VG München, Urteil vom 17.03.2011 – M 15 K 10.2320

Juni 2, 2020

VG München, Urteil vom 17.03.2011 – M 15 K 10.2320

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand

Die Parteien streiten um die Vermögensanrechnung bei der Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem BAföG im Bewilligungszeitraum 10/2009 bis 9/2010.

Die … 1987 geborene Klägerin hat vier Brüder. Sie studiert seit 1. Oktober 2006 Technologie und Biotechnologie der Lebensmittel an der Technischen Universität München.

Die Klägerin erhielt hierfür auf ihre Anträge hin zunächst Ausbildungsförderung nach dem BAföG. Zu Einzelheiten wird auf die Behördenakte verwiesen.

Der Vater der Klägerin verstarb … 2009. Eine Verfügung von Todes wegen existiert nicht. Die Klägerin schlug, ebenso wie ihr Bruder … (M 15 K 11.782), gegenüber dem Amtsgericht … am 23. Februar 2009 die Erbschaft aus jedem Berufungsgrunde aus (Az. …, Bl. 141 – 144 d. Behördenakte). Im Übrigen trat die gesetzliche Erbfolge ein, der Vater wurde von der Mutter und den drei anderen Brüder beerbt.

Am 21. Juli 2009 beantragte die Klägerin erneut Ausbildungsförderung nach dem BAföG für den Bewilligungszeitraum 10/2009 bis 9/2010.

Am 5. Oktober 2009 sprach der Bruder … der Klägerin beim beklagten Studentenwerk vor und erklärte, dass zum Nachlass des Vaters eine Eigentumswohnung und ein Einfamilienhaus der Eltern gehörten. Im Grundbuch sei hierzu jedoch nichts eingetragen worden. Hinsichtlich der Eigentumswohnung sei mit der Großmutter der Klägerin abgemacht worden, dass diese lebenslang mietfrei darin wohnen dürfe. Hinsichtlich des Hauses seien erhebliche Schulden abzubezahlen.

Die Klägerin wiederholte mit Schreiben vom 6. Oktober 2009 im Wesentlichen diesen Vortrag. Sie ergänzte, dass das Einfamilienhaus mit über 200.000 € Schulden belastet sei. Ein Teil sei auch als Grundschuld eingetragen. Es seien monatliche Raten i.H.v. 1.300 € zu begleichen. Deshalb sei es nötig gewesen, dass die drei ältesten Brüder in die Finanzierung des Einfamilienhauses mit eingestiegen seien. Außerdem habe nur durch deren Erbantritt verhindert werden können, dass das Erbe teilweise an die Geschwister des Vaters gegangen wäre, was wahrscheinlich zur Zwangsversteigerung der Objekte geführt hätte. Es sei abwegig, dass die Klägerin unter diesen Umständen Schulden auf das Haus hätte aufnehmen können. Im Übrigen handele es sich bei der Erbausschlagung um ein höchstpersönliches Recht. Niemand könne gezwungen werden, sich mit einem Erbe zu belasten. Die Klägerin legte ferner das Nachlassverzeichnis vom 23. Februar 2009 vor (Bl. 159 bis 160 d. Behördenakte). Danach beträgt der Wert des Nachlasses nach Abzug der Schulden 259.539,57 €. Sie trägt hierzu vor, dass die Eigentumswohnung nunmehr einen geringeren Wert haben müsse. Das Nachlassverzeichnis enthalte den Kaufpreis aus dem Jahr 1994.

Mit Bescheid vom 26. November 2009 setzte das beklagte Studentenwerk die Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum 10/2009 bis 9/2010 unter Anrechnung eines Erbteils von einem Zehntel (25.953,96 €) auf 0 € fest. Das anzurechnende Einkommen und Vermögen übersteige den ermittelten Gesamtbedarf. Die Erbschaftsausschlagung sei rechtsmissbräuchlich erfolgt.

Die Klägerin legte am 10. Dezember 2009 Widerspruch ein. § 27 Abs. 1 BAföG definiere den Vermögensbegriff und nicht den der rechtsmissbräuchlichen Erbausschlagung. Sie müsse daher behandelt werden, als sei die Erbschaft nie angefallen.

Die Mutter der Klägerin äußerte sich mit weiterem Schreiben vom 7. April 2010. Hinsichtlich des Einfamilienhauses sei noch ein Kredit i.H.v. ca. 196.000 € mit monatlich 1.300 € abzubezahlen. Da sie dies nicht alleine bezahlen könne, hätten ihre drei ältesten Söhne das Erbe angenommen, da sie bereits Geld verdienten und ihr bei der Abzahlung helfen könnten. Da die Klägerin und ihr weiterer Bruder sich noch in Ausbildung befänden und hierzu nicht beitragen könnten, hätten diese die Erbschaft ausgeschlagen. Im Übrigen wiederholte und vertiefte sie den von der Klägerin gemachten Vortrag.

Das beklagte Studentenwerk wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2010, zugestellt laut Postzustellungsurkunde am 20. April 2010, zurück. Die Erbausschlagung sei rechtsmissbräuchlich geschehen. Die Vermögensberechnung sei korrekt. Insoweit wird auf Bl. 209 d. Behördenakte verwiesen. Zumindest die Eigentumswohnung müsse in die Berechnung des Vermögens eingebracht werden. Im Übrigen stelle auch eine Veräußerung bzw. Belastung des Miteigentumsanteils keine unbillige Härte dar.

Die Klägerin hat am 19. Mai 2010 Klage erhoben. Sie führt aus: Zum Zeitpunkt der Ausschlagung sei die Erbmasse noch nicht bekannt gewesen. Die Großmutter verfüge über einen notariell beglaubigten Nießbrauch an der fraglichen Eigentumswohnung. Eine Veräußerung sei nicht möglich. Die Vermögensberechnung sei in mehrerlei Hinsicht unrichtig: Für die Eigentumswohnung lasse sich der ursprüngliche Kaufpreis heute nicht mehr erzielen. Zum anderen verringere sich dieser wegen des Nießbrauchs weiter um 50 Prozent. Die Klägerin habe sich zudem im Rahmen der bisherigen Ausbildungsförderung i.H.v. 7.512,50 € beim Beklagten verschuldet. Das anrechenbare fiktive Gesamtvermögen betrage daher 7.759,27 € und überschreite den Freibetrag somit um 2.559,27 €. Zu Details der klägerischen Berechnung wird auf Bl. 2 d. Gerichtsakte verwiesen. Der erzielbare Preis für die Eigentumswohnung (ohne Nießbrauch) werde auf ca. 150.000 € geschätzt. Dann liege das Vermögen sogar unter dem Freibetrag. Eine unbillige Härte gem. § 29 Abs. 3 BAföG liege vor. Die Eigentumswohnung lasse sich wegen des Nießbrauchs für die Großmutter nur mit Verlusten verkaufen. Eine Erbauseinandersetzung führe in der Regel zur Zwangsversteigerung unter Wert und sei deshalb auch nicht zumutbar. Im Übrigen sei eine Ausbezahlung des Erbteils nicht möglich. Weder ihre Mutter noch ihre Brüder seien solvent. Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 26. November 2009 und des Widerspruchsbescheids vom 19. April 2010 zu verpflichten, der Klägerin BAföG nach gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Das beklagte Studentenwerk beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 19. April 2010 verwiesen und ergänzt, dass der behauptete Nießbrauch nicht nachgewiesen sei.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 12. Juli 2010 beim beklagten Studentenwerk eine notarielle „Nießbrauchsbestellung“ vom 8. Dezember 1993 vorgelegt (Bl. 18 – 19 d. Gerichtsakte) und mit Schriftsatz vom 30. Juli 2010 angegeben, dass der Nießbrauch nicht in das Grundbuch eingetragen worden sei. Sie hat mit Schriftsatz vom 7. März 2011 weitere Unterlagen zu Kreditaufnahmen ihrer Mutter bzw. ihres Bruders auf die Grundstücke vorgelegt (Bl. 39 – 132 d. Gerichtsakte).

Das Gericht hat am 17. März 2011 mündlich zur Sache verhandelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der vom Beklagten vorgelegten Akten und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2011 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des beklagten Studentenwerks vom 26. November 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie hat keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung nach dem BAföG im Bewilligungszeitraum 10/2009 bis 9/2010 (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Grundlage für die Bewilligung von Ausbildungsförderung nach dem BAföG ist § 1 BAföG. Demnach besteht auf individuelle Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung ein Rechtsanspruch nach Maßgabe dieses Gesetzes, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen.

Die Ausbildungsförderung wird gem. § 11 Abs. 1 BAföG für den Lebensunterhalt und die Ausbildung (Bedarf) geleistet. Auf den Bedarf sind Einkommen und Vermögen des Auszubildenden sowie Einkommen seines Ehegatten oder Lebenspartners und seiner Eltern in dieser Reihenfolge anzurechnen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BAföG). Als Vermögen gelten u.a. Forderungen und sonstige Rechte (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG).

Vorliegend übersteigt nach diesen Vorschriften anzurechnendes Vermögen i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG den Bedarf, so dass ein Anspruch gem. § 1 BAföG nicht besteht. Der Klägerin ist der Auseinandersetzungsanspruch aus der Erbengemeinschaft in Höhe von 25.953,96 € gem. § 2042 Abs. 1 BGB anzurechnen, da es sich insoweit um eine Forderung i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG handelt, die rechtlich verwertbar i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG ist (vgl. § 2033 Abs. 1 Satz 1 BGB).

1) Das beklagte Studentenwerk hat den Wert des Nachlasses zu Recht anhand des Nachlassverzeichnisses vom 23. Februar 2009 bestimmt und aus den dort angegebenen Werten einen Anteil von einem Zehntel (§§ 1924 Abs. 1, 4, 1931 Abs. 1 Satz 1, 1371 Abs. 1 Halbs. 1 BGB) i.H.v. 25.953,96 € errechnet (vgl. Bl. 159 d. Behördenakte). Das Nachlassverzeichnis wurde von der Mutter der Klägerin selbst für das Nachlassgericht erstellt. Die Klägerin hat sich seiner auch im Verwaltungsverfahren bedient. Die von der Klägerin nunmehr gegen dessen Richtigkeit angeführten Argumente dringen nicht durch.

a) Der Wert der Eigentumswohnung in … ist nicht wegen eines der Großmutter der Klägerin eingeräumten Nießbrauchs zu verringern. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG sind vom Wert der nach § 28 Abs. 1 BAföG bestimmten Vermögensgegenstände die zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten abzuziehen. Zur Wirksamkeit eines Nießbrauchs, der eine Belastung der Eigentumswohnung darstellt, ist gem. § 873 Abs. 1 BGB die Einigung des Berechtigten und des anderen Teils und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch erforderlich.

Letzteres ist unstreitig nicht erfolgt. Die vorgelegte Nießbrauchsbestellung vom 8. Dezember 1993 (Bl. 50 d. Gerichtsakte) ist daher nur schuldrechtlicher Natur, stellt also die Verpflichtung zum Vollzug der in § 873 Abs. 1 BGB begründeten Erfordernisse dar. Hieran fehlt es gerade. Fraglich wäre zudem, ob die dingliche Einigung darin vollständig beurkundet ist. Darauf kommt es aber letztlich wegen der fehlenden Eintragung in das Grundbuch nicht mehr an.

Der Nießbrauch besteht daher nicht im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG und kann daher förderungsrechtlich nicht berücksichtigt werden (VG München Urt. v. 21.6.2001 Az. M 22 K 01.734, bestätigt durch BayVGH Beschl. v. 16.1.2002 Az. 12 ZB 01.3103).

b) Weitere Abzüge vom Wert des Nachlasses, insbesondere der Eigentumswohnung und des Einfamilienhauses können nicht vorgenommen werden.

Die sonstige Wertminderung des Immobilienvermögens ist lediglich unsubstantiiert behauptet worden. Auch auf Aufforderung des Gerichts vom 16. Februar 2011 wurde diesbezüglich über den bekannten Vortrag zum Nießbrauch (s.o.) hinaus nichts belegt. Es entspricht nicht zwingend der Lebenserfahrung, dass Immobilien, insbesondere im Großraum München, grds. an Wert verlieren, so dass weitere Ermittlungen nicht veranlasst waren.

Hinsichtlich der Darlehensschulden zum Erwerb des Einfamilienhauses ist schon deshalb kein höherer Wert als geschehen anzusetzen, da davon auszugehen ist, dass sich diese zum Antragszeitpunkt aufgrund der laufenden Abzahlung noch verringert haben dürften.

Die aufgrund der Leistung von Ausbildungsförderung nach dem BAföG angefallenen Darlehensschulden sind gem. § 28 Abs. 3 Satz 2 BAföG nicht vom Vermögen abzuziehen.

Mangels anderer Anhaltspunkte hat es daher bei der Berechnung des Beklagten sein Bewenden.

2) Die Gesamtrechtsnachfolge in den Erbteil gem. §§ 1922 Abs. 1, 2032 Abs. 1 BGB gilt hinsichtlich der Klägerin nicht durch Ausschlagung gem. §§ 1942 Abs. 1, 1945, 1953 Abs. 1 BGB als nicht erfolgt. Denn die Ausschlagung ist gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.

a) Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, das gegen die guten Sitten verstößt. Dieser Vorbehalt betrifft trotz der prinzipiell geltenden allgemeinen Handlungsfreiheit grds. jedes Rechtsgeschäft. Die Wertung der Sittenwidrigkeit kann anhand des Inhalts oder des Gesamtcharakters des Rechtsgeschäfts getroffen werden, wobei ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich ist (Palandt, BGB, 66. A., RdNr. 7 u. 8 zu § 138). Nach überwiegender zivilgerichtlicher Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, kann dies auch die Erbausschlagung betreffen, wenn hierdurch der Bezug von Sozialhilfe begründet oder weitergeführt wird; denn es besteht grds. eine sittliche Pflicht gegenüber der Allgemeinheit, sich nicht zu deren Lasten bedürftig zu erhalten, da das Prinzip der Selbstverantwortung sittliche Geltung beanspruchen darf (OLG Stuttgart v. 25.6.2001 Az. 8 W 494/99 NJW 2001, 3484; OLG Hamm v. 16.7.2009, Az. I-15 Wx 85/09 FamRZ 2009, 2036; Staudinger, BGB 2008, RdNr. 22 zu § 1942; Münchener Kommentar z. BGB, 5. A., RdNr. 2 zu § 1945). Hierzu ist eine Abwägung aller Gesamtumstände des Einzelfalls durchzuführen (Palandt, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.).

Die Kammer ist der Auffassung, dass diese Grundsätze auf die Ausbildungsförderung nach dem BAföG übertragen werden können, da diese ebenfalls auf die Bedürftigkeit abstellt und ggü. eigenem Vermögen nachrangig ist.

b) Vorliegend stellt sich die Erbausschlagung vom 23. Februar 2009 nach einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in diesem Sinne als sittenwidrig dar.

Die Klägerin hat, wie sie wusste, seit Wintersemester 2006/2007 Ausbildungsförderung nach dem BAföG erhalten. Die Erbschaft stellt sich demgegenüber zwar als verschuldet, nicht aber als überschuldet dar. Nach dem oben Ausgeführten verbleibt abzüglich der Verbindlichkeiten ein erhebliches Vermögen. Der der Klägerin zustehende Anteil hiervon hat den Wert von 25.953,96 €. Der Nachlass war daher werthaltig.

Die angeführten Motive der Klägerin, die zur Erbausschlagung geführt haben sollen, sind, ihre Wahrheit unterstellt, zwar verständlich, aber rechtlich nicht erheblich. Die Klägerin hat hierzu zusammengefasst ausgeführt, dass sie als Studentin im Gegensatz zu ihren drei älteren Brüdern nicht in der Lage gewesen sei, die hinsichtlich des Einfamilienhauses bestehende Schuldenlast mitzutragen. Andererseits habe sie weder sich noch ihrer Mutter oder ihren Brüdern durch Auszahlung ihres Erbteils weitere Schulden aufbürden wollen.

Hierzu muss zunächst bemerkt werden, dass diese Erwägungen nur angestellt werden konnten, wenn die finanzielle Situation der Erbmasse der Klägerin im Wesentlichen bekannt war. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass Erbausschlagung und Nachlassverzeichnis beide auf den 23. Februar 2009 datieren. Dazu passt der in der Klageschrift vom 17. Mai 2010 erstmals enthaltene Vortrag nicht, dass zum Zeitpunkt der Erbausschlagung die Erbmasse nicht bekannt gewesen sei. Die Kammer ist daher der Überzeugung, dass die objektiven Umstände der Klägerin jedenfalls in ihren wesentlichen Grundzügen bei Ausschlagung bekannt waren.

Die angeblich in der Familie vorhandenen Befürchtungen sind aber nicht stichhaltig. Es ist schon schwer verständlich, warum die Klägerin dann nicht auch das Erbe angenommen hat, um wenigstens nach Ende des Studiums und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ebenfalls zur Abzahlung der das Einfamilienhaus betreffenden Schulden beizutragen. Bis dahin hätte sie durch eine interne Abrede der Erben untereinander vor Haftung jedenfalls im Innenverhältnis geschützt werden können. Im Übrigen lässt die klägerische Argumentation auch die gesetzlichen Schutzmechanismen der §§ 2058 ff. BGB außer Acht. Hierdurch ist insbesondere sichergestellt, dass die Erbenhaftung bis zur Teilung grds. auf den jeweiligen Anteil am Nachlass beschränkt ist (§ 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Die Kammer kommt daher nach Abwägung all dieser Umstände zu dem Ergebnis, dass sich keine nachvollziehbaren Umstände finden lassen, die die Erbausschlagung legitimieren könnten. Dies gilt insbesondere für eine Überschuldung des Nachlasses oder unzumutbare Haftungsrisiken für die Klägerin. Die geltend gemachten Verpflichtungen gegenüber der Familie sind allesamt nicht rechtlich zwingender, sondern höchstens moralischer Natur. Hierauf alleine abzustellen würde vernachlässigen, dass eine sittliche Verpflichtung aufgrund der Nachrangigkeit von Sozialleistungen wie oben ausgeführt auch gegenüber der Allgemeinheit besteht. Würde man dies anders sehen, würde die Allgemeinheit letztlich mittelbar durch dessen Schonung das Immobilienvermögen der Familie der Klägerin subventionieren. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Ausschlagung jedenfalls nach ihrem Gesamtcharakter sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB ist.

3) Es kann somit dahinstehen, ob andernfalls eine Erbausschlagung rechtsmissbräuchlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sein kann, so dass der entsprechende Erbteil der Klägerin fiktiv anzurechnen wäre (vgl. hierzu BVerwG v. 13.1.1983 Az. 5 C 103/80; BayVGH v. 28.1.2009 Az. 12 B 08.824).

Es spricht aber einiges dafür, dass die entsprechende Wertung im Ergebnis nicht anders ausfallen darf. Denn auch die inzwischen gemeinhin so genannte Rechtsfigur der „rechtsmissbräuchlichen Vermögensverfügung“ ist Ausdruck der allgemeinen Sittlichkeitsgrundsätze und des Verbots des Rechtsmissbrauchs. Sie ist vom BVerwG (a.a.O.) nicht auf den Fall von Verfügungen i.e.S. beschränkt worden.

Vorliegend hatte die Klägerin ihre Ausbildung bei Ausschlagung bereits begonnen. Eine gleichwertige „Gegenleistung“ im Sinne einer weitgehenden Schuldenfreiheit o.ä. besteht nicht (s.o.). Die Klägerin musste damit wissen, dass sie so einen Bedarf aufrecht erhält, der sonst anderweitig gedeckt gewesen wäre. Nach dem oben Ausgeführten widerspricht die Ausschlagung damit den Intentionen des Ausbildungsförderungsrechts, so dass sie auch als rechtsmissbräuchlich zu werten ist.

4) Es ist auch kein Teil des o.g. Vermögens der Klägerin gem. § 29 Abs. 3 BAföG zur Vermeidung unbilliger Härten anrechnungsfrei zu stellen.

a) § 29 Abs. 3 BAföG dient dazu, Härten abzufedern, die sich aus den der Vermögensanrechnung zu Grunde liegenden Pauschalisierungen und Typisierungen ergeben können. Dies betrifft insb. Fälle, in denen grds. anzurechnendes Vermögen nicht wirklich einsetzbar ist oder der Ausbildungsbedarf aus dem gleichwohl angerechneten Vermögen nicht gedeckt werden kann. Sie dient der Abwehr von Gefahren für die Durchführung der Ausbildung (vgl. zu alldem Rothe/Blanke, BAföG, RdNr. 9 zu § 29 m.w.N.). Dementsprechend können auch wirtschaftliche Verwertungshindernisse hinsichtlich eines Vermögensgegenstandes eine unbillige Härte in diesem Sinne darstellen (Rothe/Blanke, BAföG, RdNr. 13 zu § 29).

Ein solches wirtschaftliches Verwertungshindernis ist vorliegend aber nicht nachgewiesen. Abzustellen ist insofern auf den Anteil an der ungeteilten Erbengemeinschaft und nicht unmittelbar auf die in der Erbmasse enthaltenen Vermögensgegenstände, also hauptsächlich das Immobilienvermögen. Dieses ist nur mittelbar in Bezug auf die Frage relevant, ob die Klägerin ihren Anteil an der Erbengemeinschaft voraussichtlich realisieren kann.

b) Vorliegend spricht alles dafür, dass die Klägerin ihren Anteil wirtschaftlich verwerten kann.

Die Klägerin hat schon nicht nachgewiesen, dass sie den Anteil selbst nicht ggf. auch beleihen kann. Für den Nachweis des Gegenteils reicht nach Rspr. der erkennenden Kammer nicht schon die bloße Behauptung oder der Verweis auf eine angebliche Lebenserfahrung aus; vielmehr ist grds. der vergebliche Versuch der Verwertung nachzuweisen (Urt. v. 30.9.2010 Az. M 15 K 09.951).

Ferner ist auch nicht nachgewiesen, dass für die Klägerin nicht jedenfalls der Anspruch auf den Anteil an der Erbengemeinschaft realisierbar ist. Dies gilt schon unabhängig von der Frage einer Verwertbarkeit der Immobilien durch Zwangsversteigerung o.ä., gegen die aber grds. ebenfalls nichts spricht, da insbesondere der dargelegte Nießbrauch wie oben ausgeführt mangels Wirksamkeit nicht wertmindernd oder verkaufshemmend zu berücksichtigen ist. Denn jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass eine weitere Beleihung der Erbmasse durch die anderen Erben unmöglich oder wirtschaftlich unergiebig ist. Diese aber stellt auch eine „wirtschaftliche Verwertung“ im Sinne des § 29 Abs. 3 BAföG dar (vgl. die Bsp. bei Rothe/Blanke, BAföG, RdNr. 14 u. 16 zu § 29).

Aus den von der Klägerin vorgelegten Nachweisen ergibt sich, dass sowohl ihr Bruder als auch ihre Mutter über das bereits bestehende Darlehen für den Hauskauf (vgl. hierzu Bl. 68 – 74 d. Gerichtsakte) hinaus weitere Darlehen in Höhe von 12.000 € und 10.000 € mit den auf Eigentumswohnung und Einfamilienhaus lastenden Grundschulden i.H.v. 100.000 € bzw. 205.000 € erlangen und absichern konnten (Bl. 87 – 89; 123 – 130 d. Gerichtsakte). Diese Grundschulden sind damit freilich noch nicht in vollem Umfang valutiert. Somit bestehen grds. keine Zweifel, dass mit diesen Grundschulden als Sicherheit noch weitere Darlehen erlangt werden können, um die Klägerin jdf. im Umfang ihres Bedarfs auszuzahlen. Die bloße Behauptung, dass dies nicht der Fall sei, genügt insoweit nicht.

Eine unbillige Härte wegen eines wirtschaftlichen Verwertungshindernisses liegt daher nicht vor. Der Erbteil ist somit in vollem Umfang anzurechnen.

5) Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 Hs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2 ZPO.

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