OLG Frankfurt am Main, 10.07.2013 – 11 AR 51/13

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 10.07.2013 – 11 AR 51/13
Leitsatz

Für eine Klage auf Schadensersatz wegen in der Vergangenheit vom Nachbargrundstück aus erfolgter Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers ist der dingliche Gerichtsstand des § 26 ZPO auch dann gegeben, wenn der beklagte frühere Eigentümer des Nachbargrundstückes zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr Eigentümer ist.
Tenor:

Das Amtsgericht Hanau wird gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als das zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
1

I.

Der Kläger ist Eigentümer eines in Hanau belegenen Grundstückes. Der in Berlin ansässige Beklagte war jedenfalls bis Ende 2011 Eigentümer eines Nachbargrundstücks. Der Kläger behauptet, vom Grundstück des Beklagten hochrankendes Efeu und Wilder Wein hätten sein Dach erheblich beschädigt; er begehrt deshalb Ersatz des nach seinen Angaben hierdurch verursachen Schadens in Höhe von rund 3.500 Euro.
2

Der Kläger hat zunächst gegen den Beklagten im September 2012 einen Mahnbescheid erwirkt. Nach Abgabe an das als Prozessgericht angegebene Amtsgericht Hanau wies dieses mit Verfügung vom 15.2.2013 auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit hin, weil der Beklagte nicht mehr Eigentümer des Grundstücks sei und bereits bei Zustellung des Mahnbescheids seinen Wohnsitz in Berlin gehabt habe (Bl. 50 d.A.). Der Beklagte rügte daraufhin die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (Bl. 55 d.A.) Nachdem der Kläger zunächst noch die Auffassung vertreten hatte, die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Hanau ergebe sich aus § 24 Abs. 1 ZPO (BL. 60 d.A.), hat er mit Schriftsatz vom 13.3.2013 Verweisungsantrag gestellt. (Bl. 61 d.A.).
3

Das Amtsgericht Hanau hat sich daraufhin mit Beschluss vom 13.3.2013 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Berlin Charlottenburg verwiesen (BL. 63 d.A.)
4

Das Amtsgericht Charlottenburg hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 10.5.2013 seinerseits für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 74 d.A.). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerseite habe von ihrem nach § 35 ZPO bestehenden Wahlrecht Gebrauch gemacht, indem sie im Mahnbescheidsantrag das AG Hanau als Prozessgericht angegeben habe. Die Zuständigkeit des AG Hanau ergebe sich aus § 26 ZPO. Maßgeblich sei die Lage des beschädigten Grundstücks. Ob der Beklagte als (ehemaliger) Eigentümer des Nachbargrundstücks (noch) hafte, sei eine Frage der Begründetheit und nicht der örtlichen Zuständigkeit.
5

II.

1)

Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonfliktes berufen, da zuerst das Amtsgericht Hanau mit der Sache befasst war, § 36 Abs. 2 ZPO.
6

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Hanau als auch das Amtsgericht Charlottenburg haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.
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2)

Das Amtsgericht Hanau ist nach den §§ 26, 35 ZPO für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig.
8

Nach § 26 ZPO können im dinglichen Gerichtsstand auch persönliche Klagen, die gegen den Eigentümer oder Besitzer einer unbeweglichen Sache als solche gerichtet werden, sowie Klagen wegen Beschädigung eines Grundstücks erhoben werden. Diese Voraussetzungen sieht der Senat vorliegend als erfüllt an, auch wenn der Beklagte zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr Eigentümer des Nachbargrundstückes war.
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§ 26 ZPO bezweckt die Erleichterung der Rechtsverfolgung durch Ausweitung des dinglichen Gerichtsstandes des § 24 ZPO auch auf bestimmte persönliche Klagen, an denen Grundstückseigentümer oder -besitzer beteiligt sind; auch sie sollen durch den „ortsnahen“ Richter entschieden werden können (vgl. Patzina in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl., § 26 Rdnr. 8; Musielak-Heinrich, ZPO, 10. Aufl., § 26 Rdnr. 1; Roth in: Stein/Jonas, § 26 ZPO Rdnr. 1). Soweit Duldungs-, Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche nach den §§ 906 ff., 1004 BGB geltend gemacht werden, ergibt sich bereits aus der Natur der Sache, dass das Eigentum des Beklagten nach dem Klägervortrag gerade zum Zeitpunkt der Klageerhebung bestehen muss. Soweit die geltend gemachten Ansprüche, wie hier, an einen in der Vergangenheit liegenden Zustand des betreffenden Grundstücks anknüpfen und die Passivlegitimation nach dem Klägervortrag auf die damalige Stellung des Beklagten als Grundstückseigentümer gestützt wird, besteht für diese – sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergebende – Einschränkung keine Veranlassung. Anknüpfungspunkt für die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ist auch hier kein persönliches Verhalten des Beklagten, sondern allein ein Tun oder Unterlassen in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Grundstückseigentümer, so dass der Normzweck des § 26 ZPO erfüllt ist.
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Da es sich hierbei um einen besonderen, nicht ausschließlichen Gerichtsstand handelt, hatte der Kläger die Wahl zwischen dem Gerichtsstand des § 26 ZPO und dem allgemeinen Gerichtsstand der §§ 12, 13 ZPO. Dieses Wahlrecht hat er durch die entsprechende Angabe im Mahnbescheidsantrag zugunsten des Amtsgerichts Hanau ausgeübt.
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3)

Das Amtsgericht Charlottenburg ist auch nicht infolge des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Hanau vom 13.3.2013 zuständig geworden, weil dieser Beschluss für das aufnehmende Gericht nicht gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend geworden ist.
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Zwar kommt Verweisungsbeschlüssen Bindungswirkung auch dann zu, wenn sie möglicherweise fehlerhaft sind, denn durch die Vorschrift des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO will das Gesetz erreichen, dass eine Unsicherheit über die Zuständigkeit rasch und endgültig beseitigt wird und Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den Gerichten vermieden werden. Sie entfällt erst, wenn die Verweisung auf der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs der Parteien beruht oder jeder Grundlage entbehrt und sich daher als willkürlich erweist (BGH NJW-RR 2011, 1364 [BGH 17.05.2011 – X ARZ 109/11]; NJW 2006,847; NJW 1993, 1273 [BGH 19.01.1993 – X ARZ 845/92]; NJW-RR 1994, 126 [BGH 06.10.1993 – XII ARZ 22/93];OLG Frankfurt, OLG-Report 1993, 250). Einfache Rechtsfehler rechtfertigen die Annahme von Willkür nicht, ebensowenig die Abweichung von einer herrschenden Meinung, jedenfalls dann, wenn sich diese Meinung nicht zwingend aus dem Gesetz ergibt (BGH NJW 2003, 3201 [BGH 10.06.2003 – X ARZ 92/03]; OLG Brandenburg, MDR 2006, 1184 [OLG Brandenburg 06.04.2006 – 1 AR 12/06] m.w.Nw.; Zöller/Greger aaO, § 281 ZPO Rdnr. 17). Da eine Verweisung die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt, kann die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses darüber hinaus auch dann entfallen, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über diese Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH NJW-RR 2011, 1364 [BGH 17.05.2011 – X ARZ 109/11]; BGH NJW 1993, 1273 [BGH 19.01.1993 – X ARZ 845/92]; BayObLG NJW-RR 2002, 1295 [BayObLG 18.04.2002 – 1 Z AR 36/02]) oder dem Verweisungsbeschluss keinerlei Begründung zu entnehmen ist, warum das verweisende Gericht örtlich nicht zuständig sein soll (BGH NJW 2006, 847) und damit objektiv der Anschein erweckt wird, das Gericht sehe das Fehlen der eigenen Zuständigkeit nicht als Voraussetzung für eine Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Absatz 1 ZPO an (vgl. BayObLGR 2000, 56).
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zum einen bestehen bereits Bedenken, ob dem Beklagten ausreichend rechtliches Gehör gewährt wurde, da dieser zwar selbst die Unzuständigkeit des Amtsgerichts Hanau gerügt hatte, ihm aber der Verweisungsantrag des Klägers nicht zur vorherigen Stellungnahme übersandt worden war.
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Vor allem aber enthält der Verweisungsbeschluss keinerlei Begründung und lässt nicht erkennen, ob sich das Amtsgericht Hanau überhaupt mit dem Einwand der Kläger im Schriftsatz vom 4.3.2013 auseinander gesetzt hat, wonach das Gericht am Belegenheitsort zuständig sei. Wenn auch der Kläger fälschlich auf § 24 ZPO abgestellt hat, so hätte dieser Schriftsatz doch Veranlassung gegeben, das Eingreifen eines dinglichen Gerichtsstandes zu erörtern. Nach dem Wortlaut des § 26 ZPO und der einschlägigen Kommentarliteratur erscheint zwar die Auffassung, wonach der Beklagte zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch Eigentümer sein müsse, ohne weiteres vertretbar – wäre das Amtsgericht Hanau ausdrücklich von dieser Auffassung ausgegangen, hätte dies der Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht entgegen gestanden. Tatsächlich lässt sich aber weder dem Verweisungsbeschluss selbst noch dem vorangegangenen Hinweis des Amtsgerichts Hanau vom 15.2.2012 (Bl. 50 d.A.) entnehmen, dass das Gericht die Zuständigkeitsnorm des § 26 ZPO überhaupt zur Kenntnis genommen und deren Anwendbarkeit auf den konkreten Fall geprüft hat. Damit kommt dem Verweisungsbeschluss vorliegend keine Bindungswirkung zu.

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