OLG Frankfurt, Urteil vom 18. November 2008 – 7 U 149/97

Juli 10, 2020

OLG Frankfurt, Urteil vom 18. November 2008 – 7 U 149/97
Rechtsmittel im Zivilverfahren: Auswirkungen der Prozessunfähigkeit einer Partei auf die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels
Tenor
Das Versäumnisurteil vom 09.10.2006 wird aufrechterhalten.
Die Klägerin hat die weiteren Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des zur Vollstreckung gebrachten Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
Gründe
I.
Die Klägerin hat die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden verfolgt, die sie als Folge der Einnahme des Arzneimittels A der Beklagten behauptet hat. Aufgrund der Einnahme des Arzneimittels habe sie eine Leberschädigung erlitten, die ursächlich für die ständige Reduktion ihrer Leistungsfähigkeit geworden sei.
Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld von mindestens 120.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit sowie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 142.798,89 DM verfolgt. Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages bestritten, dass die Einnahme des von ihr hergestellten Medikamentes A für die Erkrankung der Klägerin ursächlich geworden sei. Aufgrund des Suchtverhaltens der Klägerin in der Form von Alkohol-, Nikotin- und Medikamentenmissbrauchs sowie einer Reihe weiterer Ursachen sei es zu der Gesundheitsschädigung der Klägerin gekommen.
Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil vom 09.01.1997, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 146 ff. d. A. verwiesen wird, die Klage unter Verneinung der Prozessfähigkeit der Klägerin als unzulässig abgewiesen.
Gegen dieses, der Klägerin am 17.06.1997 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 09.07.1997 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11.09.1997 an diesem Tage begründete Berufung, mit der die Klägerin die Abänderung der angefochtenen Entscheidung und Verurteilung der Beklagten mit den zuletzt gestellten Anträgen verfolgt. Die Klägerin meint, das Landgericht hätte bezüglich der Klärung des Vorliegens der Prozessfähigkeit der Klägerin den Parteien weiterhin Gelegenheit geben müssen, die Bedenken gegen das Vorliegen der Prozessunfähigkeit der Klägerin auszuräumen und entsprechend der Ankündigung des Landgerichts ein Sachverständigengutachten von Amts wegen einzuholen, gehabt. Dass das Landgericht nicht in dieser Weise verfahren sei habe zu einer Überraschungsentscheidung geführt, sodass das angefochtene Urteil aufzuheben sei. Dass die Aktivitäten der Klägerin auffällig seien, sei allein darauf zurückzuführen, dass sie aufgrund der Spätfolgen der Einnahme des Medikamentes der Beklagten sowohl höchst krebsgefährdet als auch herzinfarktgefährdet sei, damit ein überragendes eigenes Interesse an dem Ausgang des Verfahrens habe, unter psychischem Druck stehe, der auf ihr laste, was es nicht rechtfertige, hinsichtlich des von ihr geführten Rechtsstreites eine partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen. Im Übrigen wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen zu der Gefährlichkeit des Medikamentes A und hält die Beklagte als Schädigerin für die bei der Klägerin verursachten Gesundheitsschäden für haftbar.
Die Klägerin hat beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
1. an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch in Höhe von 120.000,- DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. an die Beklagte 142.798,89 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 08.08.1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Klägerin habe von der ihr eingeräumten Gelegenheit, die vom Landgericht angesprochenen Bedenken gegen die Prozessfähigkeit der Klägerin auszuräumen, keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr habe sie erklären lassen, dass zu dem richterlichen Hinweis keine Stellungnahme abgegeben werden solle. Das von der Klägerin gezeigte Verhalten gehe bei weitem über alle üblichen Verhaltensweisen von Prozessparteien bei der versuchten Durchsetzung ihrer Ansprüche hinaus. Die von der Klägerin eingereichten Schreiben, die jeweils haltlose Beschuldigungen enthielten, zeigten das Persönlichkeitsbild einer Klägerin, die ob ihrer Verstrickung in realitätsferne Vorstellungen zur Wahl angemessener Mittel bei der Prozessführung außerstande sei. Auch der unaufhörliche Wechsel ihrer Prozessbevollmächtigten wie ihrer Verkehrsanwälte einschließlich ihrer vorgerichtlichen Anwälte präsentiere die konsequente Unfähigkeit, den Rechtsstreit in sinnvoller und vernünftiger Weise zu betreiben.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage auch unbegründet sei.
Der Senat hat ein Gutachten des Sachverständigen SV1 eingeholt, das der Sachverständige auch mündlich erläutert hat (Bl. 931 ff und Bl. 973 f. d. A.).
Die Berufung der Klägerin ist durch Versäumnisurteil vom 09.10.2006 zurückgewiesen worden (Bl. 985 d. A.). Das Versäumnisurteil ist der Klägerin am 19.10.2006 zugestellt worden. Hiergegen hat sie am 02.11.2006 Einspruch einlegen lassen. Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung des Sachverständigen, die dem Versäumnisurteil zugrunde liege, dass bei ihr eine partielle Prozessunfähigkeit gegeben sei.
Die Klägerin beantragt,
das Versäumnisurteil vom 09.10.2006 aufzuheben und nach den Berufungsanträgen zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
den Antrag der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das von dem gerichtlich bestellten Gutachter gewonnene Ergebnis der Annahme einer partiellen Prozessunfähigkeit für überzeugend.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Der zulässige Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom 09.10.2006 hat in der Sache keinen Erfolg. Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einspruchs und der Berufung der Klägerin können nicht daraus hergeleitet werden, dass entsprechend dem unten Ausgeführten von einer partiellen Prozessunfähigkeit auszugehen ist. Das führt für die eingelegte Berufung und den angebrachten Einspruch nicht zu einer Versagung der Prozessfähigkeit. Wendet sich die Partei mit der Berufung dagegen, dass sie von der Vorinstanz zu Unrecht als prozessunfähig angesehen worden ist, sind das Rechtsmittel der Berufung und der Rechtsbehelf des Einspruchs ohne Rücksicht auf die sonst für die Prozessfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen zulässig. Nur so kann in der höheren Instanz geprüft werden, ob die angenommene Prozessunfähigkeit besteht (vgl. BGHZ 86, 186; BGH NJW 1971, 569; BGH NJW 1982, 238; BGH NJW 1986, 1350; BGH NJW 1986, 32111; OLG Düsseldorf FamRZ 1997, 887).
Der Einspruch ist jedoch nicht begründet, weil durchgreifende Zweifel an der Prozessfähigkeit für den von ihr geführten Rechtsstreit bestehen. Das Landgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der etwaige Mangel der Prozessfähigkeit von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen war (vgl. BGH NJW 1983, 996 = BGHZ 86, 184 (185); BGH NJW 1996, 1059 (1060). Dass eine Prozessunfähigkeit einer Partei eine Ausnahmeerscheinung darstellt, schließt es nicht aus, von dem Vorliegen von Zweifeln an der Prozessfähigkeit auszugehen, wenn hierfür genügend Anhaltspunkte vorhanden sind (vgl. BGH NJW 1955, 1714; BGH NJW 1983, 996; BGH NJW 1996, 1059 (1060). Aufgrund der einleuchtenden Feststellungen des Sachverständigen SV1 steht es fest, dass die Klägerin für den von ihr geführten Prozess prozessunfähig ist. Das Gericht folgt der Auffassung, dass die Prozessfähigkeit einer Partei ebenso wie die korrespondierende Geschäftsfähigkeit auf materiellrechtlichem Gebiet für einen beschränkten Kreis von Angelegenheiten, für bestimmte Lebenssachverhalte fehlen kann (vgl. BGH NJW 1959, 1587; BGH NJW 1971, 843; BGH NJW 1983, 997; BGH NJW 2000, 289; BGH NJW 2002, 2107).
Der Sachverständige SV1 hat in nicht zu beanstandender Weise die Feststellung gewonnen, dass bei der Klägerin eine erhebliche Beeinträchtigung ihres Realitätsbezuges im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren zu erkennen ist. Ihre unbegründete und gleichzeitig ihr prozesstaktisches Vorbringen maßgeblich bestimmende Überzeugung, dass die Beklagte ihre Anwälte, Gutachter und den verfahrensführenden Richter bestechen wollte oder bestochen hat, spricht für eine schwere, zumindest partielle Beeinträchtigung ihres Realitätsbezuges. Dieses nicht nur vorübergehend, sondern seit Jahren konstant fortgesetzte Prozessverhalten begründet die Annahme einer zumindest partiellen Prozessunfähigkeit, damit die Abweisung der Klage als unzulässig zu Recht erfolgt ist.
Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen des Gutachters sind nicht ersichtlich. Sie lassen sich zunächst nicht daraus herleiten, dass in früheren Jahren gehörte Sachverständige abweichende Feststellungen zur Geschäfts- und Prozessfähigkeit der Klägerin getroffen haben. Soweit der Privatgutachter SV2 in seinem neurologischen/psychiatrischen Gutachten aus dem Jahre 1999 zusammenfassend festgestellt hat, dass bei der Klägerin auf neurologischem/psychiatrischen Fachgebiet sich keine Hinweise für eine relevante Erkrankung ergeben, fehlen die entscheidenden Aussagen zu einer partiellen Prozessunfähigkeit im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreites. Das Gleiche gilt hinsichtlich der von dem Privatgutachter SV3 und der von der Klägerin angeführten Untersuchungen der Privatgutachter SV4 und SV5. Diese Gutachten beschränken sich auf die Untersuchung der Klägerin hinsichtlich ihrer allgemeinen Geschäfts- und Prozessfähigkeit und treffen keine Aussage zu der allein in Frage stehenden Prozessunfähigkeit partieller Natur, bezogen auf den vorliegenden Rechtsstreit. Hierauf ist in dem Beschluss vom 17.04.2007 auch eingehend hingewiesen worden.
Der gerichtliche bestellte Gutachter hat in seiner mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens auch überzeugend dargelegt, dass allgemeine Feststellungen und Untersuchungen hinsichtlich der Geschäfts- und Prozessfähigkeit der Klägerin, wie sie die angeführten Privatgutachter vorgestellt haben, für die Beurteilung der Frage, ob eine partielle Geschäfts- und Prozessunfähigkeit vorliegt, nichts hergeben. Diese allgemeinen Überlegungen der Privatgutachter, die nach den Untersuchungen auf allgemeine Beeinträchtigungen der Geschäfts- und Prozessfähigkeit gewonnen worden sind, lassen den Bezug zu dem Verhalten der Klägerin in dem vorliegenden Rechtsstreit vermissen und sind deshalb zur Gewinnung von Aussagen über eine partielle Prozessunfähigkeit ungeeignet. Das gilt auch für das von der Ärztin SV6 in dem vormundschaftsgerichtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Pforzheim erstattete Gutachten, das ohne Begründung die eingehend belegten Feststellungen des gerichtlich bestellten Gutachters in Zweifel gezogen hat.
Das Gutachten des Sachverständigen SV1 leidet auch nicht an methodischen Mängeln, die zur fehlenden Verwertbarkeit führen. Da die Klägerin eine Untersuchung durch den Sachverständigen abgelehnt hatte, bot die Auswertung des Akteninhaltes durch den Sachverständigen eine ausreichende Grundlage für die von ihm gewonnenen Feststellungen. Der Sachverständige hat das von ihm gewonnene Ergebnis des Bestehens einer partiellen Prozessunfähigkeit auch verfahrensfehlerfrei und widerspruchsfrei gewonnen. Das von ihm aus den Akten entnommene prozesstaktische Verhalten der Klägerin hat der Gutachter auch unter Berücksichtigung dessen, dass prozesstaktische Fehlgriffe auf Irrtümer von juristischen und medizinischen Laien zurückgeführt werden können, auf einen fehlenden Realitätsbezug zurück geführt. Ihr Verhalten habe gerade zur Folge, dass sie die Widerlegung ihrer Annahme, alle übrigen Verfahrensbeteiligten seien bestochen, nicht widerlegen könne, und damit die von ihr selbst angestrebte Prüfung und Durchsetzung etwaiger Ansprüche vereitele. Dass eine weitergehende diagnostische Klärung der Ursache dieser partiellen Geschäfts- und Prozessunfähigkeit nur bei einer weitergehenden Untersuchung nach den Angaben des gerichtlich bestellten Gutachters möglich wäre, steht der in jedem Falle feststehenden Annahme partieller Geschäfts- und Prozessunfähigkeit der Klägerin nicht entgegen.
Das Versäumnisurteil war danach aufrecht zu erhalten. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 539 Abs. 3, 709 Satz 3 ZPO.

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