OLG Frankfurt am Main, 19.07.2012 – 10 U 57/12

Mai 5, 2019

OLG Frankfurt am Main, 19.07.2012 – 10 U 57/12
Orientierungssatz:

Stellt der Berufungsklägervertreter keinen förmlichen Verlängerungsantrag, sondern nimmt rechtsirrig an, dass sich die Berufungsbegründungsfrist aufgrund einer nicht gewährten Akteneinsicht innerhalb der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO automatisch oder „zumindest konkludent“ um die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1, S. 2 ZPO verlängert, kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden.
Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27.02.2012 (Az.: 2-23 O 171/11) wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 10.900 € festgesetzt.
Gründe
1

I.

Das Landgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 15.02.2012 zur Herausgabe eines Ölgemäldes bzw. zu Schadenersatz für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der Frist zur Herausgabe verurteilt. Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 27.02.2012 zugestellt. Mit Telefax vom 27.02.2012 legte der Beklagtenvertreter Berufung gegen das Urteil ein und beantragte zugleich „der Begründung des Rechtsmittels vorangehend“ die Gewährung von Akteneinsicht. Aufgrund der Verfügung vom 07.05.2012 wurden die Akten dem Beklagtenvertreter am 08.05.2012 zur Einsicht für drei Tage übersandt, der sie mit Schreiben vom 15.05.2012 zurückreichte. Mit Verfügung der Vorsitzenden vom 21.05.2012 wurde der Prozessbevollmächtigte des Beklagten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung durch Beschluss zu verwerfen, da bis zum Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung am 27.04.2012 keine Berufungsbegründung eingegangen sei.
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Mit Schriftsatz vom 30.05.2012, eingegangen per Telefax am 30.05.2012, hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung beantragt und die Berufung begründet. Er hat die Ansicht vertreten, dass der gestellte Antrag auf Gewährung der Akteneinsicht „zumindest konkludent“ den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um die Dauer der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1, S. 2 ZPO enthalten habe. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat der Beklagte ausgeführt, dass er aufgrund des für die Dauer der Berufungsbegründungsfrist nicht beschiedenen Antrages auf Akteneinsicht an einer fristgerechten Begründung der Berufung gehindert gewesen sei.
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Der Kläger hat dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand widersprochen.
4

Der Senat hat den Beklagten durch Beschluss vom 21.06.2012 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen und die Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
5

Hierzu hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 12.07.2012 Stellung genommen.
6

II.

1. Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 522 Abs. 1, S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da er sie nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2, S. 1 ZPO begründet und auch nicht rechtzeitig bis zum Ablauf der Begründungsfrist am 27.04.2012 eine Fristverlängerung gemäß § 520 Abs. 2, S. 2 ZPO beantragt hat.
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Der Senat hält an seiner mit Beschluss vom 21.06.2012 geäußerten Auffassung fest, wonach der mit der Berufungseinlegung vom 27.02.2012 gestellte Antrag auf Akteneinsicht nach Maßgabe des objektiv zum Ausdruck gekommenen Willens des Erklärenden, der unter Beachtung der durch die gewählte Formulierung gezogenen Auslegungsgrenzen zu bestimmen ist, nicht als eine doppelte Prozesserklärung aufgefasst und daher nicht zugleich als Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung ausgelegt werden kann. Hierfür spricht auch, dass sich aus dem Wortlaut des Akteneinsichtsgesuchs im Wege der Auslegung auch nicht hätte entnehmen lassen, bis zu welchem Datum die Frist zur Berufungsbegründung hätte verlängert werden sollen, so dass das Ende der erbetenen Fristverlängerung nicht bestimmbar gewesen wäre.
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Der Einwand des Beklagten mit Schriftsatz vom 12.07.2012, dass der darin enthaltene Vorwurf eines unterlassenen Antrages auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2, S. 2 ZPO nichts anderes als „reine Förmelei“ darstelle, da das Gericht einem entsprechenden Antrag vor Ablauf der Zweimonatsfrist hätte entsprechen müssen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn er verkennt, dass aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts des § 520 Abs. 2, S. 2 ZPO und im Interesse der Bestimmbarkeit und Klarheit prozessualer Erklärungen an dem Erfordernis eines förmlichen Antrages festzuhalten ist.
9

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung ist zwar gemäß §§ 233, 234 ZPO zulässig, doch bleibt er ohne Erfolg. Denn unter Berücksichtigung des Vortrages des Beklagten und der Aktenlage ist davon auszugehen, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten schuldhaft eine ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbare Ursache für die Nichteinhaltung der Frist zur Berufungsbegründung gesetzt hat, indem er nicht vorsorglich die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragte, sondern davon ausging, dass er sich im Wiedereinsetzungsverfahren auf die verzögerte Bescheidung seines Akteneinsichtsgesuchs würde berufen können.
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Zwar ist anerkannt, dass sich der Rechtsmittelführer mit Erfolg im Wiedereinsetzungsverfahren auf die Nichtbescheidung seines Antrages auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist berufen kann, wenn er mit großer Wahrscheinlichkeit die Bewilligung der Fristverlängerung erwarten konnte, was regelmäßig bei einem ersten Verlängerungsantrag der Fall ist, wenn ein ihn rechtfertigender erheblicher Grund geltend gemacht wird (vgl. Zöller/Heßler, 29. Aufl., 2012, § 520 ZPO Rn. 19; BGH NJW 1991, 1359; 1999, 430; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 27.09.2002, 5 U 65/02, zitiert nach juris, Rn. 6).
11

Dieser Fall unterscheidet sich aber von dem vorliegenden Sachverhalt, da der Beklagtenvertreter keinen förmlichen Verlängerungsantrag gestellt hat, sondern rechtsirrig annahm, dass die Berufungsbegründungsfrist aufgrund der nicht gewährten Akteneinsicht innerhalb der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO sich automatisch verlängern oder „zumindest konkludent“ um die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1, S. 2 ZPO verlängert würde. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hätte aber erkennen können, dass diese Rechtsansicht in der Literatur oder Rechtsprechung – wie bereits mit Beschluss vom 21.06.2012 – nur für den Revisionsführer bzw. den Führer einer Nichtzulassungsbeschwerde anerkannt ist, so dass er angesichts der Zweifelhaftigkeit seiner Rechtsansicht einen sicheren Weg hätte wählen und vorsorglich die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte beantragen müssen.
12

Der Beklagte kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass er aufgrund der nicht gewährten Akteneinsicht an der Begründung der Berufung innerhalb der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO gehindert gewesen sei, da er hierfür – auch mit Schriftsatz vom 12.07.2012 – keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt hat. Diesbezüglich hat der Senat bereits mit Beschluss vom 21.06.2012 darauf hingewiesen, dass die Angriffe in der Berufungsbegründung vom 30.05.2012 auch ohne die beantragte Akteneinsicht innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung hätten geltend gemacht werden können. Denn hierfür war die Kenntnis der Urteilsausfertigung und der Protokollabschriften, die dem Beklagtenvertreter aufgrund seiner Bevollmächtigung in erster Instanz unabhängig von der Akteneinsicht bereits vorlagen, ausreichend. Dass im Rahmen einer ex-ante Betrachtung nicht ausgeschlossen werden kann, ob die Angriffe der Berufung (auch) auf das Ergebnis einer Akteneinsicht gestützt werden können, rechtfertigt keine andere Bewertung. Denn entscheidend ist, dass der Beklagte aufgrund der nicht gewährten Akteneinsicht nicht an der Berufungsbegründung i.S. § 233 ZPOverhindert war, dass er sie möglicherweise umfassender hätte begründen können, rechtfertigt nicht die Wiedereinsetzung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

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