Rückwirkung der Aufhebung einer Betreuerentlassung

Juli 12, 2020

OLG Köln, Beschluss vom 09. Januar 1995 – 16 Wx 4/95
Rückwirkung der Aufhebung einer Betreuerentlassung in der Beschwerdeinstanz
vorgehend LG Aachen, kein Datum verfügbar, 3 T 237/93
vorgehend AG Aachen, kein Datum verfügbar, 72 S XVII 42

Tatbestand
Das AG hat durch Beschluß vom 25.1.1993 für die Betroffene Betreuung mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Einwilligung in die medizinische Behandlung, Wohnungs- bzw. Miet- und Ren-tenangelegenheiten angeordnet. Als Betreuerin wurde die Beteiligte zu 3) bestellt. Durch Beschluß vom 24.6.1993 entließ das AG die Beteiligte zu 3) aus ihrem Amt und bestellte statt dessen den Beteiligten zu 2) zum neuen Betreuer. Gegen diese Entlassungsverfügung erhob die Beteiligte zu 3) sofortige Beschwerde zum LG. Zwischenzeitlich war die Betroffene in ein Altenheim gezogen. Da sie Miteigentümerin eines Einfamilienhauses ist, erklärte sich die Stadt A. zur Finanzierung der Unterbringungskosten nur darlehensweise bereit. Zur Sicherung verpfändete der Beteiligte zu 2) mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts den Erbanteil der Betroffenen an dem angesprochenen Grundbesitz. Das LG hat den Beschluß des AG zur Entlassung der Beteiligten zu 3) nach eigenen Ermittlungen mit Beschluß vom 28.11.1994 aufgehoben, diese ab 5.12.1994 mit unverändert bestehenbleibenden Aufgabenkreisen neu bestellt, und den Beteiligten zu 2) ebenfalls ab 5.12.1994 entlassen. Dabei hat das LG ausgeführt, die Wiedereinsetzung der Beteiligten zu 3) sei nicht rückwirkend auf den Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses, sondern nur für die Zukunft anzuordnen. Es dürften insbesondere keine Zweifel an der Wirksamkeit der inzwischen vom Beteiligten zu 2) vorgenommenen Rechtsgeschäfte aufkommen. Die von der Beteiligten zu 3) gegen diese Entscheidung eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist begründet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Beteiligten zu 3) zielt darauf ab, die eigene Entlassung rückwirkend auf den Zeitpunkt der Entlassungsverfügung des AG zu beseitigen und die vom LG ausgesprochene Entlassung des Beteiligten zu 2) ebenfalls auf diesen Stichtag zu beziehen. Die Schriftsätze der Beteiligten zu 3) lassen mehrfach anklingen, in der Begründung zur weiteren Beschwerde vertieft, daß sie die vom Beteiligten zu 2) für die Betreute getroffenen Maßnahmen, insbesondere die Belastung des Miteigentumsanteils beanstandet und außer Kraft setzen will. Dieses Ziel sei nur mit der angesprochenen rückwirkenden Geltung der Beschwerdeentscheidung für beide Beteiligte erreichbar. Zwar ergeben sich aus dieser Einschätzung Bedenken, ob die Beteiligte zu 3) hinsichtlich der angestrebten Entlassung des Beteiligten zu 2) beschwert ist und ein Rechtsschutzbedürfnis für die jetzt gewünschte Änderung besteht. Denn eine zurückwirkende Entlassung des Beteiligten zu 2) kann die Rechtsstellung der Beteiligten zu 3) im Hinblick auf die vom Beteiligten zu 2) in der Vergangenheit vorgenommenen Rechtsgeschäfte nicht verbessern. Die vom Beteiligten zu 2) getroffenen Maßnahmen bleiben wirksam, gleichviel ob er mit Wirkung ex nunc oder ex tunc entlassen wird, § 32 FGG. Die aufgeführten Bedenken wirken sich im Ergebnis jedoch nicht aus. Die Beteiligte zu 3) ist durch die angefochtene Entscheidung schon deshalb, auch wenn sie die bisherigen Maßnahmen des Beteiligten zu 2) als auch ihr ggü. wirksam hinnehmen muß, beschwert, weil ihr für die streitbefangene Zeit durch die landgerichtliche Entscheidung ihre eigenständigen Rechte als Betreuerin, wie etwa der Anspruch auf Vergütungs- und Auslagenersatz, genommen werden.
In der Sache selbst ist die Beschwerde der Beteiligten zu 3) überwiegend begründet. Für die Entscheidung des LG, der die Entlassungsverfügung des AG aufhebenden Beschwerdeentscheidung keine Rückwirkung beizumessen, fehlt bezüglich der Beteiligten zu 3) eine rechtliche Grundlage. Nur für den Beteiligten zu 2) hat das LG zutreffend davon abgesehen, dessen Entlassung aus dem Amt als Betreuer ebenfalls auf die ursprüngliche Entscheidung des AG zurückzubeziehen, in welcher die Beteiligte zu 3) entlassen und der Beteiligte zu 2) bestellt worden war. Die hinsichtlich der Beteiligten zu 3) umfassende Aufhebung der Entscheidung des AG vom 24.6.1993 hat zur Folge, daß diese ohne besondere neue Bestellung ab dem vorgenannten Zeitpunkt wieder Betreuerin mit den ursprünglichen Aufgabenkreisen ist. Für den Beteiligten zu 2) bedeutet die jetzt getroffene Entscheidung, daß er durch den Beschluß des AG vom 24.6.1993 ordnungsgemäß bestellt und mit Bekanntgabe der Entscheidung des LG entlassen wurde.
Die vorliegende Fallgestaltung zeigt Probleme des Übergangs beim Betreuerwechsel. Zunächst scheinen die Konsequenzen nach der Entlassung eines Betreuers vollständig geregelt. Mit Bekanntgabe der Entlassungsverfügungerlöschen alle mit der Amtsführung zusammenhängenden Rechte und Pflichten; der Betreuer ist nicht mehr vertretungsbefugt, er hat das verwaltete Vermögen herauszugeben, Rechenschaft abzulegen und dem Vormundschaftsgericht die Bestallungsurkunde zurückzugeben, § 1908 i I 1 i.V.m. §§ 1890, 1893 BGB; das Vormundschaftsgericht muß nach § 1908 c BGB schnellstmöglich einen neuen Betreuer bestellen, eventuell durch einstweilige Anordnung, § 69 i VII FGG. Nicht geregelt wurde indessen die hier zu entscheidende Frage, ob die Korrektur einer Entlassungsverfügung durch das Rechtsmittelgericht Rückwirkung entfaltet oder erst ab Wirksamkeit der Rechtsmittelentscheidung gilt. Im Ergebnis muß von Rückwirkung ausgegangen werden. Eine rechtliche Grundlage für die zuletzt genannte Alternative fehlt. Im sonst ausführlichen Verfahrensrecht des Betreuungsgesetzes ist die Problematik einer möglichen Rückwirkung bei Aufhebung einer Entlassungsverfügung nicht angesprochen. Die Entlassung findet nur gelegentlich Erwähnung, ohne dabei den Punkt einer möglichen Rückwirkung bei Aufhebung der Entlassung im Rechtsmittelzug zu berühren, §§ 69 i VII, 69 f III FGG. Damit kann dieses Problem nur durch Rückgriff auf allgemeines Verfahrensrecht entschieden werden. Dies führt zu dem Grundsatz, daß die Wirkungen einer rechtsgestaltenden Verfügung, die mit der sofortigen Beschwerde angreifbar ist, mit Rückwirkung entfallen, wenn die Entscheidung im Rechtsmittelwege aufgehoben wird (vgl. BayObLG NJW 1959, 1920). Das muß auch hier gelten. Wenn der Gesetzgeber hinsichtlich der Betreuerentlassung keine Rückwirkung gewollt hätte, dürfte er als statthaftes Rechtsmittel des entlassenen Betreuers einfache Beschwerde an Stelle der vorgesehenen sofortigen Beschwerde, § 69 g IV Nr. 3 FGG, gewählt haben. Nur bei einfacher Beschwerde ist eine Rückwirkung der Rechtsmittelentscheidung ausgeschlossen. Denn wirksam gewordene Verfügungen noch nach geraumer Zeit anfechten und dann mit Rückwirkung wieder beseitigen zu können, wäre mit Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren. An diesem Punkt sei zur Klarstellung angemerkt, daß nur die Entlassungsverfügung hinsichtlich des ursprünglichen Betreuers, nicht auch die darin gleichzeitig vorgenommene Bestellung eines neuen Betreuers rückwirkend beseitigt wird. Für einen auch solchermaßen zurückreichenden Ausspruch fehlt im Betreuungsgesetz ebenfalls jede Grundlage. Eine rechtliche Basis für eine derartige Entscheidung kann auch nicht aus dem jetzt herangezogenen allgemeinen Verfahrensrecht gewonnen werden. Es wird nicht verkannt, daß mit diesem Ergebnis bezogen auf die Vergangenheit ein Nebeneinander von Betreuern geschaffen wird. Das ist, wie schon § 1899 BGB dokumentiert, weder systemfremd noch sonst unzulässig. Dies gilt um so mehr, als nach §§ 1908 i BGB die Vorschriften zur Vormundschaft sinngemäß angewendet werden können, also auch die dortigen Regelungen zur Beendigung der Vormundschaft. Für diesen Bereich entspricht es h.M. (vgl. KG NJW 1971, 53), daß eine Entlassung des ursprünglichen Vormundes nach Aufhebung in der Beschwerde rückwirkend wegfällt. Der mit der Entlassungsverfügung bestellte neue Vormund ist mit der Aufhebung der Entlassung durch das Rechtsmittelgericht lediglich seinerseits zu entlassen. Eine Neubestellung des alten Vormundes ist nicht erforderlich. Bis zur Entlassung des neuen Vormundes besteht Doppelvertretungsrecht (vgl. KG a.a.O.). Der Senat schließt sich diesen Erwägungen an und überträgt sie auf die hier streitbefangene Situation.
Dann muß die ursprüngliche Bestellung der Beteiligten zu 3) als Betreuerin der Betroffenen wiederhergestellt werden, weil die ihre Entlassung aufhebende und insoweit mit der weiteren Beschwerde auch nicht angefochtene Beschwerdeentscheidung des LG zurückwirkt. Dies geschieht, indem die entgegenstehende Entlassungsverfügung und die nur eingeschränkte Aufhebung dieses Beschlusses durch das LG mit dem ausgesprochenen Inhalt abgeändert werden. Die Beteiligte zu 3) muß so gestellt werden, als wäre sie nie entlassen gewesen. Die von der Beteiligten zu 3) gewünschte rückwirkende Aufhebung der Bestellung des Beteiligten zu 2) ist nicht möglich. Vielmehr wird dieser nach dem Gesagten lediglich mit sofortiger Wirkung entlassen. Anzumerken bleibt, daß die Beteiligte zu 3) hinsichtlich der zwischenzeitlich vom Beteiligten zu 2) getroffenen Maßnahmen mit dieser Entscheidung nicht rechtlos gestellt wird. Es wäre ihr unbenommen gewesen, beim Beschwerdegericht einen vorzeitigen Betreuerwechsel durch einstweilige Anordnung zu beantragen, § 69 f FGG. Wenn dies unterblieb, können die Folgen davon nicht durch die Konstruktion rechtlich nicht tragfähiger Rückwirkungen im Zusammenhang mit der Endentscheidung des Beschwerdegerichts wieder aus der Welt geschaffen werden.

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