftstücke an Frau A auch im Übrigen die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO erfüllt. Insbesondere ist die Voraussetzung für eine wirksame Ersatzzustellung erfüllt, dass der gesetzliche Vertreter der Beklagten, der Geschäftsführer der Beklagten zu 2), der Komplementär GmbH der Beklagten zu 1), „nicht angetroffen“ worden ist. Mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass es dabei auf die tatsächliche Anwesenheit des Geschäftsführers der Beklagten zu 2) in den Geschäftsräumen, nämlich in dessen Büro, im Zeitpunkt der Übergabe der Schriftstücke an Frau A und auf dessen Bereitschaft zur Entgegennahme der Sendung nicht entscheidend ankommt. Der Senat folgt dabei der Rechtsprechung des OLG Frankfurt in den Entscheidungen des 6. Zivilsenates (Urt. v. 25.6.1995 – 6 U 27/95 -, Rn. 5f., juris; Beschl. v. 17.11.1997 – 6 W 109/97 -, Rn. 3, juris – jeweils zu den Zustellungsregelungen der §§ 183, 184 ZPO a. F.). Danach reicht es in diesen Fällen für die inzwischen zum Regelfall gewordene Ersatzzustellung aus, dass ein in den Geschäftsräumen aufenthältlicher Mitarbeiter bereit ist, die Sendung entgegen zu nehmen, ohne dass es einer ausdrücklichen Nachfrage des Zustellers bedarf, ob der eigentliche Adressat der Sendung, der gesetzliche Vertreter der juristischen Person, zum Zeitpunkt der Zustellung in den Geschäftsräumen tatsächlich anwesend ist. Es reicht aus, dass der gesetzliche Vertreter als abwesend oder verhindert bezeichnet wird. Insbesondere muss der Zusteller keine eigenen Nachforschungen anstellen.

Der Zusteller kann davon ausgehen, dass in der tatsächlichen Entgegennahme der Sendung durch eine beschäftigte Person zugleich die Erklärung liegt, dass der eigentliche Zustellungsadressat nicht anwesend oder an der Entgegennahme der Sendung verhindert ist, ohne dass er dies durch gesonderte Nachfrage erst aufklären muss. Er muss auch nicht weiter nachforschen, wie der Betrieb, an den zugestellt werden soll, die Entgegennahme von zuzustellenden Sendungen organisiert hat. Dies hat das OLG bereits für das vor der jetzt geltenden Neufassung des Zustellungsrechts (§§ 183, 184 ZPO a. F.) angenommen. Diese Grundsätze gelten erst recht für die Neuregelung vom 1.7.2002, die nach der Zielsetzung des Gesetzgebers eine Vereinfachung der ein Massengeschäft darstellenden förmlichen Zustellung und deren Anpassung an gewandelte Lebensverhältnisse unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität bezweckte. Dies führt dazu, dass die Zustellung nach der Neuregelung erst recht an die Vertrauensposition des in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Geschäftsraum eingesetzten Beschäftigten anknüpft und nicht daran, ob ein gesetzlicher Vertreter vor Ort ist (so auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.12.2011 – OVG 1 N 2.10 – Rn. 7, juris).

Die Entgegennahme von zuzustellenden Sendungen kann in dem jeweiligen Betrieb zudem auch abweichend von den Zustellungsregelungen der ZPO in der Weise organisiert sein, etwa in der Weise, dass die beschäftigte Person, die sich gegenüber dem Zusteller zur Entgegennahme der Sendung bereit erklärt, auf Grund der Betriebsorganisation berechtigt ist, die Sendung auch dann anzunehmen, wenn der gesetzliche Vertreter der juristischen Person anwesend ist. Es liefe bei dem Massengeschäft der förmlichen Zustellung dem Regelungszweck der Vereinfachung der förmlichen Zustellung zuwider, wenn der Zusteller etwa bei einer entsprechenden ausdrücklichen Erklärung der beschäftigten Person, die Sendung trotz Anwesenheit des Zustellungsadressaten entgegennehmen zu dürfen, gezwungen wäre, diese betriebsorganisatorische Regelung zu überprüfen und sich ggf. sich über diese Auskunft hinwegzusetzen und die Zustellung nur an den anwesenden Zustellungsadressaten selbst vorzunehmen. Auch ist es einem Zusteller nicht zuzumuten, wie dies die Beklagten annehmen, bei sämtlichen Büroräumen der Geschäftsräume die Namensschilder zu überprüfen und ggf. einen Büroraum, der das Namensschild des Zustellungsadressaten ausweist, zu betreten, um in Erfahrung zu bringen, ob diese Person anwesend ist. Er muss sich vielmehr darauf verlassen können, dass die in den Geschäftsräumen anwesende beschäftigte Person, die zur Entgegennahme der Sendung bereit ist wie vorliegend Frau A, zur Entgegennahme der Sendung auch berechtigt ist, weil entweder der eigentliche Zustellungsadressat nicht anwesend ist oder aber jedenfalls die Person trotz dessen Anwesenheit auf Grund einer entsprechenden betrieblichen Organisation berechtigt ist, die Sendung anzunehmen. Diese Erklärung gibt die die Sendung in Empfang nehmende Person jedenfalls konkludent ab, so dass es einer Nachfrage des Zustellers oder gar noch weiterer Nachforschungen nicht bedarf.“

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II.

Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten gegen das am 29.1.2013 erlassene Versäumnisurteil zu Recht und mit zutreffender Begründung wegen Versäumung der Einspruchsfrist (§ 339 ZPO) verworfen. Auf den Inhalt des Hinweisbeschlusses vom 13.9.2013 wird verwiesen. Die Stellungnahme der Beklagten in dem Schriftsatz vom 9.10.2013 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
8

Die Beklagten wiederholen im Wesentlichen ihre von der Auffassung des Senats abweichende Rechtsauffassung. Soweit die Beklagten geltend machen, dass die in Bezug genommene frühere Rechtsprechung des OLG Frankfurt andere Sachverhaltskonstellationen betreffe, verkennen die Beklagten, dass der Senat diese Entscheidungen lediglich hinsichtlich deren rechtlicher Ausführungen zum Ausgangspunkt seiner Problemerörterung gemacht hat, ohne damit von einer eigenen Begründung seiner Rechtsauffassung absehen zu wollen. Nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen der Beklagten hinsichtlich der von ihnen geltend gemachten Nachfrageobliegenheit des Zustellers, soweit sie darauf abstellen, dass der Zusteller der Empfangsperson noch nicht einmal mitgeteilt habe, wer der „eigentliche“ Zustellungsadressat sei, und er deshalb auch keine Rückschlüsse auf dessen Abwesenheit habe ziehen können. Die Person des Zustellungsadressaten ergibt sich – auch für die Empfangsperson erkennbar – bereits aus dem Adressfenster des zuzustellenden Schriftstücks.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es auch hinsichtlich der mit der Empfangnahme des Schriftstücks durch eine in den Geschäftsräumen anwesende Empfangsperson verbundenen stillschweigenden Erklärung der Abwesenheit des Zustellungsadressaten oder einer Empfangsbevollmächtigung auch im Falle dessen Anwesenheit nicht darauf an, ob eine entsprechende ausdrückliche Erklärung der beschäftigten Person erfolgte.
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Der Umstand, dass der Gesetzgeber auch bei der Neuregelung der Zustellungsvorschriften das Tatbestandsmerkmal des „Nicht-Antreffens“ aufgenommen hat, spricht nicht gegen die Rechtsauffassung des Senats. Diese behandelt gerade die Frage der Anforderungen an eine wirksame Ersatzzustellung in Geschäftsräumen, die im Übrigen nur einen Anwendungsfall des § 178 ZPO darstellt. Die tatsächliche Kenntnisnahme des zuzustellenden Schriftstücks durch den Zustellungsadressaten ist im Falle einer Ersatzzustellung, wie vorliegend, auch nicht eingeschränkt, da die Zustellung an eine für die Entgegennahme empfangsbereite und auch empfangszuständige Person erfolgt und der Zusteller daher davon ausgehen kann, dass diese das Schriftstück zeitnah weiterleiten wird. Eine Verletzung verfassungsrechtlicher Gebote ist dabei nicht ersichtlich. Die vom Senat angenommenen Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzzustellung in Geschäftsräumen verkennen auch nicht das „Leitbild der persönlichen Zustellung“. Insbesondere verstoßen sie nicht gegen die verfassungsrechtlichen Gebote der Gewährung effektiven Rechtsschutzes.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
12

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in § 708 Nr. 10 Satz 2 ZPO.

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