VG Köln, Urteil vom 04.05.2006 – 20 K 391/05

Juni 2, 2020

VG Köln, Urteil vom 04.05.2006 – 20 K 391/05
Tenor

Die Grundsteuerbescheide der Beklagten vom 10. Mai 2004 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2004 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird zur Rückzahlung von 420,90 EUR nebst 6,21% Zinsen p.a. hieraus ab 19. Januar 2005 an die Klägerin verurteilt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand

Die Klägerin ist als Vertreterin des Fiskus des Landes NRW – festgestellt durch Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 23. September 2003, 45 VI 422/03 – Erbin nach dem am 19. März 2003 verstorbenen S. B. (im folgenden: Erblasser). Dieser war Eigentümer der Wohnungen WE 8 und 14 im Hause C. Str. 00 in 00000 C1. . Am 28. Januar 2004 wurde die Klägerin aufgrund Erbfolge als gesetzlicher Erbe als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen.

Durch Abgabenbescheide vom 10. Mai 2004 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin für die WE 8 und die WE 14 jeweils 210,45 Euro Grundsteuer B fest. Daraufhin teilte die Klägerin mit, der Nachlass sei überschuldet, deswegen habe sie am 18. Februar 2004 Nachlassinsolvenzantrag gestellt, und erhob am 14. Mai 2004 die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses. Am 6. Juli 2004 wurde das Insolvenzverfahren über den Nachlass des Erblassers wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet, Amtsgericht Bonn 95 IN 31/04.

In der Folge kam es zu einer eingehenden schriftlichen Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten, bei der diese sich im wesentlichen auf folgende Standpunkte stellten:

Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Erhebung der Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses habe gemäß § 1991 Abs. 2 BGB eine auf den Erbfall rückwirkende Sonderung von Nachlass und Eigenvermögen des Erben zur Folge. Konsequenterweise seien die seit dem Erbfall entstandenen Lasten eines Nachlassgegenstandes bei Erhebung der Dürftigkeitseinrede nicht vom Erben mit seinem Eigenvermögen zu tragen, sondern allein vom Nachlass. Dies müsse um so mehr gelten, als der Fiskus – anders als ein „gewöhnlicher Erbe“ – eine ihm als gesetzlichen Erben zugefallene Erbschaft nicht ausschlagen könne (§ 1942 Abs. 2 BGG). Sie habe die fraglichen Wohnungen auch nicht für sich behalten, sondern sie dem vorläufigen Insolvenzverwalter zur Befriedigung der Nachlassgläubiger zur Verfügung gestellt. In einer solchen Fallkonstellation sei dem Erben hinsichtlich der Lasten eines Nachlassgegenstandes auch die Dürftigkeitseinrede zuzubilligen, und zwar ohne Rücksicht darauf, dass die Verbindlichkeit nicht im strengem Sinne vom Erblasser herrühre. Die gegenteilige Auffassung führe zu dem paradoxen Ergebnis, dass der Fiskus als gesetzlicher „Zwangserbe“ zwar den Nachlassgrundbesitz und die Nutzungen daraus zur Befriedigung der Nachlassgläubiger zur Verfügung stellen müsse, die Lasten des Nachlassgrundbesitzes jedoch aus seinem Eigenvermögen bestreiten müsse. Dies widerspreche nicht nur jedem Rechtsempfinden, sondern auch der durchgängig zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers, wonach der Fiskus als Ausgleich für die mangelnde Ausschlagungsbefugnis in jedem Fall nur mit dem vorhandenen Aktivnachlass haften müsse (§§ 2011 BGB, 718 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Die Sonderung von Nachlass und Eigenvermögen wirke rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erbfalls. Dies müsse das Abgabenrecht beachten, gerade weil es lediglich an die zivilrechtliche Zuordnung des Abgabengegenstandes anknüpfe und diese nicht mit privatrechtsgestaltender Wirkung verändern könne.

Die Beklagte trat den klägerischen Ausführungen dahingehend entgegen, dass die Grundsteuer derjenige schulde, dem der Steuergegenstand zu Beginn des Kalenderjahres zuzurechnen sei. Somit sei die Grundsteuer für das Jahr 2004 aus der Stellung der Klägerin als Eigentümer der Wohnungen entstanden und rühre deshalb nicht vom Erblasser her. Daher zähle sie nicht zu den Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 1967 BGB. Nur für diese sei jedoch eine Beschränkung der Haftung auf den Nachlass durch Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens möglich. Die Grundsteuerverbindlichkeit für 2004 stelle vielmehr eine eigene Verbindlichkeit der Klägerin dar. Diesem Grundsteueranspruch der Beklagten könne die, nur gegen Nachlassverbindlichkeiten zulässige, Einrede der Dürftigkeit nicht entgegengehalten werden; bei Erbeneigenschulden sei eine Begrenzung der Haftung auf den Nachlass nicht möglich, da der Rechtsgrund dieser Verbindlichkeiten beim Erben selbst liege. Die Verpflichtung des Erben von Grundbesitz, die Grundsteuer nach § 10 GrStG zu tragen, die nach dem Erbanfall fällig würden, beruhe eben nicht auf einer auf die Erben gemäß § 1922 BGB übergegangenen Verbindlichkeit des Erblassers, sondern folge allein daraus, das der Erbe als Universalrechtsnachfolger des Erblassers das Eigentum erworben habe. Die Zahlungspflicht beruhe daher auf der dinglichen Rechtsposition des Erben als Grundstückseigentümer und nicht auf seiner Rechtsnachfolge nach dem Erblasser.

Durch Grundsteuermessbescheide des Finanzamts Bonn-Innenstadt vom 28. September 2004 wurde die Klägerin als Steuerschuldner festgelegt. Deren Bestandskraft nahm die Beklagte zum Anlass, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass sie an diese Grundlagenbescheide gebunden sei. Dem hielt die Klägerin entgegen, dass sich aus den Grundsteuermessbescheiden lediglich ergebe, dass sie als Eigentümer Steuerschuldner sei. Die Steuerschuldnerschaft eines Erben besage indessen noch nichts über die im vorliegenden Fall umstrittene Frage aus, ob er die Forderung auch mit eigenen Mitteln zu erfüllen habe oder den Steuergläubiger auf den Nachlass verweisen könne. Diese Frage sei entweder im Festsetzungsverfahren oder im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2004 wies die Beklagte die als Widerspruch gewerteten Einwendungen der Klägerin gegen ihre Abgabenbescheide vom 10. Mai 2004 zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid (Bl. 71 f. im Verwaltungsvorgang der Beklagten) Bezug genommen.

Am 19. Januar 2005 hat die Klägerin Klage erhoben.

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den Schriftverkehr im Verwaltungsverfahren.

Die Klägerin beantragt,

1. die Grundsteuerbescheide der Beklagten vom 10. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2004 aufzuheben,

2.

3. die Beklagte zur Rückzahlung von 420,90 Euro nebst 6,21 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu verurteilen.

4.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Klageerwiderung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs, der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Nachlassinsolvenzakte (AG C1. 95 IN 31/04) Bezug genommen.
Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet, weil die angefochtenen Verwaltungsakte rechtswidrig sind und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn die Grundsteuerbescheide sind hier ausnahmsweise wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß § 163 AO rechtswidrig, was die Beklagte schon bei der Festsetzung hätte prüfen und berücksichtigen müssen.

Nach dem gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO) auf Grundsteuerfestsetzungen anwendbaren § 163 Satz 1 und 3 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; die Entscheidung über die abweichende Festsetzung kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden. Die Beklagte hat diese, von ihr bei der Steuerfestsetzung von Amts wegen zu berücksichtigende,

vgl. Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl. 2000, § 163 Rn. 125, 127,

Vorschrift unstreitig nicht gesehen und beabsichtigt nach ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung auch nicht, sie hier anzuwenden. Aufgrund der besonderen Umstände der hier gegebenen Konstellation wäre sie jedoch bei sachgerechter Ermessensausübung (§§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 5 AO) gehalten gewesen, aus Billigkeitsgründen die streitgegenständliche Grundsteuer gegenüber der Klägerin auf Null festzusetzen. Im Hinblick hierauf, weil der die Billigkeitsmaßnahme tragende Sachverhalt bereits vollständig aufgeklärt gewesen ist und weil auch sonstige Gründe, über die Billigkeitsmaßnahme nicht zeitgleich mit der Steuerfestsetzung zu entscheiden, weder vorgetragen noch ersichtlich sind, hätte es sich der Beklagten auch aufdrängen müssen, die abweichende Festsetzung mit der Steuerfestsetzung zu verbinden.

Die Erhebung der Grundsteuer gegenüber der Klägerin ist sachlich unbillig im Sinne von § 163 Satz 1 AO. Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall aber derart zuwider läuft, dass ihre Erhebung als unbillig erscheint. Dies ist dann anzunehmen, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers davon ausgegangen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne der Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte.

Vgl. jüngst BFH Urteil vom 11. Januar 2006 – XI R 31/04 -, zuvor etwa BFHE 174, 482 und BVerwG NVwZ 1984, 508 f.; vgl. auch Rüsken, a.a.O., Rn. 32, 127 m.w.Nw.

Ob die Voraussetzungen für eine derartige Billigkeitsmaßnahme vorliegen, entscheidet die Steuererhebungsbehörde nach Ermessen, wobei Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens durch den Rechtsbegriff der Unbilligkeit bestimmt werden.

Vgl. GmS-OGB, BFHE 105, 101; vgl. auch Rüsken, a.a.O., Rn. 118 m.w.Nw.

Derartige Ermessensentscheidungen kann das Gericht grundsätzlich nach § 114 VwGO nur darauf überprüfen, ob die Behörde ermessensfehlerfrei entschieden hat.

Die Ermessensfehlerhaftigkeit der behördlichen Entscheidung ergibt sich hier bereits daraus, dass die Behörde von dem ihr gesetzlich eingeräumten Ermessen überhaupt keinen Gebrauch gemacht hat (sog. Ermessensnichtgebrauch). Die Beklagte hat bis zur mündlichen Verhandlung nicht erkannt, dass sie nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden hatte, aus Billigkeitsgründen die Grundsteuer gegenüber der Klägerin niedriger festzusetzen, obwohl die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren darauf verwiesen hatte, warum nach ihrer Auffassung die ihr gegenüber erfolgte Grundsteuerfestsetzung jeglichem Gerechtigkeitsempfinden widerspreche. Dementsprechend konnte die Beklagte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch nicht nach § 114 Satz 2 VwGO Ermessenserwägungen ergänzen. Da Gründe, die Billigkeitsentscheidung nicht mit der Steuerfestsetzung zu verbinden, weder vorgetragen noch ersichtlich sind, macht dieser Ermessensfehler die angefochtenen Steuerbescheide rechtswidrig.

Für die sachliche Unbilligkeit der Steuererhebung gegenüber der Klägerin sprechen folgende Erwägungen: Die Grundsteuer knüpft als Objektsteuer zunächst an die Eigentumsverhältnisse an, die in der dem Grundsatz der Privatautonomie folgenden Rechtsordnung regelmäßig auf einer Willensentscheidung des Eigentümers beruhen werden; so wird auch der Erbe nur Eigentümer, wenn und weil er die Gesamtrechtsnachfolge nicht ausgeschlagen hat (§ 1942 Abs. 1 BGB). Dies ist in der hier gegebenen Konstellation des als gesetzlichen Erben nicht ausschlagungsberechtigten (§ 1942 Abs. 2 BGB) Fiskus‘ anders. Darüber hinaus knüpft die Grundsteuer an die Zurechnung an, die ihrerseits nach § 39 AO maßgeblich auf das wirtschaftliche Eigentum abstellt. Der Fiskus als Erbe eines im Insolvenzverfahren befangenen Grundstücks ist aber insbesondere nicht mehr berechtigt, Nutzungen aus dem Eigentum zu ziehen (§ 80 Abs. 1 InsO). Es spricht überdies sehr viel dafür, dass er auch nicht in der Lage ist, sich durch Beschränkung der Erbenhaftung (hier nach § 1975 f. BGB, §§ 315 ff. InsO) vor der Inanspruchnahme des Eigenvermögens zu schützen, § 45 Abs. 2 Satz 2 AO: Grundsteuerschulden dürften nämlich nicht zu den Nachlassverbindlichkeiten im Sinne von § 1967 BGB gehören.

Vgl. OVG NRW NVwZ-RR 2001, 596 f.

In den Blick zu nehmen ist darüber hinaus, dass der Fiskus als gesetzlicher Erbe nach der Wertung des BGB-Gesetzgebers prinzipiell nur beschränkt haftet, da für ihn die Inventarfrist keine Geltung entfaltet, § 2011 BGB. Die Klägerin war auch weder in der Lage, die Entstehung der Grundsteuerschuld überhaupt zu vermeiden, noch sich ihrer Entstehung bei ihr – etwa durch rechtzeitige Veräußerung – zu entziehen.

Es spricht sonach viel dafür, dass eine Steuerfestsetzung gegenüber dem Fiskus als gesetzlichem Erben nur insoweit der Billigkeit entspricht, als die Steuerschuld aus dem Nachlass beglichen werden kann. Eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO kann hierbei entgegen der Auffassung der Beklagten nur durch die Gemeinde im Steuerfestsetzungsverfahren erfolgen: das Finanzamt ist im Steuermessbetragsverfahren an den den Einheitswertbescheid nach § 182 Abs. 1 AO gebunden; bei der Ermittlung des Einheitswertes sind aber Maßnahmen nach § 163 AO gemäß § 20 Satz 2 BewG grundsätzlich unzulässig.

Da die angefochtenen Verwaltungsakte sonach aufzuheben waren, mit der Folge der Entstehung eines entsprechenden Folgenbeseitigungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte, war – auf Antrag der Klägerin – auch auszusprechen, wie deren Vollziehung rückgängig zu machen ist, § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Der Zinsanspruch beruht insoweit auf §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB analog. Nach § 90 VwGO ist die Streitsache einschließlich des Leistungsbegehrens mit Erhebung der Klage am 19. Januar 2005 (§ 81 Abs. 1 VwGO) rechtshängig geworden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil die Klägerin nachvollziehbar dargelegt hat, dass in einer Vielzahl von Fällen die Heranziehung des Fiskus als gesetzlichem Erben nicht leistungsfähiger Nachlässe zur Grundsteuer u.U. im Raume steht. Die Klärung der in diesem Zusammenhang entscheidungserheblichen und höchstrichterlich bislang nicht in einem Hauptsacheverfahren entschiedenen Rechtsfragen liegt deshalb im allgemeinen Interesse.

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