OLG Frankfurt am Main, 13.03.2013 – 1 U 241/11

April 21, 2019

OLG Frankfurt am Main, 13.03.2013 – 1 U 241/11
Leitsatz

1. Die Unwirksamkeit eines Urteils oder einer sonstigen gerichtlichen Entscheidung kann mit der Feststellungsklage geltend gemacht werden, soweit im Einzelfall ein Feststellungsinteresse besteht (Anschluss an BGH NJW 1959, 723 [BGH 26.01.1959 – II ZR 119/57]).

2. Ein Urteil ist nicht allein deshalb unwirksam, weil das Gericht die Unzulässigkeit der Klage wegen fehlerhafter Bezeichnung der Beklagten übersehen und nicht zu allen notwendigen Streitgenossen entschieden hat. Das Urteil bindet jedenfalls die Streitgenossen, gegen die es ergangen ist.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 26. 8. 2011 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen wird.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil des Landgerichts ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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A. Die Parteien sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft B-Straße … in O1 und Eigentümer benachbarter Wohnungen. Der Beklagte beansprucht eine vor seiner Wohnung liegende, als Terrasse genutzte Dachfläche als Sondereigentum für sich, während die Klägerin die Ansicht vertritt, die Fläche sei dem Gemeinschaftseigentum zuzuordnen und werde vom Beklagten widerrechtlich genutzt. In einem früheren Rechtsstreit (2-13 O 256/08 Landgericht Frankfurt am Main = 1 U 222/09 Oberlandesgericht Frankfurt am Main), an dem u. a. die Parteien beteiligt waren, hat das Landgericht durch Versäumnisurteil vom 9. 7. 2009 festgestellt, dass die Terrassenfläche Nr. 1, die der gemäß Teilungsplan mit Nr. 34 bezeichneten Wohnung im … OG vorgelagert ist, im räumlichen Sondereigentum des hiesigen Beklagten steht. Der gegen das Versäumnisurteil gerichtete Einspruch wurde verworfen, die von der Klägerin und der Miteigentümerin A geführte Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil durch Beschluss des Senats vom 11.10.2010 zurückgewiesen. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Versäumnisurteil vom 9. 7. 2009 unwirksam ist.
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Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
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Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
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Die Klägerin rügt mit ihrer Berufung, das Landgericht habe verkannt, dass sie ein berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen Feststellung dazu habe, ob der Beklagte die Terrasse wie ein Sondereigentümer nutzen dürfe oder nicht. Das Versäumnisurteil sei unwirksam gewesen. Hinsichtlich der Feststellungsklage des damaligen Klägers (hiesigen Beklagten) seien die damaligen Beklagten, die übrigen Wohnungseigentümer, notwendige Streitgenossen gewesen; die damalige Klage hätte wegen der teilweise unrichtigen Bezeichnung der damaligen Beklagten als unzulässig abgewiesen werden müssen. Die im Vorprozess nicht beteiligten Wohnungseigentümer seien an das Versäumnisurteil nicht gebunden, weshalb dieses überhaupt nicht in Rechtskraft erwachsen könne. Es erzeuge nur den Rechtsschein eines Staatshoheitsaktes, der auch Jahre später beseitigt werden könne. Das Landgericht habe im Versäumnisurteil zu Unrecht die Zulässigkeit der Klage offen gelassen und zur Sache entschieden. Im vorliegenden Rechtsstreit habe das Landgericht seine Hinweispflicht verletzt.
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Die Klägerin beantragt,
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das landgerichtliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Versäumnisurteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. 7. 2009, Az. 2-13 O 256/08, unwirksam ist,
hilfsweise
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückzuverweisen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung kostenpflichtig abzuweisen.
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Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.
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Die Akte des o. g. Vorprozesses (2-13 O 256/08 Landgericht Frankfurt am Main = 1 U 222/09 Oberlandesgericht Frankfurt am Main) war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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B. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Nämliches gilt für die Klage. Das streitgegenständliche Versäumnisurteil ist nicht unwirksam.
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I. Gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage bestehen keine Bedenken. Es ist anerkannt, dass die Unwirksamkeit eines Urteils oder einer sonstigen gerichtlichen Entscheidung mit der Feststellungsklage geltend gemacht werden kann, soweit im Einzelfall ein Feststellungsinteresse besteht (vgl. BGH NJW 1959, 723, 724 [BGH 26.01.1959 – II ZR 119/57]; OLG Düsseldorf NJW 1986, 1763 [OLG Düsseldorf 08.10.1985 – 2 UF 132/85]; MünchKommZPO-Musielak, 4. Aufl. 2013, vor § 300 Rn. 6; Musielak-Foerste, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 256 Rn. 32; Zöller-Vollkommer, ZPO, 29. Aufl. 2012, vor § 300 Rn. 19). Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung, ob der Beklagte die Dachterrasse aufgrund des streitgegenständlichen Versäumnisurteils allein als Sondereigentum nutzen, oder ob sie als Miteigentümerin diese Terrasse als Bestandteil des Gemeinschaftseigentums mit benutzen darf.
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II. Die Klage ist sachlich nicht gerechtfertigt. Das streitgegenständliche Versäumnisurteil ist nicht unwirksam, sondern jedenfalls gegenüber der Klägerin formell und materiell rechtskräftig. Ob andere Miteigentümer, die in der vom Beklagten im Vorprozess vorgelegten Eigentümerliste nicht aufgeführt waren, an das Versäumnisurteil gebunden sind, ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich, da dies die Klage nicht begründen könnte.
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1. Gerichtliche Entscheidungen sind nur ganz ausnahmsweise unwirksam.
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a) Ein Urteil ist regelmäßig wirksam, wenn es von einem Gericht im Rahmen eines Urteilsverfahrens ordnungsgemäß verkündet wurde, sich gegen eine der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegende Partei richtet und keine als solche gesetz- oder sittenwidrige oder dem Recht unbekannte Rechtsfolge ausspricht (vgl. BGHZ 124, 164, 170). Auch schwere Fehler des Gerichts in verfahrens- wie in sachlich-rechtlicher Hinsicht begründen grundsätzlich nicht die Unwirksamkeit der Entscheidung, sondern allenfalls eine Anfechtbarkeit mit dem jeweils statthaften Rechtsbehelf (vgl. BGHZ 127, 74, 76, 79); Ausnahmen kommen nur bei evidenten, besonders schweren Fehlern in Betracht (vgl. BGH, a. a. O., 79; MDR 2007, 600, 601; OLG Düsseldorf MDR 1988, 881, 882). Eine Unwirksamkeit ist bislang angenommen worden etwa bei Widersprüchlichkeit und Unbestimmtheit eines Urteils (vgl. BGHZ 5, 240, 244 ff.), bei für einen Beschluss fehlender Gerichtsbarkeit (vgl. BGH NJW 1959, 723 [BGH 26.01.1959 – II ZR 119/57]), bei Unmöglichkeit der ausgesprochenen Rechtsfolge (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1986, 1763 [OLG Düsseldorf 08.10.1985 – 2 UF 132/85]), bei Entscheidung über in einem anderen Verfahren anhängige Klage (BGH NJW-RR 1986, 565 f. [BayObLG 23.01.1986 – 2 Z 14/85]) oder bei Verurteilung einer inexistenten Partei (vgl. BGH NJW 2010, 3100, 3101 [BGH 31.05.2010 – II ZB 9/09]).
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b) Für Fälle notwendiger Streitgenossenschaft ist geklärt, dass verfahrensfehlerhaft nur zu einzelnen Streitgenossen ergangene Entscheidungen nicht unwirksam, sondern bezüglich der jeweils betroffenen Streitgenossen der formellen und materiellen Rechtskraft fähig sind (vgl. BGH NJW 1989, 2133, 2134 [BGH 21.12.1988 – VIII ZR 277/87]; VIZ 2001, 499, 500 [BGH 18.05.2001 – V ZR 353/99]; BGHZ 131, 376, 381 f.; RGZ 132, 349, 352; Dressler, in: BeckOK ZPO, Stand 30. 10. 2012, § 62 Rn. 43; MünchKommZPO-Schultes, 4. Aufl. 2013, § 62 Rn. 53; Musielak-Weth, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 62 Rn. 21); streitig ist insoweit lediglich, wie der gebotene Schutz der übrigen notwendigen Streitgenossen zu gewähren ist (deren Bindung an die Rechtskraft ablehnend BGHZ 131, 376, 382 f.; a. A. etwa MünchKommZPO-Schultes, a. a. O.).
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2. Nach diesen Grundsätzen ist das streitgegenständliche Versäumnisurteil nicht unwirksam, sondern in formeller und materieller Rechtskraft erwachsen zulasten der Klägerin wie der übrigen, damals vom Landgericht verurteilten Miteigentümer.
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a) Der erste von der Klägerin angeführte vermeintliche Nichtigkeitsgrund, das Landgericht habe damals mit der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht die (damaligen) Beklagten, sondern einen nicht verklagten Dritten verurteilt, ist durch den im Vorprozess am 14.10.2011 ergangenen Berichtigungsbeschluss (Anlage K 1 zur Berufungsbegründung, Bl. 259 ff. d. A. = Bl. 530 ff. der Beiakte) überholt. Klage und Versäumnisurteil richteten sich nicht gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband, sondern gegen die übrigen Wohnungseigentümer, was die Klägerin im Vorprozess selbst noch erkannte (z. B. S. 2 des Schriftsatzes vom 16.12.2009, Bl. 381 der Beiakte) und was sowohl im landgerichtlichen Urteil wie im Berichtigungsbeschluss zutreffend begründet ist.
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b) Fehler des Landgerichts im Zusammenhang mit der Eigentümerliste könnten eine Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Versäumnisurteils nicht begründen.
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(1) Es spricht zwar manches dafür, die übrigen Wohnungseigentümer im Vorprozess über die Feststellung der Abgrenzung von Sonder- und Gemeinschaftseigentum als notwendige Streitgenossen anzusehen, sowie dafür, dass die Klage bei Fehlen einer – nach dem Maßstab des Grundbuchs – zutreffenden Eigentümerliste bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung als unzulässig abzuweisen gewesen wäre. Ein Urteil nur gegenüber einzelnen Miteigentümern dürfte wegen der notwendigen Streitgenossenschaft unzulässig gewesen sein.
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(2) Beide etwaigen Fehler – ein Übersehen der Unzulässigkeit der Klage und eines Urteils nicht gegen alle übrigen („richtigen“) Eigentümer – begründeten indessen nach den o. a. Grundsätzen nicht die Unwirksamkeit, sondern allenfalls die Anfechtbarkeit des streitgegenständlichen Versäumnisurteils. Da dieses nicht wirksam angefochten worden ist, wie der Senat im Vorprozess mit Beschluss vom 11.10.2010 entschieden hat, bindet es ungeachtet seiner etwaigen Unrichtigkeit die Klägerin wie die übrigen seinerzeit verklagten Miteigentümer. Ob und ggf. auf welchem Wege am Vorprozess nicht beteiligte, weil in der vom Beklagten vorgelegten Liste nicht aufgeführte Miteigentümer sich gegen die Feststellung des Versäumnisurteils zum Sondereigentum des Beklagten an der Terrasse wenden können, ist für die vorliegende Klage ohne Belang.
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(3) Es fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme der Klägerin, das Landgericht habe im Versäumnisurteil zur Sache entschieden und die Zulässigkeit der Klage offen gelassen. Das Landgericht hat damals ersichtlich die Zulässigkeit wie die Schlüssigkeit der Klage positiv beurteilt.
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(4) Die Berufungsrüge aus § 139 ZPO ist hinsichtlich der Kausalität unzureichend ausgeführt. Die Klägerin hat auch in der Berufungsinstanz im Wesentlichen ihre Rechtsansichten wiederholt und vertieft.
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III. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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