OLG Frankfurt am Main, 06.06.2012 – 6 U 90/12

Mai 13, 2019

OLG Frankfurt am Main, 06.06.2012 – 6 U 90/12
Leitsatz

1. Die Vollziehung der durch Urteil erlassenen Unterlassungsverfügung setzt deren Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Schuldners auch dann voraus, wenn mit der einstweiligen Verfügung zugleich eine Sequestrierungsanordnung erlassen und im Rahmen der ordnungsgemäßen Vollziehung dieser Sequestrationsanordnung die einstweilige Verfügung dem Schuldner selbst zugestellt worden ist.

2. Ist die Vollziehungsfrist des § 929 II ZPO versäumt worden, ist im Rahmen des Berufungsverfahrens die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Unterlassungstitel einstweilen einzustellen, ohne dass hierfür weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssten.
Tenor:

In dem Rechtsstreit … wird auf Antrag der Antragsgegnerin die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt a. M. vom 7.3.2012 hinsichtlich Ziffer I. des Tenors einstweilen eingestellt.

Der weitergehende Einstellungsantrag wird zurückgewiesen.
Gründe
1

1.

Der Einstellungsantrag hat hinsichtlich des Unterlassungstitels (Ziffer I. des Tenors des angefochtenen Urteils) Erfolg, weil insoweit die Vollziehungsfrist nach § 929 II ZPO versäumt ist.
2

Ist eine einstweilige Verfügung nicht innerhalb der Frist des § 929 II ZPO vollzogen worden, kann aus ihr nicht mehr vollstreckt werden. Dies rechtfertigt es, auch im Rahmen des Berufungsverfahrens die Zwangsvollstreckung aus dem zugrunde liegenden Vollstreckungstitel einstweilen einzustellen, ohne dass hierfür weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssten (vgl. OLG Frankfurt a.M. MDR 1997, 394).
3

Die vom Landgericht erlassene Unterlassungsverfügung (Ziffer I. des Tenors des angefochtenen Urteils) ist nicht innerhalb der Frist des § 929 II ZPO vollzogen worden. Hierzu ist regelmäßig die Zustellung der Verfügung im Parteibetrieb an den Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners erforderlich (vgl. Senat WRP 1995, 45 [OLG Frankfurt am Main 12.09.1994 – 6 U 118/94]; WRP 2002, 334 [OLG Frankfurt am Main 20.12.2001 – 6 U 79/01]; Ahrens/Berneke, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Rdz. 37 Zu Kap. 57 m.w.N.), an der es hier fehlte.
4

Die Zustellung der Unterlassungsverfügung an die Antragsgegnervertreterin war im vorliegenden Fall nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil zugleich eine Sequestrationsverfügung erlassen hat (Ziffer II. des Tenors), die auch ordnungsgemäß durch den von der Antragstellerin beauftragten Gerichtsvollzieher vollzogen worden ist, welcher ausweislich des Vollstreckungsprotokolls vom 19.4.2012 (Anlage MD1) am 26.3.2012 der Antragsgegnerin die einstweilige Verfügung zugestellt und am 28.3.2012 180 Blumenschneider in Verwahrung genommen hat. Denn eine einstweilige Verfügung mit verschiedenen Anordnungen muss gegebenenfalls in unterschiedlicher Weise, nämlich nach den für die einzelnen Anordnungen jeweils maßgeblichen Regeln, vollzogen werden (vgl. Ahrens/Berneke a.a.O., Rdz. 29 zu Kap. 57 m.w.N.). Daher vermag die im Rahmen der Vollziehung der Sequestrationsverfügung erfolgte Zustellung der Urteilsverfügung an die Antragsgegnerin selbst die zur Vollziehung der Unterlassungsverfügung erforderliche Zustellung an die Antragsgegnervertreterin nicht zu ersetzen.
5

Der Zustellungsmangel ist auch nicht nach § 189 ZPO geheilt. Dies wäre allenfalls der Fall, wenn der Antragsgegnervertreterin als richtigem Zustellungsempfänger die der Antragsgegnerin zugestellte Urteilsverfügung innerhalb der Vollziehungsfrist tatsächlich zugegangen wäre; die bloße Kenntniserlangung vom Inhalt dieses Schriftstückes reicht dagegen nicht aus (vgl. Ahrens/Berneke a.a.O., Rdz. 41, 43 zu Kap. 57 m.w.N.). Da die Antragsgegnervertreterin auf Anfrage des Senats mitgeteilt hat, ihr liege das der Antragsgegnerin am 26.3.2012 zugestellte Schriftstück bis heute nicht vor, können die Heilungsvoraussetzungen nicht als erfüllt angesehen werden.
6

Ebenso wenig vermag die Amtszustellung des Urteils die unterbliebene Parteizustellung zu ersetzen oder zu heilen (vgl. Ahrens/Berneke a.a.O., Rdz. 47 zu Kap. 57 m.w.N.).
7

2.

Keinen Erfolg hat dagegen der Einstellungsantrag hinsichtlich des Sequestrationstitels (Ziffer II. des Tenors des angefochtenen Urteils). Wie bereits ausgeführt, ist die einstweilige Verfügung insoweit rechtzeitig vollzogen worden, Auch die Voraussetzungen für eine Einstellung nach §§ 719 I i.V.m. 707 I ZPO sind nicht erfüllt.
8

Zwar hat die Berufung voraussichtlich auch Erfolg, soweit sie sich gegen die Sequestrationsanordnung richtet. Denn wenn auf die Berufung die Unterlassungsverfügung mangels rechtzeitiger Vollziehung nach § 929 II ZPO aufzuheben sein wird, kann auch die Sequestrierungsverfügung keinen Bestand haben. Für den der Sicherung des Vernichtungsanspruchs dienenden Sequestrationsanspruch fehlt es nämlich am erforderlichen Verfügungsgrund, nachdem die Antragstellerin den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht mehr im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzen kann. Wenn die Antragsgegnerin vorläufig nicht daran gehindert ist, den beanstandeten Blumenanschneider weiter herzustellen und zu vertreiben, kann der Antragstellerin auch kein schützenswertes Interesse daran zugebilligt werden, der Antragsgegnerin zur Sicherung eines möglicherweise bestehenden Vernichtungsanspruchs die Verfügungsmacht über diejenigen 180 Blumenschneider zu entziehen, die der Gerichtsvollzieher bei der Antragsgegnerin sichergestellt hat.
9

3.

Die Antragstellerin wird um kurzfristige Mitteilung gebeten, ob der Eilantrag im Hinblick auf den vorliegenden Beschluss weiterverfolgt werden soll. In diesem Fall wird ein zeitnaher Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt werden.

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