LG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 19. April 2018 – 6 O 242/17 Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament

Juni 19, 2019

LG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 19. April 2018 – 6 O 242/17
Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament
Schlägt eine durch wechselbezügliche Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament als Erbe eingesetzte Person ihr Erbe aus und so leben beeinträchtigende Erbeinsetzungen, die der letztversterbende in einem nach dem Tod des Partners errichteten Testament vorgenommen hat, wieder auf.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin Alleinerbin des J. J. (geboren am 12.02.1975 in K., verstorben am 24.07.2014 in E.) ist.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 67.500,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, sie sei Alleinerbin des am 24.07.2014 in E. verstorbenen J. J. (im Folgenden: „Erblasser“) geworden.
Die Klägerin war zum Todeszeitpunkt die Ehefrau des Erblassers, die Beklagten dessen Eltern. Der Erblasser hinterließ zudem zwei Kinder aus erster Ehe, N. L. geb. J. und N. K., geb. J. sowie das Enkelkind D. K..
Am 18.08.2008 errichtete der Erblasser mit seiner ersten Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament mit folgendem Inhalt:
„Testament
Hiermit setzen wir uns gegenseitig als Alleinerben ein. Sollte eines unserer Kinder beim Tod des Erststerbenden seinen Pflichtteil verlangen, so soll es auch beim Tod des Zweitsterbenden nur den Pflichtteil erhalten. Der überlebende Ehegatte entscheidet dann über die weitere Verfügung.
Da unsere Tochter N. schon seit Jahren keinen Kontakt zu uns wünscht wird sie auch aus groben Undank keinen Erbteil erhalten. Somit wird unsere Tochter N., oder deren Abkömmlinge, alles erhalten.
Meine Schwester B. E. geb. J., erhält im Hause S.str. 6 ein lebtägliches Nutzungsrecht. Dafür hat sie die jährlichen Bewirtschaftungskosten zu tragen. Es ist nicht übertragbar.
E., 18.08.08
B. J. J. J.“
Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau schloss der Erblasser mit seiner zweiten Ehefrau am 08.12.2009 einen notariell beurkundeten Ehevertrag, in welchem Gütertrennung vereinbart wurde, und heiratete diese sodann am 11.10.2010. Am 10.10.2011 verfasste der Erblasser ein handschriftliches Testament mit folgendem Inhalt:
„Testament
Im Falle meines Todes vermache ich meinen ganzen Besitz und alle beweglichen Güter meiner Frau H. J. geb. J..
Meine beiden leiblichen Kinder N. u. N. sollen nur ihren Pflichtteil erhalten.
E., 10.10.11
J. J.“
Nach dem Tod des Erblassers am 24.07.2014 wurden die die Töchter des Erblassers, N. L. und N. K., sowie die Enkeltochter D. K. mit Schreiben des Nachlassgerichts vom 14.08.2014 über eine mögliche Erbenstellung informiert. Sie schlugen am 23.09.2014 die Erbschaft aus, wobei D. K. durch ihre Eltern vertreten wurde.
Am 18.08.2015 erteilte das Notariat K. ausgehend vom Eingreifen der gesetzlichen Erbfolge einen Erbschein, in dem die Klägerin zu 3/4 und die Beklagten zu je 1/8 als Erben ausgewiesen wurden. Dieser Erbschein wurde mit Beschluss vom 17.02.2017 wegen Unrichtigkeit eingezogen, da bei der Bemessung der Erbteile die im Ehevertrag vereinbarte Gütertrennung nicht berücksichtigt worden sei. Im März 2017 stellte die Klägerin Antrag beim Notariat K. auf Erbscheinerteilung, wobei sie als Alleinerbin im Erbschein ausgewiesen werden sollte. Im April 2017 stellten die Beklagten beim Notariat K. Antrag auf Erbscheinerteilung, wobei die Klägerin als Erbin zu ½ und die Beklagten als Erben zu je ¼ ausgewiesen werden sollten. Ein Erbschein wurde bisher nicht erteilt.
Die Klägerin ist der Auffassung, aufgrund des Testaments vom 10.10.2011 Alleinerbin geworden zu sein. Durch die Ausschlagung seien die wechselbezüglichen Verfügungen des ersten Testaments gegenstandslos geworden und stünden der Wirksamkeit der testamentarischen Erbeinsetzung der Klägerin nicht entgegen.
Die Klägerin beantragt
festzustellen, dass sie Alleinerbin ihres Ehemannes J. J. wurde, der am 24.07.2014 in E. verstarb und am 12.02.1957 in K. geboren war.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie meinen, der Erblasser sei wegen der Bindungswirkung der Verfügungen des ersten Testamtens weiter gebunden gewesen und habe nicht wirksam neu testieren können. Die Ausschlagung der wechselbezüglich eingesetzten Erben habe nicht zu einer Beseitigung der Bindungswirkung geführt.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I. Die Klägerin wurde durch das Testament des Erblassers vom 10.10.2011 (Anlage A8) wirksam als Alleinerbin eingesetzt. Es kann offenbleiben, ob die Schlusserbeneinsetzung der Tochter N. und die Ersatzerbeneinsetzung der Abkömmlinge der Tochter N. wechselbezüglich erfolgt sind, weil diese Erbeinsetzungen durch die am 18.08.2015 unstreitig form- und fristgerecht erklärten Ausschlagungen der Erbschaft durch die Schluss- sowie die Ersatzerbin gegenstandslos geworden sind. Sie stehen einer Erbeinsetzung der Klägerin mithin nicht mehr entgegenstehen.
In einem gemeinschaftlichen Testament können die Eheleute sogenannte wechselbezügliche Verfügungen treffen, die nach dem Tod des einen Ehegatten von dem anderen Ehegatten nicht mehr abgeändert werden können. Der Umfang und die Wirkung der Bindung ist teilweise in § 2271 BGB festgelegt, ergänzend wird die Regelung zur Wirkung vertragsmäßiger Verfügungen in einem Erbvertrag in § 2289 BGB herangezogen (Palandt/Weidlich, 77, Aufl. 2018, § 2271 Rn. 12).
Die Vorschrift des § 2289 Abs. 1 BGB ordnet nach ihrem Wortlaut die Unwirksamkeit früherer und nachträglicher letztwilliger Verfügungen an, soweit sie den Bedachten einer vertragsmäßigen Verfügung beeinträchtigen. Dieser Wortlaut wird von der allgemeinen Meinung dahingehend ausgelegt, dass beeinträchtigende Verfügungen nicht schlechthin nichtig sind. Sie sind nur insoweit und solange unwirksam, als sie für den vertragsmäßig/wechselbezüglich Bedachten eine nachteilige Wirkung entfalten. Denn nach allgemeiner Meinung wird der Erblasser durch bindende Verfügungen nicht in seiner Testierfähigkeit, sondern nur in seiner Testierfreiheit beschränkt. Unter Anwendung des in der Regelung der §§ 2257, 2258 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens, dass ein widerrufenes Testament wieder auflebt, wenn das Widerrufstestament seinerseits widerrufen wird, leben vertragsmäßige/wechselbezügliche Verfügungen dann wieder auf, wenn die Bindungswirkung entgegenstehender Verfügungen nachträglich entfällt (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13. Juli 1989 – 3 W 74/89 –, Rn. 12, juris; BGH, Urteil vom 07. Juli 2004 – IV ZR 135/03 –, Rn. 16, juris; Reymann in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 2271 BGB, Rn. 63; MüKoBGB/Musielak, BGB, 7. Auflage 2017, § 2271 Rn. 12, 16).
Im vorliegenden Fall ist nach dieser Ansicht die mit Testament vom 10.10.2011 erfolgte Erbeinsetzung der Klägerin dann wirksam, wenn hierdurch die Erbrechte der Tochter N. und der Enkeltochter D. nicht beeinträchtigt werden. Genau diese Situation ist eingetreten, als beide Erben die Erbschaft wirksam ausgeschlagen haben. Die Ausschlagung ist ein in der Rechtslehre anerkannter Fall, der wechselbezügliche oder vertragsmäßige Verfügungen gegenstandslos werden lässt (vgl. nur Staudinger/Rainer Kanzleiter (2014), BGB, § 2271, Rn. 37; MüKoBGB/Musielak, BGB, 7. Auflage 2017, § 2271 Rn. 20; Palandt/Weidlich, BGB, 77. Auflage, § 2271 Rn. 13; S. Kappler/T. Kappler in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 2271 BGB, Rn. 19).
Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 08. Juli 1998 – 6 U 138/96. Der Erblasser hatte in dem dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt zu Lebzeiten beider Ehegatten nachträglich Verfügungen getroffen, die einer wechselbezüglichen Verfügung in einem zuvor errichteten gemeinschaftlichen Testament entgegenstanden. Das Gericht sah diese Verfügungen generell als nichtig an, weil sie nicht der Formvorschrift für den Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments gem. §§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 1 BGB entsprachen. Die Ausschlagung durch die wechselbezüglich bedachte Ehefrau wurde damit als nicht relevant angesehen. Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen. Einerseits erfolgten die Verfügungen des Erblassers im vorliegenden Fall nach dem Tod der ersten Ehefrau, so dass die Formvorschriften der §§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 1 BGB nicht anwendbar und die Sachverhalte mithin nicht vergleichbar sind. Andererseits überzeugt die Schlussfolgerung des Oberlandesgerichts Karlsruhe nicht, die letztwilligen Verfügungen hätten den besonderen Formanforderungen an einen Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen zu genügen. Sie steht der Auslegung des entsprechend heranzuziehenden § 2289 Abs. 1 BGB durch die dargestellte herrschende Rechtsprechung und Rechtslehre entgegen, ohne dass eine nachvollziehbare und überzeugende Begründung ersichtlich wäre (vgl. zur Kritik auch Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 01. August 2012 – 5 W 18/12 –, juris).
Es besteht auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Bindungswirkung erst nach dem Erbfall entfällt, kein Grund, von der allgemeinen Meinung abzuweichen. Der Ausschlagung ist immanent, dass eine ursprünglich nicht vorgesehene Person aufgrund eines mehr oder weniger zufälligen Ereignisses zum Erben wird. Deshalb von dem erbrechtlichen Grundsatz abzuweichen, dem Willen des Erblassers soweit wie möglich Geltung zu verschaffen, besteht kein Anlass. Es ist auch nicht einzusehen, warum der Fall eines Gegenstandsloswerdens bindender Verfügungen durch ein Vorversterben anders behandelt werde sollte als der Fall einer Ausschlagung.
Schließlich sind im vorliegenden Fall auch keine schutzwürdigen Interessen der ersten Ehefrau des Erblassers beeinträchtigt. Diese hatte ausweislich des Testaments ein Interesse an der Erbeinsetzung ihrer Tochter und ggf. von deren Abkömmlingen. Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser darüber hinaus in seiner Testierfreiheit beschränkt werden sollte, lassen sich weder dem Testament entnehmen noch ergeben sie sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung. Im Testament ist vielmehr ausdrücklich für den Fall der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs durch den Schlusserben das Recht des überlebenden Ehegatten vorgesehen, dann wieder frei zu testieren. Die Möglichkeit eines Wiederauflebens der Testierfreiheit, wenn der vorgesehene Schlusserbe wegfällt, war den testierenden Eheleuten mithin bewusst, eine über den Wortlaut des Testaments hinausgehende Beschränkung der Testierfreiheit ersichtlich nicht gewollt.
Zusammengefasst ist damit festzustellen, dass die Klägerin Alleinerbin des Erblassers geworden ist.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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