Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 24.08.2017 – 11 Sa 360/17

Juni 15, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 24.08.2017 – 11 Sa 360/17

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 20.10.2016 – 4 Ca 77/16 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Zahlungsverurteilung ohne den Zusatz „netto“ erfolgt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger beansprucht eine höhere Abfindung mit der Begründung, die Regelung zur Berechnung der Abfindung nach dem Sozialtarifvertrag / Sozialplan aus dem Jahr 2014 benachteilige ihn ungerechtfertigt wegen seiner Schwerbehinderung.

Der 1954 geborene Kläger war bei der Beklagten vom 01.08.1969 bis zum 31.10.2015 beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug ausweislich des für ihn erstellten Datenblatts zuletzt 3.973,32 € (Bl. 9 GA). Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Er ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte infolge arbeitgeberseitiger Kündigung und infolge des Vergleichs vom 17.03.2015 vor dem Arbeitsgericht Bochum, 4 Ca 253/15 (Anlage zur Klageschrift, Bl. 7, 8 GA). Unstreitig steht dem Kläger eine Abfindung zu, die sich berechnet nach dem zwischen der IG Metall und der Beklagten am 12.06.2014 geschlossenen Sozialtarifvertrag. Wegen weiterer Einzelheiten zum Arbeitsverhältnis und zur Berechnung der Abfindung wird auf das zur Akte gereichte „Datenblatt zur Berechnung gemäß Sozialtarifvertrag ,C2.2.2.3a, 2.5 sowie 2.6. und 3.1.1′“ Bezug genommen (Bl. 9 GA).

Die Beklagte hatte im Jahr 2013 beschlossen, den Produktionsstandort in C zu schließen. Nach Verhandlungen mit Betriebsrat und IG Metall wurde am 17.11.2013 von der Beklagten und der IG Metall ein Eckpunktepapier unterzeichnet, dass das Gesamtvolumen der Maßnahmen 552 Mio € betrage, das sei die absolute Obergrenze. Im weiteren Verlauf schloss die Beklagte mit der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, einen Sozialtarifvertrag (STV), der am 12.06.2014 in Kraft trat (Sozialtarifvertrag zwischen der IG Metall – Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und der B1 P AG über die Schließung der Fahrzeugproduktion am Standort C vom 12.06.2014). Dort heißt es auszugsweise (vollständige Kopie in der Gerichtsakte, Bl. 49 ff GA):
„(…) C. Sozialplan 1. Mobilitätsprämie bei Wechsel an einen anderen Standort (…) 2. Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1959 2.1 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1954 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1954 erhalten zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen bis zum 31.12.2014. Das Angebot beinhaltet die Zahlung einer gemäß Abschnitt C. Ziffer 2.6 individuell berechneten Abfindung und kann je nach persönlichen Gegebenheiten auch den Eintritt in die Transfergesellschaft 1 vorsehen. Die Laufzeit der befristeten Übernahme in die TN Transfer beträgt maximal 12 Monate. Die Entgeltregelungen in der TN Transfer entsprechen denen der Altersgruppe Jahrgänge 1955 bis 1959. 2.2 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1955 bis 1959 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1955 bis 1959 erhalten zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung ebenfalls ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen bis zum 31.12.2014. Dies beinhaltet ebenfalls die Zahlung einer gemäß Abschnitt C. Ziffer 2.6 individuell berechneten Abfindung sowie den Wechsel in die Transfergesellschaft 1. Die Laufzeit der befristeten Übernahme in die TN Transfer beträgt maximal 12 Monate. 2.3 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1960 und 1961 mit anerkanntem GdB von mind. 50 % Arbeitnehmer der Jahrgänge 1960 und 1961, die aufgrund eines anerkannten GdB von mind. 50 % und bei Erfüllung aller sonstigen Bedingungen die vorzeitige Altersrente für Menschen mit Behinderung in Anspruch nehmen können, erhalten zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung alternativ zum Angebot eines Ausscheidens nach Abschnitt C. Ziffer 3 ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen zum 31.12.2014. Dies beinhaltet ebenfalls die Zahlung einer gemäß Abschnitt C. Ziffer 2.6 individuell berechneten Abfindung sowie den Wechsel in die Transfergesellschaft 1. Die Laufzeit der befristeten Übernahme in die TN Transfer beträgt maximal ein Jahr. Diese Mitarbeiter können frei zwischen einem Angebot nach C.2.3 oder C.3 wählen. 2.3a. Zusatzbetrag Bei der Berechnung der Abfindung erhalten Mitarbeiter in den Fällen 2.1 bis 2.3 für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit, das die 24 übersteigt, zusätzlich einen Pauschalbetrag von EUR 500 brutto. 2.4 Härtefond (…) 2.5 Leistungen in der Transfergesellschaft gemäß 2.1, 2.2 und 2.3 (…) Für die Berechnung der gesetzlichen Abzüge zur Feststellung des Nettobetrags wird die Steuerklasse in Ansatz gebracht, die im letzten Kalenderjahr vor Austritt überwiegend maßgeblich war. Änderungen von Steuermerkmalen aufgrund geänderter Familienverhältnisse und anderweitige Änderungen der Steuerklasse werden bis 30.11.2014 berücksichtigt. 2.6 Berechnung der Abfindung zu 2.1, 2.2 und 2.3 Das individuelle Abfindungsangebot wird so bemessen, dass es unter Anrechnung von Arbeitslosengeld I und Bezügen aus der P-Altersversorgung (OVK) ab dem 60. Lebensjahr eine 80 prozentige Nettoabsicherung im Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente sicherstellt. Basis der Berechnung ist das zuletzt bezogene Nettomonatseinkommen, das entsprechend Ziffer 2.5 Abs. 1 errechnet wird. Für Zeiten, in denen der Mitarbeiter selbst Beiträge für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung aufbringen muss, wird ein monatlicher Betrag in Höhe von 200,00 € netto bei der Berechnung der Abfindung berücksichtigt. Der aus dem gesamten Zeitraum ermittelte 80%ige Nettobedarf sowie die Aufwendungen für die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung werden unter Zuhilfenahme der dem Arbeitgeber bekannten und angezeigten Steuermerkmale auf eine Bruttosumme hochgerechnet. Grundlage für die Ermittlung des Bruttoabfindungsbetrags ist das zu erwartende steuerpflichtige Bruttoarbeitsentgelt im Jahr 2015 in der TN Transfer und den bekannten Steuerparametern des jeweiligen Mitarbeiters. Hierzu wird der Abfindungsrechner im internetauftritt der Süddeutschen Zeitung verwendet, der mit dem offiziellen Steuerablaufplan ausgestattet ist. Sofern der Mitarbeiter darlegen kann, … (…) 4. Auszahlung Abfindungen (…) 4.2 Die Abfindungen nach diesem Sozialtarifvertrag werden mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. im Falle dreiseitiger Verträge mit der letzten Gehaltszahlung fällig, frühestens jedoch einen Monat nach Ausspruch der Kündigung bzw. Abschluss des dreiseitigen Vertrages oder Aufhebungsvertrages. 4.6 Bei den Abfindungsbeträgen handelt es sich um Bruttobeträge. Die Abrechnung und Auszahlung dieser erfolgt unter Berücksichtigung der jeweiligen steuerlichen Regelungen über die Versteuerung außerordentlicher Einkünfte sowie unter Beachtung der Sozialversicherungsbestimmungen unter Einbehaltung der entsprechenden Abzüge im Rahmen der üblichen Entgeltabrechnung. Etwaige Steuern und Sozialabgaben werden von den Arbeitnehmern in Höhe der gesetzlichen Bestimmungen getragen. (…)“

Die Beklagte schloss mit dem Betriebsrat am 25.06.2014 die den Sozialtarifvertrag vollziehende Betriebsvereinbarung „Sozialplan“ (SP), um auch Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern einen Rechtsanspruch auf die Leistungen aus dem Sozialtarifvertrag zu gewähren, Sozialplan zwischen der B1 P AG und dem Betriebsrat am Standort C der B1 P AG vom 25.06.2014.

Die Beklagte berechnete für den Kläger eine Abfindung in Höhe von zunächst 10.500,00 € und während des Rechtsstreits in Höhe von weiteren 500,00 € und zahlte den entsprechenden Nettobetrag aus. Die Beklagte legte bei der Berechnung der Abfindung als Termin für den „frühestmöglichen“ Wechsel in die gesetzliche Rente den Zeitpunkt zugrunde, zu dem der Kläger erstmals eine vorgezogene Rente gem. § 236 a Abs. 1 2. HS., Abs. 2 SGB VI mit Abschlägen in Anspruch nehmen konnte (Altersrente für schwerbehinderte Menschen), bei dem Kläger war dies der 01.09.2015. Hätte die Beklagte statt diesem Zeitpunkt den Zeitpunkt der Vollendung des 63. Lebensjahres zugrunde gelegt (vorgezogene Altersrente ohne Schwerbehinderung ab Januar 2017), so hätte sich für den Kläger rechnerisch unstreitig ein weiterer Nettobedarfsbetrag von 3.652,32 € ergeben (s.u.).

Mit seiner Klage vom 14.01.2016, der Beklagten zugestellt am 20.01.2016, hat der Kläger die Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrags in Höhe von u.a. 3.652,32 € netto geltend gemacht.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Regelung im Sozialtarifvertrag, die auf den frühestmöglichen Bezug einer vorgezogenen Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung abstelle, für ihn eine unzulässige Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung darstelle. Dabei berufe er sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06.12.2012 – C 152/11 -. Er könne verlangen, mit nicht behinderten Arbeitnehmern gleichbehandelt zu werden. Eine gleiche unzulässige Diskriminierung widerfahre ihm, wenn man die den Sozialtarifvertrag umsetzende Betriebsvereinbarung „Sozialplan“ vom 25.06.2014 als Anspruchsgrundlage heranziehen würde. Er sei so zu stellen, als habe er erst ab dem 01.01.2018 vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen können. Die 80prozentige Nettoabsicherung nach dem Sozialplan sei mithin für den Zeitraum bis zu diesem Zeitpunkt zu berechnen. Hinsichtlich der Berechnung wird auf die Klageschrift und den Schriftsatz vom 09.06.2016 verwiesen ( Berechnung Bl. 4 und Bl. 80, 81 GA: 80%iger Nettobedarf = 2.292,03 € / kein noch zu zahlender Nettobedarf für 01.01.2015 bis 31.10.2017, da Gesamteinkommen in dieser Zeit 2.401,07 € > 2.292,03 € / für November und Dezember 2017 wegen Ende des Arbeitslosengeldanspruchs Nettobedarf von jeweils 1.626,16 € [2.292,03 € – 665,87 € OVK-Rente] zzgl. 200,00 € für Krankenversicherung/Pflegeversicherung / 2 x (1.626,16 € x 200,00 €) = 3.652,32 €).

Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.652,32 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die streitgegenständliche Regelung des Sozialtarifvertrags diskriminiere den Kläger nicht wegen seiner Behinderung. Selbst wenn eine Ungleichbehandlung zu sehen wäre, so sei die Regelung jedenfalls aufgrund der Besonderheiten der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie gerechtfertigt. Der Kläger sei schon nicht mit Arbeitnehmern derselben Altersgruppe, welche keinen Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente wegen Schwerbehinderung hätten, vergleichbar. Die Abfindung solle bei rentennahen Jahrgängen zur Überbrückung bis zum Anspruch auf Leistungen aus dem sozialen Sicherungssystem dienen. Diese Überbrückung habe somit den Zeitpunkt im Blick, ab dem erstmals eine gesetzliche Rente in Anspruch genommen werden könne. Entscheidend sei, ob die Arbeitnehmer gleichermaßen bis zur „Abfederung“ durch das soziale Sicherungssystem versorgt seien. Die Abfindung sei nicht darauf ausgerichtet, Arbeitnehmern den vollständigen Zeitraum abzusichern, den sie hypothetisch noch zu arbeiten gewillt und in der Lage gewesen wären. Dies sei Aufgabe der Sozialsysteme, nicht der Tarif- oder Sozialpartner. Nach den Regelungen des Sozialtarifvertrags herrsche Gleichbehandlung. Nicht nur bei Arbeitnehmern mit Schwerbehinderung, sondern auch bei Mitarbeitern ohne Schwerbehinderung werde auf den frühestmöglichen Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Altersrente abgestellt. Jedenfalls sei eine etwaige Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Es solle keine Entlassungsabfindung erfolgen für Personen, die durch ein Ersatzeinkommen abgesichert seien. Das Verhandlungsergebnis der Tarifvertragsparteien stehe unter dem verfassungsrechtlichen Schutz der Tarifautonomie, sie seien frei darin, festzulegen, auf welche Art und Weise sie die wirtschaftlichen Nachteile bewerten und ausgleichen. Dies gelte auch insofern, als dass die Regelung aus dem Sozialtarifvertrag mangels Tarifbindung nicht unmittelbar Anwendung finden würde, sondern die Abfindungsregelung aufgrund der betrieblichen Erstreckungsvereinbarung gelte. Die reine Bezugnahme in der Erstreckungsvereinbarung ändere nichts an dem dargestellten Prüfungsmaßstab für Tarifverträge. Im Rahmen des verfassungsrechtlich zugestandenen Spielraums dürften die Tarifvertragsparteien festlegen, dass lediglich die Zeiten bis zum frühestmöglichen Renteneintritt abgesichert werden sollten. Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern greife diese Absicherung eben früher als bei nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern. Wenn die angegriffene Regelung unwirksam sei, fehle eine Regelung zur Berechnung der individuellen Abfindung. Der Sozialtarifvertrag sei dann bezüglich rentennaher Arbeitnehmer seines Kerns komplett beraubt. Die Rechtsfolge einer teilweisen Unwirksamkeit der betreffenden Tarifregelung sei nicht die „Anpassung nach oben“. Die Korrektur von Sozialplanbestimmungen dürfe nicht zu einer unzulässigen Erhöhung des Gesamtvolumens führen. Die Sozialtarifvertragsparteien hätten eine verbindliche absolute Obergrenze in Höhe von 551,8 Mio. vereinbart. Diese Maximalsumme sei damit absolut durch die Tarifautonomie gedeckt und sei nicht durch Angemessenheitserwägungen, auch nicht minimal, zu erhöhen. Es sei eine zusätzliche Belastung von 17 Mio. zu erwarten, dies würde sämtliche Absprachen und Grenzen sprengen und läge weit jenseits einer nur ansatzweise zumutbaren Anpassung. Wäre den Sozialtarifvertragsparteien bewusst gewesen, dass diese zusätzliche Summe hätte gezahlt werden müssen, so wäre eine andere Binnenverteilung innerhalb der Leistung des Sozialtarifvertrags erfolgt. Als milderes Mittel sei den Tarifvertragsparteien vielmehr zuzugestehen, die aufgrund des festgelegten Budgets vorhandenen Mittel im Rahmen von Neuverhandlungen anders zu verteilen. Allerdings sei dies praktisch schwierig zu gestalten, da insbesondere die Abfindungen schon ausbezahlt seien.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 20.10.2016 zur Zahlung von 3.652,32 € netto nebst Zinsen verurteilt. Der der Höhe nach unstreitige Anspruch ergebe sich aus C. Ziff. 2.6 STV i.V.m. dem Sozialplan vom 25.06.2014. Die Regelung zur Berechnung der Abfindung sei gemäß § 7 Abs. 2 AGG (teil-)unwirksam. Die Regelung des C. Ziff. 2.6 enthalte eine unzulässige mittelbare Diskriminierung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung. Eine Gleichbehandlung des Klägers könne nur hergestellt werden, indem die Abfindung nach dem Zeitpunkt berechnet werde, zu dem der Kläger ohne Schwerbehinderung in die gesetzliche Rente eintreten könnte. Die Tarifautonomie stehe diesem Ergebnis nicht entgegen. Die Korrektur der Sozialplanregelung und die Ausdehnung des Finanzvolumens des Sozialplans habe die Beklagte hinzunehmen. Die Ausdehnung falle im Verhältnis zum Gesamtvolumen nicht ins Gewicht (Mehrbelastung von etwa drei Prozent).

Das Urteil ist der Beklagten am 14.03.2013 zugestellt worden. Die Beklagte hat am 03.04.2017 Berufung eingelegt und die Berufung nach Verlängerung der Frist bis zum 29.05.2017 am 26.05.2017 begründet.

Zur Begründung der Berufung wendet die Beklagte ein, zu Unrecht habe das Arbeitsgericht einen Verstoß gegen das AGG und einen daraus resultierenden Zahlungsanspruch bejaht. Die Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer sei mit der Gruppe der nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht vergleichbar.

1. Die arbeitsgerichtliche Wertung hinsichtlich einer Benachteiligung des Klägers sei rechtsfehlerhaft.

a) Entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts sei keine Ungleichbehandlung von Gleichem gegeben. Zu Unrecht nehme das Arbeitsgericht an, die Gruppen der schwerbehinderten Arbeitnehmer und der nicht schwerbehinderten Mitarbeiter seien vergleichbar. Das unterschiedliche Rentenalter stelle eine objektive Differenzierung dar. Selbst wenn die Mitarbeitergruppen vergleichbar wären, würden die schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht ungleich behandelt. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Regelung vielmehr eine Gleichbehandlung herstelle. Bei beiden Gruppen werde auf den frühestmöglichen Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Altersrente abgestellt und damit die Überbrückung bis zum Bezug einer gesetzlichen Rente sichergestellt (zukunftsgerichtete Ausgleichfunktion). Diese überbrückende Absicherung hätten die Tarifvertragsparteien bei dem Abschluss des STV im Blick gehabt. Diese Absicherung trete bei schwerbehinderten Arbeitnehmern früher ein. Aber auch innerhalb der nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer ergäben sich Unterschiede, weil nicht jeder Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die sogenannte „Rente mit 63“ (§ 236 b SGB VI) erfülle. Verhindert werden solle, dass ein Arbeitnehmer ohne Absicherung im sozialen Netz ausscheide. Die Überbrückungsfunktion sei hingegen nicht darauf ausgerichtet, den vollständigen Zeitraum abzusichern, den die Arbeitnehmer hypothetisch noch zu arbeiten gewillt und in der Lage gewesen seien.

b) Jedenfalls sei die Regelung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und seien die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich (§ 3 Abs. 2 AGG). Zu beanstanden sei, dass das Arbeitsgericht das Vorliegen einer mittelbaren oder einer unmittelbaren Benachteiligung habe dahinstehen lassen. Bei einer mittelbaren Benachteiligung sei das Vorliegen eines sachlichen rechtfertigenden Ziels sowie der Angemessenheit und Erforderlichkeit bereits auf der Tatbestandsebene zu prüfen. Richtig sei der Prüfungsmaßstab der mittelbaren Benachteiligung, da an den frühestmöglichen Renteneintritt angeknüpft werde. Bei diesem Merkmal werde kein untrennbarer Zusammenhang zu einer bestehenden Behinderung hergestellt. Unterschiede zum Renteneintritt könnten sich auch bei nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern nach § 237 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI (bei Arbeitslosigkeit) oder § 236 b SGB VI („Rente mit 63“) ergeben. Die Regelung sei deshalb bereits nach § 3 Abs. 2 AGG rechtmäßig, auf § 10 AGG komme es nicht an. Die Regelung verfolge ein zulässiges Ziel. Anders als in der EuGH-Entscheidung „Odar“ enthalte die hiesige Regelung eine gleichbleibende Formel, bei der unterschiedslos auf den frühestmöglichen Renteneintritt abgestellt werde. Das Arbeitsgericht habe nicht gewürdigt, dass es hier um einen Sozialtarifvertrag und nicht um einen regulären Sozialplan gehe. Zu berücksichtigen seien die Tarifautonomie, die Einschätzungsprärogative und der Gestaltungsspielraum von Tarifvertragsparteien, die Richtigkeitsgewähr von Tarifnormen sowie der Umstand, dass die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien nicht nach § 112 BetrVG beschränkt sei. Die Regelung im STV verfolge nicht den Ausgleich erdienten Besitzstandes sondern eine zukunftsbezogene Überbrückungsfunktion. Tarifvertragsparteien seien nicht verpflichtet, etwaige gesetzliche Nachteile (geminderte Rentenhöhe), die mit einer gesetzlichen Besserstellung verbunden seien (früherer Renteneintritt), auszugleichen. Die Regelungen des STV bedeuteten keinen „Zwang“ zur Verrentung. Maßgeblich gewesen sei die wirtschaftliche Abfederung bis zum Eingreifen anderer Sicherungssysteme. Die objektive Anknüpfung an die Möglichkeit des Rentenbezugs sei ein angemessenes Mittel zur Erreichung des von den Tarifvertragsparteien verfolgten Ziels und gehe nicht über das hinaus, was hierfür erforderlich sei.

2. Die arbeitsgerichtliche Entscheidung sei auch hinsichtlich der Rechtsfolge fehlerhaft.

a) [sic / ohne korrespondierendes b)] Jedenfalls habe keine Anpassung nach oben zu erfolgen. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit ergebe sich bei § 7 Abs. 2 AGG aus § 134 BGB. Eine geltungserhaltende Reduktion im Sinne einer Zurückführung von Bestimmungen auf ein „nicht diskriminierendes Maß“ sei ausgeschlossen. Anders als im Urteil BAG 15.02.2011 – 9 AZR 584/09 – sei eine Anpassung nach oben hier nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten. Da bei der Unwirksamkeit der Regelung weder eine ergänzende Vertragsauslegung noch eine Handhabung nach den Regeln zum blue-pencil-Test in Betracht komme, könne die Regelung nur insgesamt unwirksam sein. Hinzukomme, dass die Sozialpartner 551,8 Mio € als verbindliche Obergrenze vereinbart hätten. Die Maximalsumme sei durch die Tarifautonomie gedeckelt und sei – auch nicht minimal – zu erhöhen. Bei dem Urteil des BAG vom 21.10.2003 – 1 AZR 407/02 – sei es nur um 1,7 Prozent des Gesamtvolumens gegangen. Zu berücksichtigen sei, dass es hier um einen Sozialtarif und nicht lediglich um einen Sozialplan gehe. Eine Neuverteilung der Mittel müsse im Wege einer Neuverhandlung der Abfindungsregelung erfolgen. Die Besonderheiten der verfassungsrechtlich normierten Tarifautonomie stünden einer Erhöhung des Volumens des STV entgegen.

3. Zu beanstanden sei auch die Höhe der Verurteilung. Die Gewährung eines Nettoanspruches sei mit dem STV nicht zu vereinbaren. Der Anspruch auf Abfindung richte sich auf einen Bruttobetrag. Stichtag für die Berechnung des Bruttobetrags sei der Zeitpunkt des Abschlusses des dreiseitigen Vertrags (Berechnung regelmäßig auf Basis der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Januar 2015 maßgeblichen steuerlichen Merkmale). Es sei nicht mit den Regelungen des STV vereinbar, dass das Arbeitsgericht zur Zahlung eines Nettobetrags verurteilt habe. Die Bruttoisierung des Nettobetrags habe nicht auf Basis der steuerlichen Merkmale im Auszahlungszeitpunkt zu erfolgen.

Auch aus der Systematik des STV folge, dass dessen Regelungen nicht so ausgelegt oder geändert werden könnten, dass alle betroffenen schwerbehinderten Mitarbeiter so zu behandeln seien, als seien sie nicht schwerbehindert. C 2.3 STV sehe ein Wahlrecht vor für die schwerbehinderten Arbeitnehmer der Jahrgänge 1960 und 1961 zwischen Pension Bridge und Abfindung nebst Transfergesellschaft. Jedenfalls diese Gruppe könne nicht benachteiligt sein, da die nicht schwerbehinderten Mitarbeiter dieser Jahrgänge hätten nur einen Anspruch auf Regelabfindung, die regelmäßig geringer ausgefallen sei als die Pension Bridge-Zahlung.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 20. Oktober 2016 – 4 Ca 77/17 [ersichtlich gemeint 4 Ca 77/16] – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Regelung im STV sei unwirksam, weil Mitarbeiter mit Schwerbehinderung benachteiligt würden. Dieses Ergebnis entspreche dem Urteil des LAG Köln 12 Sa 692/13 und der dazu ergangenen Revisionsentscheidung BAG 1 AZR 938/13. Auch Tarifvertragsparteien hätten die Bestimmungen des AGG zu beachten. Unerheblich sei, dass die schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht „gezwungen“ würden, vorzeitig in Rente zu gehen. Der Anspruch sei nicht durch Art. 1 § 1 Ziff. 15 des dreiseitigen Vertrags ausgeschlossen. zutreffend habe das Arbeitsgericht darauf verwiesen, dass streitgegenständlich ein tarifvertraglicher Anspruch sei, auf den nicht verzichtet werden könne. Die Ausführungen der Beklagten gegen eine Anpassung nach oben seien nicht nachzuvollziehen und unzutreffend. Allenfalls drohe eine Mehrbelastung von 3 %. Dem widerspreche auch die Beklagte nicht. Nach dem STV handele es sich um einen Nettobetrag, der zu „bruttoisieren“ sei. Angesichts dessen könne er eine Nettoabsicherung verlangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den beigefügten Anlagen sowie auf die gerichtlichen Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b), Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Die Vorgaben des STV und des SP zur Berechnung des Abfindungsbetrags benachteiligen den Kläger in nicht gerechtfertigter Weise wegen seiner Schwerbehinderung. Daraus folgt ein Anspruch des Klägers auf den höheren Abfindungsbetrag, gegen dessen rechnerische Höhe die Beklagte keine Einwendungen erhebt. Allerdings hatte der Zusatz „netto“ im Urteilstenor des Arbeitsgerichts zu entfallen.

1. Die für den schwerbehinderten Kläger maßgebliche Abfindungsregelung unter C. 2.2, 2.6 STV benachteiligt den Kläger in nicht gerechtfertigter Weise wegen seiner Schwerbehinderung (STV = Sozialtarifvertrag zwischen IG Metall – Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und B1 P AG über die Schließung der Fahrzeugproduktion am Standort C vom 12.06.2014). Wegen Verstoßes gegen das AGG ist die Regelung zur Berechnung der Abfindung für schwerbehinderte Arbeitnehmer unwirksam.

a) Nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG gelten die Diskriminierungsverbote der §§ 1, 7 AGG auch für kollektivrechtliche Vereinbarungen und damit auch für Sozialtarifverträge und für Sozialpläne nach dem BetrVG. Der durch die Tarifautonomie geschützte Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien findet seine Grenzen in entgegenstehendem zwingenden Gesetzesrecht, wozu auch die einfachrechtlichen Diskriminierungsverbote des AGG gehören (BAG 18.02.2016 – 6 AZR 700/14 – Rn. 27; BAG 09.12.2015 – 4 AZR 684/12 – Rn. 26). Die Parteien eines Sozialplans haben wie bei anderen Betriebsvereinbarungen nach § 75 Abs. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in der Vorschrift genannten Gründen unterbleibt. Der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltene Begriff der Benachteiligung und die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung richten sich nach den Vorschriften des AGG (BAG 17.11.2015 – 1 AZR 938/13 – Rn. 16, 17).

b) Nach §§ 1, 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen einer bestehenden Behinderung benachteiligt werden. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung liegt nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn ein Beschäftigter wegen einer Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere nicht behinderte Person in vergleichbarer Lage erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine mittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung liegt gemäß § 3 Abs. 2 AGG vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen einer Behinderung gegenüber anderen nicht behinderten Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

Nach der Entscheidung des EuGH vom 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] ist eine mittelbar auf dem Kriterium der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung gegeben, wenn eine Regelung vorsieht, dass einem schwerbehinderten Arbeitnehmer bei Entlassung wegen der Möglichkeit eines früheren Renteneintritts ein geringerer Abfindungsbetrag zu zahlen ist als einem nicht behinderten Arbeitnehmer (EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] unter 59.). Der Entscheidung des EuGH lag ein Rechtsstreit aus Deutschland zugrunde. Der dort zu beurteilende Sozialplan sah vor, dass die den gekündigten Arbeitnehmern zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wurde. Dass einer solchen Berechnung das Renteneintrittsalter dem Anschein nach neutral zugrunde lag, führte im beurteilten Fall dazu, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer, die die Möglichkeit hatten früher und zwar mit 60 Jahren statt wie nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer mit 63 Jahren in Rente zu gehen, wegen ihrer Schwerbehinderung eine geringere Entlassungsabfindung erhielten (EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] unter 54., 57.). Der EuGH hat die Vergleichbarkeit von schwerbehinderten Arbeitnehmern, die einer kurz vor dem Renteneintritt stehenden Altersgruppe angehören, mit nicht behinderten Arbeitnehmern derselben Altersgruppe bejaht (EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] unter 60., 61.). Dem stand nach Auffassung des EuGH nicht entgegen, dass den schwerbehinderten Arbeitnehmern kraft Gesetzes der Vorteil gewährt war, mit einem drei Jahre niedrigeren Alter Altersrente in Anspruch nehmen zu können als nicht behinderte Arbeitnehmer (EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] unter 62.). Dieser Vorteil könne die schwerbehinderten Arbeitnehmer gegenüber den nicht behinderten Arbeitnehmern nicht in eine besondere Situation bringen. Die nach dem Sozialplan erfolgende Ungleichbehandlung von schwerbehinderten und nicht behinderten Arbeitnehmern sei nicht durch ein sachliches Ziel gerechtfertigt, zu dessen Erreichung die eingesetzten Mittel angemessen seien. Die Minderung der Abfindung sei nicht durch den gesetzlich gewährten Vorteil gerechtfertigt, der darin bestehe, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer ab einem Alter, das drei Jahre niedriger sei als bei nicht behinderten Arbeitnehmern, eine Altersrente in Anspruch nehmen könnten (EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] unter 62.-67.). Dem stehe entgegen, dass die streitige Maßnahme damit nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt sei, die nichts mit dieser Diskriminierung zu tun hätten. Zum anderen liefe diese Argumentation darauf hinaus die praktische Wirksamkeit der nationalen Vorschriften, die den genannten Vorteil vorsähen, zu beeinträchtigen, deren Daseinsberechtigung allgemein darin bestehe, den Schwierigkeiten und besonderen Risiken Rechnung zu tragen, mit denen schwerbehinderte Arbeitnehmer konfrontiert seien. Die Zahlung eines geringeren Abfindungsbetrags an schwerbehinderte Arbeitnehmer bei betriebsbedingter Kündigung bewirkt danach eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer und geht daher über das hinaus, was zur Erreichung der vom deutschen Gesetzgeber verfolgten sozialpolitischen Ziele erforderlich ist (EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] unter 70.). Die durch den dortigen Sozialplan bewirkte Ungleichbehandlung von schwerbehinderten Arbeitnehmern durch eine niedrigere Abfindungszahlung hat der EuGH aus diesen Gründen als nicht gerechtfertigt angesehen (EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] unter 71./ ebenso: Richardi-Annuß, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 112 BetrVG Rn. 105; Fitting, BetrVG, 28. Aufl. 2016, §§ 112, 112 a BetrVG Rn. 149).

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist auch im hier zu entscheidenden Fall eine mittelbare Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung durch die Abfindungsregelung im Sozialtarifvertrag zu bejahen, ohne dass der niedrigere Abfindungsanspruch durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zu seiner Erreichung angemessen und erforderlich sind (§§ 3 Abs. 2, 1, 7 Abs. 1, Abs. 2 AGG).

Für den schwerbehinderten Kläger errechnet sich nach C.2.6 STV ein niedrigerer Abfindungsanspruch als für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer gleichen Alters. Dies folgt daraus, dass er als schwerbehinderter Arbeitnehmer nach § 236 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGB VI bereits vor Vollendung des 63. Lebensjahres die Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen kann (§ 236 a Abs. 1, Abs. 2 SGB VI Altersrente für schwerbehinderte Menschen), während für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres möglich ist, § 236 Abs. 2 SGB VI (§ 236 Abs. 1 SGB VI Altersrente für langjährig Versicherte). Da Berechnungsfaktor der Abfindung eine 80%-Nettoabsicherung im Zeitraum bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente ist, führt ein früherer Renteneintrittstermin zu einem niedrigeren Nettoabsicherungsbedarf und damit zu einem niedrigeren Abfindungsbetrag. Die 80%-Nettoabsicherung fällt bei dem Kläger wegen des früher möglichen Renteneintritts für Schwerbehinderte unbestritten in Höhe des eingeklagten Betrages niedriger aus als dies bei einem nicht behinderten Arbeitnehmer mit ansonsten identischen Daten der Fall wäre. Als ein dem Geltungsbereich von STV/SP unterfallender Arbeitnehmer befindet sich der Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten auch in einer einem nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer vergleichbaren Situation. Zur Feststellung der Vergleichbarkeit sind sachlogische Gemeinsamkeiten festzustellen, um die Unterschiede zueinander in Beziehung zu setzen (BAG 09.12.2015 – 4 AZR 684/12 – Rn. 27). Der Kläger ist als ein Arbeitnehmer, der aufgrund seiner Behinderung als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist, in Bezug auf seine durch die Betriebsänderung verursachten wirtschaftlichen Nachteile in einer vergleichbaren Situation mit nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern. Ebenso wie diese verliert er infolge der Betriebsänderung und dem damit verbundenen Verlust seines Arbeitsplatzes seinen Anspruch auf das bisher gewährte Arbeitsentgelt (BAG 17.11.2015 – 1 AZR 938/13 – Rn. 26). Aus dem Umstand der Möglichkeit der früheren Inanspruchnahme einer (vorzeitigen) Altersrente aufgrund seiner Schwerbehinderung folgt nicht, dass seine Situation eine andere ist als die eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers (BAG aaO Rn. 26 unter Hinweis auf EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar]). Hinter der Möglichkeit zum früheren Renteneintritt für Schwerbehinderte steht der sozialpolitische Zweck, die Renteneintrittszeiten an die Bedürfnisse behinderter Menschen anzupassen. Der hieraus resultierende „Vorteil“ beim Vergleich der wirtschaftlichen Lage von schwerbehinderten und nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern kann nicht zu Lasten der Schwerbehinderten berücksichtigt werden (s.o.). Als Ausgleich allein aus der Schwerbehinderteneigenschaft resultierender Nachteile muss er – wie die Schwerbehinderung – beim Vergleich der beiden Arbeitnehmergruppen und ihrer Situation bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinweggedacht werden. Anderenfalls würde sich die gesetzliche Kompensation für besondere Erschwernisse, denen Schwerbehinderte ausgesetzt sind, an anderer Stelle zu ihren Lasten auswirken (Hess. LAG 04.09.2015 – 14 Sa 1288/14 – Rn. 58; LAG Köln19.11.2013 – 12 Sa 692/13 – Rn.46 – jeweils unter Bezugnahme auf EuGH 06.12.2012 – C-152/11 [Odar]). Das dem Anschein nach neutrale Kriterium des frühestmöglichen Renteneintritts führt zu einer mittelbaren Diskriminierung des Klägers wegen der Schwerbehinderung (vgl. EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] 57.-59.)

Entgegen der Argumentation der Beklagten ist die Ungleichbehandlung nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und sind die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nicht angemessen und erforderlich i. S. d. § 3 Abs. 2 2.HS AGG. Der sachlichen Rechtfertigung und Angemessenheit / Erforderlichkeit steht entgegen, dass die Argumentation der Beklagten darauf hinausliefe, die praktische Wirksamkeit der nationalen Vorschrift, die den Vorteil eines früher möglichen Renteneintritts gewährt (236 a Abs. 1 SGB VI), zu beeinträchtigen (s.o.). Die Daseinsberechtigung des § 236 a Abs. 1 SGB VI besteht darin, dass den Schwierigkeiten und besonderen Risiken Rechnung getragen werden soll, mit denen schwerbehinderte Arbeitnehmer konfrontiert sind. Schwerbehinderte haben im Allgemeinen größere Schwierigkeiten, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern; auch ist zu berücksichtigen, dass Schwerbehinderte unabweisbaren finanziellen Aufwendungen im Zusammenhang mit ihrer Behinderung ausgesetzt sind und/oder dass sich diese finanziellen Aufwendungen mit zunehmendem Alter erhöhen (EuGH 06.12.2012 – C-152/11 – [Odar] 67. – 69.). Die Regelung in C 2.6 STV bewirkt dadurch, dass sie bei betriebsbedingter Kündigung zur Zahlung eines Abfindungsbetrags an einen schwerbehinderten Arbeitnehmer führt, die geringer ist als die Abfindung, die ein nicht behinderter Arbeitnehmer enthält, eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer und geht daher über das hinaus, was zur Erreichung der vom deutschen Gesetzgeber verfolgten sozialpolitischen Ziele erforderlich ist, die Ungleichbehandlung ist deshalb nicht gerechtfertigt (vgl. EuGH aaO, unter 70., 71., zusammengefasst in LS 4).

2. Aufgrund der mittelbaren Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung hat der Kläger einen Anspruch auf Gewährung der Leistungen nach Maßgabe der Regelungen für die begünstigte Gruppe, also nach den Regeln für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer der entsprechenden Altersgruppe.

Nach § 7 Abs. 2 AGG führt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Abs. 1 zur Unwirksamkeit der verbotswidrigen Regelung. Rechtsfolge einer – mittelbaren – Benachteiligung ist die Nichtanwendung allein der diskriminierenden Regelung. Besteht diese in einer Ausgrenzung der diskriminierten Arbeitnehmer aus dem Geltungsbereich einer vergleichbare Arbeitnehmer begünstigenden Regelung und sind bisher keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung getroffen, so dass die Regelung das einzige Bezugssystem bleibt, ist regelmäßig auf die Angehörigen der durch die Diskriminierung benachteiligten Gruppe die gleiche Regelung wie auf die begünstigten Arbeitnehmer anzuwenden, um die Benachteiligung zu beseitigen (BAG 09.12.2015 – 4 AZR 684/12 – Rn.53 mwN). Der Kläger kann verlangen, wie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer behandelt zu werden (BAG 17.11.2015 – 1 AZR 938/13 – Rn. 34). Der Kläger hat daher Anspruch auf einen Abfindungsbetrag, wie er sich nach dem STV bei Zugrundelegung des frühestmöglichen Renteneintrittstermins für nicht behinderte Arbeitnehmer ergibt (= Bezugssystem / Termin nach § 236 SGB VI statt Termin nach § 236 a Abs. 1, Abs. 2 SGB VI). Der 80%-Nettoabsicherungsbedarf erhöht sich dann unstreitig um den Betrag der Klageforderung.

Dieses Ergebnis einer „Anpassung nach oben“ zugunsten der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer führt nicht zu einem unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie. Die Abfindungen für Mitarbeiter der Jahrgänge 1959 und älter waren mit der Gehaltsabrechnung für Januar 2015 abzurechnen und auszuzahlen. Trotz dieses in der Vergangenheit liegenden Zeitraums haben die Tarifvertragsparteien nichts unternommen, den STV wegen der Problematik der Diskriminierung schwerbehinderter Arbeitnehmer abzuändern, um der unzulässigen Benachteiligung der schwerbehinderten Arbeitnehmer entgegenzuwirken. Die Anpassung nach oben betrifft nur eine untergeordnete Teilmenge der ausgeschiedenen Arbeitnehmer und führt zu einer Ausweitung des Gesamtabfindungsvolumens von hier deutlich unter 5 % des Gesamtvolumens (zu diesen Kriterien: BAG 18.02.2016 – 6 AZR 700/14 – Rn. 30 ff; BAG 09.12.2015 – 4 AZR 684/12 – Rn.53; BAG 10.11.2011 – 6 AZR 481/09 – Rn. 32 – 40).

3. Der Anspruch ist nicht aufgrund von Art. 1 § 1 Nr. 15 des dreiseitigen Vertrags ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung sind „mit Erfüllung dieser Vereinbarung“ alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis mit der Beklagten und dessen Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt, abgegolten. Der dreiseitige Vertrag ist solange nicht ordnungsgemäß erfüllt, wie die Beklagte dem Kläger nicht in diskriminierungsfreier Weise eine Abfindungszahlung gewährt. Auch fehlt es an einer Billigung eines Verzichts durch die Gewerkschaft / den Betriebsrat (§§ 4 Abs. 4 TVG, 77 Abs. 4 BetrVG).

4. Entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts ist der Zahlungsverurteilung nicht der Zusatz „netto“ beizufügen.

Es ist strittig, ob und inwieweit Zahlungsverurteilungen in arbeitsgerichtlichen Urteilen mit einem Zusatz „brutto“ oder „netto“ zu versehen sind. Während sich die Auffassung findet, bei der Tenorierung von Vergütungsansprüchen sei ein Zusatz „brutto“ oder „netto“ stets wegzulassen (Ziemann jurisPR-ArbR 21/2016 Anm. 6 mwN), hat das BAG in seinem Beschluss vom 17.02.2016 ausgeführt, der Zusatz „brutto“ sei keine Einschränkung eines ohne diesen Zusatz gestellten Antrags, sondern verdeutliche nur, was von Gesetzes wegen hinsichtlich Steuer- und Sozialversicherung gelte (BAG 17.02.2016 – 5 AZN 981/15 -). Etwas anderes gilt, so das BAG, wenn aufgrund einer Nettolohnvereinbarung die gesetzlichen Abgaben und Beiträge nicht zu Lasten des Arbeitnehmers sondern insgesamt zu Lasten des Arbeitgebers gehen sollen. In einem solchen Fall, so das BAG, muss der Arbeitnehmer bei streitiger Zahlungspflicht eine Nettolohnklage erheben. Aus Gründen der Bestimmtheit des Antrags (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist es dann erforderlich, in dem Klageantrag die begehrte Zahlung ausdrücklich als „netto“ zu bezeichnen (BAG aaO).

Nach C. 2.6 STV ist der Betrag der 80%-Nettoabsicherung nach den Regeln des vierten Absatzes von C. 2.6 STV zu „bruttoisieren“, d.h. er ist unter Zuhilfenahme der seinerzeit bekannten und angezeigten Steuermerkmale auf einen Bruttobetrag hochzurechnen, wobei Grundlage das zu erwartende steuerpflichtige Bruttoarbeitsentgelt und die bekannten Steuerparametern des jeweiligen Mitarbeiters sind. Die Beklagte schuldet mithin auch nach dem Vorbringen des Klägers die von einem höheren Betrag der 80%-Nettoabsicherung zu berechnende Abfindung nicht als Nettobetrag sondern als Bruttobetrag (C 4.6 STV: „Bei den Abfindungsbeträgen handelt es sich um Bruttobeträge.“). Eine Kennzeichnung des ausgeurteilten Betrags als „netto“ kommt deshalb – nach beiden Auffassungen – nicht in Betracht.

III. Nach § 97 Abs. 1 ZPO hat die unterlegene Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat die Kammer gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

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