OLG Frankfurt am Main, 14.12.2012 – 7 U 182/12

Mai 2, 2019

OLG Frankfurt am Main, 14.12.2012 – 7 U 182/12
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 12.6.2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn ihrer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils vollstreckten Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.
Gründe

I.

Der Kläger hat bei der Beklagten unter dem 22.06.1996 eine Lebensversicherung beantragt, die mit dem Versicherungsschein vom 14.10.1996 policiert wurde. Bei Antragstellung erhielt der Kläger weder die vollständigen Verbraucherinformationen noch die allgemeinen Versicherungsbedingungen. Diese Unterlagen wurden ihm erst zusammen mit dem Versicherungsschein übersandt. In dem die Übersendung begleitenden Anschreiben, das auf den 10.07.1996 datiert, heißt es auf Seite 1 des beidseitig bedruckten Schreibens:

„Der Vertrag gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Informationen nach § 10a Versicherungsaufsichtsgesetz als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung dieser Unterlagen schriftlich widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“

Dieser Text unterscheidet sich vom übrigen Text des Anschreibens durch Fettdruck, ist aber ansonsten gleich formatiert. Auf Seite 1 des Anschreibens ist im Briefkopf die Firma der Beklagten in größerer Schrift hervorgehoben. Außerdem sind tabellarisch Beitragsfälligkeiten dargestellt, wobei die Überschriften der Spalten unterstrichen sind.

Der Kläger hat vom 01.10.1996 bis zum 30.06.2000 Prämien in Höhe von insgesamt 10.935 € bezahlt. Nach Kündigung des Vertrags zum 30.06.2000 erhielt der Kläger den von der Beklagten auf 7.484,81 bezifferten Rückkaufswert. Mit Schreiben vom 17.01.2011 widersprach der Kläger dem Vertragsschluss.

Mit der Klage verlangt der Kläger Rückzahlung der Prämien abzüglich des ausbezahlten Rückkaufswerts zuzüglich aus einem Zinssatz von 7 % ausgerechneter Nutzungen in Höhe von 7.604,07 € auf die eingezahlten Prämien, die die Beklagte gezogen habe. Ferner verlangt der Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten.

Der Kläger ist der Ansicht, dass sein Widerspruchsrecht noch bestanden habe, weil die Belehrung über das Widerspruchsrecht unklar sei. Name und Anschrift des Widerspruchsadressaten seien nicht genannt und die Belehrung enthalte keinen Hinweis auf die Höchstfrist zur Erklärung des Widerspruchs, also auf die Jahresfrist gemäß § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. Das Policenmodell widerspreche den Vorgaben der Dritten Lebensversicherungs-Richtlinie und sei deshalb unwirksam. Denn die Richtlinie wolle verhindern, dass es zu einem Vertragsschluss vor vollständiger Überlassung der erforderlichen Informationsunterlagen komme. Zu einem solchen Vertragsschluss könne es aber nach der Regelung in § 5a VVG kommen. Gegen EU-Recht verstoße es auch, dass nur ein zeitlich begrenztes Widerspruchsrecht vorgesehen sei, auch wenn der Versicherungsnehmer von dem Bestehen des Widerspruchsrechts keine ausreichende Kenntnis habe. Der Kläger bezieht sich zur Stützung seiner Rechtsauffassung auf eine Stellungnahme der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 12.10.2006 in einem gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten, später jedoch eingestellten Vertragsverletzungsverfahren, in dem die Kommission die Europarechtswidrigkeit des § 5a VVG a. F. geltend gemacht hatte, ferner auf einen Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs vom 01.10.2010 sowie dessen Vorlagebeschluss zum Europäischen Gerichtshof.

Der Kläger stützt die Klage ferner auf einen Anspruch aus Verschulden beim Vertragsschluss, weil die Beklagte mit der unzulänglichen Belehrung über das Widerspruchsrecht gegen ihr obliegende Aufklärungspflichten verstoßen habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 11.054,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 01.02.2011 zu zahlen und an den Kläger Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1.025,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Regelung in § 5a VVG a.F. für europarechtskonform. Jedenfalls sei die dem Kläger erteilte Belehrung ausreichend, so dass es auf die Regelung in § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. nicht ankomme. Der Widerspruch könne nach der Kündigung nicht mehr erfolgen. Das Widerspruchsrecht sei jedenfalls verwirkt. Jedenfalls stehe dem Kläger infolge eines Widerspruchs allenfalls der Rückkaufswert zu, den er vollständig erhalten habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine europarechtlichen Einwände gegen die Regelung in § 5a VVG a.F. wiederholt und vertieft. Der Kläger regt an, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob die Dritte Lebensversicherungsrichtlinie Regelungen, wie sie in § 5a VVG a.F. enthalten sind, zulässt. Insbesondere komme es auf die Regelung in § 5 Abs. 2 S. 4 VVG a.F. auch im vorliegenden Fall an, weil die dem Kläger erteilte Belehrung über das Widerspruchsrecht unvollständig gewesen sei. Zu der Belehrung gehörten entgegen der Ansicht des Landgerichts auch eine eindeutige Angabe über den Widerspruchsadressaten und ein Hinweis auf die Höchstfrist gemäß § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F., weil auch diese Regelung zur Dauer des Widerspruchsrechts gehöre.

Der Kläger macht hilfsweise im Wege der Stufenklage geltend, dass er Anspruch auf Auszahlung eines höheren Rückkaufswerts habe und bezieht sich zur Begründung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bestimmte Klauseln betreffend Stornoabzug und Belastung mit Abschlusskosten unwirksam seien. Weil der ausgezahlte Rückkaufswert erheblich hinter den eingezahlten Prämien zurückbleibe, sei zu vermuten, dass Abschlusskosten und Stornogebühren ohne wirksame Vereinbarung in Abzug gebracht worden seien. Wegen dieser Ungewissheit über die zutreffende Berechnung habe er Anspruch auf die verlangte Auskunft.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 12.06.2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen Az: 3 O 394/11, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 11.054,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2011 zu zahlen und an den Kläger Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1.025,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft über den zum Zeitpunkt der Kündigung bestehenden Rückkaufswert ohne Abzug von Stornokosten und Verrechnung von Abschlusskosten zum Vertrag mit der Versicherungsnummer … zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und hält die erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Stufenklage, mit der Auskunft über die Zusammensetzung und Zahlung des weitergehenden Rückkaufswerts verfolgt wird, für eine unzulässige Klageänderung.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat mit Recht den erstinstanzlich erhobenen Anspruch auf Erstattung restlicher Prämien und Herausgabe gezogener Nutzungen abgewiesen.

Dem Kläger steht ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht zu, weil der mit der Beklagten abgeschlossene Vertrag trotz des erklärten Widerspruchs wirksam war.

Der Kläger kann dem Vertragsschluss nicht mehr widersprechen, weil die 14-tägige Widerspruchsfrist gem. § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. abgelaufen war. Der Lauf der Widerspruchsfrist begann mit dem Zugang des Schreibens vom 10.07.1996, mit dem der Kläger, wie er selbst vorträgt, den Versicherungsschein, die allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen erhielt. Die in dem Schreiben enthaltene Belehrung genügt den gesetzlichen Anforderungen. Der fett gedruckte Text hebt sich deutlich von den übrigen Informationen in dem Schreiben ab. Die durch den Fettdruck erweckte Aufmerksamkeit des Lesers wird auch nicht durch Hervorhebung anderer Textbestandteile abgelenkt bzw. beansprucht. Dass der Briefkopf eines Unternehmens graphisch vom Text eines Briefs abweichend gestaltet ist, ist üblich und lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers nicht vom Informationsgehalt des sodann anschließenden Texts ab. Deshalb hebt ein den Firmennamen hervorhebender Schriftzug im Briefkopf auch nicht die Wirkung auf, die mit einem fett gedruckten Absatz innerhalb eines ansonsten in Normaldruck gehaltenen Texts eines Schreibens verfolgt wird. Dasselbe gilt für die Unterstreichung der 3 Wörter, die als Spaltenüberschriften in der tabellarischen Darstellung der Beitragsfälligkeiten fungieren. Sie sind ansonsten in Normaldruck gehalten und dominieren nicht den darüber stehenden Belehrungstext.

Die Belehrung ist auch vollständig.

Im vorliegenden Fall könnte allenfalls zweifelhaft sein, ob die Belehrung über den Beginn der Widerspruchsfrist ordnungsgemäß war. Dies ist entgegen der Auffassung des Klägers zu bejahen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welcher der Senat folgt, muss die einem Verbraucher zu erteilende Belehrung über den Beginn einer Widerrufsfrist lediglich das Ereignis bezeichnen, das nach dem Gesetz den Lauf der Frist auslöst, während eine zusätzliche Belehrung über den Inhalt der §§ 187 Abs. 1,188 Abs. 2 BGB nicht erforderlich ist (BGHZ 126, 56 ff. Rn 21 in juris zu § 1 b AbzG; BGHZ 187, 97 ff. Rn 26 in juris zu § 355 BGB). Für die Belehrung über den Beginn der Widerspruchsfrist nach § 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. kann nichts anderes gelten (so auch OLG Köln, Urt. v. 24.02.2012 – 20 U 154/11). Das den Lauf der Frist auslösende Ereignis wird in der Widerspruchsbelehrung hinreichend klar bezeichnet. Mit der Passage „und der ebenfalls für den Vertragsschluss maßgeblichen Verbraucherinformationen“ hat die Beklagte die in § 5a Abs.1 Satz 1 Hs. 2 VVG a.F. enthaltene Formulierung: „… so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsschluss maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn …“ auszugsweise in die Belehrung übernommen. Deshalb genügt die Bezeichnung des die Widerspruchsfrist in Lauf setzenden Ereignisses in der Belehrung auch insoweit den gesetzlichen Anforderungen. Denn wenn es der Gesetzgeber für ausreichend hält, ohne weitere Konkretisierung auf die „für den Vertragsschluss maßgebliche(n) Verbraucherinformation“ abzustellen, kann von dem Versicherer nicht verlangt werden, diesen Begriff in der Belehrung auf der Grundlage eigener Auslegung näher zu erläutern (so auch OLG Köln, Urt. v. 24.02.2012 – 20 U 154/11 – und OLG München NJW-RR 2005, 573, 574 zu der Verwendung des Terminus „in Textform“ bei der Belehrung nach § 355 BGB).

Eine Verpflichtung des Versicherers, dem potentiellen Versicherungsnehmer in der Belehrung über das Widerspruchsrecht mehr als den Wortlaut der gesetzlichen Regelung zur Kenntnis zu geben, insbesondere seine eigene Gesetzesauilegung mitzuteilen, kann § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht entnommen werden. Daher ist auch eine Belehrung über den Adressaten eines Widerspruchs nach § 5a VVG a.F., anders als etwa nach § 360 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BGB, nicht vorgeschrieben. Gleichwohl dürfte zu fordern sein, dass der potentielle Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit der ihm erteilten Belehrung über sein Widerspruchsrecht auch in zumutbarer Weise feststellen können muss, an wen er einen eventuellen Widerspruch zu richten hätte. Diese Frage kann jedoch offen gelassen werden. Denn dem Schreiben vom 10.7.1996 sind zwei Adressen der Beklagten zu entnehmen, nämlich die ihrer Hauptverwaltung in Stadt1 und diejenige einer den Vertrag des Klägers betreuenden Bezirksdirektion.

Schließlich verlangt das Gesetz auch nicht, dass in der Belehrung ein Hinweis auf das Erlöschen des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. erfolgt. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich die geforderte Belehrung nur auf das Widerspruchsrecht innerhalb von 14 Tagen nach § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. bezieht. Dies folgt bereits aus der sprachlichen Fassung dieser Vorschrift, weil sich die Regelung des § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. auf das Widerspruchsrecht bezieht und damit nur das zuvor in Abs. 1 S. 1 normierte Widerspruchsrecht innerhalb von 14 Tagen meinen kann, nicht aber die in S. 4 enthaltene Ausschlussfrist. Außerdem bestimmt § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F., dass als Folge der Belehrung u.a. über die Dauer „der Lauf der Frist beginnt“, also der Lauf der Widerspruchsfrist von 14 Tagen. § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. bezieht sich demgegenüber auf den Fall, dass der Lauf der Frist, also der Widerrufsfrist von 14 Tagen, nicht beginnt, weil die Voraussetzungen des § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. nicht vorliegen (ebenso OLG Celle, U.v. 9.2.2012, Az. 8 U 191/11, zitiert nach juris, Rdn. 40 ff.).

Ergänzend sei angemerkt, dass selbst unter der Prämisse einer unzureichenden Belehrung über das Widerspruchsrecht dieses bereits lange vor der Widerspruchserklärung des Klägers nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. erloschen gewesen wäre. Die Bestimmung verstößt nicht gegen die Dritte Richtlinie Lebensversicherung (RL 92/96 EWG v. 10.11.1992. ABl. L 360 v. 9.12.1992, S. 1-27) oder gegen die Dritte Richtlinie Schadensversicherung (RL 92/49 EWG v. 18.06.1992, ABl. L 228 v. 11.8.1992, S. 1-23). Eine Konformität der Regelung mit der Richtlinie 2002/83/EG über Lebensversicherungen vom 05.11.2002 kann dahingestellt bleiben, weil im vorliegenden Fall Antragstellung und Policierung bereits im Jahr 1996 erfolgten. Die beiden maßgeblichen Richtlinien aus dem Jahr 1992 sehen jeweils in Art. 31 vor, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor dem Abschluss eines Vertrags Verbraucherinformationen, darunter auch die Versicherungsbedingungen, mitzuteilen hat und dass die Mitgliedsstaaten entsprechende Durchführungsvorschriften erlassen. Die Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedsstaaten betrifft jedoch nicht das Versicherungsvertragsrecht, sondern das Versicherungsaufsichtsrecht. In den Erwägungsgründen Nrn. 5 beider Richtlinien wird hervorgehoben, dass eine Harmonisierung über eine Vereinheitlichung der Zulassungen und Aufsichtssysteme erzielt werden solle. Sowohl im Erwägungsgrund Nr. 18 der Dritten Richtlinie Schadensversicherung als auch im Erwägungsgrund Nr. 19 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung wird ausgeführt, dass die Harmonisierung des für den Versicherungsvertrag geltenden Rechts keine Vorbedingung für die mit beiden Richtlinien intendierte Verwirklichung des Binnenmarkts im Versicherungssektor sei. Nach allem hatten die Mitgliedsstaaten Vorschriften zur Durchführung der Richtlinien im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts zu erlassen. Die Bundesrepublik ist dieser Umsetzungsverpflichtung mit der Einfügung des § 10a in das VAG nachgekommen. Dass diese aufsichtsrechtliche Umsetzung defizitär gewesen wäre, ist nicht erkennbar und wird, soweit ersichtlich, auch nirgends vertreten. Somit flankiert § 5a VVG a.F. lediglich die nach den Richtlinien gebotene und mit § 10a VAG vom nationalen Gesetzgeber vorgenommene aufsichtsrechtliche Umsetzung der Richtlinien. Für die nationalen Regelungen des Abschlusses eines Versicherungsvertrags sollten die Dritte Richtlinie Lebensversicherung und die Dritte Richtlinie Schadensversicherung explizit keine Vorgaben machen, wie sich aus den Erwägungsgründen Nr. 19 bzw. Nr. 18 ergibt. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers ist daher zumindest bei Versicherungsverträgen nicht ein autonomer gemeinschaftsrechtlicher Begriff des Vertragsschlusses zugrunde zu legen. Im Übrigen wäre bei unterstellter Relevanz des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zu berücksichtigen, dass es zu einem Vertragsschluss und zu der Einbeziehung von Versicherungsbedingungen nach dieser Bestimmung ohne eine Kenntnis des Versicherungsnehmers von seinem Widerspruchsrecht nur dann kommen kann, wenn der Versicherungsnehmer seinerseits mit dem Vollzug des Versicherungsvertrags durch Zahlung der Erstprämie begonnen hat. Nach Auffassung des Senats (Urteil vom 10.12.2003 – 7 U 15/03 – VersR 2005, 631; Urteile vom 07.12.2011 – 7 U 238/10 -, vom 08.02.2012 – 7 U 166/11 -und vom 28.02.2012 – 7 U 131/11 -, jeweils unveröffentlicht) hat jedenfalls derjenige Versicherungsnehmer, der sein Widerspruchsrecht kennt und darauf hingewiesen wurde, dass Versicherungsbedingungen in den Vertrag einbezogen werden sollen, konkludent auf die Übergabe der Verbraucherinformationen und der Versicherungsbedingungen verzichtet, sofern er mit dem Vollzug des Vertrags begonnen und ein Jahr lang weder die Verbraucherinformationen oder die Versicherungsbedingungen angefordert noch dem Vertragsschluss widersprochen hat. Ob dies auch dann gilt, wenn der Versicherungsnehmer einen solchen Hinweis nicht erhalten hat, hat der Senat seinerzeit offen gelassen. Dies bedarf auch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Aus dem Scheiben vom 10.7.1996 ergibt sich mit wünschenswerter Deutlichkeit, dass der Kläger ein Widerspruchsrecht hat. Die Versicherungsbedingungen, die in den Versicherungsvertrag einbezogen werden sollten, hat der Kläger unstreitig erhalten. Die Dritte Richtlinie Lebensversicherung steht der Annahme, dass der Versicherungsnehmer konkludent auf die ihm zustehenden Informationen und sein Widerspruchsrecht verzichten kann, nicht entgegen. Ungeachtet des Umstandes, dass sie das Aufsichts- und nicht das Vertragsrecht betrifft, sieht die Richtlinie in Art. 30 Abs. 2 (i.V. mit Art. 15 der Richtlinie 90/619/EWG v. 8.11.1990, ABl. L 330 v. 29.11.1990, S. 50-61) die Möglichkeit vor, im nationalen Recht von der aufsichtsrechtlichen Vorgabe an die Versicherer, den Versicherungsnehmern ein Widerspruchsrecht einzuräumen, u.a. dann abzusehen, wenn der Versicherungsnehmer wegen der Umstände, unter denen der Vertrag geschlossen wird, dieses besonderen Schutzes nicht bedarf.

Anhaltspunkte für eine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der hier maßgeblichen Fassung des § 5a VVG a.F. ergeben sich aus der vom Kläger erwähnten, mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission schon deshalb nicht, weil gemäß Art. 288 Abs. 5 AEUV Stellungnahmen unverbindliche Rechtsakte sind. Im Übrigen fokussiert sich die Stellungnahme auf den vorliegend nicht einschlägigen § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und misst diese Bestimmung an den Maßstäben der hier ebenfalls nicht einschlägigen Richtlinie 2002/83/EG über Lebensversicherungen. Darüber hinaus setzt sich in der Stellungnahme der Kommission vom 12.10.2006 das bereits der Stellungnahme vom 23.05.1995 (abgedruckt bei Lorenz VersR 1997, 773) zu entnehmende unzutreffende Verständnis der Rechtsfigur des schwebend unwirksamen Vertrages dahingehend, dass der Versicherungsnehmer sich bei einem Vertragsschluss nach dem Policenmodell zunächst gebunden habe, fort. Die Kommission führt in der Stellungnahme aus, dass nach dem Policenmodell ein Versicherungsvertrag zunächst als abgeschlossen gelte. Indessen muss der Versicherungsnehmer, der nicht ordnungsgemäß nach § 5a VVG a.F. belehrt wurde, nichts unternehmen, um ein Zustandekommen des Vertrags zu verhindern. Solange er nicht die Erstprämie zahlt, kann es nicht zu einem Vertragsschluss kommen. Aus diesem Grund ist auch das Argument des Klägers, dass der Versicherungsnehmer, dem wesentliche Vertragsinformationen vorenthalten würden, durch § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. gezwungen werde, sich binnen Jahresfrist zu entscheiden, obwohl ihm ein umfassender Vergleich mit anderen Angeboten innerhalb dieses Zeitraums gar nicht möglich sei, unbehelflich.

Da die Beklagte die Prämien mit Rechtsgrund erhalten hat, schuldet sie auch keine Herausgabe eventuell gezogener Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB.

Schadensersatzansprüche wegen einer Verletzung von Belehrungspflichten stehen dem Kläger nicht zu. Wie bereits ausgeführt worden ist, wurde er ordnungsgemäß und vollständig über sein Widerspruchsrecht belehrt. Insoweit könnte im Übrigen entgegen der Auffassung des Klägers die Rechtsprechung über die Rechtsfolgen von Belehrungsmängeln bei Haustürgeschäften nicht entsprechend herangezogen werden. Dem stünden schon die erheblichen Unterschiede in den Vorgaben der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung (RL 90/619/EWG v. 8.11.1990, ABl. L 330 v. 29.11.1990, S. 50-61 und RL 92/96 EWG v. 10.11.1992. ABl. L 360 v. 9.12.1992, S. 1-27) einerseits sowie der Haustürgeschäftsrichtlinie (RL 1985/577 EWG v. 20.12.1985, ABl. L 372 v. 31.12.1985, S. 31-33) andererseits entgegen. Während Art. 4 der Haustürgeschäftsrichtlinie ausdrücklich die Verpflichtung des Gewerbetreibenden zu einer schriftlichen Belehrung des Verbrauchers über dessen Widerrufsrecht anspricht und Vorgaben zu Form und Inhalt der Belehrung enthält, sieht Art. 15 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung in der Fassung von Art. 30 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung lediglich eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten vor, ein Recht des Versicherungsnehmers vorzusehen, binnen 14 bis 30 Tagen ab Kenntnis vom Vertragsschluss vom Vertrag zurücktreten zu können, ohne dass Belehrungspflichten angesprochen würden. Die Folgen einer fehlenden Belehrung über das Widerspruchsrecht dürften darüber hinaus bereits durch § 5a VVG a.F. abschließend geregelt worden sein.

Da dem Kläger keine Hauptforderung gegen die Beklagte zusteht, ist die Beklagte auch nicht zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verpflichtet.

Von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sieht der Senat im Hinblick darauf ab, dass er infolge der Zulassung der Revision nicht das letztinstanzlich entscheidende nationale Gericht ist.

Die hilfsweise erhobene Stufenklage, mit der der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz die Unrichtigkeit des von der Beklagten ermittelten Rückkaufswerts geltend machen will, ist insgesamt – nicht lediglich mit der zunächst beantragten Auskunftsstufe – gemäß § 533 ZPO unzulässig. Es handelt sich jedenfalls deshalb um einen anderen Streitgegenstand, weil dem neuen Klageantrag ein anderer Klagegrund zugrunde liegt. Den Rückkaufswert kann der Kläger verlangen, weil er den Vertrag gekündigt hat. Den bisher erhobenen Anspruch stützt der Kläger dagegen auf die Unwirksamkeit des Vertrags. Die für die Höhe des Rückkaufswerts maßgeblichen Umstände, also die Vertragsbedingungen, deren Wirksamkeit und die Höhe der Überschussbeteiligung, haben im bisherigen Verfahren keine Rolle gespielt. Die Beklagte hat in die Klageänderung nicht eingewilligt, was sich abgesehen von dem Fehlen einer dahingehenden Erklärung auch daraus ergibt, dass sie sich ausdrücklich auf die Unzulässigkeit beruft. Die Klageänderung ist auch nicht sachdienlich, weil mit dem Streit über die Höhe des Rückkaufswerts ein völlig neuer Streitstoff eingeführt wird, bei dessen Beurteilung die bisherigen Prozessergebnisse, die nur die Wirksamkeit des Vertrags, die Auslegung des § 5a VVG a.F. und die damit zusammenhängenden europarechtlichen Gesichtspunkte zum Gegenstand haben, nicht verwertet werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist mit Blick auf die sich aus § 5a VVG a.F. ergebenden Rechtsfragen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, nachdem nunmehr in einem vergleichbaren Fall eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch den Bundesgerichtshof (Beschluss vom 28.03.2012 – IV ZR 76/11-) erfolgt ist. Eine Beschränkung der Zulassung der Revision auf die Verneinung von Ansprüchen auf Auszahlung der Differenz zwischen den eingezahlten Prämien und dem ausgekehrten Rückkaufswert kommt nicht in Betracht. Der Kläger stützt sowohl diesen Anspruch als auch den Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen auf ungerechtfertigte Bereicherung. Daher ist die (Un-)Wirksamkeit des Vertrags für den gesamten Zahlungsanspruch dem Grunde nach erheblich, weshalb nur einheitlich entschieden werden kann.

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