Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 08.09.2016 – 11 Sa 78/16

Juni 16, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 08.09.2016 – 11 Sa 78/16

Eine Zulage von 119,34 €, die der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin (Spielhallenaufsicht) allmonatlich neben der mit einem Stundenlohn von 7,50 € berechneten Grundvergütung auszahlt und deren Bezug nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig ist – insbesondere nicht von der Anzahl monatlich angefallener Nachtarbeits-, Sonntags- oder Feiertagsstunden -, ist mindestlohnwirksam und kann vom Arbeitgeber auf den geschuldeten Mindestlohn angerechnet werden.

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Zulage im Juli 2014 vereinbart worden ist, um eine Schmälerung des Arbeitsentgelts nach einer vom Arbeitgeber gewünschten Reduzierung der vertraglichen Zuschläge für Arbeiten nach 20.00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen auszugleichen.

Da der Anspruch auf die Zulage von 119,34 € nach der Vereinbarung vom Juli 2014 unabhängig davon ist, ob und in welchem Umfang in den einzelnen Monaten Nachtarbeit, Sonntagsarbeit oder Feiertagsarbeit angefallen sind, ist ein Funktionswandel gegenüber der früheren Vertragslage bewirkt worden, der bei der Prüfung der funktionellen Gleichwertigkeit der Zulage zu Grundvergütung und Mindestlohn zu beachten ist.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 15.12.2015 – 3 Ca 1354/15 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob eine monatlich gezahlte Zulage von 119,34 € brutto auf den Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn für die Monate Januar bis Oktober 2015 anrechenbar ist.

Die 1955 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.2007 als Servicemitarbeiterin / Spielhallenaufsicht im Betrieb der Beklagten beschäftigt. Die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit beträgt 160 Stunden.

Bei Einstellung der Klägerin im Jahr 2007 wurde eine Vergütung in Höhe von 7,00 € brutto pro Stunde vereinbart (Arbeitsvertrag Bl. 17 ff GA). Dieser Stundenlohn wurde später auf 7,50 € brutto erhöht. Daneben zahlte die Beklagte an die Klägerin verschiedene Zuschläge, so einen Nachtzuschlag in Höhe von 25 % des Stundenlohnes für Arbeitszeiten zwischen 20.00 Uhr und 6.00 Uhr, des Weiteren einen Sonntagszuschlag in Höhe von 50 % auf den Stundenlohn für die sonntägliche Arbeit sowie einen Feiertagszuschlag in Höhe von 125 % auf den Stundenlohn für die Arbeit an Feiertagen.

Nachdem die Beklagte zum 01.07.2014 in die Unternehmensgruppe „D S“ aufgenommen wurde, wünschte diese die Vereinheitlichung der Arbeitsverträge in ihrer Gruppe. Die Beklagte wandte sich an die Klägerin mit dem Angebot einer Vertragsänderung. Danach sollten Nachtzulagen nicht mehr für die Zeit von 20.00 – 6.00 Uhr gezahlt werden, sondern nur noch für die Zeit von 22.00 – 6.00 Uhr, Sonntagszuschläge statt in Höhe von 50 % nur noch in Höhe von 30 % und Feiertagszuschläge teilweise weiterhin mit 125 % und teilweise nur noch in Höhe von 50 % (Schreiben der Beklagten vom 02.07.2014, Bl. 16 GA). Um die Gesamtvergütung der Arbeitnehmer nicht zu verringern, wurde gleichzeitig mit den Arbeitnehmern, so auch mit der Klägerin, die Zahlung einer monatlichen Zulage vereinbart, die sich bei der Klägerin auf 119,34 € brutto beläuft. Wegen der Angaben der Beklagten zur Berechnung des Betrages von 119,34 € wird auf Bl. 34 GA verwiesen. In dem Anschreiben der Beklagtenvom 02.07.2014 heißt es zu der Zulage:
„Für die Zuschlagsanpassung der in Punkt 1 (a-d) aufgeführten Zuschläge erhalten sie einen finanziellen Brutto-Ausgleich in Höhe von 119,34 EUR Pro Monat.“

Die Klägerin stimmte dieser Vertragsänderung zu. Die Parteien vereinbarten, dass ab dem 01.07.2014 die Zuschläge nur noch in der dargelegten Form gezahlt würden (Bl. 116 GA). Die Beklagte leistete fortan durchgängig die monatliche Zulage von 119,34 €, daneben zahlte sie Zulagen für Nachtschichten, Sonntagszuschläge und Zuschläge für Feiertage auf der Grundlage der neuen Vereinbarung vom 02./15.07.2014 (Bl. 116 GA).

Zu Beginn des Jahres 2015 bot die Beklagte der Klägerin im Hinblick auf das in Kraft getretene Mindestlohngesetz (MiLoG) erneut eine Vertragsänderung an. Der Klägerin wurden eine Vergütung in Höhe von 8,50 € brutto pro Stunde, Zuschläge in Höhe von 25 % für die Arbeitszeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr sowie Zuschläge in Höhe von 30 % für die Arbeit an Sonntagen und Zuschläge in Höhe von 50 % für die Arbeit an Feiertagen angeboten. Beim Zusammentreffen von zwei oder drei der genannten Zuschläge sollte nur der jeweils höchste Zuschlag ausgezahlt werden. Die Klägerin nahm dieses Änderungsangebot nicht an.

Die Beklagte leistete für die Monate ab Januar 2015 weiterhin den bisherigen Stundenlohn von 7,50 € und die Zulage von 119,34 € nebst Nachtzuschlägen, Sonntagszuschlägen, Feiertagszuschlägen sowie als neuen Vergütungsbestandteil eine „Mindestlohnzulage“ (in den Monaten seit Januar 2015: 45,18 €, 44,50 €, 50,16 €, 55,64 €, 44,48 €, 51,84 €, 88,63 €, 58,29 €, 60,46 €, 46,36 € – zur Berechnung: s.u.). Auf die in Kopie eingereichten Lohnabrechnungen für Januar 2015 bis Oktober 2015 wird ergänzend Bezug genommen (Bl. 12 – 15, 31, 47, 63 – 65, 68 GA).

Mit drei Schreiben an die Beklagte vom 13.03.2015, vom 07.04.2015 und vom 21.04.2015 machten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Vergütungsdifferenzen für die Monate Januar bis März 2015 unter Hinweis auf das Mindestlohngesetz geltend (Bl. 10, 7, 5/6 GA).

Mit der am 28.05.2015 bei Gericht eingegangenen und später erweiterten Klage begehrt die Klägerin die Zahlung weiterer Vergütung für die Monate von Januar 2015 – Oktober 2015, insbesondere sei die Zulage von monatlich 119,34 € nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen.

Die Klägerin hat vorgetragen, bei einer Berechnung der Vergütung auf Basis des Mindestlohnes von 8,50 € pro Stunde errechneten sich eine monatliche Differenzen von 119,35 € brutto respektive 119,36 € brutto. Bezüglich der Berechnungen der Klägerin im Einzelnen wird auf ihre Auflistungen gemäß Seite 2 und 3 der Klageschrift sowie die jeweiligen Klageerweiterungen Bezug genommen. Durch die Vereinbarung vom 02.07.2014 sei eine Veränderung des Stundenlohns nicht vereinbart worden. Da sie durch die Herabsetzung der Zuschläge finanzielle Einbußen hinzunehmen gehabt habe, sei für die Zuschlagsanpassung ein finanzieller Bruttoausgleich in Höhe von 119,34 € brutto pro Monat vereinbart worden. Das Mindestlohngesetz enthalte keine konkreten Vorgaben dazu, welche vertraglichen bzw. tatsächlich geleisteten Vergütungsarten und Vergütungselemente für den Abgleich mit dem Mindestlohn heranzuziehen seien. Zahlungen für die Arbeit zu besonderen Tageszeiten seien auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht anrechnungsfähig. Davon seien Zuschläge für Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit und Nachtarbeit erfasst. Deswegen sei ebenso die Bruttoausgleichszahlung, die für die Reduzierung der Höhe der Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge vereinbart worden sei, nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen. Überdies sei im Monat Mai 2015 ein weiterer Betrag in Höhe von 5,36 € brutto zu zahlen, da sie am 13., 14., 15., 22., 23. und 24.04. von 16.30 Uhr bis 1.00 Uhr gearbeitet habe. Die Nachtschichtzulage errechne sich daher für 18 Stunden mit einem 25 %igen Zuschlag. Da die Beklagte nur für 15,48 Stunden Nachtschichtzulage gezahlt habe, ergebe sich für 2,52 weitere Stunden eine Forderung in Höhe von 5,36 € brutto.

Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.198,92 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 477,40 € brutto seit dem 03.06.2015, aus 124,71 € brutto seit dem 06.07.2015, aus 119,36 € seit dem 10.08.2015, aus 358,04 € seit dem 27.10.2015 und aus 119,41 € seit dem 19.11.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, dass sie die vertraglichen Ansprüche der Klägerin aus dem Arbeitsvertrag aus dem Jahr 2007 in Verbindung mit der Vertragsänderung vom 02.07.2014 habe weiterhin erfüllen müssen, nachdem die Klägerin den Änderungsvorschlag zu Beginn des Jahres 2015 abgelehnt habe. Sie erfülle die Ansprüche auch. Sie habe insoweit ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die abgerechneten Nachtzuschläge in Höhe von 25 % für die Arbeitszeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr, die gezahlten Sonntagszuschläge in Höhe von 30 % und die gezahlten Feiertagszuschläge in Höhe von 50 % nicht auf den Mindestlohn angerechnet. Sie sei aber davon ausgegangen, dass die vertraglich vereinbarte Vergütung von 7,50 € brutto auf den Mindestlohn anzurechnen sei, worüber sich die Parteien wohl auch einig seien. Weiterhin sei auch die gezahlte Zulage in Höhe von 119,34 € brutto auf den Mindestlohn anzurechnen. Mit dieser Zahlung habe sie die gesetzlichen Ansprüche der Klägerin auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns immer dann erfüllt, wenn die monatliche Arbeitszeit der Klägerin 119,34 Stunden nicht überschritten habe. In den Fällen, in denen die Arbeitszeit diesen Stundensatz überschreite, habe sie eine weitere Zulage gezahlt, die sie in ihren Abrechnungen als „Mindestlohnzulage“ bezeichnet habe. Zu deren Berechnung habe sie die zu vergütende Arbeitszeit einschließlich evtl. Ansprüche auf Zahlung von Urlaubsentgelt oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ermittelt und habe dann in einem zweiten Schritt den für diese Zeit zu zahlenden Mindestlohn von 8,50 € angesetzt und die Gesamtsumme gebildet. Hiervon habe sie die in den Abrechnungen als Stundenlohn ausgewiesenen Beträge und die in den Abrechnungen als Zulage ausgewiesenen Beträge abgezogen und den sich daraus ergebenden Differenzbetrag in der Abrechnung als „Mindestlohnzulage“ ausgewiesen. Die vorgenannten Vergütungsbestandteile ergäben addiert eine Vergütung von 8,50 € pro zu vergütender Arbeitsstunde in dem jeweiligen Monat. Die ausgewiesene Zulage (119,34 €) sei auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechenbar. Es handele sich um eine Zahlung, die unabhängig davon geleistet werde, ob und in welchem Umfang Nachtarbeit, Sonntagsarbeit und Feiertagsarbeit geleistet würden. Auch wenn die Klägerin in einem bestimmten Monat gar nicht zu entsprechenden Tätigkeiten herangezogen werde, werde diese Zulage gezahlt. Es handele sich bei dieser Zulage nicht um pauschalierte Zuschläge für Nachtarbeit, Sonntagsarbeit und Feiertagsarbeit, sondern um eine in jedem Fall zu zahlende Vergütung unabhängig von der Lage der Arbeitszeit. Ohnehin seien durch die Vertragsänderung im Juli 2014 die gesetzlich vorgesehenen Nachtzuschläge für die Zeit ab 23.00 Uhr weder dem Grunde noch der Höhe nach angetastet worden. Bei den Arbeiten zwischen 20.00 und 22.00 Uhr handele es sich nicht um Nachtarbeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Zwischen den Parteien sei überdies unstrittig, dass die Klägerin für die Zeit ab Juli 2014 Nachtzuschläge und Sonntagszuschläge in der damals neu vereinbarten Höhe erhalten habe. Diese würden auch nach wie vor gezahlt. Soweit die Klägerin für den Monat Mai 2014 darüber hinaus weitere Nachtzuschläge in Höhe von 5,36 € brutto fordere, sei festzustellen, dass die Klägerin nach sechs Stunden Tätigkeit eine Pause einzulegen habe. Für diese jeweils halbstündigen Pausen stehe der Klägerin keine Vergütung und somit auch kein Nachtzuschlag zu. Die Nachtzuschläge seien daher für die von der Klägerin bezeichneten Tage nicht im Umfang von 18 Stunden, sondern für 15 Stunden zu zahlen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.12.2015 abgewiesen. Der Betrag von 5,36 € für April 2015 stehe der Klägerin nicht zu, von dem Zuschlagsbetrag sei die halbstündige tägliche Pause abzuziehen. Die Klägerin könne keine weitere Vergütung von monatlich 119,34 € oder 119,35 € verlangen. Die Zulage von 119,34 € sei auf den geschuldeten Mindestlohn anzurechnen, da es sich um einen verstetigt zu zahlenden Ausgleich für der Klägerin nachteilige Veränderungen im Vergütungssystem handele.

Das Urteil ist der Klägerin am 07.01.2016 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 20.01.2016 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist bis zum 07.04.2016 am 07.04.2016 begründet.

Die Klägerin wendet – soweit nach der geringfügigen Reduzierung des Berufungsantrags noch von Interesse – ein, zu Unrecht habe das Arbeitsgericht die monatliche Zulage von 119,34 € auf den Mindestlohn angerechnet. Es sei rechtlich zu beanstanden, dass die Beklagte bei der Berechnung der Mindestlohnzulage die Zulage von 119,34 € auf den Mindestlohn anrechne. Eine Anrechnung sei nicht möglich, weil es sich bei dieser Zahlung um eine besondere Entlohnung für Dienste zu ungünstigen Zeiten handele, die nach der Rechtsprechung und nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden könne. Alleiniger Grund für die Zahlung der 119,34 € sei es, bei herabgesetzten Zuschlagshöhen dasselbe Niveau der Vergütung von Arbeit zu ungünstigen Zeiten wie vor der Reduzierung der Zuschläge zu erhalten. Ihre Arbeit als Salonaufsicht sei stets an Arbeitszeiten an Wochenenden, Feiertagen und zur nächtlichen Zeit geknüpft. Die Öffnungszeit betrage in der Regel von Sonntag bis Sonntag zwischen 8.00 Uhr und 01.00 Uhr. Es handele sich bei der Zulage um eine vom Grundgehalt unabhängige Entlohnung für Arbeit, die nicht den Normalfall abdecke.

Nachdem die Beklagte im Schriftsatz vom 01.06.2016 ausgeführt hatte, die strittigen 5,36 € für Mai 2015 würden mit der Vergütung für Juni 2016 ausgezahlt und in der mündlichen Verhandlung am 08.09.2016 nicht geklärt werden konnte, ob die angekündigte Zahlung tatsächlich erfolgt ist, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt, falls der Betrag wider Erwarten nicht ausgezahlt worden sein sollte, werde die Zahlung auf jeden Fall nachgeholt.

Die Klägerin beantragt – unter geringfügiger Reduzierung des Berufungsantrags -,
das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 15.12.2015 – 3 Ca 1354/15 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 1193,40 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 477,36 € brutto seit dem 03.06.2015, aus 119,34 € brutto seit dem 06.07.2015, aus 119,34 € seit dem 10.08.2015, aus 358,02 € seit dem 27.10.2015 und aus 119,34 € seit dem 19.11.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Wenn die Klägerin die Zulage von 119,34 € als „vereinbarte Pauschalabgeltung für Nachtarbeit, Wochenend- und Feiertagsarbeit“ bezeichne, sei dies nicht zutreffend. Denn die Zulage werde unabhängig davon gezahlt, ob und ggf. in welchem Umfang die Klägerin im jeweiligen Monat Nachtarbeit, Wochenend- oder Feiertagsarbeit geleistet habe. In jedem Monat, in dem die Klägerin Anspruch auf Arbeitsentgelt, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsentgelt habe, werde die Zulage gezahlt (ggf. anteilig). Entscheidend sei die vertragliche Gestaltung, wie sie im Januar 2015 und nachfolgend bestanden habe. Die frühere Vertragsgestaltung bis zum 30.06.2014 spiele keine Rolle. Es seien durchaus Fallgestaltungen denkbar, dass die Klägerin keine Arbeiten zu ungünstigen Zeiten erbringe und trotzdem die Zulage erhalte (weitere Einzelheiten: Bl. 121, 122 GA). Die Normalleistung der Arbeitnehmer in einer Spielhalle sei die Arbeitsleistung während der betrieblichen Öffnungszeiten, also auch am Abend und an den Wochenenden. Die Grundvergütung, die jeden Monat vorbehaltlos gezahlt werde, sei auf den Mindestlohn anzurechnen. Zu dieser Grundvergütung rechne auch die Zulage von 119,34 €.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b), 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO). Indem sich die Klägerin gegen die vom Arbeitsgericht bejahte Anrechenbarkeit / Mindestlohnwirksamkeit der monatlichen Zulage von 119,34 € wendet, hat sie den von ihr verfolgten Berufungsantrag zureichend begründet (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 520 ZPO). Die Berufung ist rechtzeitig innerhalb der verlängerten Frist begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG).

Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht entschieden, dass die monatliche Zulage von 119,34 € mindestlohnwirksam ist. Bei der Prüfung, ob die Klägerin den gesetzlichen Mindestlohn erhalten hat, ist die Zulage von 119,34 € zu berücksichtigen (anzurechnen).

Nach § 1 Abs. 1 MiLoG hat jede Arbeitnehmerin und hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Nach § 1 Abs. 2 MiLoG beträgt die Höhe des Mindestlohns ab dem 1. Januar 2015 brutto 8,50 € pro Zeitstunde.

Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn wird erfüllt durch die vom Arbeitgeber im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis als Gegenleistung für die Arbeit erbrachten Entgeltzahlungen, soweit diese dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben (BAG PM 24/16 v. 25.05.2016 zu BAG Urt. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 -). Das MiLoG regelt nicht ausdrücklich, welche Entgeltzahlungen des Arbeitgebers auf die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns angerechnet werden können. Zulagen und Zuschläge sind anzurechnen, wenn der Zweck der Leistung des Arbeitgebers dem Zweck des Mindestlohns funktionell gleichwertig ist ( BAG 16.04.2014 – 4 AZR 802/11 – NZA 2014, 1277; ErfK-Franzen, 16.Aufl. 2016, § 1 MiLoG § 1 Rn. 12, Lakies, MiLoG, 2015, § 1 MiLoG Rn. 40). Die Erfüllungswirkung fehlt nur solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (z.B. § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen (BAG PM 24/16 v. 25.05.2016 zu BAG Urt. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 -). In dem zuletzt genannten Urteil vom 25.05.2016 hatte das BAG über die Mindestlohnwirksamkeit von vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen zu befinden (Urlaubs- und Weihnachtsgeld). Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld waren im zu entscheidenden Fall bis zum Jahr 2014 durch jeweils einmalige Zahlungen im Mai bzw. November eines Jahres geleistet worden. Durch eine „Betriebsvereinbarung Inkrafttreten Mindestlohngesetz“ war ab Januar 2015 eine monatliche Zahlung zu jeweils 1/12 geregelt worden. Das BAG hat die Erfüllungswirkung der monatlichen Zahlungen i.S.d. § 1 Abs. 1, Abs. 2 MiLoG bejaht, die nach der Betriebsvereinbarung geleisteten Zahlungen waren mindestlohnwirksam (anzurechnen) (BAG PM 24/16 v. 25.05.2016 zu BAG Urt. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 -; LAG Berlin-Brandenburg 12.01.2016 – 19 Sa 1851/15 – NZA-RR 2016,237).

Die hier strittige Zulage von 119,34 € ist monatlich regelmäßig und endgültig verbleibend an die Klägerin geleistet worden. Die Zulage ist funktionell gleichwertig zu dem von der Beklagten mit dem Stundenlohn von 7,50 € errechneten Arbeitsentgelt (Grundvergütung) und wie dieses funktionell gleichwertig zu dem Zweck des Mindestlohns nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 MiLoG. Wie das Stundenentgelt wird auch die Zulage von 119,34 € allmonatlich in der gleichen Höhe geleistet. Die Höhe hängt nicht davon ab, ob die Klägerin mehr oder weniger Nachtarbeit, Sonntagsarbeit oder Feiertagsarbeit erbringt. Erbringt die Klägerin die vertragliche Arbeitsleistung, erhält sie unabhängig von weiteren Voraussetzungen stets auch 119,34 €. Dieser Betrag ist deshalb mindestlohnwirksam. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte diese Zahlung bei der Berechnung der monatlich auszuzahlenden Mindestlohnzulage als geleistetes Arbeitsentgelt angerechnet hat.

Die Vertragshistorie, welche der Vereinbarung der Zulage von 119,34 € am 02./15.07.2014 zugrunde liegt, ändert an diesem Ergebnis nichts. Zwar ist es richtig, dass die Beklagte der Klägerin die Zulage im Juli 2014 als Ausgleichsbetrag angeboten hat, um eine Schmälerung des Besitzstandes der Klägerin durch die arbeitgeberseits gewünschte Reduzierung der Zuschlagszahlungen zu vermeiden. Da der Anspruch auf die Zulage von 119,34 € mit der neuen Vereinbarung vom 02./15.07.2014 unabhängig davon geworden ist, ob und in welchem Umfang in den einzelnen Monaten Nachtarbeit, Sonntagsarbeit oder Feiertagsarbeit anfallen, ist ein Funktionswandel bewirkt worden, der bei Prüfung der funktionellen Gleichwertigkeit im Anspruchszeitraum zu beachten ist. Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen § 6 Abs. 5 ArbZG. Unstreitig hat die Klägerin auch im Jahr 2015 für tatsächlich angefallene Nachtstunden neben der Grundvergütung und der Zulage von 119,34 € weiterhin gesonderte Zuschläge im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG erhalten.

Im vorliegenden Rechtsstreit ist nicht zu prüfen, ob darüber hinaus die im Juli 2014 vereinbarten Sonn- und Feiertagszuschläge auf den Mindestlohn angerechnet werden könnten, weil sie Arbeitsentgelt für die Normalleistung einer Spielhallenaufsicht im Betrieb der Beklagten darstellen, wie die Beklagte meint. Zwar bringt die Beklagte dieses Argument vor. Sie hat jedoch im Entscheidungszeitraum unstreitig davon abgesehen, Sonn- und Feiertagszuschläge auf den Mindestlohn anzurechnen. Unstreitig hat sie im Anspruchszeitraum zugunsten der Klägerin neben dem Stundenentgelt, der (allgemeinen) monatlichen Zulage von 119,34 € und der monatlich individuell errechneten Mindestlohnzulage zusätzlich noch Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge nach der Vereinbarung vom 02.07./15.07.2014 für die konkret angefallenen Nacht-, Sonn- und Feiertagsstunden berechnet und bezahlt.

Die unterlegene Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG hat die Kammer wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

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