BGH, Urteil vom 31. Oktober 1980 – V ZR 95/79 Gutgläubiger Erwerb einer Vormerkung; Buchstand bei Eintragung und Kenntnis bei Antragstellung

Dezember 22, 2019

BGH, Urteil vom 31. Oktober 1980 – V ZR 95/79
Gutgläubiger Erwerb einer Vormerkung; Buchstand bei Eintragung und Kenntnis bei Antragstellung
1. Sichert die Vormerkung einen künftigen Anspruch (hier: aus einem unwiderruflich notariellen Angebot zum Grundstückskauf), dann kommt es für den gutgläubigen Erwerb der Vormerkung nur auf den Buchstand im Zeitpunkt der Vormerkungseintragung und die Kenntnis des Erwerbs bei Stellung des Eintragungsantrags an, nicht dagegen auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs (hier: Auflassungsanspruch mit Annahme des Vertragsangebots).
2. Der bei Erwerb der Vormerkung bestehende gute Glaube bleibt auch für den späteren Erwerb des durch die Vormerkung gesicherten dinglichen Rechts maßgebend (Bestätigung von BGHZ 57, 341).
vorgehend OLG Frankfurt, 4. April 1979, 7 U 102/78
vorgehend LG Hanau, 15. Juni 1978, 7 O 120/78
Tatbestand
Die Kläger verlangen von den Beklagten Löschung eines Nacherbenvermerks im Wege der Grundbuchberichtigung.
Die Eheleute A. und H. F. hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt und zum Erben des Längstlebenden ihren Sohn R. F. bestimmt. Am Schluß des Testaments heißt es:
„Sollte unser Sohn und Erbe R. F. ohne Abkömmlinge sterben, dann soll die Hälfte des ihm zugefallenen Erbes seinen Geschwistern V., I. und C. oder deren Nachkömmlingen je zu gleichen Teilen zufallen“.
Nach dem Tode seiner Eltern wurde R. F. am 29. Juni 1961 als Alleineigentümer eines zum Nachlaß seines zuletzt verstorbenen Vaters gehörenden Grundstücks in Bad O. eingetragen. Er machte am 30. Juni 1967 Frau G. M., der Mutter der Kläger, ein notarielles Kaufangebot für dieses Grundstück, das bis zum 31. Mai 1971 unwiderruflich war. In Anrechnung auf den Kaufpreis von 300.000 DM sollte die Käuferin Grundpfandrechte übernehmen; im übrigen sollte das Grundstück aber frei von Lasten Dritter verkauft werden. R. F. bewilligte zugunsten von Frau M. eine Auflassungsvormerkung, die am 11. August 1967 in das Grundbuch eingetragen wurde.
Am 19. November 1968 wurde ein Widerspruch gegen die Eintragung des R. F. als unbeschränkten Alleineigentümers eingetragen zur Erhaltung des Nacherbenrechts seiner drei genannten Schwestern. Zu ihren Gunsten wurde schließlich am 23. Januar 1969 ein Nacherbenvermerk eingetragen. Die Beklagten zu 2 und 3 sind Schwestern des R. F., der Beklagte zu 1 ist der Sohn der inzwischen verstorbenen dritten Schwester.
Die Mutter der Kläger nahm das erwähnte Kaufangebot am 24. Mai 1971 an. Zwischen den Kaufvertragsparteien kam es zum Streit über die Höhe des Kaufpreises. Nachdem R. F. eine Restsumme von 255.000 DM erfolglos angemahnt hatte, erklärte er mit Schreiben vom 19. Januar 1972 den Rücktritt vom Kaufvertrag. In einem daraufhin vor dem Amtsgericht Gelnhausen geführten Rechtsstreit verglichen sich die Kaufvertragsparteien am 3. Januar 1973 ua dahin, daß der Verkäufer das Grundstück gegen Zahlung von restlichen 265.000 DM an Frau M. aufließ, worauf diese am 7. November 1973 unter gleichzeitiger Löschung der Auflassungsvormerkung als Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen wurde. Mit notariellem Vertrag vom 29. Dezember 1973 übertrug sie das Grundstück auf die Kläger, die am 25. Juni 1974 als Eigentümer eingetragen wurden.
Die Kläger vertreten die Auffassung, sie hätten das Grundstück ohne Belastung mit dem Nacherbenvermerk erworben und verlangen von den Beklagten dessen Löschung.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht bejaht hinsichtlich des Nacherbenvermerks einen Berichtigungsanspruch der Kläger nach § 894 BGB. Die Mutter der Kläger (als deren Rechtsvorgängerin) habe gutgläubig ein vom Nacherbenrecht der Beklagten unbelastetes Grundeigentum erworben. Maßgeblich dafür sei allein ihr guter Glaube bei Eintragung (11. August 1967) der wirksam entstandenen und in der Folgezeit nicht untergegangenen Vormerkung.
II.
Das hält revisionsrechtlicher Prüfung stand.
1. Der aus dem notariellen Kaufangebot vom 30. Juni 1967 folgende künftige Auflassungsanspruch war entgegen der Auffassung der Revision vormerkungsfähig (§ 883 Abs 1 Satz 2 BGB). Vormerkungsschutz genießen künftige Ansprüche jedenfalls dann, wenn bereits der Rechtsboden für ihre Entstehung durch ein rechtsverbindliches Angebot soweit vorbereitet ist, daß die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des künftigen Berechtigten abhängt (vgl Senatsurteil vom 31. Mai 1974, V ZR 190/72 = LM BGB § 883 Nr 13; RGZ 151, 75, 77; BayObLGZ 1977, 103, 105 und 247, 249, je mwN).
Das Kaufangebot war bis zum 31. Mai 1971 grundsätzlich unwiderruflich. Auch wenn sich R. F. ein Widerrufsrecht vorbehalten hatte für den Fall, daß Frau M. mit Pachtzinszahlungen in Höhe von 2.000 DM länger als einen Monat in Verzug geriet, hing die Entstehung des Auflassungsanspruchs nur noch von ihrem Willen (Annahme des Angebots) ab. Die Revision verkennt, daß es in der Hand von Frau M. lag, die Widerrufsvoraussetzungen eintreten zu lassen oder nicht. Sie konnte mit den Pachtzinszahlungen dann nicht in Verzug geraten, wenn sie das Unterbleiben der Zahlung nicht zu vertreten hatte (§ 285 BGB).
Zu Unrecht meint die Revision, die in Ziff II des Kaufangebots enthaltene Wertsicherungsklausel sei genehmigungsbedürftig gewesen. Nach dieser Klausel sollen die Kaufvertragsparteien eine Ermäßigung oder Erhöhung des Kaufpreises verlangen können, wenn sich die Mitte des Jahres 1967 geltenden Lebenshaltungskosten bei Zustandekommen des Vertrages wesentlich geändert haben. Im Falle der Nichteinigung soll ein Schiedsgutachter entscheiden. Es handelt sich demnach lediglich um einen genehmigungsfreien Leistungsvorbehalt (Leistungsbestimmungsvorbehalt) (als Beispiele ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vgl Senatsurteile vom 12. Januar 1968, V ZR 187/64 = NJW 1969, 91/92 und vom 28. Juni 1968, V ZR 195/64 = BB 1968, 930, je mwN).
2. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, Frau M. habe die Auflassungsvormerkung gutgläubig „lastenfrei“ erworben (§ 2113 Abs 3, §§ 893, 892 BGB). Die Verfügungsbeschränkung des Vorerben R. F. (§ 2113 BGB) war ihr gegenüber nicht wirksam, weil noch bei der Eintragung der Vormerkung (11. August 1967) der Nacherbenvermerk nicht im Grundbuch stand und nicht dargetan ist, daß die Käuferin damals von der Vorerbenstellung des Verkäufers wußte. Maßgebend ist in diesem Zusammenhang allein der Zeitpunkt der Eintragung der Vormerkung, nicht dagegen der Tag der Annahme des Vertragsangebots. Allerdings ist die streng akzessorische Vormerkung in ihrer Entstehung und in ihrem Bestand stets vom gesicherten Anspruch abhängig. Daß der Auflassungsanspruch der Grundstückskäuferin hier erst mit der Annahme des Vertragsangebots (am 24. Mai 1971) entstand, besagt indes nichts für die Frage, auf welchen Zeitpunkt beim gutgläubigen Erwerb einer Vormerkung für künftige Ansprüche abzustellen ist und wann die Schutzwirkung derartiger Vormerkungen einsetzt. Der Gesetzgeber hat Vormerkungsschutz für künftige Ansprüche ausdrücklich zugelassen (§ 883 Abs 1 Satz 2 BGB) und generell (also auch in solchen Fällen) für den Rang des Rechts, auf dessen Einräumung der Anspruch gerichtet ist, auf den Tag der Eintragung der Vormerkung abgestellt (§ 883 Abs 3 BGB). Wollte man einen Vormerkungsschutz für künftige Ansprüche erst von dem Zeitpunkt ab eintreten lassen, in dem die gesicherten Ansprüche entstehen, wäre er sinnentleert; § 883 Abs 1 Satz 2 BGB würde seine Bedeutung verlieren und wäre überflüssig. Nach Wortlaut und Zweck des Gesetzes verleiht diese Bestimmung vielmehr die der Vormerkung eigentümliche Sicherungswirkung (§ 883 Abs 2 BGB) gerade einem noch nicht bestehenden Anspruch. Geltend gemacht werden kann diese Wirkung allerdings erst nach der Entstehung des Anspruchs, aber eben mit rückwirkender Kraft ab Eintragung der Vormerkung (vgl BGB-RGRK, 12. Aufl § 883 Rdn 81; Erman/Westermann, BGB 6. Aufl § 883 Rdn 17; Palandt/Bassenge, BGB 39. Aufl § 883 Anm 3; Pfeiffer, Zentralblatt für freiwillige Gerichtsbarkeit, Jahrgang 1914, 552). Soweit ersichtlich wird das von niemand bestritten. Sind somit künftige Ansprüche in diesem Sinne geschützt, dann kann es in einem solchen Fall für den Buchstand zum gutgläubigen Vormerkungserwerb ebenfalls nur auf den Tag der Eintragung der Vormerkung ankommen. Mit diesem Tag ist der Erwerbstatbestand vollendet, an den die Vormerkungswirkung anknüpft, die allerdings erst dann geltend gemacht werden kann, wenn außerhalb des Grundbuchs eine weitere Voraussetzung, nämlich die Anspruchsentstehung, hinzukommt.
Nach Auffassung der Revision ist die Angebotsempfängerin nicht schutzwürdig, weil sie es selbst in der Hand gehabt habe, das Angebot anzunehmen oder nicht, und sich ihre Rechtsposition in Kenntnis des Umstandes verschaffen wolle, daß ihrem Recht das eines Dritten entgegenstehe. Das geht an der Sache vorbei. Ist ein künftiger Anspruch mit Vormerkungsschutz im dargestellten Sinn versehen, dann kann der Empfänger eines Kaufangebots von seinem Recht zur Angebotsannahme Gebrauch machen und die Vormerkungswirkung geltend machen.
3. Die von der Mutter der Kläger erworbene Auflassungsvormerkung bestand auch in der Folgezeit unverändert fort und ist insbesondere nicht durch ein Erlöschen des Auflassungsanspruchs infolge Rücktritts des R. F. untergegangen. Nach der zutreffenden Auffassung des Berufungsgerichts lagen die gesetzlichen Voraussetzungen eines Rücktritts (§ 326 BGB) im Zeitpunkt des Schreibens vom 19. Januar 1972 nicht vor, weil die Käuferin die Kaufpreiszahlung verweigern konnte (§§ 440 Abs 1, 434, 320 BGB). Nicht nur nach § 434 BGB, sondern aus einer ausdrücklichen Vertragsbestimmung ergab sich die Pflicht des Verkäufers, der Käuferin das Grundstück frei von Lasten Dritter zu übertragen. Darunter fiel auch das Nacherbenrecht der Beklagten (§ 2113 BGB), verlautbart im Grundbuch durch den Nacherbenvermerk. Ob der Hinweis des Berufungsgerichts auf § 435 BGB (Löschung von Scheinbelastungen) richtig ist (etwa aus der Überlegung heraus, daß die Käuferin gutgläubig schon eine von den Beschränkungen des Nacherbenrechts freie Auflassungsvormerkung erworben hatte), mag dahinstehen; denn R. F. war in jedem Fall der Käuferin gegenüber verpflichtet, den Nacherbenvermerk löschen zu lassen. Bereits das sich daraus ergebende Leistungsverweigerungsrecht der Käuferin (§ 440 Abs 1, § 320 Abs 1 Satz 1 BGB) hinsichtlich der Kaufpreiszahlung hinderte den Eintritt des Schuldnerverzuges, ohne daß es hierzu einer ausdrücklichen Einrede bedurft hätte (BGH Urteil vom 13. März 1963, VIII ZR 212/61 = NJW 1963, 1149; Urteil vom 27. Februar 1974, VIII ZR 206/72 = WM 1974, 369, 370; RGZ 126, 280, 285).
4. Die Mutter der Kläger hat mit ihrer Eintragung im Grundbuch aufgrund der im Vergleich vom 3. Januar 1973 erklärten Auflassung auch das Grundeigentum ohne die Beschränkung des Nacherbenrechts erworben. Zu Recht stellt das Berufungsgericht darauf ab, daß es nur noch auf den guten Glauben bei Erwerb der Auflassungsvormerkung (unter Umständen auch auf den bei Stellung des entsprechenden Eintragungsantrags, § 892 Abs 2 BGB) ankommt und dieser gute Glaube für den Eigentumserwerb maßgeblich bleibt. Das war schon die Auffassung des Reichsgerichts (RGZ 121, 44, 47). Der Senat hat sich dem angeschlossen und hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (BGHZ 28, 182, 187; 57, 341, 343), die von der Literatur weitgehend gebilligt wird (BGB-RGRK aaO § 893 Rdn 16; Soergel/Baur, BGB 11. Aufl § 893 Rdn 8; Palandt aaO § 885 Anm 3d mwN; vgl neuerdings auch Dannecker, MittBayNot 1979, 144ff mwN), gegen die Kritik aus neuerer Zeit (vgl Goetzke/Habermann, JuS 1975, 82ff) fest. Es geht nicht an, das Problem aus einer rein begrifflich-dogmatischen Sicht zu betrachten. Entsprechend den Bedürfnissen der Praxis, die nach einem zuverlässigen Sicherungsmittel für Ansprüche auf den Erwerb eintragungsfähiger Rechte verlangt, hat die erwähnte Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Senats dem Vormerkungsinhaber eine Rechtsstellung verliehen, bei der die Interessen des Verkehrsschutzes überwiegen. Der Buchstand und der gute Glaube an ihn beim Vormerkungserwerb sollen maßgeblich bleiben für den Erwerb, dessen Sicherung die Vormerkung dient. Sie würde im Rechtsverkehr erheblich an Bedeutung verlieren, wenn man diesen Erwerbsschutz der Vormerkung – auf den die Praxis nach der Rechtsprechung vertraut – in Frage stellte.
Die Beklagten haben die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs 1 ZPO).

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