Offenbare Unrichtigkeit eines Schiedsgutachtens

April 19, 2020

BGH, Urteil vom 16. November 1987 – II ZR 111/87
Offenbare Unrichtigkeit eines Schiedsgutachtens
Ein Schiedsgutachten ist nicht nur offenbar unrichtig, wenn sich einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter – sei es auch erst nach eingehender Prüfung – offensichtliche Fehler der Leistungsbestimmung aufdrängen, die das Gesamtergebnis verfälschen, sondern auch dann, wenn die Ausführungen des Sachverständigen so lückenhaft sind, daß selbst der Fachmann das Ergebnis aus dem Zusammenhang des Gutachtens nicht überprüfen kann.
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 24. Februar 1987, 7 U 7/86
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 24. Februar 1987, 7 U 61/86
vorgehend LG Hamburg, 17. April 1986, 25 O 10/86
vorgehend LG Hamburg, 17. April 1986, 25 O 23/86
vorgehend LG Hamburg, 19. Dezember 1985, 25 O 157/85
Tatbestand
Die Kläger sind mit Wirkung vom 1. Januar 1981 als Kommanditisten aus der verklagten Grundstückskommanditgesellschaft ausgeschieden. Sie machen die beiden ersten Raten ihrer Abfindungsansprüche im Urkundenprozeß geltend.
Nach § 17 des Gesellschaftsvertrages sind in der Auseinandersetzungsbilanz unter Auflösung der stillen Reserven die tatsächlichen Werte ohne Berücksichtigung des Firmenwerts einzusetzen; für den Fall, daß über die Höhe des Guthabens keine Einigung erzielt wird, hat ein von der Handelskammer Hamburg zu bestellender Wirtschaftsprüfer ein für die Abfindung maßgebliches Gutachten zu erstellen; das sich daraus ergebende Auseinandersetzungsguthaben ist dann zusammen mit dem Gesellschafterdarlehen und etwaigen weiteren Guthaben in drei gleichen Jahresraten auszuzahlen, von denen die erste sechs Monate nach Vorliegen der Auseinandersetzungsbilanz fällig ist.
Als die Parteien sich über die Höhe der Guthaben nicht einigten, bestellte die Handelskammer Hamburg auf Antrag der Beklagten am 18. Mai 1982 den Wirtschaftsprüfer M. zum Schiedsgutachter. Nach dessen am 20. Juli 1984 erstelltem und den Parteien am 2. August 1984 vorgelegten Gutachten hat der Kläger zu 1 ein Auseinandersetzungsguthaben (einschließlich Darlehen) in Höhe von 3.572.046,53 DM und der Kläger zu 2 ein solches in Höhe von 3.161.102,99 DM.
Die Kläger haben im Urkundenprozeß vor dem Landgericht Hamburg (25 O 157/85) zunächst die ersten Raten in Höhe von 1.190.682,17 DM und 1.053.700,99 DM, jeweils zuzüglich Zinsen geltend gemacht und zum Beweise für die Höhe der Forderung das Gutachten vorgelegt. Mit einer zweiten Klage (25 O 10/86) machten sie zusätzliche Zinsen geltend, und zwar der Kläger zu 1 in Höhe von 225.485,43 DM und der Kläger zu 2 in Höhe von 199.544,61 DM. Mit der dritten Klage ging es den Klägern um die zweiten Raten ihrer Abfindung, jeweils zuzüglich Zinsen. Das Landgericht hat die beiden zuletzt genannten Prozesse verbunden und allen drei Klagen durch Vorbehaltsurteile stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die verbliebenen zwei Prozesse verbunden und die Berufungen – bis auf Abstriche bei den Zinsen – zurückgewiesen. Die Beklagte ist der Ansicht, daß der Kläger zu 1 eine Abfindung in Höhe von 1.086.360,44 DM zuzüglich Zinsen in Höhe von 278.485,48 DM für die Zeit vom 26. Februar 1982 bis 15. Januar 1986 und der Kläger zu 2 eine Abfindung in Höhe von 961.380,92 DM zuzüglich Zinsen in Höhe von 246.447,33 DM für die Zeit vom 26. Februar 1982 bis 15. Januar 1986 beanspruchen kann. Soweit sie zu weitergehenden Zahlungen verurteilt worden ist, verfolgt sie mit der Revision ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg; soweit das Berufungsurteil angefochten worden ist, wird die Klage abgewiesen, weil sie im Urkundenprozeß nicht statthaft ist. Die Kläger können den Beweis, daß ihnen Abfindungen in der geltend gemachten Höhe zustehen, mit den in diesem Prozeß zulässigen Beweismitteln nicht führen. Das Schiedsgutachten, das die Kläger als Beleg für die Höhe ihrer Abfindungsansprüche heranziehen, ist als Beweismittel nicht geeignet, weil es offenbar unrichtig ist.
1. In der Regelung des § 17 des Gesellschaftsvertrages, wonach die Abfindung durch einen von der Handelskammer Hamburg bestellten Wirtschaftsprüfer bestimmt wird, falls die Parteien sich nicht einigen, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler eine Schiedsgutachtenabrede gesehen, für die die §§ 317-319 BGB entsprechend gelten. Ein solches Gutachten ist entsprechend § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Beteiligten nicht verbindlich, wenn es offenbar unrichtig ist. Das ist nicht nur der Fall, wenn sich einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter – sei es auch erst nach eingehender Prüfung – offensichtliche Fehler der Leistungsbestimmung aufdrängen, die das Gesamtergebnis verfälschen (vgl. hierzu BGHZ 43, 374, 376; 81, 229, 237), sondern auch dann, wenn die Ausführungen des Sachverständigen so lückenhaft sind, daß selbst der Fachmann das Ergebnis aus dem Zusammenhang des Gutachtens nicht überprüfen kann (vgl. BGHZ 62, 314, 319; BGH, Urt. v. 21.5.1975 – VIII ZR 161/73, WM 1975, 770, 772; v. 20.11.1975 – III ZR 112/73, WM 1976, 251, 253; v. 2.2.1977 – VIII ZR 155/75, WM 1977, 413, 415; v. 25.1.1979 – X ZR 40/77, LM BGB § 319 Nr. 23; v. 23.11.1984 – V ZR 120/83, WM 1985, 174). Das Berufungsgericht geht – allerdings in anderem Zusammenhang – von dieser Rechtsprechung aus, läßt sie jedoch außer acht, wenn es sich mit der Frage befaßt, ob die der Leistungsbestimmung zugrundeliegenden Faktoren aus dem Gutachten selbst heraus nachprüfbar sind.
2. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob – und falls ja, wie – sich auf die Verbindlichkeit eines Schiedsgutachtens der Umstand auswirken kann, daß der Gutachter nur eine Partei anhört oder sonstwie befangen ist; das Gutachten ist schon wegen der vom Berufungsgericht festgestellten und von der Revision zusätzlich aufgezeigten Lücken im Urkundenprozeß unbrauchbar.
a) Der Sachverständige hat, als er den Anteil am Unternehmenswert ermittelte, mit dem die Kläger abzufinden sind, 89 von der Beklagten gebaute, aber noch nicht verkaufte Eigentumswohnungen mit einem Liquidationswert von insgesamt 18.830.232 DM einbezogen, den er durch Addition der aus der Preisliste der Beklagten vom 15. Januar 1981 ersichtlichen Verkaufspreise errechnet hat, ohne nachzuprüfen, ob diese Preise am Bewertungsstichtag auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich erzielbar waren. Sollte der Markt für Eigentumswohnungen die Preise laut Liste nicht hergegeben haben, wäre der gefundene Liquidationswert unbrauchbar. Die tatsächlich erzielbaren Preise auf dem Markt stellten deshalb einen entscheidenden Bewertungsfaktor dar. Ihre Nichtberücksichtigung hat zur Folge, daß das Schiedsgutachten nicht nur hinsichtlich der Eigentumswohnungen, sondern auch im Gesamtergebnis nicht nachgeprüft werden kann und deshalb offenbar unrichtig ist.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu dieser Frage sind widersprüchlich; einerseits hebt es zutreffend auf die Notwendigkeit ab, die tatsächlich erzielbaren Preise zu ermitteln; andererseits will es nicht sachverständig genug sein, um beurteilen zu können, ob der Sachverständige den Anforderungen an ein ordnungsmäßiges Schiedsgutachten nicht auch dann entspricht, wenn er ohne diese Preise auszukommen sucht. Mußte der Sachverständige die Preise ermitteln, so konnte er nicht ohne sie auskommen. Das Berufungsgericht verkennt zudem, daß es in diesem Punkt um Rechts-, und nicht um Sachkenntnis geht. Es sind rechtliche Überlegungen, wenn gefordert wird, ein ordnungsgemäßes Schiedsgutachten müsse so lückenlos begründet sein, daß es aus sich heraus nachgeprüft werden kann. Die Beantwortung der Frage, ob eine Lücke vorliegt, mag im Grenzbereich schwierig und nur mit Hilfe eines Sachverständigen möglich sein. Um einen solchen Grenzbereich geht es im vorliegenden Falle nicht; die Lücke in dem umstrittenen Gutachten war ohne die Hilfe eines Sachverständigen erkennbar und ist vom Berufungsgericht auch ohne weiteres erkannt worden.
b) Ähnliches gilt, soweit der Sachverständige (auf S. 20 des Gutachtens) den Gesamtbodenwert der Gewerbegrundstücke mit 12.124.574 DM aufgrund von Preisen für Grundstücke ermittelt hat, die dem der Beklagten mittelbar vergleichbar sind. Der Schiedsgutachter nennt im Gutachten weder die Vergleichsobjekte noch die für sie erzielten Preise. Ohne diese Angaben kann auch ein Fachmann nicht nachprüfen, ob der Schiedsgutachter einen zutreffenden Vergleichsmaßstab angewandt hat. Diese Prüfung muß ihm aber aus dem Gutachten heraus anhand der dort wiedergegebenen Ergebnisse der vom Sachverständigen angestellten Nachforschungen möglich sein (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.1984 – V ZR 120/83, WM 1985, 174).
Das Berufungsgericht stellt zwar fest, daß die Vergleichswerte fehlen und es selbst die Begründung nicht nachvollziehen kann, will aber nicht ausschließen, daß ein Sachverständiger es könne. Hier ist das Berufungsgericht einem Denkfehler erlegen; auch ein Sachverständiger kann keine Vergleichsmaßstäbe überprüfen, die im Gutachten nicht genannt sind.
c) Lückenhaft sind auch die Ausführungen des Sachverständigen, mit denen er (auf S. 24 des Gutachtens) begründet, daß der Liquidationswert der Grundstücke 75.196.803 DM betrage. Diesen Wert hält er nach seiner „Kenntnis und Erfahrung durch Mitwirkung bei Immobilien-An- und Verkäufen sowie den von Bauträger- und Vermögensanlagegesellschaften erhaltenen Informationen über übliche An- und Verkaufserlöse für vergleichbare Großobjekte“ für angemessen, ohne auch nur ein einziges Vergleichsobjekt anzuführen. Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht auf diesen Mangel des Gutachtens nicht eingegangen ist.
d) Ebensowenig aus sich heraus verständlich sind die Ausführungen des Schiedsgutachters zu den Bauschäden, die in Höhe von 4.183.427 DM (gegenüber 10,3 Mio. DM, die ein von der Beklagten eingeholtes Gutachten ausweist) den Grundstückswert mindern sollen. Der Schiedsgutachter übernimmt diese Zahl aus dem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten des Sachverständigen F., das er seinem Gutachten zwar beifügt, das sich aber seinerseits auf zahlreiche Unterlagen bezieht, die alle fehlen, so daß die Berechnungen nicht überprüft werden können. Ferner zieht der Schiedsgutachter als zusätzlichen Beleg für die Richtigkeit seines Wertansatzes eine Stellungnahme des Sachverständigen F. zu einem Privatgutachten der Beklagten heran, die er ebenfalls nicht vorlegt und über deren Inhalt man deshalb nichts erfährt. Auch diesen Umstand rügt die Revision deshalb mit Recht.
3. Die aufgezeigten Mängel führen dazu, daß das Gesamtergebnis des Schiedsgutachtens nicht nachgeprüft werden kann. Das Gutachten ist deshalb offenbar unrichtig und muß, weil sich sein materieller Gehalt einer Bewertung entzieht, zugleich als offenbar unbillig angesehen werden. Mit ihm kann somit im Urkundenprozeß die Höhe der Abfindung nicht bewiesen werden. Da für eine Bestimmung der Abfindung durch Urteil (§ 319 Abs. 1 Satz 2 BGB) ebenfalls kein Beweis mit den im Urkundenprozeß zulässigen Beweismitteln angetreten worden ist, ist die Klage als in dieser Prozeßart nicht statthaft abzuweisen.
4. Soweit die Beklagte das Urteil nicht angefochten hat, hat sie sich anläßlich der Verhandlung vor dem Senat damit einverstanden erklärt, daß den Klägern die anerkannten Beträge auf Grund des Urteils des Landgerichts vom 19. Dezember 1985 verbleiben, ungeachtet der Tatsache, daß sie nicht nur die 1. Raten, sondern die Abfindungen insgesamt sowie auch Zinsen für Zeiträume abgelten sollen, für die Zinsen erst mit der späteren Klage verlangt werden.

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.