Eigenbedarfskündigung: Veräußerung der Wohnung an Familienangehörigen

Juni 30, 2020

OLG Hamm, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 21. Juli 1992 – 30 REMiet 1/92
Eigenbedarfskündigung: Veräußerung der Wohnung an Familienangehörigen
Gründe
I.
Der Kläger begehrt Räumung einer Wohnung, in der der Beklagte seit 1952 als Mieter lebt. Der Kläger hat die Wohnung am 03.12.1990 von seinem Vater gekauft und ist am 20.03.1991 als Eigentümer eingetragen worden. Der Vater hatte das Gebäude seinerseits 1989 erworben, an den darin befindlichen Wohnungen Wohnungseigentum begründet und die Eigentumswohnungen dann veräußert, zuletzt die umstrittene Wohnung an den Kläger. Vorher hatte er dem Beklagten am 20.07.1990 zum 30.04.1991 gekündigt mit der Begründung, er brauche die Wohnung für seinen Sohn (den Kläger). Auf diese Kündigung stützt der Kläger die Räumungsklage.
Der Beklagte beruft sich auf ein lebenslanges Wohnrecht, das er 1977 mit einem früheren Vermieter vereinbart habe, und bestreitet hilfsweise einen Eigenbedarf des Klägers (und zuvor seines Vaters).
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da der Räumungsanspruch derzeit schon im Hinblick auf die Wartezeit gemäß § 564 b Abs. 2 Nr. 2 S. 2 und 3 BGB keinen Erfolg haben könne. Das Landgericht, bei dem der Kläger Berufung eingelegt hat, neigt ebenfalls zu dieser Ansicht und legt dem Senat die zugrundeliegende Rechtsfrage, der es grundsätzliche Bedeutung beimißt, wie folgt zum Rechtsentscheid vor:
„Wirkt die von dem Verkäufer einer Eigentumswohnung ausgesprochene Kündigung wegen Eigenbedarfs für seinen Sohn fort, wenn dieser die Wohnung selbst erwirbt und für ihn die Kündigungsbeschränkung des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 und 3 BGB gilt?“
II.
Die Vorlage ist gemäß § 541 Abs. 1 ZPO zulässig.
1. Die vorgelegte Frage besteht genau genommen aus zwei Teilen, nämlich
a) ob eine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Angehörigen auch nach Wohnungsveräußerung an den Angehörigen weiterwirkt und
b) ob das gegebenenfalls auch dann gilt, wenn der Angehörige selbst aus Gründen von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 S. 2 bis 4 BGB vorerst nicht kündigen könnte.
Die allgemeinere erste Teilfrage ist unzweifelhaft von grundsätzlicher Bedeutung. Sie spielt sicher nicht nur ganz selten eine Rolle und wird auch in der Literatur gelegentlich behandelt, ohne da eine einhellige, einen Rechtsentscheid erübrigende Meinung schon feststünde. Die zweite Teilfrage ist zwar sehr viel spezieller – zu ihr ist dem Senat nur die Entscheidung des LG Karlsruhe vom 06.04.1990 (WuM 1990, 353) aufgefallen -, betrifft aber doch nicht nur den hiesigen Einzelfall, sondern einen Falltyp, der noch anderweitig vorkommen kann; auch ihr ist deshalb rechtsgrundsätzliche Bedeutung nicht abzusprechen.
2. Die vorgelegte Frage ist entscheidungserheblich: Verneint man sie, ist die Klage ohne weiteres abweisungsreif; bejaht man sie, dann ist – je nachdem, ob man das Beklagtenvorbringen zum Eigenbedarf und zur Wohnrechtsvereinbarung für erheblich hält oder nicht – entweder der Klage ohne weiteres stattzugeben oder Beweis zu erheben.
III.
Die Vorlagefrage ist wie aus dem Entscheidungssatz ersichtlich zu beantworten.
1. a) Die Kündigung eines Vermieters wird nicht dadurch unwirksam, da er die Mietsache veräußert. Der Erwerber tritt vielmehr gemäß § 571 BGB in die durch die Kündigung begründeten Vermieterrechte ein, wird also Inhaber auch des Rückgabeanspruchs nach § 556 Abs. 1 BGB (vgl. u.a. BGHZ 72, 147 (150); LG Frankenthal, WuM 1991, 350 (351); Staudinger-Emmerich (zweite Bearbeitung 1981), § 571 Rdn. 62 c; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 6. Auflage, § 571 Rdn. 17; MünchKomm.-Voelskow, BGB, 2. Auflage, § 571 Rdn. 18; Erman/Schopp, BGB, 8. Auflage, § 571 Rdn. 10; Schmidt- Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 6. Auflage, Rdn. B 53; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, Rdn. II 889; Sternel, Miete, 3. Auflage, Rdn. IV 19; Gather DWW, 1992, 37 (41)) und, in der Zeit bis zum Kündigungstermin, der Anwartschaft darauf (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, a.a.O.).
b) Ausnahmen von diesem Grundsatz macht man bei bestimmten Kündigungsgründen, von denen man annimmt, da sie über den Zeitpunkt der Kündigung hinaus Bestand haben müssen. Als Beispiele gelten die Wohnungskündigungen wegen Eigenbedarfs oder wegen Verwertungsinteresses gemäß § 564 b Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BGB (vgl. LG Frankenthal, WuM 1991, 350 (351); LG Osnabrück, WuM 1990, 81 (82); LG Aachen WuM 1990, 27; Staudinger-Sonnenschein, a.a.O., § 564 b Rdn. 50, MünchKomm. a.a.O., § 571 Rdn. 18; Schmidt-Futterer/Blank, a.a.O., Rdn. B 53; Bub/Treier, a.a.O., Rdn. IV 74; Sternel a.a.O., Rdn. IV 19; Barthelmess, 2. WKSchG/MHG, 4. Auflage, § 564 b Rdn. 53 a; Gather, DWW 1992, 37 (41); anderer Ansicht offenbar Staudinger- Emmerich, a.a.O., § 571 Rdn. 62 c). Der durch sie erzeugte Räumungsanspruch kann nach überwiegender Meinung nicht durchgesetzt werden, wenn der Eigenbedarf oder das Verwertungsinteresse nicht noch bei Ablauf der Kündigungsfrist (evtl. sogar noch danach) bestehen; als Fall des Bedarfs- oder Interessewegfalls gilt dabei gerade auch die Veräußerung der Wohnung (vgl. die unmittelbar vorstehend Zitierten).
Dem ist (mit den Einschränkungen gemäß nachfolgend c)) zuzustimmen. Wenn nämlich der Vermieter kein Erlangungsinteresse dieser Art mehr hat, gebührt dem Bestandsschutz zugunsten des Mieters der Vorzug. Streiten kann man allenfalls noch über die dogmatische Form, in der dieser Bestandsschutz zu verwirklichen ist, d.h. ob man der Kündigung dann einfach die Wirksamkeit abspricht (so z.B. LG Aachen, WuM 1990, 27; Staudinger-Sonnenschein, a.a.O., § 564 b Rdn. 50) oder – nach Ansicht des Senats richtiger – eine Verpflichtung des Vermieters postuliert, das Mietverhältnis trotz der Kündigung auf Wunsch des Mieters fortzusetzen (vgl. dazu vor allem v. Stebut, NJW 1985, 289 ff. m.w.N.).
c) Nicht jede Veräußerung der Wohnung beseitigt allerdings zwangsläufig das Erlangungsinteresse des Vermieters, jedenfalls das wie hier mit Eigenbedarf begründete. Sollten einzelne der zuvor Zitierten insoweit anderer Meinung sein (so z.B. möglicherweise LG Aachen WuM 1990, 27, wo es allerdings um ein Verwertungsinteresse gemäß § 564 b Abs. 2 Nr. 3 BGB ging), wäre ihnen nicht zu folgen.
§ 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB setzt nicht voraus, da der kündigende Vermieter Eigentümer ist, und kann insofern auch nicht voraussetzen, da er Eigentümer bleibt. Fraglich könnte höchstens sein, ob er die Vermieterstellung behalten mu , die er (jedenfalls als Eigentümer-Vermieter) gemäß § 571 BGB mit der Veräußerung ja gleichfalls verliert. Indes geben weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB (und von § 571 BGB) Anla , diese Frage hier grundsätzlich anders zu beantworten, als oben (zu a) bereits geschehen. Zum Schutze des Wohnungsmieters genügt die Forderung, da der kündigende Vermieter weiterhin ein berechtigtes Interesse – hier in Form des Eigenbedarfs – an der Beendigung des Mietverhältnisses haben mu . Die zusätzliche Forderung, da auch die Person des Vermieters dieselbe bleiben müsse, schösse über das Ziel hinaus. Ein Vermieterwechsel soll dem Mieter nicht schaden (§ 571 BGB) aber auch nicht nützen. Insoweit gelten für die Wohnungsmiete keine Besonderheiten.
Nun wird das Vermieterinteresse an der Kündigung sich mit einer Veräußerung zwar in aller Regel tatsächlich erledigen, vor allem beim Kündigungsgrund nach § 564 b Abs. 2 Nr. 3 BGB. Das mu aber nicht stets so sein.
Einem Eigentümer/Vermieter z.B., der wegen Eigenbedarfs gekündigt hat und die Wohnung nun veräußern will oder mu , wird dieser Eigenbedarf auch nach der Veräußerung nicht abzusprechen sein, sofern er sichergestellt hat, da der Erwerber ihm die Nutzung gestatten wird (vgl. Barthelmess, 2. BKSchG/MHG, 4. Auflage, § 564 b Rdn. 53 a). Das Recht, von seinem Eigentum auf solche Weise Gebrauch zu machen, sollte im Rahmen von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB noch immer Vorrang vor dem Schutzinteresse des Mieters haben. Etwaige Zweifel aus dem Grunde, weil der Erwerber selbst keinen Eigenbedarf hätte, scheinen dem Senat bei so einer Sachlage unbegründet.
Vollends verstummen müssen derartige Zweifel aber jedenfalls im hier zu beurteilenden Fall, da der Erwerber nicht nur einen eigenen, sondern einen mit dem – fortbestehenden Veräußererbedarf praktisch deckungsgleichen Eigenbedarf hat. Die unter vorstehend b) geschilderten Beschränkungen, denen Rechtsprechung und Lehre die Kündigungsberechtigung gemäß § 564 b Abs. 2 Nr. 2, 3 BGB unterwerfen, sind letztlich ein Ausfluß des Gedankens von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Bei der hier behandelten Fallgestaltung kann aber keine Rede mehr davon sein, da die Kündigung mit der Veräußerung rechtsmißbräuchlich oder sonst treuwidrig wird (so zutreffend LG Karlsruhe, WuM 1990, 353; vgl. ferner Emmerich/Sonnenschein, Miete, 6. Auflage, § 564 b Rdn. 29).
2. Auch die zusätzliche Besonderheit der vorliegenden Fallgestaltung, da der erwerbende Angehörige selber aus Gründen von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 S. 2 bis 4 BGB eigenen Eigenbedarf erst nach einer Sperrfrist geltend machen könnte, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Auch sie verleiht dem Angriff des Mieters auf die Wirksamkeit der Kündigung noch kein durchschlagendes Gewicht. Bei diesem Angriff kann der Mieter sich, wie gesagt (siehe oben Ziffer 1 c) nur auf das Prinzip von Treu und Glauben stützen. Treu und Glauben gebieten aber auch hier keine Reduzierung des Kündigungsrechts.
Wer Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandelt und verkauft, erzeugt dadurch meist einen bis dahin nicht vorhandenen Eigenbedarf, denn gewöhnlich will der Käufer eigenen Wohnbedarf befriedigen. Sinn des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 S. 2 BGB war es, dem Trend zu solchen – oft in spekulativer Absicht unternommenen – Umwandlungen entgegenzuwirken und dem Mieter gegen die vermehrte Kündigungsgefahr einen gewissen Schutz zu bieten (vgl. etwa Kurtenbach, DB 1971, 2453 (2455)). Auf Fälle der vorliegenden Art ist die Sperrvorschrift demnach gar nicht gemünzt, denn hier ist der Eigenbedarf unabhängig von Umwandlung und Veräußerung entstanden. Auch hier ist folglich kein Grund erkennbar, warum der Mieter von einer Veräußerung profitieren sollte, obwohl er ohne sie auch nicht besser stünde.
Die Meinung von Amts- und Landgericht, mit diesem Ergebnis sei § 564 b Abs. 2 Nr. 2 S. 2, 3 BGB umgangen, trifft nach alledem nicht zu (vgl. anders auch LG Karlsruhe, WuM 1990, 353). Eine Umgehungsgefahr bestünde nur, wenn man in Veräußerungsfällen dem Veräußerer generell das Recht gäbe, wegen Eigenbedarfs des Erwerbers zu kündigen. Ein solches Recht wird zwar gelegentlich angenommen (vgl. etwa Barthelmess, a.a.O.), von der herrschenden Meinung aber zutreffend abgelehnt. In Bezug auf den Kreis von Dritten allerdings, deren Eigenbedarf gemäß § 564 b Abs. 2 Nr. 2 S. 1 BGB auch der Veräußerer geltend machen darf (siehe oben Ziffer 1), kann angesichts seiner begrenzten Größe schon von einer Gefährdung des Gesetzeszwecks nicht gesprochen werden. Auch wegen seiner ausdrücklichen gesetzlichen Privilegierung ist bei diesem Kreis ferner der Vorwurf einer „Umgehung“ des Gesetzes verfehlt. Das gilt jedenfalls im allgemeinen. Sollte es aus besonderen Gründen ausnahmsweise einmal anders sein, wäre das eine Frage des Einzelfalls, über die nicht durch Rechtsentscheid zu befinden ist.

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