OLG Frankfurt am Main, 22.03.2013 – 19 W 22/13 -Die Vereinbarung der Parteien über den Streitwert lässt die für die Zulässigkeit einer Streitwertbeschwerde erforderliche Beschwer nicht entfallen. Auf die formelle Beschwer kann nicht abgestellt werden, weil die Streitwertfestsetzung der Disposition der Parteien entzogen ist.

April 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 22.03.2013 – 19 W 22/13
Orientierungssatz:

Die Vereinbarung der Parteien über den Streitwert lässt die für die Zulässigkeit einer Streitwertbeschwerde erforderliche Beschwer nicht entfallen. Auf die formelle Beschwer kann nicht abgestellt werden, weil die Streitwertfestsetzung der Disposition der Parteien entzogen ist.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Streitwertbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27.11.2012 abgeändert.

Der Gebührenstreitwert für das Verfahren und der Wert des Vergleichs werden auf 63.911,48 EUR festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
1

I.

In dem Rechtsstreit, in dem die Klägerin gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz wegen angeblich fehlerhafter Anlageberatung geltend gemacht hat, haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 12.11.2012 mitgeteilt, die Klägerin habe das Vergleichsangebot der Beklagten mittels außergerichtlichen Schreibens vom 08.11.2012 angenommen (40 % des Nominalbetrages bei entsprechender Kostenquotelung); die Parteien seien sich auch über den Streitwert und die hieraus resultierende Kostenquote einig. Zusätzlich zu dem niedergelegten Vergleichstext nebst Antrag, nach § 278 Abs. 6 ZPO zu verfahren, haben die Beklagten in diesem Schriftsatz ausgeführt, der Gesamtstreitwert betrage 89.298,19 EUR entsprechend der Summe aus den Forderungen der Klageanträge Ziff. 1. und Ziff. 2. zuzüglich eines Betrages von 10.225,83 EUR für den Feststellungsantrag gemäß Ziff. 3. (20 % des Nominalbetrages). Der Vergleichsbetrag belaufe sich demnach auf 20.451,68 EUR, die Kostenquote betrage 77,13 % (Klägerin) zu 22,87 % (Beklagte).
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Gegenstand des Klageantrages Ziff. 2. war ein auf 25.486,71 EUR bezifferter Anspruch wegen des Schadens, der der Klägerin dadurch entstanden sei, dass sie das eingesetzte Kapital zuzüglich Agio nicht anderweitig mit einer 4 %igen Verzinsung angelegt habe.
3

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 15.11.2012 unter Bezugnahme auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12.11.2012 der dortigen Vergleichsformulierung zugestimmt und ebenfalls beantragt, nach § 278 Abs. 6 ZPO zu verfahren.
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Das Landgericht hat durch Beschluss vom 27.11.2012 das Zustandekommen des von den Parteien mitgeteilten Vergleichs festgestellt und mit Beschluss vom 27.11.2012 den Streitwert des Verfahrens einschließlich des Vergleichs auf 89.298,19 EUR festgesetzt.
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Mit Schriftsatz vom 06.02.2013 hat die Klägerin Streitwertbeschwerde erhoben mit dem Ziel einer Festsetzung, bei der der ursprünglich gemäß Ziff. 2. der Klageanträge geltend gemachte entgangene Gewinn als Nebenforderung unberücksichtigt bleibt. Das Landgericht hat der Streitwertbeschwerde gemäß Beschluss vom 14.03.2013 nicht abgeholfen mit der Begründung, dass wegen der mitgeteilten Einigung der Parteien über den Streitwert und dessen Auswirkung auf die Kostenquotelung im Vergleich konkludent ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei.
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II.

Die Streitwertbeschwerde der Klägerin ist nach § 68 Abs. 1 GKG zulässig. Sie ist nicht wegen eines (konkludent erklärten) Rechtsmittelverzichts entsprechend § 515 ZPO (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 567 Rn. 15 für die sofortige Beschwerde) ausgeschlossen. Der Vereinbarung der Parteien über den Streitwert in Verbindung mit der daraus abgeleiteten Kostenquote im Prozessvergleich kann ein konkludent erklärter Rechtsmittelverzicht nicht entnommen werden. Für die Auslegung einer Erklärung als Rechtsmittelverzicht ist Zurückhaltung geboten. Hier gelten wegen der Unwiderruflichkeit und Unanfechtbarkeit einer solchen Erklärung strenge Anforderungen. Ein Rechtsmittelverzicht ist nur dann anzunehmen, wenn in der Erklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck gebracht wird, die Entscheidung endgültig hinzunehmen und nicht anfechten zu wollen (BGH, Beschl. v. 05.09.2006, VI ZB 65/05, Rn. 8 m.w.N., juris). Das ist hier nicht der Fall. Gegen einen Rechtsmittelverzicht der Klägerin spricht insbesondere, dass die Parteien dem Landgericht durch Schriftsätze den Abschluss eines Vergleiches mitteilten mit der Bitte, das Zustandekommen des Vergleiches gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festzustellen, ohne dass der als „vereinbart“ mitgeteilte Streitwert bereits festgesetzt worden war, der Vergleich mithin unabhängig von der Streitwertfestsetzung abgeschlossen war. Gegen einen Rechtsmittelverzicht spricht ferner, dass die von den Parteien mitgeteilte Einigung auf einen bestimmten Streitwert das Gericht nicht binden konnte, weil der Streitwert von Amts wegen nach Maßgabe der hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen festzusetzen ist und Erklärungen der Parteien nur als unverbindliche Anregungen zu verstehen sind (KG Berlin, Beschl. v. 24.01.2013, 12 W 102/12, Rn. 1; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.10.2009, 4 W 41/09, Rn. 10, 11; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2008, 24 W 17/08, Rn. 4ff., jeweils juris; andere Ansicht Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., GKG § 68 Rn. 9). Gegen einen Rechtsmittelverzicht der Klägerin spricht ferner auch der Umstand, dass das Gericht durch die von den Parteien mitgeteilte Vereinbarung über den Streitwert nicht daran gehindert werden konnte, den festzusetzenden Wert in den zeitlichen Grenzen des § 63 Abs. 3 S. 2 GKG gemäß § 63 Abs. 3 S. 1 GKG auch von Amts wegen zu ändern.
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Aus den genannten Gründen steht der Beschwerde auch nicht der Gesichtspunkt von Treu und Glauben entgegen. Zwar liegt auf der Hand, dass die Streitwertbeschwerde der Klägerin im Widerspruch zu der Vereinbarung des Wertes mit den Beklagten steht. Darin liegt jedoch deshalb noch kein Verstoß gegen Treu und Glauben, weil nicht ersichtlich ist, dass sich die Beklagten auf die Wertfestsetzung des Landgerichts verlassen haben und verlassen durften. Denn der Vergleich wurde materiell-rechtlich bindend von den Parteien bereits vor der Festsetzung des Streitwertes durch das Landgericht abgeschlossen. Auch ist nicht ersichtlich, dass die angestrebte Verringerung des Streitwertes der im Vergleich vereinbarten Kostenquote die Grundlage entzieht. Denn auch Nebenforderungen sind bei der Bildung der Kostenquote gem. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu berücksichtigen, wenn sie – wie hier – einen nicht geringen Teil der Gesamtforderung ergeben (Zöller/Herget, 29. Aufl., ZPO § 92 Rn. 1, m.w.N.).
8

Die Vereinbarung der Parteien über den Streitwert lässt auch nicht die für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderliche Beschwer der Klägerin entfallen. Der Senat folgt der Auffassung, dass auf die formelle Beschwer, die dann fehlt, wenn die gerichtliche Entscheidung nicht hinter dem gestellten Antrag zurückbleibt, bei der Streitwertfestsetzung nicht abgestellt werden kann, weil diese der Disposition der Parteien entzogen und von Amts wegen zu treffen ist (OLG Celle, Beschl. v. 17.11.2005, 3 W 142/05, Rn. 10, juris; KG Berlin, a.a.O., Rn. 1; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 10; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 6; anderer Ansicht: Hartmann, a.a.O., m.w.N.).
9

Die Streitwertbeschwerde ist begründet. Bei der mit Klageantrag Ziff. 2. geltend gemachten Forderung wegen entgangenen Gewinnes aus der Verzinsung des hypothetisch in eine andere Anlage investierten Kapitals handelt es sich um eine Nebenforderung, die nach § 43 GKG bei der Wertfestsetzung nicht zu berücksichtigen ist (BGH, Beschl. v. 08.05.2012, XI ZR 102/11, Rn. 14; Senatsbeschl. v. 10.06.2011, 19 W 31/11, Rn. 4, jeweils juris). Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt dieser Forderung nicht deshalb der Charakter einer Nebenforderung, weil der entgangene Gewinn in Klageantrag Ziff. 2. beziffert und zusätzlich neben der in Klageantrag Ziff. 1. geltend gemachten Zinsforderung verlangt wurde. Die zweifache Geltendmachung desselben Schadens ändert dessen Rechtsnatur als Nebenforderung nicht. Ebenso geht der Einwand der Beklagten fehl, wegen erlangter Steuerersparnisse und Ausschüttungen von ca. 60 % des eingesetzten Kapitals habe die Klägerin einen entsprechenden Betrag von Anfang an anderweitig verzinslich anlegen können, so dass eine Hauptforderung, aus der die Zinsen als Nebenforderung hätten entstanden sein können, in Höhe von 60 % nicht bestanden haben könne, Zinsen mithin insoweit auch nicht in Abhängigkeit von der Hauptforderung hätten entstehen können. Dieser von den Beklagten geltend gemachte Umstand beinhaltet einen materiell-rechtlichen Einwand gegen die Schadenshöhe, der für den Wert der Klageanträge ohne Belang ist.
10

Der Ausspruch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

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