OLG Frankfurt am Main, 18.09.2013 – 7 U 120/13

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 18.09.2013 – 7 U 120/13
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 7.3.2013 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn ihrer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils vollstreckten Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.
Gründe

Der Kläger macht nach Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags gegen die beklagte Versicherung einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Beiträge abzüglich eines ihm ausgezahlten Rückkaufswerts geltend, hilfsweise stützt er seine Forderung auf Schadensersatz.

Der Kläger beantragte unter dem 30.7.1996 bei der Beklagten den Abschluss einer Rentenversicherung ab dem 1.9.1996 mit einem Monatsbeitrag von anfänglich 40,- DM (Anlage B1). Die Beklagte hat einen Versicherungsschein ausgestellt.

Der Kläger zahlte in der Folge die monatlichen Prämien einschließlich jährlicher Erhöhungen. Mit Erklärung vom 3.5.2001 verpfändete der Kläger die Versicherung an eine Bausparkasse. Im Jahr 2005 nahm der Kläger ein Vorauszahlungsdarlehen in Höhe von 1.900 € in Anspruch. Mit Schreiben vom 6.9.2006 änderte der Kläger die Bezugsberechtigung. 2008 beantragte der Kläger Beitragsfreistellung für ein Jahr.

Mit Schreiben vom 24.6.2009 (Anlage B10) kündigte der Kläger die Versicherung. Insgesamt hatte er bis dahin Prämien im Gesamtumfang von 4.413,17 € erbracht. Die Beklagte rechnete den Vertrag ab und zahlte dem Kläger einen Rückkaufswert von 1.958,57,- € aus.

Mit Schreiben vom 5.4.2012 meldete sich der Kläger über seinen Anwalt, erklärte Widerspruch nach § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG und den Widerruf nach § 355 BGB und verlangte unter Fristsetzung die Herauszahlung der geleisteten Beiträge abzüglich des empfangenen Rückkaufswerts zuzüglich einer marktüblichen Verzinsung (Anlage K2).

Der Kläger hat behauptet, er habe keine Erinnerung mehr daran, ob ihm seinerzeit die Police, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformation oder eine Widerspruchsbelehrung zugegangen seien. Deren Zugang müsse er mit Nichtwissen bestreiten, was in diesem Fall zulässig sei. Er bestreite auch, dass eine etwaige Belehrung den Anforderungen entsprochen habe. Da der Beklagten der Nachweis des Zugangs der Unterlagen obliege und sie ihn nicht zu führen vermöge, stehe ihm das Widerspruchsrecht des § 5a VVG a.F. zu. Die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ändere daran nichts, weil diese Regelung europarechtswidrig und daher unwirksam sei. Sie verstoße gegen Art. 31 Abs. 1 in Verb. mit Anhang II A der Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10. November 1992 bzw. Art. 36 Abs. 1 in Verb. mit Anhang III A der jene Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002, wonach ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht zu gewähren sei. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger alle Unterlagen erhalten habe, weil § 5a VVG a.F. wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht insgesamt unwirksam sei. Das belege auch ein Vertragsverletzungsverfahren, das die Europäische Kommission diesbezüglich im Jahr 2006 gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet habe. Auch ein bereits beendeter und abgerechneter Vertrag könne noch widerrufen werden. Infolge des wirksamen Widerspruchs habe die Beklagte die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren. Hinzu komme ein Anspruch auf Zinsen als Nutzungsvergütung gemäß § 818 Abs. 1 BGB, weil die Beklagte die vereinnahmten Prämien genutzt bzw. nicht genutzt habe. Deren Höhe könne auf 7% geschätzt werden. Die geltend gemachte Zahlungsforderung könne ferner auf Schadensersatz wegen Beratungsverschuldens gestützt werden. Die Beklagte habe den Kläger nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt. Diese Pflichtverletzung habe zu einem Schaden in Höhe der Klageforderung geführt. Zu der Differenz von Prämienzahlungen und Rückkaufswert (2.454,60 €) seien noch die Zinsen in einer Höhe von 7% auf die monatlichen Beitragszahlungen über den gesamten Zeitraum hinzuzusetzen, die sich auf 3.611,39 € (Anlage K4) beliefen. Der Kläger hat ferner angeregt, die Sache dem Europäischen Gerichtshof mit bestimmten Fragen vorzulegen, wegen deren Fassung auf Bl. 13 d. A. verwiesen wird.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.065,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit sowie an den Kläger Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 737,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass ein Widerruf nach § 5a Abs. 2 VVG a.F., der europarechtlichen Bedenken nicht begegne, schon deshalb nicht mehr habe erklärt werden können, weil dem Kläger alle erforderlichen Unterlagen ordnungsgemäß zugegangen seien und die im Versicherungsschein durch eine Umrahmung mit Sternchen hervorgehobene Belehrung über das Widerspruchsrecht ordnungsgemäß sei. Ein Bestreiten mit Nichtwissen sei nicht zulässig.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass ein wirksamer Widerspruch nach der Kündigung des Vertrags nicht mehr habe ausgesprochen werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seinen Antrag weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt,

I.

das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 7.3.2013 (Az. 3 O 221/12) aufzuheben,
II.

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 6065,99 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
III.

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von € 737,80 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

hilfsweise,

auf die Berufung des Klägers das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 7.3.2013 (Az. 3 O 221/12) samt dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Landgericht Wiesbaden zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Bezüglich der drucktechnischen Gestaltung der Belehrung im Versicherungsschein verweist die Beklagte auf die Anlage BLD 25, bei der es sich um ein dem Versicherungsschein entsprechendes Muster handle.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat weder aus ungerechtfertigter Bereicherung noch aus einem sonstigen Rechtsgrund Anspruch auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Prämien abzüglich des Rückkaufswerts zuzüglich von der Beklagten gezogener Nutzungen.

Die Beklagte ist nicht ungerechtfertigt bereichert, weil sie die Prämien mit Rechtsgrund erhalten hat. Der Versicherungsvertrag ist wirksam zu Stande gekommen. Der Kläger hat sein gemäß § 5a Abs. 1 VVG a.F. bestehendes Widerspruchsrecht nicht rechtzeitig ausgeübt. Demgemäß wurde der Vertrag erst durch die Kündigung des Klägers beendet, auf Grund deren der Kläger lediglich Anspruch auf Zahlung des Rückkaufswerts, nicht jedoch auf Auskehrung aller geleisteten Prämien nebst Zinsen hatte.

Auf den Vertragsschluss ist das seinerzeit geltende Recht anzuwenden, d.h. § 5a VVG a. F. Danach galt, wenn der Versicherer – wie hier – dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen hatte, der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen (seit 8. Dezember 2004: innerhalb von 30 Tagen) nach Überlassung der Unterlagen schriftlich widersprach (§ 5a Abs. 1 VVG a. F.). Der Lauf der Frist begann erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Abs. 1 vollständig vorlagen und der Versicherungsnehmer schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerrufsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden war (§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a. F.). Zur Wahrung der Frist genügte die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs (§ 5a Abs. 2 Satz 3 VVG a. F.). Abweichend von Satz 1 erlosch das Recht zum Widerspruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie (§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F.).

Der Vertrag ist nicht dadurch wirksam zu Stande gekommen, dass der Kläger nach Erhalt der erforderlichen Unterlagen nicht innerhalb von 14 Tagen widersprochen hat. Denn die Widerspruchsfrist ist nicht wirksam in Gang gesetzt worden war (§ 5a Abs. 1 VVG).

Dem Kläger sind der Versicherungsschein mit dem aus der Anlage B2 (Bl. 78 – 81) ersichtlichen Inhalt und in der dem Muster der Anlage BLD 25 (Bl. 308 f.) entsprechenden Form, die Versicherungsbedingungen (Anl. B3) und Informationen über Rückkaufswerte und beitragsfreie Renten sowie eine Beispielrechnung (Bl. 82 – 84) zugegangen. Da der Zugang Gegenstand eigener Wahrnehmung des Klägers war, ist eine Erklärung mit Nichtwissen nicht zulässig (§ 138 Abs. 4 ZPO). Die unzulässige Erklärung mit Nichtwissen steht dem Nichtbestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO gleich. Nur ausnahmsweise kann ein Bestreiten von Vorgängen, die Gegenstand eigener Wahrnehmung waren, zulässig sein, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können (BGH NJW 1995, 130 [BGH 10.10.1994 – II ZR 95/93]). Dazu gehört auch, dass sie darlegt, dass sie ihren Informationspflichten nachgekommen ist. Bei Vorgängen wie hier, bei denen Vertragsunterlagen üblicherweise aufbewahrt werden, reicht ein einfacher Verweis auf mangelnde Erinnerung indessen nicht aus. Vielmehr ist zu schildern, wie mit solchen Unterlagen bei der Partei verfahren wird und dass und wie sie vergeblich nachgeforscht hat. Dazu bestand schon deshalb Anlass, weil der Kläger seit dem Abschluss des Vertrags mehrfach Rechtsgeschäfte vorgenommen hat, die üblicherweise ohne Vertragsunterlagen nicht möglich sind, insbesondere Verpfändung und Bezugsrechtsänderung. Da der Kläger nicht dargelegt hat, wie er ohne Vertragsunterlagen diese Erklärungen abgeben konnte, ist als unstreitig zu Grunde zu legen, dass ihm die Vertragsunterlagen seinerzeit zusammen mit der Police übermittelt worden sind.

Jedoch genügt die Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht den an sie zu stellenden Anforderungen.

Dass die Belehrung „in drucktechnisch deutlicher Form“ gestaltet sein muss, entspricht den im sonstigen Verbraucherschutzrecht geltenden Anforderungen. Danach muss die Belehrung drucktechnisch in nicht zu übersehender Weise herausgehoben sein, etwa durch eine andere Farbe, größere Lettern oder Fettdruck (BGH NJW 2004, 3183, 3184 [BGH 24.06.2004 – III ZR 104/03]). Der Zweck der Hervorhebung liegt darin, den Verbraucher in einer nicht zu übersehenden Form auf sein Widerrufsrecht aufmerksam zu machen, was nur eine Hervorhebung leistet, die so deutlich ist, dass sie ihm nicht entgehen kann. Die Belehrung in der Weise, wie sie aus dem Muster-Exemplar zu ersehen ist, genügt diesem Erfordernis, denn der Belehrungstext ist vom sonstigen Text des Versicherungsscheins durch eine Einrahmung mit Sternchen-Zeichen optisch deutlich getrennt. Die Sternchen sind seitlich links und rechts je dreifach neben jeder der neun Textzeilen der Belehrung und waagerecht über und unter dem Text jeweils fortlaufend in einer Zeile angebracht. Da der restliche Text des Versicherungsscheins in gleicher Schrift gleicher Größe abgefasst ist, erfüllt die mittels der Einrahmung durch Sternchen-Zeichen beabsichtigte Hervorhebung ihren Zweck; die Belehrung ist auf dem nur zwei Seiten umfassenden Versicherungsschein nicht zu übersehen.

Jedoch ist der Inhalt der Belehrung nicht ausreichend. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welcher der Senat folgt, muss die einem Verbraucher zu erteilende Belehrung über den Beginn einer Widerrufsfrist das Ereignis bezeichnen, das nach dem Gesetz den Lauf der Frist auslöst (BGHZ 126, 56 ff. Rn 21 in juris zu § 1 b AbzG; BGHZ 187, 97 ff. Rn 26 in juris zu § 355 BGB). Für die Belehrung über den Beginn der Widerspruchsfrist nach § 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. kann nichts anderes gelten (so auch OLG Köln, Urt. v. 24.02.2012 – 20 U 154/11). Das den Lauf der Frist auslösende Ereignis wird in der Widerspruchsbelehrung mit den Worten „…, wenn Ihnen der Versicherungsschein und alle vorgenannten Unterlagen vorliegen“ bezeichnet. Mit dem Ausdruck „alle vorgenannten Unterlagen“ bezieht sich die Belehrung auf die zuvor genannten „Versicherungsbedingungen“ und die „Verbraucherinformationen“. Da die überlassenen Unterlagen „Allgemeine Bedingungen für die Rentenversicherung“ und „Besondere Bedingungen für die Lebensversicherung mit planmäßiger Erhöhung der Beiträge und Leistungen ohne erneute Gesundheitsprüfung“ enthalten, ist der Bezug zu dem Ausdruck „Versicherungsbedingungen“ für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer leicht herzustellen; er kann damit erkennen, dass diese Schriftstücke die in der Belehrung angesprochenen Versicherungsbedingungen sind. Zweifelhaft ist aber, wie der Kläger anhand des Belehrungstexts und dessen Vergleich mit den überlassenen Unterlagen soll feststellen können, ob ihm auch die in der Belehrung erwähnten „Verbraucherinformationen“ vorliegen, denn ein so bezeichnetes Schriftstück hat die Beklagte dem Kläger nicht überlassen; sie hat vielmehr zusätzlich zum Versicherungsschein Schriftstücke ausgehändigt, die zwar Verbraucherinformationen enthalten, aber allenfalls durch die Bezeichnung „E 95“ und der Erwähnung einer solchen Vertragsgrundlage am Ende des Versicherungsscheins als für den Vertragsinhalt maßgebliche Verbraucherinformationen identifiziert werden können. Das überfordert einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, weil sich aus diesen über mehrere Textstellen verteilten Hinweisen nicht eindeutig ergibt, dass es sich bei der Vertragsgrundlage „E95“ um die in der Belehrung erwähnten Verbraucherinformationen handelt.

Das Widerspruchsrecht des Klägers ist jedoch nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. erloschen, weil der Kläger auch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie nicht widersprochen hat.

Weder die genannte Bestimmung noch das Policenmodell als solches verstoßen gegen die Dritte Richtlinie Lebensversicherung (RL 92/96 EWG vom 10. 11. 1992, ABl. L 360 vom 9. 12. 1992, S. 1 – 27) oder gegen die Dritte Richtlinie Schadensversicherung (RL 92/49 EWG vom 18. 6. 1992, ABl. L 228 vom 11. 8. 1992, S. 1 – 23). Beide Richtlinien sehen jeweils in Art. 31 vor, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Vertrages Verbraucherinformationen, darunter auch die Versicherungsbedingungen, mitzuteilen hat und dass die Mitgliedsstaaten entsprechende Durchführungsbestimmungen erlassen. Die Umsetzungspflicht betraf jedoch nicht das Versicherungsvertragsrecht, sondern das Versicherungsaufsichtsrecht. In den Erwägungsgründen Nr. 5 beider Richtlinien wird hervorgehoben, dass eine Harmonisierung über eine Vereinheitlichung der Zulassungen und Aufsichtssysteme erzielt werden solle. Sowohl in Erwägungsgrund Nr. 18 der Dritten Richtlinie Schadensversicherung als auch im Erwägungsgrund Nr. 19 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung wird ausgeführt, dass die Harmonisierung des für den Versicherungsvertrag geltenden Rechts keine Vorbedingung für die mit beiden Richtlinien intendierte Verwirklichung des Binnenmarkts im Versicherungssektor sei. Nach alledem hatten die Mitgliedsstaaten Vorschriften zur Durchführung der Richtlinien im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts zu erlassen. Die Bundesrepublik Deutschland ist dieser Umsetzungsverpflichtung mit der Einfügung des § 10a in das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) nachgekommen. Dass diese aufsichtsrechtliche Umsetzung defizitär gewesen wäre, ist nicht erkennbar und wird, soweit ersichtlich, auch sonst nirgends vertreten. In Abschnitt I der Anlage D zum VAG ist aufgeführt, welche Informationen vom Versicherungsunternehmen „vor Abschluss von Versicherungsverträgen“ zu erteilen waren (abgedruckt bei Prölss/Martin, 27. Aufl., § 5a VVG Rn. 24). § 5a VVG a. F. flankiert lediglich die nach den Richtlinien gebotene und mit § 10a VAG vom nationalen Gesetzgeber vorgenommene aufsichtsrechtliche Umsetzung der Richtlinien. Für die nationalen Regelungen des Abschlusses eines Versicherungsvertrages sollten die Dritte Richtlinie Lebensversicherung und die Dritte Richtlinie Schadensversicherung explizit keine Vorgaben machen, wie sich aus den Erwägungsgründen Nr. 19 bzw. Nr. 18 ergibt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist daher bei Versicherungsverträgen kein autonomer gemeinschaftsrechtlicher Begriff des Vertragsschlusses zu Grunde zu legen. Dies ließ Raum für ein Vertragsabschlussmodell, das – wie das Policenmodell des § 5a VVG a. F. – einen Vertragsschluss erst dann als vollendet ansah, wenn der Versicherungsnehmer nach Überlassung der erforderlichen Unterlagen dem Abschluss nicht binnen bestimmter Fristen widersprach.

Hinzu kommt, dass es zu einem Vertragsschluss und zu der Einbeziehung von Versicherungsbedingungen über § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. ohne eine Kenntnis des Versicherungsnehmers von seinem Widerspruchsrecht oder von den Bedingungen nur dann kommen kann, wenn der Versicherungsnehmer seinerseits mit dem Vollzug des Versicherungsvertrags durch Zahlung der Erstprämie begonnen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 10. Dezember 2003 – 7 U 15/03, VersR 2005, 631; Urteil vom 7. Dezember 2011 – 7 U 238/10, unveröffentlicht) hat jedenfalls derjenige Versicherungsnehmer, der sein Widerspruchsrecht kennt und darauf hingewiesen wurde, dass Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen in den Vertrag einbezogen werden sollen, konkludent auf die Übergabe der (vollständigen) Verbraucherinformationen und der Versicherungsbedingungen verzichtet, sofern er mit dem Vollzug des Vertrages begonnen und ein Jahr lang keine (weiteren) Verbraucherinformationen oder Versicherungsbedingungen angefordert noch dem Vertragsschluss widersprochen hat. Ob dies auch dann gilt, wenn der Versicherungsnehmer einen solchen Hinweis nicht erhalten hat, hat der Senat jeweils offenlassen können. Dies bedarf auch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Schon aus dem Hinweis im Antragsformular (Anlage B1) hat sich ergeben, dass der Antragsteller ein Widerspruchsrecht hat und dass AVB und Verbraucherinformationen in den Versicherungsvertrag einbezogen werden sollen. Zwar klärt die Widerspruchsbelehrung im Antrag nicht darüber auf, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der Erstprämie erlischt. Doch ändert dies nichts daran, dass der Kläger grundsätzlich über sein Widerspruchsrecht und darüber hinaus über die Einbeziehung weiterer Vertragsgrundlagen unterrichtet wurde. Er hat dies nicht zum Anlass genommen, binnen eines Jahres nach Zahlung der Erstprämie sich um einen Widerspruch zu kümmern. Die Dritte Richtlinie Lebensversicherung steht der Annahme, dass der Versicherungsnehmer konkludent auf die ihm zustehenden Informationen und sein Widerspruchsrecht verzichten kann, nicht entgegen. Ungeachtet des Umstands, dass sie das Aufsichts- und nicht das Vertragsrecht betrifft, sieht die Richtlinie in Art. 30 Abs. 2 (i.V. mit Art. 15 der Richtlinie 90/619/EWG vom 8. 11. 1990, ABl. L 330 vom 29. 11. 1990, S. 50 – 61) auch die Möglichkeit vor, im nationalen Recht von der aufsichtsrechtlichen Vorgabe, den Versicherungsnehmern ein Widerspruchsrecht einzuräumen, u.a. dann abzusehen, wenn der Versicherungsnehmer wegen der Umstände, unter denen der Vertrag geschlossen wird, dieses besonderen Schutzes nicht bedarf.

Auf die Richtlinie 2002/83 EG vom 5. 11. 2002 (ABl. L 345 vom 19. 12. 2002, S. 1 – 51) kommt es hier nicht an, weil sie nach dem Abschluss des Versicherungsver, trags erlassen wurde.

Die Stellungnahme der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Oktober 2006 rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Diese Stellungnahme hat keinerlei Rechtswirkung. Stellungnahmen sind gemäß Art. 288 Abs. 5 AEUV unverbindliche Rechtsakte. Zur verbindlichen Feststellung der Gemeinschaftswidrigkeit einer nationalen Regelung ist ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften berufen. Zu dessen Anrufung ist es nicht gekommen, weil das Vertragsverletzungsverfahren eingestellt wurde. Zum anderen misst die Stellungnahme § 5a VVG a. F. an den Bestimmungen der Art. 35, 36 der Richtlinie 2002/83/EG, die für den vorliegenden Fall noch nicht durchgreifen.

Auch aus den Schlussanträgen der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof vom 11.7.2013 in der Rechtssache C-209/12 ergeben sich nach Auffassung des Senats keine neuen Gesichtspunkte, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würden. Das Policenmodell trägt mit den Vorschriften des § 5a Abs. 1, 2 S. 1 -3 VVG a.F. dem Verbraucherschutz hinreichend Rechnung, insbesondere entspricht das dem Versicherungsnehmer eingeräumte Widerspruchsrecht dem von Art. 15 I der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung geforderten Rücktrittsrecht, weil es gewährleistet, dass der Versicherungsnehmer eine ansonsten eintretende vertragliche Bindung verhindern kann. Dass das Widerspruchsrecht nach Jahresfrist und Zahlung der ersten Prämie erlischt, ist richtlinienkonform, weil die Zweite Richtlinie Lebensversicherung im Gegensatz zur Richtlinie über Haustürgeschäfte kein ewiges Lösungsrecht verlangt.

Der Kläger kann auch mit seinem Einwand nicht durchdringen, dass § 5a VVG a. F. unmittelbar gegen die Klauselrichtlinie 93/13/EWG vom 5. 4. 1993 (ABl. L. 95 vom 21. 4. 1993, S. 29 – 34) verstoße. Die Richtlinie gibt den Mitgliedsstaaten auf, nach Maßgabe der darin erfolgten Festlegungen einheitliche Rechtsvorschriften in Bezug auf die Einbeziehung missbräuchlicher Klauseln zu erlassen (Erwägungsgründe Nrn. 4 und 10). Vorgaben für gesetzliche Regelungen über den Vertragsschluss als solchen enthält sie nicht.

Schadensersatzansprüche wegen einer Verletzung von Belehrungs- oder Hinweispflichten stehen dem Kläger nicht zu. Die Unvollständigkeiten in den Belehrungen begründen keinen Schadensersatzanspruch. Die Rechtsprechung zu den Belehrungsmängeln bei Haustürgeschäften kann nicht entsprechend herangezogen werden. Dem stehen erhebliche Unterschiede der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung (RL 90/619/EWG vom 8. 11. 1990, ABl. L 330 vom 29. 11. 1990, S. 50 – 61 und RL 92/96 EWG vom 10. 11. 1992, ABl. L 360 vom 9. 12. 1992, S. 1 – 27) einerseits sowie der Haustürgeschäftsrichtlinie (RL 1985/577/ EWG vom 20. 12. 1985, ABl. L 372 vom 31. 12. 1985, S. 31 – 33) andererseits entgegen. Während Art. 4 der Haustürgeschäftsrichtlinie ausdrücklich die Verpflichtung des Gewerbetreibenden zu einer schriftlichen Belehrung des Verbrauchers über dessen Widerrufsrecht anspricht, und Vorgaben zu Form und Inhalt der Belehrung enthält, sieht Art. 15 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung in der Fassung von Art. 30 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung lediglich eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten vor, ein Recht des Versicherungsnehmers vorzusehen, binnen 14 bis 30 Tagen ab Kenntnis vom Vertragsschluss vom Vertrag zurücktreten zu können, ohne dass Belehrungspflichten angesprochen würden. Aus einer richtlinienkonformen Auslegung der Haustürgeschäfterichtlinie ergibt sich eine echte Rechtspflicht des Unternehmers zur Belehrung, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss nach sich ziehen kann (BGH NJW 2007, 357, 360 [BGH 19.09.2006 – XI ZR 204/04]). Dies stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass die Wirksamkeit des Vertrages sicherzustellen ein Gebot des eigenen Interesses, aber keine Rechtspflicht gegenüber dem anderen Teil darstellt. Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wäre aber nicht einmal dann zu bejahen, wenn eine solche Rechtspflicht bestünde. Denn der Kläger hat nichts dazu vorgetragen, dass er dem Vertrag bei ordnungsgemäßer Belehrung widersprochen hätte, wofür auch sonst nichts spricht. Auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens könnte der Kläger sich insoweit nicht stützen (vgl. BGH NJW 2007, 357, 360 [BGH 19.09.2006 – XI ZR 204/04]).

Der Kläger konnte auch nicht wirksam gemäß § 8 Abs. 5 VVG a.F. vom Vertrag zurücktreten, denn dieses Recht besteht nach § 8 Abs. 6 VVG a.F. nicht, wenn der Versicherungsnehmer – wie hier – ein Widerspruchrecht nach § 5a VVG a.F. hat.

Auf den vorprozessual noch erklärten Rücktritt nach dem Verbraucherkreditgesetz bzw. nach § 355 BGB ist der Kläger im Prozess nicht mehr zurückgekommen; aufgrund der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (U. v. 6.2.2013, Az. IV ZR 230/12) könnte er damit auch nicht durchdringen.

Da der Kläger mit seinem Rechtsmittel erfolglos bleibt, fallen ihm dessen Kosten zur Last (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist, beschränkt auf die sich zu § 5a VVG a. F. stellenden Rechtsfragen, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, nachdem der Bundesgerichtshof in einem als vergleichbar anzusehenden Fall eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof beschlossen hat (Beschluss vom 28. März 2012 – IV ZR 76/11).

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