Anordnung einer Sanierungsuntersuchung

Mai 24, 2020

OVG Berlin-Brandenburg, OVG 11 S 38.16
Anordnung einer Sanierungsuntersuchung
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 12.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin ist seit 1992 Eigentümerin eines mit einem mehrstöckigen Mietshaus bebauten Grundstücks, auf dem zwischen 1968 und 1986 eine chemische Reinigung und Bekleidungsfärberei betrieben wurde. Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 15. Februar 2016 ordnete Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin im Einzelnen bezeichnete Maßnahmen zur Sanierungsuntersuchung an. Durch Beschluss vom 24. Juni 2016 hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen diesen Bescheid wiederherzustellen.
II.
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Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg, weil ihre gemäß § 146 Abs. 4 VwGO maßgebende Begründung eine Änderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht rechtfertigt.
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Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines Beschlusses unter anderem ausgeführt: Die streitgegenständliche Sanierungsuntersuchungsanordnung finde ihre Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG. Das Grundstück der Antragstellerin, auf dem zuletzt 2013 eine kontinuierlich gestiegene erhebliche Grundwasserbelastung mit Tetrachlorethen (PER), einem leichtflüchtigen chlorierten Kohlenwasserstoff (LCKW), festgestellt worden sei, sei eine qualifizierte Altlast im Sinne dieser Vorschrift. Die Antragstellerin gehöre als Eigentümerin zum Kreis der nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG zur Altlastsanierung verpflichteten Personen. Ihre Heranziehung sei im Hinblick auf die Störerauswahl ermessensfehlerfrei. Auf die Frage, ob der Betreiber der chemischen Reinigung, Herr S., als Verursacher bei einer zeitlich früheren Entscheidung möglicherweise vorrangig heranzuziehen gewesen wäre, komme es nicht an, da dieser 2015 verstorben sei. Der Antragsgegner habe auch ermessensfehlerfrei eine Inanspruchnahme der Erben verneint. Zwar gehörten grundsätzlich auch die Erben eines Verursachers als Gesamtrechtsnachfolger zum Kreis der in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG ausdrücklich benannten sanierungspflichtigen Personen. Die gesetzlichen Erben des Betreibers der Reinigung hätten das Erbe jedoch ausgeschlagen und könnten bereits aus diesem Grunde nicht mehr als Störer in Anspruch genommen werden. Auch habe der Antragsgegner ermessensfehlerfrei eine Inanspruchnahme des Landes Berlin als Gesamtrechtsnachfolger verneint. Dieses sei zwar als sogenannter Noterbe im Sinne von § 1936 BGB zum Gesamtrechtsnachfolger geworden. Gemäß § 1975 BGB beschränke sich die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten jedoch auf den Nachlass, wenn ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet sei, was hier zutreffe. Da hier nicht die Gesamtrechtsnachfolge eines Zustandsstörers, sondern des Verursachers in Rede stehe, der Nachlass überschuldet sei und die zu erwartenden Kosten für die geplanten Sanierungsuntersuchungen i.H.v. 25.000 € aus dem Nachlass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gedeckt werden könnten, sei die Auswahlentscheidung des Antragsgegners, mit der Antragstellerin die Eigentümerin des Grundstücks als Zustandsstörerin heranzuziehen, nicht zu beanstanden. Die Störerauswahl entspreche auch dem Zweck der Ermessensermächtigung. § 4 Abs. 3 BBodSchG verfolge insbesondere zwei Ziele: zum einen erstrebe er eine schnelle und effektive Beseitigung eingetretener Störungen; zum anderen ginge es darum, die öffentliche Hand von finanziellen Lasten möglichst freizuhalten. Da eine Kostendeckung durch den Nachlass ausgeschlossen erscheine, stelle sich die Antragstellerin im vorliegenden Fall als leistungsfähigere Störerin dar. Die Anordnung sei auch verhältnismäßig. Es gehe um den Schutz hochwertiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit und das Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20 Buchst. a GG). Die Kosten der Untersuchung betrügen nur einen Bruchteil des Werts des betroffenen Grundstücks, der vom Bundesverfassungsgericht als Opfergrenze definiert werde. Überdies liege die Sanierung auch im objektiven Interesse der Antragstellerin. Auch könne sich diese nicht darauf berufen, dass ihre Inanspruchnahme treuwidrig sei, wenn sich der Antragsgegner nach einer jahrelangen Verschleppung des Verfahrens nunmehr auf die Haftungsbeschränkung des § 1975 BGB berufe. Maßgeblich für die Störerauswahl sei auch insoweit der Grundsatz der effektiven Gefahrenabwehr. Ein möglicherweise amtspflichtwidriges Verhalten des Antragsgegners müsse die Antragstellerin im Zivilrechtswege geltend machen.
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Die Antragstellerin macht im Wesentlichen geltend: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgericht sei die Störerauswahl des Antragsgegners ermessensfehlerhaft. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass § 4 Abs. 3 BBodSchG kein Rangverhältnis hinsichtlich der als Adressaten einer Sanierungsanordnung in Betracht kommenden Verantwortlichen begründe. Der Verursacher sei gegenüber dem Grundstückseigentümer vorrangig heranzuziehen. Zwar sei zutreffend, dass die Haftungsbeschränkung des § 1975 BGB Anwendung finde. Das führe jedoch nicht dazu, dass die Antragstellerin anstelle des Antragsgegners in Anspruch zu nehmen wäre. Das Verwaltungsgericht habe die maßgeblichen Grundsätze der gerechten Lastenverteilung und des Verursacherprinzips außer Acht gelassen. Der Antragsgegner habe zwar nicht die schädliche Bodenveränderung verursacht, aber durch die jahrzehntelange Verfahrensverzögerung daran mitgewirkt, dass der Inhaber der Reinigung als Verhaltensstörer nicht in Anspruch genommen werden könne und dass eine Ausbreitung der Schadstoffe und somit eine Vergrößerung des Schadens erfolgt sei. Überdies sei die Anordnung jedenfalls unverhältnismäßig. Der Antragsgegner habe das Verfahren seit den ersten Boden- und Grundwassermessungen im Jahr 2007 pflichtwidrig verzögert, was nicht mit dem Argument der Arbeitsüberlastung gerechtfertigt werden könne. Das habe auch dazu geführt, dass der Antragstellerin der gemäß § 24 Abs. 2 BBodSchG vorgesehene Regress gegen den eigentlich Verhaltensverantwortlichen verschlossen bleibe. Aufgrund der bereits seit 1971 und damit nunmehr 45 Jahren bestehenden Kenntnis über eine Schadstoffbelastung sei auch eine Verwirkung in Betracht zu ziehen. Schließlich sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend begründet worden. Der Antragsgegner habe fast zehn Jahre vergehen lassen, bevor er eine Sanierungsanordnung erlassen habe; zu keiner Zeit habe er eine besondere Eilbedürftigkeit erkennen lassen.
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Dieses Vorbringen rechtfertigt es nicht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Februar 2016 wiederherzustellen oder auch nur die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieses Bescheides aufzuheben.
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Die von der Antragstellerin mit ihrer Beschwerde aufgeworfenen Fragen sind höchstrichterlich geklärt und zu ihren Lasten zu beantworten. Die von ihr geltend gemachten Umstände des Falles rechtfertigen es weder, die vom Antragsgegner vorgenommene Störerauswahl als ermessensfehlerhaft noch, die Inanspruchnahme der Antragstellerin als unverhältnismäßig oder treuwidrig anzusehen.
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Das BVerwG hat mit Beschluss vom 7. August 2013 (– 7 B 9/13 –, bei Juris, Rn. 6-11) zu der Frage, ob die Inanspruchnahme eines ohne Kenntnis von Altlasten ein Grundstück erwerbenden Grundstückseigentümers als Zustandsstörer treuwidrig, rechtsmissbräuchlich oder unverhältnismäßig sei, wenn die Behörde selbst durch langjährige Untätigkeit die Ursache dafür gesetzt habe, dass im Boden vorhandene Altlasten in den Grundwasserbereich hätten vordringen können und es im Übrigen versäumt habe, die Verursacher der Kontamination und deren Erben zu Lebzeiten in die Haftung zu nehmen, unter anderem ausgeführt: Die Regelungen des Bundesbodenschutzgesetzes würden weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck eine behördliche Garantenstellung begründen. Ihr Ziel sei eine möglichst effektive Abwehr der von Altlasten und schädlichen Bodenveränderungen ausgehenden Gefahren. Als Mittel zur Zielerreichung sehe das Gesetz die Inanspruchnahme von Verhaltens- oder Zustandsverantwortlichen vor. Diese Handlungsmöglichkeit bleibe im Interesse effektiver Zielverfolgung von etwaigen behördlichen Versäumnissen in der Vergangenheit unberührt. Die sicherheitsrechtlichen Vorschriften über die Sanierungsverantwortlichkeit bei eingetretenen schädlichen Bodenveränderungen in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG seien eine zulässige Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Ziel der Vorschriften sei es, unbeschadet der Haftung des Verursachers eine effektive Gefahrenabwehr auch durch den Eigentümer sicherzustellen, der regelmäßig die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit habe, auf die Sache und damit auch auf die Gefahrenquelle einzuwirken und der überdies auch aus der Sache Nutzen ziehe. Angesichts dieser Zielrichtung der Zustandsstörerhaftung sei es ohne Bedeutung, ob der Eigentümer bei Erwerb des Grundstücks in Bezug auf das Vorhandensein einer schädlichen Bodenveränderung gut- oder bösgläubig gewesen sei und von welcher Person oder aufgrund welcher Umstände die schädliche Bodenveränderung herbeigeführt worden sei. Dass ordnungsrechtliche Befugnisse zur Gefahrenabwehr nicht verwirkt werden könnten, entspreche ständiger Rechtsprechung. Nicht nur sei es für die Erfüllung der Voraussetzungen der Zustandsverantwortlichkeit unerheblich, auf welche Umstände der Gefahrenzustand zurückzuführen sei, auch der zeitliche Rahmen, in dem es zu einer Konkretisierung der Zustandsverantwortlichkeit komme, sei bei Fehlen besonderer Umstände ohne Bedeutung, da der Eigentümer ausschließlich aufgrund seiner Rechtsstellung pflichtig gemacht werde. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei allein das Ausmaß dessen, was dem Eigentümer zur Gefahrenabwehr abverlangt werde, zu beschränken, und zwar im Grundsatz auf den Verkehrswert des betroffenen Grundstücks nach Durchführung der Sanierung.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung des streitigen Bescheides rechtlich nicht zu beanstanden
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Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Begründung der Vollziehungsanordnung ein formelles Erfordernis darstellt und die behördliche Begründung im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht materiell auf ihre Rechtmäßigkeit, insbesondere nicht auf sachgerechte Ermessensausübung überprüft wird, sondern dass das Verwaltungsgericht gem. § 80 Abs. 5 VwGO aufgrund eigener Abwägung darüber entscheidet, ob und inwieweit es die aufschiebende Wirkung wiederherstellt. Davon ausgehend ist es für die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung erforderlich, aber auch ausreichend, dass schriftlich mit dem nötigen Einzelfallbezug und über eine lediglich floskelhafte Wiederholung der gesetzlichen Anforderung hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass mit der Vollziehung des Bescheids nicht bis zur Klärung seiner Rechtmäßigkeit abgewartet werden kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2012 – OVG 11 S 2.12 -, zit. nach juris Rn 6).
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Dies hat der Antragsgegner hier getan, indem er unter Hinweis auf die einzelfallbezogen, zudem unter Angabe der gemessenen Belastungswerte begründete konkrete Gefahr einer weiteren Ausbreitung des Schadstoffs im Grundwasser angeführt hat, dass die angeordnete Sanierungsuntersuchung der schnellstmöglichen Beseitigung der Schadensquelle auf dem Grundstück der Antragstellerin diene. Daran vermag auch der erneute Hinweis der Antragstellerin auf die seit der Feststellung der Bodenbelastung bereits verstrichene Zeit nichts zu ändern. Denn wie der Senat bereits in seinem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 11 S 41.12 – ausgeführt hat, lässt die bisherige Verfahrensdauer das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht entfallen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung drohende Verzögerung regelmäßig nicht etwa auf die im Zweifel noch überschaubare bzw. von der Behörde jedenfalls selbst zu beeinflussende Dauer eines Widerspruchsverfahren beschränkt, sondern dass bei ablehnender Bescheidung mit einer Klageerhebung gerechnet werden muss, die im Fall einer unter Umständen erst in letzter Instanz rechtskräftig werdenden Entscheidung eine mehrjährige Verzögerung zur Folge haben könnte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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