LAG Hamm, Beschluss vom 26.09.2018 – 5 Ta 447/18

Juni 13, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 26.09.2018 – 5 Ta 447/18
1. Der Partei ist im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe jedenfalls dann ein Verkehrsanwalt beizuordnen, wenn es sich nicht um einen einfach gelagerten Sachverhalt handelt, der auch eine telefonische oder schriftliche Information des Prozessbevollmächtigten am Gerichtssitz als ausreichend erscheinen lässt.

2. In diesem Fall ist die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes geboten, soweit die hierdurch entstehenden Kosten nicht höher liegen als 110 % der eingesparten Reisekosten des Prozessbevollmächtigten am Wohnort der Partei (so schon LAG Hamm, Beschluss vom 15.02.2018, 5 Ta 447/17, juris m.w.N.).
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 15.03.2018 gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 23.02.2018 – 9 Ca 119/18 – wird dieser insoweit abgeändert, als die Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. K unbeschränkt erfolgt.
Gründe

I. Die Klägerin hatte unter dem 11.01.2018 Zahlungsklage sowie auf die Erteilung von Abrechnungen für den Zeitraum der Beschäftigung erhoben und hierfür die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten begehrt.

Die Klägerin ist wohnhaft in I, ihre Rechtsanwältin kanzleiansässig in T, die Beklagte hat ihren Sitz in E.

Mit Beschluss vom 23.02.2018 bewilligte das Arbeitsgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe bei Ratenzahlung von 221,00 € und Beiordnung ihrer Rechtsanwältin zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwaltes. Gegen diesen am 28.02.2018 zugestellten Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer am 19.03.2018 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, in der sie unter anderem geltend machte, dass bei dem vorliegenden Rechtsstreit die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes erforderlich wäre, so dass eine Beiordnung der Klägervertreterin nur zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwaltes nicht in Betracht komme. Mit Schreiben vom 28.03.2018 wies das Arbeitsgericht darauf hin, dass auch eine Beauftragung eines im Bezirk ansässigen Rechtsanwaltes bei telefonischer Information in Betracht käme. Mit Schriftsatz vom 12.04.2018 verwies die Klägerin darauf, dass angesichts der tatsächlichen Komplexität des Sachverhaltes, der sich aus den Schriftsätzen der Parteien ergebe, sowie der Berufung der Beklagten auf Ausschlussfristen und die fehlenden Abrechnungen die Beiordnung wie beantragt erforderlich sei.

Mit Beschluss vom 29.08.2018 half das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde insoweit ab, als die geforderten Raten auf 182,00 € herabgesetzt wurden. Die Beiordnungsentscheidung wurde aufrechterhalten.

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist gem. §§ 127 Abs. 2 S. 2 und 3, 567 Abs. 1, 569 ZPO zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt und begründet.

1) Grundsätzlich kann ein außerhalb des Gerichtsbezirks ansässiger Rechtsanwalt nur dann ohne Einschränkungen beigeordnet werden, wenn hieraus Mehrkosten nicht entstehen. Ansonsten hat die Beiordnung zu den Bedingungen eines am Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwaltes zu erfolgen. Da diese Regelung zwingend durch das Gesetz vorgegeben ist, ist davon auszugehen, dass dem Prozesskostenhilfe beantragenden Rechtsanwalt bekannt ist, dass eine Beiordnung nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften verlangt werden kann. Eine Einverständniserklärung des Rechtsanwaltes mit dieser Verfahrensweise erübrigt sich; ein Hinweis des Gerichtes ist nicht erforderlich (so zuletzt auch LAG Hamm, Beschuss vom 15.02.2018, 5 Ta 447/17, juris; LAG Hamm Beschluss v. 05.03.2014, 5 Ta 107/14, n.v.; LAG Hamm Beschluss v. 18.08.2008, 7 Ta 519/08, juris).

Vor der Beiordnung eines nicht im Gerichtsbezirk zugelassenen Rechtsanwaltes ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Beiordnung eines zusätzlichen Verkehrsanwaltes nach § 121 Abs. 4 ZPO gegeben sind. Hierzu bedarf es keines Antrages der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei, vielmehr handelt es sich um eine Incidentprüfung, da im Fall einer ansonsten erforderlichen Beiordnung keine Mehrkosten entstehen würden (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2004 – XII ZB 61/04 -, NJW 2004, 2749; BAG Beschluss vom 18. Juli 2005 – 3 AZB 65/03, NZA 2005, 1078; juris; Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Auflage, 2016, Rz. 691 ff). Kurz gesagt, wäre ansonsten die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes erforderlich, kommt eine Beiordnung des Rechtsanwaltes nur zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwaltes, somit unter Verzicht auf zumindest einen Teil der Reisekosten, nicht in Betracht.

a) Gem. § 121 Abs. 4 ZPO ist ein Verkehrsanwalt beizuordnen, wenn besondere Umstände vorliegen. Diese sind dann gegeben, wenn der Partei die Anreise zu einem im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalt nicht zuzumuten ist, sei es aufgrund einer großen Entfernung, persönlicher Gebrechlichkeit, besonders schlechter Verkehrsanbindung oder sonstiger persönlicher Gründe (zu allem mit Beispielen und Nachweisen siehe nur Zöller-Geimer; ZPO, 32. Auflage, 201, § 121 Rz. 20; Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, a.a.O., Rz.: 699 ff). Die Kammer geht dabei mit dem BAG (Beschluss vom 18. Juli 2005, 3 AZB 65/03, a.a.O.) davon aus, dass es einem Rechtsuchenden grundsätzlich nicht zumutbar ist, einen auswärtigen Anwalt schriftlich oder telefonisch zu beauftragen und zu unterrichten. Dies gilt jedenfalls, soweit es sich nicht lediglich um einen sehr einfach gelagerten Sachverhalt, wie etwa die Geltendmachung einer abgerechneten Forderung geht, soweit hier eine Beiordnung überhaupt in Betracht käme.

Dabei ist auch die neuere Rechtsprechung des BGH zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2004 – XII ZB 61/04 -, a.a.O.), wonach auch im Rahmen der Beiordnungsbedingungen der durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip gebotenen weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2004 – 1 BvR 596/03 – NJW 2004, 1789) Rechnung zu tragen und bei der Auslegung auch die Rechtsprechung zur Erstattung der Kosten für Verkehrsanwälte, wonach im Falle der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts auch die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. ZPO (BGH, Beschlüsse vom 16. Oktober 2002, VIII ZB 30/02, FamRZ 2003, 441; vom 9. Oktober 2003, VII ZB 45/02, BGH-Report 2004, 70, 71; vom 11. November 2003, VI ZB 41/03, NJW-RR 2004, 430; vom 18. Dezember 2003, I ZB 18/03, BGH-Report 2004, 637 und vom 25. März 2004, I ZB 28/03, BB 2004, 1023) zu betrachten ist.

b) Eine Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt ist und ihre Belange in angemessener Weise wahrgenommen wissen will, wird nämlich in aller Regel einen Rechtsanwalt in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen und ihn gegebenenfalls mit der Prozessvertretung zu beauftragen. Sie wird dies wegen der räumlichen Nähe und in der Annahme tun, dass zunächst ein persönliches mündliches Gespräch erforderlich ist. Diese Erwartung ist berechtigt, denn für eine sachgemäße gerichtliche oder außergerichtliche Beratung und Vertretung ist der Rechtsanwalt zunächst auf die Tatsacheninformation der Partei angewiesen. Diese kann in aller Regel nur in einem persönlichen mündlichen Gespräch erfolgen. Häufig wird zudem nach einer(Klage)Erwiderung der Gegenseite ein zweites Gespräch notwendig sein, weil der Rechtsanwalt ergänzende Informationen seiner Partei benötigt oder weil später entstandene Missverständnisse auszuräumen sind (grundlegend für die Rechtsanwendung mit Rücksicht auf die seit 1. Januar 2000 erweiterte Postulationsfähigkeit BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2002, VIII ZB 30/02, Rn. 16, juris).

c) Ist aber die Beauftragung eines Rechtsanwaltes am Wohnort als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen, hat der rechtmäßig beauftragte Rechtsanwalt auch einen Erstattungsanspruch für die entstehenden Reisekosten und Abwesenheitsgelder gem. Ziff. 7003 bis 7005 Anlage 1) RVG. Die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes kann in diesen Fällen nur dann nicht als angemessen im Sinne der Kostenschonung angesehen werden, wenn die Kosten eines Verkehrsanwaltes die ersparten Reise- und Abwesenheitsgelder mehr als geringfügig (ca. 10 %) übersteigen (BAG, wie vor).

2) Die Beschwerdekammer teilt nicht die Auffassung des Arbeitsgerichts, wonach es sich vorliegend um eine Klage handelt, die ein reines Rechenexempel verlangt, um diese schlüssig zu begründen.

Zum einen ging es vorliegend nicht etwa um ein einheitlich abzurechnendes Arbeitsverhältnis, etwa auf der Basis einer 20, 30 oder 40 Stundenwoche multipliziert mit x Arbeitswochen x Stundenlohn. Vielmehr fiel die Arbeit, wie die Aufstellung in der Klageschrift ergibt, offensichtlich in unterschiedlichem Umfang an. Weiterhin waren Sondervergütungen wie Überstunden-, Sonntags- sowie Nachtzuschlag zu berücksichtigen. Die Beschäftigung fand statt in einem Arbeitsverhältnis als Leiharbeitnehmerin, wobei der Arbeitsvertrag auf tarifliche Bestimmungen Bezug nimmt, weshalb die Kenntnis der Bestimmungen erforderlich ist, um entsprechende Zuschlagsstunden zu ermitteln. Gem. § 3 Ziff. 4 des Arbeitsvertrages wurde ein Arbeitszeitkonto geführt, welches in der Nachberechnung gerichtsbekannt auf Schwierigkeiten bei der Nachvollziehbarkeit stößt.

Der Sachverhalt war daher nicht als unterkomplex zu bezeichnen, weshalb die Klägerin zum Einen berechtigt war, sich zunächst an einen Rechtsanwalt ihres Vertrauens am Wohnort zu wenden und zum anderen eine lediglich telefonische Information eines ca. 200 km entfernten Rechtsanwaltes, der lediglich aus einem Telefonbuch ermittelbar gewesen wäre, nicht in Betracht kam.

Die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes wäre daher vorliegend in Betracht gekommen

a) Die Kosten, die durch die unbeschränkte Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. K entstehen übersteigen auch die Kosten eines Verkehrsanwaltes nicht.

Für den Verkehrsanwalt fallen nach Ziff. 3400 Anlage 1) RVG 354,00 € als Gebühr zzgl. Unkostenpauschale 20,00 € und Mehrwertsteuer, somit insgesamt Kosten von 426,36 € an.

Die erforderlichen Fahrtkosten und Abwesenheitszeiten der Bevollmächtigten der Klägerin belaufen sich für eine einfache Strecke von 197 km (googlemaps) und einer Abwesenheitszeit von ca. 5 Stunden pro Termin (2,15 Stunden/Fahrtstrecke zzgl. 1 Stunde Verhandlung geschätzt) gem. Ziff. 7003 Anlage 1) RVG für Fahrtkosten auf 394 km x 0,30 €, somit 118,20 €. Das Tage- und Abwesenheitsgeld gem. Ziff. 7005 beträgt bei einer Abwesenheit von mehr als vier bis acht Stunden 40,00 €, es ergeben sich 158,20 € pro Termin, bei zwei Terminen 316,40 € an Reisekosten. Die Beiordnung der Klägervertreterin zu unbeschränkten Bedingungen wäre daher günstiger, als die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes, selbst wenn angesichts der Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens die Durchführung von zwei Terminen, nämlich des Güte- und bei Scheitern des Kammertermins erforderlich wird.

Danach war die sofortige Beschwerde der Klägerin begründet, soweit sie sich gegen eine eingeschränkte Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten wendet. Gegen die Ratenhöhe hat die Klägerin nach Berücksichtigung der von ihr zusätzlich angegebenen Fahrtkosten keine Einwendungen mehr erhoben.

Da die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde erfolgreich war, werden Kosten gemäß Ziff. 8614 Anl. 1 GKG nicht erhoben.

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