LAG Hamm, Beschluss vom 02.04.2019 – 8 Ta 491/18

Juni 13, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 02.04.2019 – 8 Ta 491/18

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin vom 19. September 2018 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hagen vom 6. September 2018 – 3 Ca 677/18 – wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Wertfestsetzung für ein durch Prozessvergleich beendetes Bestandsschutzverfahren.

I.

Die Klägerin war seit 2015 bei der Beklagten, die im KFZ-Gewerbe tätig war, gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 1.900,00 € in deren Niederlassung I als Serviceassistentin beschäftigt. Mit Beschluss vom 1. März 2018 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Unter dem 29. März 2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Mai 2018. Gegen diese Kündigung wandte sich die anwaltlich vertretene Klägerin mit Kündigungsschutzklage vom 17. April 2018. Unter dem 19. April 2018 (Bl. 27 ff d. A.) informierte die Beklagte die Klägerin auf der Grundlage des § 613a Abs. 5 BGB über einen zum 1. Mai 2018 anstehenden, im Folgenden auch vollzogenen Betriebsübergang auf eine andere Gesellschaft. Diese werde zum Stichtag in die bestehenden Arbeitsverhältnisse, auch in die gekündigten Arbeitsverhältnisse eintreten. Selbige stellte die Klägerin unter dem 3. Mai 2018 für die Dauer der laufenden Kündigungsfrist frei. Im Gütetermin vom 25. Mai 2018 trat die Betriebserwerberin dem Rechtsstreit zum Zwecke des Vergleichsabschlusses auf Seiten der Beklagten bei. Im Rahmen des Vergleichs verpflichtete sie sich sodann, der Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Kündigungstermin eine Abfindung zu zahlen und dieser ein Arbeitszeugnis mit guter Leistungs- und Führungsbeurteilung nebst umfassender Schlussformel zu erteilen.

Mit Beschluss vom 6. September 2018 setzte das Arbeitsgericht den Streitwert des Verfahrens – entsprechend dem Vierteljahresverdienst der Klägerin aus dem beendeten Arbeitsverhältnis – auf 5.700,00 € und den Vergleichswert auf 7.600,00 € fest. Zur Begründung führte es aus, dass der Mehrvergleichswert aus der inhaltlichen Regelung des Zeugnisanspruchs resultiere.

Gegen diese Festsetzung ließ die Klägerin auf Weisung der hinter ihr stehenden Rechtsschutzversicherung – jedoch ausdrücklich aus eigenem Recht – am 19. September 2018 Beschwerde einlegen, soweit das Arbeitsgericht einen Vergleichsmehrwert angenommen hat.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens verweisen die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2018 darauf, dass wegen der Zeugniserteilung und -gestaltung angesichts des unmittelbar vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgten Betriebsübergangs erhebliche Rechtsunsicherheit bestanden habe.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.

II.

Die nach §§ 63 Abs. 2, 68 Abs. 1 S. 1 GKG statthafte, rechtzeitig erhobene und im Übrigen zulässige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hagen vom 6. September 2018 hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Soweit das Arbeitsgericht den Verfahrenswert nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 39 Abs. 1, 42 Abs. 2 S. 1 GKG auf 5.700,00 €, dem Vierteljahresverdienst der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis, festgesetzt hat, trifft dies offensichtlich zu. Die Richtigkeit dieser Festsetzung wird von der Beschwerde auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Das Arbeitsgericht hat daneben gem. §§ 48 Abs. 1, 42 Abs. 2 S. 1 GKG i. V. m. §§ 3, 5 ZPO für die im Vergleich getroffene Zeugnisregelung zu Recht einen Vergleichsmehrwert in Höhe von 1.900,00 € (ein Monatseinkommen) festgesetzt.

a. In Fragen der Streitwertbestimmung, auch und gerade bei der Frage der Begründung eines Vergleichsmehrwerts, orientiert sich die Beschwerdekammer in ständiger Spruchpraxis im Interesse einer möglichst einheitlichen, transparenten, berechenbaren und in sich konsistenten Handhabung regelmäßig an den sie gleichwohl nicht bindenden Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeitenden Fassung vom 9. Februar 2018 (u. a. NZA 2018, S. 498 ff). Dieser korrespondiert in der hier relevanten Frage der Begründung eines Vergleichsmehrwertes mit in den grundlegenden Überlegungen des Streitwertkatalogs in der Fassung vom 5. April 2016 (u. a. EzA-SD 11/2016, S. 19-24) und enthält insoweit nur klarstellende oder – vorliegend nicht relevante – ergänzende Hinweise.

b. Ein Vergleichsmehrwert entsteht danach nur dann, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder ein außergerichtlicher Streit erledigt bzw. eine Ungewissheit über ein konkretes Rechtsverhältnis bzw. eine die Parteien betreffende Streitfrage beseitigt wird. Der Wert des Vergleiches erhöht sich hingegen nicht um den Wert dessen, was eine Partei oder die Parteien durch den Vergleich erlangen oder wozu sie sich dort verpflichten (vgl. I. Nr. 22.1 des Streitwertkatalogs i. d. F. vom 5. April 2016). Dabei muss gerade über die Frage des Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweils im Vergleich getroffene Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben.

Durch die Bestimmung von Leistungen oder Gegenleistungen, die zur Beilegung des Rechtsstreits vereinbart oder gewährt werden, wird hingegen kein Vergleichsmehrwert begründet (I. Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs i. d. F. vom 9. Februar 2018). Diese Überlegungen des Streitwertkatalogs korrespondieren mit den gesetzlichen Anforderungen des Gebührentatbestands nach Nr. 1000 VV-RVG Anm. Abs. 1. Denn dort wird ebenfalls die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages verlangt, der den Streit oder die Ungewissheit über ein (weiteres) Rechtsverhältnis beseitigt, soweit sich der Vertrag nicht lediglich auf ein Anerkenntnis beschränkt.

c. In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend wegen der Zeugnisregelung ein Vergleichsmehrwert in Höhe eines Monatseinkommens (vgl. I. Nr. 29.2 des Streitwertkatalogs) begründet.

aa. Hinsichtlich der Pflicht zur Zeugniserteilung und bzgl. dessen inhaltlicher Gestaltung bestand zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses erhebliche Rechtsunsicherheit, die erst durch den Vergleich beigelegt worden ist. Die Vereinbarung zum Arbeitszeugnis stellt sich damit nicht lediglich als weitere, abfindungsäquivalente Leistung der Arbeitgeberseite zur Beilegung der Bestandsschutzstreitigkeit dar, was regelmäßig die Annahme eines Vergleichsmehrwerts ausschließt (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 2. November 2018 – 8 Ta 333/18 – juris). Ebenso steht der Annahme eines Vergleichsmehrwerts die Empfehlung nach Nr. I. 25.1.3 des Streitwertkataloges nicht entgegen. Denn dort ist im Rahmen einer typisierenden Betrachtung, einem Regelbeispiel vergleichbar, lediglich festgehalten, dass Festlegungen zum Leistungs- und Führungsverhalten im Kontext einer Zeugnisregelung nach verhaltensbedingter Kündigung regelmäßig einen Vergleichsmehrwert in Höhe eines Monatseinkommens begründen. Dies schließt die Annahme entsprechender Werte im Kontext von Vergleichen über betriebsbedingte Kündigungen jedoch nicht aus.

bb. Die durch die Zeugnisregelung des vorliegenden Vergleichs beseitigte Rechtsunsicherheit gründete hier – worauf die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zutreffend hinweisen – auf dem Umstand des zum 1. Mai 2018 in der laufenden Kündigungsfrist vollzogenen Betriebsübergangs. Bis zum Abschluss des Vergleichs war offen, ob die Klägerin ggf. unter Hinweis auf § 613a Abs. 6 BGB oder bei ggf. nicht ordnungsgemäßer Belehrung zeitlich darüber hinaus ein Widerspruchsrecht bzgl. des Übergangs ihres Arbeitsverhältnisses ausüben kann und ausüben wird oder nicht. Damit war unklar, welcher Rechtsträger zum fraglichen Zeitpunkt die Arbeitgeberstellung innehatte und wer danach gem. § 109 Abs. 1 S. 3 GewO als Schuldner des Anspruchs zur Erteilung des qualifizierten Arbeitszeugnisses verpflichtet war. Der Umstand, dass angesichts der insoweit bestehenden Schwebesituation die Betriebserwerberin erst über den Beitritt zum Verfahren eine prozessuale Rolle erhalten hat und sich entsprechend verpflichten konnte, unterstreicht dabei Anlass und Bedürfnis zur Beseitigung entsprechender Rechtsunsicherheit eindrucksvoll.

cc. Zutreffend ist ferner, dass die Klägerin für und im Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin – angesichts deren Freistellungserklärung – an keinem Tag ihre Arbeitsleistung tatsächlich erbracht hat bzw. erbringen konnte. Vor diesem Hintergrund und gerade wegen der begleitenden personellen Ausdünnung des bisherigen Verwaltungsbereichs des Betriebes, welchem die Klägerin zugeordnet war, konnte und musste sie befürchten, ein leistungsgerechtes und aussagekräftiges Arbeitszeugnis – etwa auch infolge des Ausscheidens entsprechender Vorgesetzter und Wissensträger – nicht bzw. nicht ohne gesonderte Auseinandersetzung erhalten zu können.

dd. Damit bestanden hinsichtlich einer interessengerechten Realisierung des Zeugnisanspruchs in doppelter Hinsicht und zugleich in erheblicher Weise rechtliche wie tatsächliche Unwägbarkeiten, an deren Beseitigung die Klägerin ein ebenso erhebliches wie berechtigtes Interesse haben durfte. Vor diesem Hintergrund kommt der Zeugnisregelung im Vergleich vom 25. Mai 2018 keine lediglich die Bestandstreitigkeit beilegende Wirkung und Zweckbestimmung, sondern eine auf die Regelung darüber hinausgehender, von tatsächlichen Unwägbarkeiten und greifbarer Rechtsunsicherheit begleiteter Fragen gerichtete Bedeutung zu.

3. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 3 GKG.

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