OLG Frankfurt am Main, 21.08.2013 – 1 U 254/11

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 21.08.2013 – 1 U 254/11
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 9. September 2011 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil des Landgerichts ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1

A. Der klagende Insolvenzverwalter nimmt die Beklagte aus einem Kaufvertrag auf Zahlung des 500.000 € betragenden Kaufpreises mit der Begründung in Anspruch, die von der Beklagten unter dem 15. 12. 2008 erklärte Aufrechnung mit einem Anspruch auf Rückerstattung von Vorschüssen auf eine Lizenzvereinbarung zur Verwertung eines Fitnesssystems – bislang teilweise verkürzend und missverständlich als Darlehen bezeichnet – sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam gewesen, weil die Aufrechnungslage in nach §§ 133 f. InsO anfechtbarer Weise hergestellt worden sei. Der Insolvenzantrag der Schuldnerin datiert vom 3. 4. 2009. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, auf dessen Urteil der Senat auch wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug nimmt.
2

Der Kläger verfolgt die Klageforderung mit der im Wesentlichen auf Rechtsausführungen gestützten Berufung weiter. Er beantragt,

das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 500.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 1. 8. 2009 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.
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Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Berufungsvorbringens nimmt der Senat ergänzend auf die Schriftsätze vom 18. 12. 2011 (Bl. 223 ff. d. A.), vom 23. 4. 2012 (Bl. 241 ff. d. A.) und vom 12. 8. 2013 (Bl. 311 ff. d. A.) Bezug.
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B. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis und mit im Kern zutreffender Begründung zu Recht abgewiesen. Die Klageforderung ist durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen. Diese war nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO insolvenzrechtlich unwirksam; die Beklagte hat die Möglichkeit zur Aufrechnung nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt.
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I. Der Senat entscheidet aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 4. 7. 2013 (Bl. 294 d. A.) durch den Einzelrichter (§ 526 Abs. 1 ZPO). Dem Antrag des Klägers auf Vorlage an das Kollegium nach § 526 Abs. 2 ZPO konnte nicht entsprochen werden, weil es an einer wesentlichen Änderung der Prozesslage fehlt und weil sich die Beklagte dem Antrag des Klägers nicht angeschlossen hat.
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II. Eine Anfechtbarkeit wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung in kritischer Zeit (§§ 130, 131 InsO) kommt nicht in Betracht, weil alle in Betracht kommenden Rechtshandlungen in das Jahr 2008 fallen und der Eigenantrag der Schuldnerin vom 3. 4. 2009 datiert. Streitgegenständlich ist demgemäß von vornherein allein die Anfechtbarkeit der Herstellung der Aufrechnungslage nach § 133 Abs. 1 InsO (vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung, dazu nachfolgend 1.) und nach § 134 InsO (Unentgeltlichkeit, dazu unten 2.) gewesen.
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1. Das Landgericht hat die Herstellung der Aufrechnungslage zu Recht als nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar angesehen. Der Kläger hat den ihm obliegenden Nachweis einer Rechtshandlung der Schuldnerin mit dem Vorsatz, ihre Gläubiger zu benachteiligen, nicht geführt.
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a) Eine Rechtshandlung des Schuldners erfordert, dass dieser sich willensgesteuert verhalten und dadurch zur Befriedigung beigetragen hat (vgl. BGH NJW 2010, 1671 ff., [BGH 10.12.2009 – IX ZR 128/08] Tz. 9). Als willensgesteuertes Verhalten der Schuldnerin in diesem Sinne, das zur Begründung der Aufrechnungslage führte, kommt nur der Abschluss des Vorvertrages am 3. 6. 2008 einschließlich der Abreden zur Bevorschussung zukünftiger Lizenzgebühren der Schuldnerin – bislang missverständlich als Darlehen bezeichnet – und insbesondere zur Kaufoption der Beklagten hinsichtlich der Verwendung des Gesamtprodukts „X“ für Neukunden im Falle einer Sonderkündigung in Betracht. Davon geht nunmehr auch der Kläger im Ansatz zutreffend aus.
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b) Der Benachteiligungsvorsatz muss zum Zeitpunkt der Rechtshandlung vorliegen. Nach § 140 Abs. 3 InsO war im Streitfall der 3. 6. 2008 maßgebend, der Tag des Abschlusses des Vorvertrages, der die Erwerbsoption enthielt.
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(1) Die Schuldnerin hatte die Nutzungsrechte i. w. S. unter Nrn. 6.2, 9.4 d) des Vorvertrages bedingt auf die Beklagte übertragen, wobei Bedingungen die Kündigung des Vorvertrages aus wichtigem, von der Schuldnerin zu vertretendem Grund und die Ausübung der Erwerbsoption durch die Beklagte waren. Aus diesen Vertragsbestimmungen ergibt sich deutlich genug – wie der Kläger im Zusammenhang mit dem Rücktritt der Beklagten übrigens selbst ausführt -, dass die Nutzungsrechte im Kündigungs- und Optionsfalle ohne Weiteres auf die Beklagte übergehen sollten, d. h. dass dieser eine im Ansatz unentziehbare Anwartschaft gewährt wurde. Die Aufrechnungsmöglichkeit wurde demgemäß bereits am 3. 6. 2008 bedingt begründet.
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(2) Im vorliegenden Fall kommt es nicht darauf an, dass die aufgerechnete Kaufpreisforderung und damit die Aufrechnungslage erst mit der Ausübung der Kaufoption entstanden ist. Hierbei handelte es sich gerade um die Bedingung der Rechtshandlung, die nach § 140 Abs. 3 InsO außer Betracht zu bleiben hat.
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c) Die Tatsachenfeststellung des Landgerichts, die Schuldnerin habe am 3. 6. 2008 keinen Benachteiligungsvorsatz gehabt, ist auf S. 9 f. des angefochtenen Urteils einleuchtend begründet und deshalb nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für den Senat bindend. Der Kläger hat diese Feststellung in der Berufung erstmals auf S. 7 ff. seines Schriftsatzes vom 12. 8. 2013 (Bl. 317 ff. d. A.), mithin lange nach Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung, angegriffen; seine dortigen Rügen geben zu folgenden Ergänzungen des landgerichtlichen Urteils Anlass:
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(1) Es mag sein, dass sich der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht auf Einzelheiten beziehen muss. Auch die vom Kläger zitierten Entscheidungen des BGH (abgedruckt etwa WM 2009, 1943 ff. [BGH 13.08.2009 – IX ZR 159/06] und BGHZ 155, 75 ff.) erörtern einen Indizienschluss zum Benachteiligungsvorsatz indessen allein für Fälle eingetretener Zahlungsschwierigkeiten. An solchen fehlte es seinerzeit unstreitig bei Abschluss des Vorvertrages.
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(2) Ein Benachteiligungsvorsatz lässt sich auch nicht auf eine deutliche Wertdifferenz zwischen Kaufgegenstand und Kaufpreis stützen. Auf S. 9 f. des angefochtenen Urteils ist detailliert ausgeführt, warum der Wert von Software und Nutzungsrechten i. w. S. nicht mit 1,5 Mio. € angesetzt werden kann. Damit setzt sich der Kläger in der Berufung nicht auseinander.
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(3) Aus dem angeblichen Wissen der Schuldnerin bei Abschluss des Vorvertrages, sie werde bei dessen Kündigung ihre Schulden gegenüber der Beklagten nicht tilgen können, ist nicht ohne weiteres ein Benachteiligungsvorsatz hinsichtlich sonstiger Gläubiger herzuleiten.
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(4) Es mag sein, dass gerade an die Insolvenz anknüpfende Vertragsklauseln einen Benachteiligungsvorsatz nahe legen. Das Kündigungs- und Erwerbsoptionsrecht knüpfte hier indessen an wichtige Gründe, insbesondere Vertragsverletzungen der Schuldnerin an. Die Würdigung des Landgerichts, der Kündigungsfall habe zur Zeit des Vorvertragsschlusses am 3. 6. 2008 nicht notwendig zu einer Insolvenz führen müssen, es handele sich hierbei um einen rein hypothetischen Verlauf, ist nicht widerlegt. Insbesondere war aus damaliger Sicht keineswegs auszuschließen, dass sich zu einem späteren – unabsehbaren – Kündigungszeitpunkt andere Interessenten für das Produkt der Schuldnerin interessieren würden.
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2. Das Landgericht hat ausführlich begründet, warum eine Anfechtbarkeit wegen Unentgeltlichkeit der von der Schuldnerin zu erbringenden Leistung (§ 134 InsO) nicht in Betracht kommt. Der Senat hält diese Ausführungen im Kern für zutreffend. Der Kläger hat seine Berufung insoweit auch nicht begründet.
20

III. Nach allem kann offen bleiben, ob die Klage außerdem an einer Erfüllungsablehnung des Klägers im Sinne des § 103 InsO oder daran scheitert, dass die Beklagte nach der Aufrechnungserklärung vom Kaufvertrag zurückgetreten ist.
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IV. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO. Die Frage der Anwendbarkeit des § 140 Abs. 3 InsO auf Erwerbsoptionen der streitgegenständlichen Art ist nicht allgemein klärungsbedürftig. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, dass die Frage Gegenstand divergierender obergerichtlicher Rechtsprechung oder wissenschaftlicher Erörterung gewesen wäre; dies ist auch sonst nicht ersichtlich.

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