OLG Frankfurt am Main, 18.01.2013 – 7 U 137/12

April 21, 2019

OLG Frankfurt am Main, 18.01.2013 – 7 U 137/12
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 21. März 2012 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Gießen (Az.: 2 O 434/11) wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.
Gründe
1

I.

Der Kläger hat bei der Beklagten unter dem 14.08.1998 den Abschluss einer Lebensversicherungsvertrages beantragt. Der Vertrag wurde mit Beginn zum 01.09.1998 policiert. Der Kläger hat erklärt, nicht mehr im Besitz des Versicherungsscheins zu sein. Die Beklagte hat das Muster einer Police vorgelegt (Bl. 379/380 d.A.) und hat unwidersprochen vorgetragen, es entspreche der dem Kläger im Jahr 1998 übersandten Police. Die erste Seite des Versicherungsscheins enthält eine tabellarische Darstellung der Vertragsdaten. Auf der zweiten Seite heißt es im Fettdruck:
2

„Der Vertrag gilt auf der Grundlage dieses Versicherungsscheins, der darin enthaltenen Versicherungsbedingungen und der ebenfalls für den Vertragsschluss maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen schriftlich widersprechen. Der Lauf dieser 14tägigen Widerspruchsfrist beginnt, wenn Ihnen die o.g. Unterlagen – einschließlich dieser Belehrung über das Widerspruchsrecht – vollständig vorliegen; abweichend hiervon erlischt Ihr Recht zum Widerspruch jedoch spätestens ein Jahr nach Zahlung des ersten Beitrags. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs“.
3

Auf den nachfolgenden Seiten 3 bis 21 des Versicherungsscheins folgen Hinweise, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, Produktbedingungen und Merkblätter. Im September 1998 zahlte der Kläger die Erstprämie.
4

Mit Schreiben vom 22.12.2003 beantragte der Kläger eine Änderung der Fondsanlage. Die Beklagte fertigte unter dem 07.01.2004 eine Ersatzpolice mit Wirkung ab dem 01.01.2004 aus (Bl. 399/400 d.A.). Auch diese enthält auf der ersten Seite eine tabellarische Aufstellung der Vertragsdaten und auf der zweiten Seite in Fettdruck folgende Belehrung:
5

„Die Vertragsänderung gilt auf der Grundlage dieses Versicherungsscheins, der darin enthaltenen Versicherungsbedingungen und der ebenfalls für den Vertragsabschluss maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen in Textform widersprechen. Der Lauf dieser 14tägigen Widerspruchsfrist beginnt, wenn Ihnen die o.g. Unterlagen – einschließlich dieser Belehrung über das Widerspruchsrecht – vollständig vorliegen.
6

Den Umfang einer vollständigen Information regelt § 10 a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) in Verbindung mit Anlage D zu diesem Gesetz. Wenn Sie die Unterlagen nicht vollständig erhalten haben oder die Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht erfolgte, erlischt abweichend von Satz 2 Ihr Recht zum Widerspruch spätestens ein Jahr nach Zahlung des ersten Beitrags.
7

Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. Bei einem fristgerechten Widerspruch gilt der ursprüngliche Vertrag mit den ursprünglichen technischen Daten unverändert weiter“.
8

Sodann folgen wiederum Hinweise, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, Produktbedingungen und Merkblätter.
9

Der Kläger zahlte die Prämie weiter und erklärte mit Schreiben vom 04.03.2004 die Kündigung mit der Bitte um Überweisung des Rückkaufswerts (Bl. 94 d.A.). Die Beklagte rechnete den Vertrag zum 31.03.2004 ab und zahlte einen Rückkaufswert von 12.481,57 € aus. Der von der Beklagten ausgekehrte Rückkaufswert war um 4.646,98 € niedriger als die Summe der bis dahin eingezahlten Prämien, die 17.128,55 € betragen hatte.
10

Mit Anwaltsschreiben vom 08.03.2011 ließ der Kläger den Widerspruch nach § 5 a VVG a. F. bzw. § 8 VVG und den Widerruf nach § 355 BGB erklären (Bl. 19 – 21 Rs d.A.). Er machte geltend, von der Beklagten nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht, über Abschlusskosten und über Rückvergütungen „für Investition in bzw. für die Vermittlung der Fondsprodukte“ aufgeklärt worden zu sein. Er vertrat die Auffassung, dass sein Widerspruchsrecht nicht nach § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. erloschen sei, weil § 5 a VVG a.F. gemeinschaftsrechtswidrig sei.
11

Die Kommission der EG leitete im Jahr 2005 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. In einer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 12.10.2006 (Bl. 23-26 d.A.) führte sie aus, dass § 5 a VVG a.F. nicht dem den einschlägigen Richtlinien zu entnehmenden Grundsatz genüge, dass der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß unterrichtet werden müsse, bevor er sich vertraglich binde. Nach dem Policenmodell gelte ein Vertrag zunächst als abgeschlossen, obwohl dem Versicherungsnehmer im Moment seiner Entscheidung die nach den Richtlinien relevanten Informationen nicht vorlägen. Ein Vertrag könne sogar als abgeschossen gelten, ohne dass der Versicherungsnehmer davon unterrichtet werde. Letztlich stellte die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren am 05.08.2008 ein.
12

Mit der Klage macht der Kläger zum einen den Differenzbetrag zwischen dem Rückkaufswert und der Summe der eingezahlten Prämien, d.h. 4.646,98 €, geltend. Darüber hinaus fordert er Zinsen in Höhe von 7% p.a., zeitlich gestaffelt, auf die gezahlten Prämien. Er hat insoweit per 30.03.2011 einen Zinsbetrag von 16.318,82 € errechnet, den er den 4.646,98 € hinzuschlägt. Auf die sich daraus ergebende Summe von 20.965,80 € fordert er Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 23.03.2011. Darüber hinaus beansprucht der Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
13

Der Kläger hat eine Übergabe der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen bei der Übermittlung der Versicherungspolice mit Nichtwissen bestritten und hat dazu ausgeführt, sich nicht mehr erinnern zu können, ob diese Unterlagen dem Versicherungsschein beigefügt gewesen seien. Auch nach gründlicher Sichtung sämtlicher Unterlagen habe er weder die Versicherungsbedingungen noch die Verbraucherinformationen finden können. Der Kläger hat weiter behauptet, dass die Beklagte mit den von ihm eingezahlten Prämien eine Rendite von 7% erwirtschaftet habe. Er hat geltend gemacht, dass ein Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen sei, jedenfalls ein eventuell abgeschlossener Vertrag durch wirksamen Widerspruch beseitigt worden sei. Dabei hat er die Auffassung vertreten, dass eine Befristung eines Widerspruchsrechts den Grundsätzen der Heininger-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Rs. C-481/99) widerspreche, so dass ihm ein unbefristetes Widerspruchsrecht zugestanden habe. Weiter hat der Kläger darauf abgestellt, dass § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. gemeinschaftsrechtswidrig sei und dass daher im Wege teleologischer Reduktion des § 5 a VVG a.F. der Abs. 2 Satz 4 der Norm unangewendet bleiben müsse. Ferner hat er die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wegen im Einzelnen formulierter Fragen angeregt.
14

Den Anspruch auf Rückzahlung der restlichen Prämien hat der Kläger auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützt. Nach seiner Auffassung muss die Beklagte den ausgerechneten Zinsbetrag gemäß § 818 Abs. 1 BGB als gezogene Nutzungen ersetzen. Darüber hinaus hat der Kläger c.i.c. als Anspruchsgrundlage herangezogen, wobei er das Verschulden der Beklagten in einer behaupteten fehlerhaften Aufklärung über sein Widerspruchsrecht gesehen hat. Den Zinsanspruch hat er auch insoweit auf § 818 Abs. 1 BGB gestützt.
15

Der Kläger hat umfangreich Hinweise verschiedener Instanzgerichte wie auch des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vorgelegt, aus denen er Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität des § 5 a VVG a.F. herausliest, sowie schließlich den Beschluss des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 28.03.2012 in der Sache IV ZR 76/11, mit dem die Frage der Richtlinienkonformität des § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorgelegt worden ist.
16

Die Beklagte hat zum einen behauptet, dass der Kläger mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation erhalten habe. Zum anderen hat sie geltend gemacht, dass das Widerspruchsrecht des Klägers in jedem Falle nach § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. erloschen sei. Dabei hat sie sich auf die Rechtsprechung zahlreicher Oberlandesgerichte bezogen. Sie hat bestritten, eine Rendite von 7% erwirtschaftet zu haben, und hat schließlich die Verjährung des vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruchs eingewandt.
17

Wegen der Antragstellung im ersten Rechtszug und des Parteivorbringens erster Instanz im Einzelnen wird ergänzend auf die im ersten Rechtszug gewechselten Schriftätze und auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
18

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Einen Bereicherungsanspruch hat es mit der Begründung verneint, die Prämienzahlungen seien mit Rechtsgrund erfolgt. Spätestens ein Jahr nach Zahlung der Erstprämie sei der Versicherungsvertrag endgültig wirksam geworden. § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. verstoße nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Aus den Erwägungsgründen der Lebensversicherungs- wie der Schadensversicherungsrichtlinien ergebe sich, dass mit diesen Rechtsakten lediglich eine Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrechts, nicht aber des Versicherungsvertragsrechts bezweckt worden sei. Der deutsche Gesetzgeber habe die Richtlinien mit der Verabschiedung des § 10 a VAG vollständig und korrekt umgesetzt. Ein ernsthaftes und schützenswertes Informationsinteresse des VN bestehe ein Jahr nach Zahlung der Erstprämie nicht mehr. Schadensersatzansprüche hat das Landgericht mit der Begründung verneint, dass § 5 a VVG a.F. den VN abschließend vor den Folgen des Vertragsschlusses schütze.
19

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter und beantragt hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens und Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften.
20

Er macht geltend, dass sich aus § 10 a VAG ergebe, dass die Verbraucherinformationen bereits bei der Antragstellung vorliegen müssten. Sie hätten ihm jedoch allenfalls bei der Übergabe der Police vorgelegen (Seite 4 des Schriftsatzes vom 23.05.2012; Bl. 299 d.A.). An anderer Stelle führt der Kläger aus, dass ihm die Versicherungsbedingungen nur unvollständig bekannt gemacht worden seien (Seite 5 des genannten Schriftsatzes; Bl. 300 d.A.). Worin die Unvollständigkeit bestanden haben soll, trägt der Kläger nicht vor. In diesem Zusammenhang vertritt er die Auffassung, dass der Versicherungsvertrag regelmäßig nach der Annahme des Antrags und vor der Übersendung der Police als geschlossen gelte. Dass vertreten werde, dass der Vertrag bis zu einer ausreichenden Belehrung schwebend unwirksam sei, sei irrelevant, weil der Versicherungsnehmer nicht über ausreichende Rechtskenntnisse verfüge, um die schwebende Unwirksamkeit zu erkennen.
21

Der Kläger stellt – noch vor der Vorlage der Widerspruchsbelehrungen durch die Beklagte – darauf ab, dass die Belehrung auch inhaltlich fehlerhaft sei. Dabei stützt er sich auf ein von der Beklagten verwendetes Zitat mit der Wendung „… innerhalb von 14 Tagen schriftlich in Textform widersprechen…“ (Seite 3 der Klageerwiderung vom 08.02.2012; Bl. 74 d.A.). Er will dem angefochtenen Urteil entnehmen, dass nach Auffassung des Landgerichts die Richtlinie 2002/83 EG vom 05.11.2002 (ABl. L 345 vom 19.12.2002, S. 1 – 51) nur Regelungen im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts getroffen habe, und greift dies unter Rückgriff auf die Erwägungsgründe Nrn. 45 und 51 sowie auf Art. 36 jener Richtlinie an. Neben der bereits erwähnten mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission vom 12.10.2006 stützt sich der Kläger nun auch auf eine Stellungnahme vom 23.05.1995 (Bl. 305 d.A., auch abgedruckt bei Lorenz VersR 1997, 773). In der Sache hält er daran fest, dass im Wege einer teleologischen Reduktion des § 5 a VVG a.F. dessen Abs. 2 Satz 4 außer Anwendung bleiben müsse. Zu den von der Beklagten vorgelegten Versicherungs- bzw. Änderungsanträgen und zu den vorgelegten Policen sowie zu dem dazu gehaltenen Vortrag der Beklagten erklärt sich der Kläger nicht.
22

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 20.965,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.03.2011 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von EUR 1.253,78 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
hilfsweise für den Fall, dass sich das Gericht den Ausführungen zu § 5 a VVG a.F. nicht anschließt,
3. das Verfahren auszusetzen und die Vorlage folgender Fragen im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anzuordnen:
1. Verstößt eine nationale Regelung, derzufolge die unterlassene Übermittlung der vorvertraglichen Informationen lediglich durch ein Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers sanktioniert wird, gegen Art. 31 und Anhang II.A der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Lebensversicherung) (ABl. EG L 360 vom 9. Dezember 1992, S. 1 ff.) bzw. Art. 36 Abs. 1 und Anhang III.A. der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. EG L 345/1 vom 19. Dezember 2002, S. 1 ff.) und gegen die vom EuGH in der Rechtssache Heininger (Rs. C-481/99, Slg. 2001, I-9945) aufgestellten Grundsätze sowie gegen den Grundsatz der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung“ (Art. 4 Abs. 3 EUV) und das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 1 S. 3 EUV, Art. 47 S. 1 EuGRCh), wenn der Versicherungsnehmer ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie das Widerrufsrecht verliert, obwohl er niemals oder unvollständig die vorgeschriebenen Informationen erhalten hat, insbesondere nicht bzw. nicht richtig über sein Widerrufsrecht gem. Art. 31 und Anhang II.A.a.13. der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 36 Abs. 1 und Anhang III.A.a.13. der Richtlinie 2002/83/EG belehrt worden ist?
2. Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist: Muss nach dem Unionsrecht eine nationale Regelung, derzufolge das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers trotz unterlassener oder unvollständiger Übermittlung der Informationen und trotz unterlassener oder fehlerhafter Belehrung über das Widerrufsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, unangewendet bleiben?

23

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
25

Wegen des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird ergänzend auf die Berufungsbegründung vom 23.05.2012, die Berufungserwiderung vom 09.07.2012, den Schriftsatz der Beklagten vom 06.08.2012 und die Sitzungsniederschrift vom 05.12.2012 Bezug genommen.
26

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
27

Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB), die auf Rückzahlung der die Rückkaufswerte übersteigenden Prämienzahlungen gerichtet sind, stehen dem Kläger nicht zu. Denn er hat die Prämien mit Rechtsgrund gezahlt. Der Versicherungsvertrag war wirksam zustande gekommen und wurde durch die mit dem Schreiben des Klägers vom 04.03.2004 erklärte Kündigung ex nunc beendet. Der im Anwaltsschreiben vom 08.03.2011 erklärte Widerspruch brachte den Vertrag jedenfalls deshalb nicht ex tunc zum Erlöschen, weil dem Kläger zu diesem Zeitpunkt ein Widerspruchsrecht nicht mehr zustand. Danach waren jedoch nicht die eingezahlten Prämien, sondern nur der Rückkaufswert zu erstatten.
28

Auf den Vertragsschluss im Jahr 1998 ist das damals geltende Recht anzuwenden, d.h. § 5 a VVG a. F. in der vom 29.07.1994 bis zum 31.07.2001 gültig gewesenen Fassung. Danach galt, wenn der Versicherer – wie hier – dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen hatte, der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der Unterlagen schriftlich widersprach (§ 5 a Abs. 1 VVG a. F.). Der Lauf der Frist begann erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Abs. 1 vollständig vorlagen und der Versicherungsnehmer schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer der Frist belehrt worden war (§ 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a. F.). Zur Wahrung der Frist genügte die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs (§ 5 a Abs. 2 Satz 3 VVG a. F.). Abweichend von Satz 1 erlosch das Recht zum Widerspruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie (§ 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F.).
29

Der Kläger hat nicht bestritten, die im Jahr 1998 ausgestellte ursprüngliche Police erhalten zu haben. Er hat vielmehr schon in der Klageschrift vorgetragen, „nicht mehr“ im Besitz der Police zu sein. Aus den von der Beklagten im zweiten Rechtszug vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass der Versicherungsschein mit Widerspruchsbelehrung, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen ein einheitliches Druckstück bilden, so dass, wer den Versicherungsschein erhalten hat, auch die übrigen Unterlagen erhalten haben muss. Der Kläger hat sich dazu nicht mehr erklärt. Ansonsten bestreitet er einerseits den Erhalt der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen mit Nichtwissen. Andererseits trägt er aber vor, dass ihm die Versicherungsbedingungen nur unvollständig bekannt gemacht worden seien, ohne jedoch darzulegen, welche Teile des Bedingungswerks er – entgegen seinem Bestreiten mit Nichtwissen – doch erhalten haben will. Bereits wegen dieser Widersprüche in seinem Vorbringen ist der Kläger dem Vortrag der Beklagten, dass er den Versicherungsschein zusammen mit den Versicherungsbedingungen und den Verbraucherinformationen erhalten habe, nicht in beachtlicher Weise entgegen getreten. Hinzu kommt, dass ein Zugang der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen Gegenstand eigener Wahrnehmung des Klägers gewesen sein muss, so dass eine Erklärung mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig ist. Die unzulässige Erklärung mit Nichtwissen steht dem Nichtbestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO gleich (Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 33.Aufl., § 138 Rn 20). Nur ausnahmsweise kann ein Bestreiten von Vorgängen, die Gegenstand eigener Wahrnehmung waren, mit Nichtwissen zulässig sein. Dabei muss die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft machen, sich an gewisse Dinge nicht mehr erinnern zu können (BGH NJW 1995, 130 Rn 21 [BGH 10.10.1994 – II ZR 95/93] in juris). Dazu gehört auch, dass die Partei darlegt, dass sie ihren Informationspflichten nachgekommen ist. Bei Vorgängen wie dem hier zu beurteilenden, bei dem Vertragsunterlagen üblicherweise aufbewahrt werden, reichen ein Verweis auf mangelnde Erinnerung und erfolglose Suche nicht aus. Vielmehr ist zu schildern, wie die Partei üblicherweise mit derartigen Unterlagen verfährt und wo und auf welche Weise sie nachgeforscht hat. Der Kläger hat hierzu konkreten Vortrag nicht gehalten.
30

Die Widerspruchsbelehrung in der Musterpolice aus dem Jahr 1998 genügt den gesetzlichen Vorgaben. Die vom Kläger beanstandete fehlerhafte Formulierung „schriftlich in Textform“ findet sich darin nicht.
31

Somit erlosch das Widerspruchsrecht des Klägers 14 Tage nach dem Zugang der Police nebst Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen (§ 5 a Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1 bis 3 VVG a.F.). Die Bestimmung verstößt nicht gegen die Dritte Richtlinie Lebensversicherung (RL 92/96 EWG v. 10.11.1992. ABl. L 360 v. 9.12.1992, S. 1-27) oder gegen die Dritte Richtlinie Schadensversicherung (RL 92/49 EWG v. 18.06.1992, ABl. L 228 v. 11.8.1992, S. 1-23). Eine Konformität der Regelung mit der Richtlinie 2002/83/EG über Lebensversicherungen vom 05.11.2002 kann dahingestellt bleiben, weil im vorliegenden Fall Antragstellung und Policierung bereits im Jahr 1998 erfolgten. Die beiden maßgeblichen Richtlinien aus dem Jahr 1992 sehen jeweils in Art. 31 vor, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor dem Abschluss eines Vertrags Verbraucherinformationen, darunter auch die Versicherungsbedingungen, mitzuteilen hat und dass die Mitgliedsstaaten entsprechende Durchführungsvorschriften erlassen. Die Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedsstaaten betrifft jedoch nicht das Versicherungsvertragsrecht, sondern das Versicherungsaufsichtsrecht. In den Erwägungsgründen Nrn. 5 beider Richtlinien wird hervorgehoben, dass eine Harmonisierung über eine Vereinheitlichung der Zulassungen und Aufsichtssysteme erzielt werden solle. Sowohl im Erwägungsgrund Nr. 18 der Dritten Richtlinie Schadensversicherung als auch im Erwägungsgrund Nr. 19 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung wird ausgeführt, dass die Harmonisierung des für den Versicherungsvertrag geltenden Rechts keine Vorbedingung für die mit beiden Richtlinien intendierte Verwirklichung des Binnenmarkts im Versicherungssektor sei. Nach allem hatten die Mitgliedsstaaten Vorschriften zur Durchführung der Richtlinien im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts zu erlassen. Die Bundesrepublik ist dieser Umsetzungsverpflichtung mit der Einfügung des § 10 a in das VAG nachgekommen. Dass diese aufsichtsrechtliche Umsetzung defizitär gewesen wäre, ist nicht erkennbar und wird, soweit ersichtlich, auch nirgends vertreten. Somit flankiert § 5 a VVG a.F. lediglich die nach den Richtlinien gebotene und mit § 10 a VAG vom nationalen Gesetzgeber vorgenommene aufsichtsrechtliche Umsetzung der Richtlinien. Für die nationalen Regelungen des Abschlusses eines Versicherungsvertrags sollten die Dritte Richtlinie Lebensversicherung und die Dritte Richtlinie Schadensversicherung explizit keine Vorgaben machen, wie sich aus den Erwägungsgründen Nr. 19 bzw. Nr. 18 ergibt. Soweit der Kläger beanstandet, dass das Landgericht zu Unrecht die Auffassung vertreten habe, dass die Richtlinie 2002/83/EG über Lebensversicherungen vom 05.11.2002 nur das Aufsichtsrecht betreffe, übersieht er, dass das Landgericht sich nicht mit dieser Richtlinie befasst hat, sondern mit den Richtlinien aus dem Jahr 1992.
32

Die Stellungnahmen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 23.05.1995 und vom 12.10.2006 rechtfertigen kein abweichendes Ergebnis. Diese Stellungnahmen haben keinerlei Rechtswirkung. Stellungnahmen sind gemäß Art. 288 Abs. 5 AEUV unverbindliche Rechtsakte. Zur verbindlichen Feststellung der Gemeinschaftswidrigkeit einer nationalen Regelung ist ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften berufen. Zu dessen Anrufung ist es nicht gekommen, weil das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingestellt wurde. Bereits der Stellungnahme vom 23.05.1995 ist zu entnehmen, dass die Kommission die Rechtsfigur des schwebend unwirksamen Vertrages unzutreffend erfasst und angenommen hat, dass der Versicherungsnehmer sich bei einem Vertragsschluss nach dem Policenmodell zunächst in der Gestalt eines schwebend wirksamen Vertrages binde. Dieses unzutreffende Verständnis setzt sich in der Stellungnahme vom 12.10.2006 fort. Dort führt die Kommission sub IV. 8. und IV. 10. aus, dass nach dem Policenmodell ein Versicherungsvertrag zunächst als abgeschlossen gelte. Indessen muss der Versicherungsnehmer, der nicht ordnungsgemäß nach § 5 a VVG a.F. belehrt wurde, nichts unternehmen, um ein Zustandekommen des Vertrags zu verhindern. Solange er nicht die Erstprämie zahlt, kann es nicht zu einem Vertragsschluss kommen.
33

Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über die Rechtsfolgen von Belehrungsmängeln bei Haustürgeschäften in der Rechtssache Heininger gegen Bundesrepublik Deutschland (C-481/99) nicht zur Begründung eines „ewigen“ Widerspruchsrechts entsprechend herangezogen werden. Abgesehen davon, dass der Kläger ordnungsgemäß belehrt wurde, stehen dem bereits die erheblichen Unterschiede in den Vorgaben der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung (RL 90/619/EWG v. 8.11.1990, ABl. L 330 v. 29.11.1990, S. 50-61 und RL 92/96 EWG v. 10.11.1992. ABl. L 360 v. 9.12.1992, S. 1-27) einerseits sowie der Haustürgeschäftsrichtlinie (RL 1985/577 EWG v. 20.12.1985, ABl. L 372 v. 31.12.1985, S. 31-33) andererseits entgegen. Während Art. 4 der Haustürgeschäftsrichtlinie ausdrücklich die Verpflichtung des Gewerbetreibenden zu einer schriftlichen Belehrung des Verbrauchers über dessen Widerrufsrecht anspricht und Vorgaben zu Form und Inhalt der Belehrung enthält, sieht Art. 15 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung in der Fassung von Art. 30 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung lediglich eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten vor, ein Recht des Versicherungsnehmers vorzusehen, binnen 14 bis 30 Tagen ab Kenntnis vom Vertragsschluss vom Vertrag zurücktreten zu können, ohne dass Belehrungspflichten angesprochen würden.
34

Ob dem Kläger bei der Anfang 2004 durchgeführten Vertragsänderung überhaupt ein Widerspruchsrecht nach § 5 a Abs. 1 VVG a.F. (in der vom 01.08.2001 bis zum 07.12.2004 gültig gewesenen Fassung) zugestanden hat, ist sehr fraglich. Denn damals wurde nicht etwa ein Vertrag neu abgeschlossen, sondern ein bestehender Vertrag geändert. Doch kann dies letztlich dahingestellt bleiben, weil die Beklagte den Kläger über ein Widerspruchsrecht belehrt hat und daher einen nach Maßgabe dieser Belehrung form- und fristgerecht erklärten Widerspruch nach Treu und Glauben hätte akzeptieren müssen. Auch hier ist zugrunde zu legen, dass der Kläger mit der Ersatzpolice die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen erhalten hat und über ein Widerspruchsrecht belehrt wurde. Innerhalb der 14-Tages-Frist hat er keinen Widerspruch erklärt. Im Übrigen hätte ein wirksamer Widerspruch gegen die Vertragsänderung von Dezember 2003/Januar 2004 lediglich zur Folge gehabt, dass der Vertrag in der ursprünglichen Form fortbestanden hätte, nicht aber zur Unwirksamkeit des ursprünglichen Vertrags geführt.
35

Nach allem hat der Kläger die Prämien mit Rechtsgrund gezahlt, so dass ihm weder ein auf die Rückerstattung der Differenz zwischen der Summe der gezahlten Prämien und dem Rückkaufswert gerichteter Bereicherungsanspruch noch ein Anspruch auf Auskehrung gezogener Nutzungen zusteht.
36

Da der Kläger bei Abschluss des Vertrags im Jahr 1998 ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist, besteht kein Schadensersatzanspruch aus c.i.c..
37

Da dem Kläger keine Hauptforderung zusteht, besteht ein Anspruch auf den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nicht.
38

Als im zweiten Rechtszug unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
39

Die Revision ist mit Blick auf die sich aus § 5 a VVG a.F. ergebenden Rechtsfragen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, nachdem nunmehr in einem vergleichbaren Fall eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch den Bundesgerichtshof (Beschluss vom 28.03.2012 – IV ZR 76/11 -) erfolgt ist. Eine Beschränkung der Zulassung der Revision auf die Verneinung von Ansprüchen auf Auszahlung der Differenzbeträge zwischen den eingezahlten Prämien und dem ausgekehrten Rückkaufswert kommt nicht in Betracht. Der Kläger stützt sowohl diese Ansprüche als auch seine Zinsforderung, soweit er sie als Hauptforderungen geltend macht, auf ungerechtfertigte Bereicherung. Daher ist die (Un-)Wirksamkeit der Vertragsschlüsse für alle Hauptforderungen dem Grunde nach erheblich, weshalb nur einheitlich entschieden werden kann.

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.