Voraussetzungen der Vollstreckung eines Leistungsurteils

April 26, 2020

Hessischer Verwaltungsgerichtshof 1. Senat
1 E 1016/19

Voraussetzungen der Vollstreckung eines Leistungsurteils

1. Die Vollstreckung von Hauptsachetiteln nach § 172 VwGO setzt grundsätzlich eine Vollstreckungsklausel voraus.

2. § 171 VwGO ist nicht über seinen Wortlaut hinaus auf die Fälle der Vollstreckung nach § 172 VwGO zu erstrecken.

Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang
vorgehend VG Wiesbaden, 15. April 2019, 3 N 6156/17.WI, Beschluss
Tenor

Die Beschwerde des Vollstreckungsgläubigers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 15. April 2019 – 3 N 6156/17.WI – wird zurückgewiesen.

Der Vollstreckungsgläubiger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Der Vollstreckungsgläubiger ist Beamter im Dienst der Vollstreckungsschuldnerin und beim Bundeskriminalamt tätig. Er wandte sich in einem vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden geführten Verwaltungsstreitverfahren gegen seine dienstliche Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. April 2013. Mit Urteil vom 21. November 2016 – 3 K 472/14.WI – gab das Verwaltungsgericht der Klage statt und verurteilte die Vollstreckungsschuldnerin dazu, dem Vollstreckungsgläubiger eine neue dienstliche Beurteilung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen. Das Verwaltungsgericht hielt die dem Vollstreckungsschuldner für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. April 2013 erteilte dienstliche Beurteilung mangels Dienstpostenbewertung für rechtswidrig.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2017 teilte das Bundeskriminalamt dem Vollstreckungsgläubiger mit, dass sich der zuständige Beurteiler außer Stande sehe, die Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. April 2013 neu zu erstellen.

Daraufhin hat der Vollstreckungsgläubiger am 15. Dezember 2017 einen Vollstreckungsantrag beim Verwaltungsgericht Wiesbaden gestellt. Mit Beschluss vom 15. April 2019 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, eine für die Vollstreckung nach § 172 VwGO erforderliche grundlose Säumnis der Vollstreckungsschuldnerin liege nicht vor, denn ihr sei eine Erstellung der dienstlichen Beurteilung nicht möglich.

Gegen diesen ihm am 20. April 2019 zugestellten Beschluss hat der Vollstreckungsgläubiger am 3. Mai 2019 Beschwerde eingelegt, die er am 20. Mai 2020 begründet hat.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Vollstreckungsantrag des Klägers im Ergebnis zu Recht abgelehnt, denn die Voraussetzungen der Vollstreckung aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 21. November 2016 – 3 K 472/14.WI – liegen nicht vor.

Die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob sich die Vollstreckung auch bei Leistungsurteilen auf schlicht hoheitliches Handeln nach § 172 VwGO (vgl. Nieders. OVG, Beschluss vom 12. September 2006 – 5 OB 194/06 -, NVwZ-RR 2007, 139; Bay. VGH, Beschluss vom 27. Februar 2017 – 22 C 16.1427 -, NVwZ 2017, 894; Pietzner/Möller in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 172 Rn. 18) oder nach § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 888 ZPO (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Juni 2003 – 4 S 118/03 -, NVwZ-RR 2004, 459; Bay. VGH, Beschluss vom 9. März 2009 – 7 C 08.3151 -, juris) richtet, kann offen bleiben. Unabhängig davon, ob sich die Vollstreckung im vorliegenden Fall eines Leistungsurteils auf Erteilung einer dienstlichen Beurteilung nach § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 888 ZPO oder nach § 172 VwGO richtet, fehlt es an der Vollstreckungsklausel und damit an einer allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzung. Auf die vom Verwaltungsgericht erörterte Frage der Unmöglichkeit der Erstellung der dienstlichen Beurteilung kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

Die Zwangsvollstreckung wird grundsätzlich gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 724 Abs. 1 ZPO aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des zu vollstreckenden Titels durchgeführt. Dieses Erfordernis gilt auch für die – hier in Betracht kommende – Zwangsvollstreckung nach § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 888 ZPO (vgl. Gruber in: Münchner Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 888 Rn. 17; Seibel in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 888 Rn. 5; Stürner in: BeckOK ZPO, 35. Edition Stand: 1. Januar 2020, § 888 Rn. 15 m. w. N.).

Das Erfordernis einer Vollstreckungsklausel entfällt gemäß § 171 VwGO in den dort genannten Fällen. Der hier in Betracht kommende Fall einer Vollstreckung nach § 172 VwGO wird vom Wortlaut des § 171 VwGO nicht umfasst. Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur verbreiteten Auffassung ist § 171 VwGO nicht über seinen Wortlaut hinaus auch auf Fälle des § 172 VwGO auszudehnen.

Dort wird angeführt, dass eine entsprechende Anwendung des § 171 VwGO auf die Fälle der Vollstreckung von Hauptsachetiteln nach § 172 VwGO geboten sei. Zur Begründung wird im Wesentlichen darauf verwiesen, dass die Vollstreckung durch das Gericht des ersten Rechtszuges erfolge und es nicht sinnvoll wäre, dem Gericht eine vollstreckbare Ausfertigung vorzulegen, die von ihm selbst oder allenfalls von der Rechtsmittelinstanz erteilt worden wäre (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juni 2018 – OVG 10 S 59.17 -, juris Rn. 7; OVG Hamburg, Beschluss vom 14. Februar 2017 – 1 So 63/16 -, juris Rn. 38 m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 8 E 555/10 -, juris Rn. 4; Beschluss vom 10. September 2013 – 16 E 100/13 -, juris Rn. 9 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 – 22 C 05.2553 -, juris Rn. 14; Heckmann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 171 Rn. 18 m. w. N.; Kraft in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 171 Rn. 4; Pietzner/Möller in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 171 Rn. 12).

Demgegenüber geht ein anderer Teil der Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass die Vollstreckung von Hauptsachetiteln nach § 172 VwGO eine Vollstreckungsklausel voraussetzt und die Ausnahme des § 171 VwGO nicht auf diese Fallkonstellationen anwendbar ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Januar 1995 – 10 S 488/94 -, NVwZ-RR 1995, 619; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. April 2011 – OVG 5 L 15.11 -, juris Rn. 5; Bader in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 171 Rn. 2; W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 171 Rn. 1; von Nicolai in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 172 Rn. 4).

Der zuletzt genannten Auffassung ist zu folgen. Abgesehen davon, dass sie dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes entspricht und bereits aus diesem Grund keiner besonderen Begründung bedarf, überzeugen die für die entgegenstehende Ansicht vorgebrachten Argumente nicht. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer gesetzlichen Regelung ist in erster Linie eine rechtspolitische und damit der letztverbindlichen Beurteilung durch das Gericht entzogen. Hinzu kommt, dass im Anwendungsbereich der Zivilprozessordnung – soweit ersichtlich – nicht die Auffassung vertreten wird, es bedürfe in den Fällen, in denen – wie bei der Vollstreckung nach § 888 ZPO – ebenfalls das Prozessgericht für die Vollstreckung zuständig ist, keiner Vollstreckungsklausel, weil deren Erteilung nicht sinnvoll sei. Eine überzeugende Erläuterung, warum das im Anwendungsbereich der Verwaltungsgerichtsordnung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes anders sein soll, bleibt die Gegenmeinung schuldig.

Ausweislich der beigezogenen Gerichtsakte des der Vollstreckung zugrundeliegenden Verfahrens hat der Vollstreckungsgläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung des Vollstreckungstitels weder vorgelegt noch eine solche beantragt.

Das Erfordernis der vollstreckbaren Ausfertigung des zu vollstreckenden Titels entfällt auch nicht aus anderen Gründen.

Zwar wird in der Rechtsprechung die allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung der Vollstreckungsklausel vereinzelt dann aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes für entbehrlich gehalten, wenn weder das für die Vollstreckung zuständige Gericht noch der Vollstreckungsschuldner das Fehlen beanstandet haben (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 12. Juli 2007 – 11 C 06.868 -, juris Rn. 35). Dieser Auffassung ist nicht zu folgen, denn die als „eigenwillig“ (vgl. Kraft in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 171 Rn. 4) kritisierte Begründung vermag nicht zu überzeugen. Beim Erfordernis der Vollstreckungsklausel handelt es sich um eine vom Gesetzgeber vorgeschriebene allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung die weder zur Disposition der Beteiligten des Verfahrens steht noch vom Gericht ignoriert werden kann.

Der Vollstreckungsgläubiger hat gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist.

Eine Streitwertfestsetzung ist nicht veranlasst. Für das Beschwerdeverfahren gilt eine Festgebühr von 60,- € (vgl. Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 VwGO unanfechtbar.

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