VG Greifswald, Urteil vom 25.07.2019 – 3 A 415/17 HGW

Juli 14, 2020

VG Greifswald, Urteil vom 25.07.2019 – 3 A 415/17 HGW

1.Die Benennung eines anschlussbeitragspflichtigen Grundstücks nach seiner katasteramtlichen Bezeichnung führt grundsätzlich dazu, dass der Beitragsbescheid nicht hinreichend bestimmt ist, wenn an dem Grundstück Wohnungseigentum bzw. Teileigentum i.S.d. Wohnungseigentumsgesetz (WEG) begründet worden ist.

2.Etwas anderes gilt aber, wenn eine zweifelsfreie Bestimmung der der Beitragspflicht unterliegenden Wohnung anhand des im Beitragsbescheid angegebenen Miteigentumsanteils möglich ist.

3.Der Umstand, dass der Erwerber eines Baugrundstücks in einem Erschließungsgebiet auch die sog. Kosten der „inneren Erschließung“ trägt, befreit ihn nicht von Anschlussbeitragspflicht für die Gesamtanlage („äußere Erschließung“).
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung von Anschlussbeiträgen.

Sie ist Wohnungs- und Teileigentümerin des mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks G1in Z. in einer Größe von 3.739 m². Ihr gehören vier Wohnungen. Der Eigentumserwerb der letzten Wohnung erfolgte im Jahre 2007. Das Grundstück ist an die von der Gemeinde Ostseeheilbad Zingst betriebene Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen.

Voreigentümer des Grundstücks war die F.-GmbH, die als Erschließungsträgerin fungierte. Diese war mit bestandskräftigem Bescheid vom 10. August 1999 vom Beklagten zu einem Anschlussbeitrag i.H.v. 26.131,35 DM herangezogen worden. Zahlungen der F.-GmbH erfolgten jedoch nicht. Mit Beschluss des Amtsgerichts Neumünster vom 14. August 2014 wurde das gegen die F.-GmbH eröffnete Insolvenzverfahren eingestellt. Auch im Rahmen des Insolvenzverfahrens konnte die vom Beklagten zur Tabelle angemeldete Beitragsforderung nicht realisiert werden, was von der Klägerin bestritten wird. Am 20. März 2015 wurde die F.-GmbH im Handelsregister von Amts wegen gelöscht.

Mit Bescheiden vom 16. September 2015 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin entsprechend ihren Miteigentumsanteilen Anschlussbeiträge i.H.v. 1.253,37 EUR (584/10.000), 1.334,93 EUR (622/10.000), 1.397,17 EUR (651/10.000) bzw. 1.474,43 EUR (687/10.000) – zusammen: 5.459,90 EUR – fest. Die dagegen gerichteten Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2016 – zugestellt am 23. Januar 2017 – zurück.

Am 23. Februar 2017 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Sie ist der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die Regelung über das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht in § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V enthalte, soweit sie auf das erstmalige Inkrafttreten einer wirksamen Satzung abstelle, eine unzulässige Rückwirkung bzw. verletze das schutzwürdige Vertrauen der Klägerin, wegen Festsetzungsverjährung nicht zu Anschlussbeiträgen herangezogen zu werden. Denn die zuvor geltende Entstehungsregel des § 8 Abs. 2 KAG 1993 habe das Wirksamkeitserfordernis nicht enthalten, sondern lediglich auf das erstmalige Inkrafttreten der Satzung abgestellt. Auch die im Jahre 2016 in das Kommunalabgabengesetz aufgenommene anspruchsunabhängige Höchstfrist für die Beitragserhebung sei ebenfalls verfassungswidrig. Die darin normierte Frist von maximal 30 Jahren sei unverhältnismäßig lang.

Auch die Rechtsanwendung durch den Beklagten sei fehlerhaft. Wegen der bereits erfolgten Heranziehung der F.-GmbH liege in dem Erlass der vorliegend streitgegenständlichen Bescheide eine unzulässige doppelte Inanspruchnahme. Gehe man davon aus, dass der zunächst rechtswidrige Bescheid mit dem Inkrafttreten der 3. Änderungssatzung vom 6. Februar 2015 nachträglich geheilt worden sei, sei auch die persönliche Beitragspflicht der F.-GmbH entstanden.

Auf diesen Bescheid entfallende Zahlungen seien der Klägerin gutzuschreiben. Zudem habe die Klägerin die vorliegend streitigen Erschließungskosten im Rahmen des an die F.-GmbH gezahlten Kaufpreises bereits entrichtet.

Ungeachtet dessen sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Zudem habe der Beklagte sein Recht zur Beitragserhebung infolge des langen Zeitablaufs verwirkt.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 16. September 2015 A, B, C und D in der Gestalt seiner Widerspruchsbescheide vom 5. Oktober 2016 aufzuheben.

Der Beklagte verteidigt die angegriffenen Bescheide und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 2. April 2019 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.
Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Beitragsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Ostseeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 10. April 2003 i.d.F. der 3. Änderung vom 6. Februar 2015.

1. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen nicht. Die im Einklang mit § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V normierte Regelung über das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht in § 6 Abs. 1 ABS begegnet keinen Bedenken. Insbesondere liegt in der im Rahmen der KAG-Novelle 2005 in das Gesetz eingefügte Regelung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V, wonach die sachliche Beitragspflicht entsteht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung, keine unzulässige Rückwirkung. Denn die Rechts- und Rechtsprechungslage in Brandenburg, auf die die Klägerin Bezug nimmt, ist mit derjenigen in Mecklenburg-Vorpommern nicht vergleichbar. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in Mecklenburg-Vorpommern ist von Beginn an davon ausgegangen, dass die Entstehung der Beitragspflicht sowohl im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V als auch im Sinne von § 8 KAG 1993 das Inkrafttreten einer wirksamen Satzung voraussetzt, (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 95 f.). Damit liegt in dem Abstellen auf das Inkrafttreten der ersten „wirksamen“ Satzung lediglich eine Klarstellung der bestehenden Rechtslage. Eine Rückwirkung, wie sie das Bundesverfassungsgericht für die Anschlussbeitragserhebung in Brandenburg angenommen hat, ist deshalb ausgeschlossen.

2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

a). Zunächst bestehen in formeller Hinsicht keine durchgreifenden Bedenken. Insbesondere sind die Bescheid noch hinreichend bestimmt. Baumaßnahme, Schuldner und Grundstück werden in dem Bescheid hinreichend deutlich benannt. Die Benennung des beitragspflichtigen Grundstücks – hier nach der katasteramtlichen Bezeichnung – ist grundsätzlich jedoch nicht ausreichend, wenn an dem Grundstück – wie hier – Wohnungseigentum bzw. Teileigentum i.S.d. § 1 Abs. 2, 3 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) begründet worden ist Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Auch wenn der einzelne Wohnungs- bzw. Teileigentümer Miteigentümer des Grundstücks und damit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V beitragspflichtig ist, scheidet eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Wohnungs- und Teileigentümer nach § 7 Abs. 2 Satz 5 erste Var. KAG M-V aus, denn nach der zweiten Variante der Vorschrift sind die einzelnen Wohnungs- und Teileigentümer nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil beitragspflichtig. Haftungsgrundlage ist damit nicht das Eigentum an dem Grundstück, sondern das Wohnungs- bzw. Teileigentum an einer Wohnung bzw. einem nicht zu Wohnzwecken dienenden Raum. Demgemäß ruht der Beitrag gemäß § 7 Abs. 6 vierte Var. KAG M-V als öffentliche Last auf dem Wohnungs- oder Teileigentum.

Die öffentliche Last ist ein Grundpfandrecht. Sie bewirkt eine dingliche Haftung des jeweiligen Grundstückseigentümers mit der Konsequenz, dass er wegen der Beitragsforderung die Zwangsvollstreckung dulden muss (§ 191 Abs. 1 Satz 1 zweite Var. Abgabenordnung – AO). Dies aber erfordert, dass der Umfang der auf dem jeweiligen Wohnungs- oder Teileigentum ruhenden öffentlichen Last aus dem Bescheid heraus bestimmt werden kann. Hieran fehlt es, wenn das betreffende Wohnungseigentum nicht zweifelsfrei – etwa durch seine Bezeichnung im Wohnungsgrundbuch – ausgewiesen ist. Als Folge davon scheidet ein solcher Bescheid in der Regel als Grundlage für den Erlass eines Duldungsbescheides aus (zum Ganzen: VG Greifswald, Urt. v. 28.08.2012 – 3 A 94/19 –, juris Rn. 17 f).

Vorliegend ist eine zweifelsfreie Bestimmung der Haftungsgrundlage für den Beitragsbescheid aber dennoch möglich. Zwar wird die betreffende Wohnung nicht mit ihrer grundbuchlichen Bezeichnung benannt. Es kann aber eine anderweitige Zuordnung nach dem auf die Wohnung entfallenden und in dem jeweiligen Bescheid angegebenen Miteigentumsanteil erfolgten, der für jede Wohnung unterschiedlich ist. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von dem, der dem o.g. Urteil zugrunde lag. Anhand des Teilungsplans kann die betreffende Wohnung mit den Angaben des Bescheides exakt ermittelt werden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass es in der 90 Wohnungseinheiten umfassenden Anlage weitere Wohnungen mit den dargestellten Miteigentumsanteilen gibt, denn diese Wohnungen stehen nicht im Eigentum der Klägerin, so dass keine Verwechselungsgefahr besteht. In der mündlichen Verhandlung haben ihre Vertreter angegeben, dass die Klägerin in der Anlage nur die vorliegend in Rede stehenden vier Wohnungen besitzt.

b) In materiell-rechtlicher Hinsicht ist zunächst festzustellen, dass die sachliche Beitragspflicht – und auf ihrer Grundlage – mit der Heranziehung der Klägerin auch deren persönliche Beitragspflicht entstanden. Das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht richtet sich nach § 9 Abs. 3 Satz 1 Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung (st. Rspr. bereits zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993: vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 03.03.2005 – 1 L 56/04 – S. 4 ff. des Entscheidungsumdrucks). Dies ist – wie noch zu zeigen sein wird – jedenfalls die Abwasserbeitragssatzung i.d.F. der 3. Änderung vom 6. Februar 2015. Auch die übrigen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht liegen vor, so dass mit ihrer Heranziehung die persönliche Beitragspflicht der Klägerin begründet worden ist (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V). Das Grundstück unterliegt als B-Plan-Grundstück der sachlichen Beitragspflicht; da das Grundstück an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen ist existiert auch ein Grundstücksanschluss.

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist nicht bereits mit dem Mitte der 1990er Jahre erfolgten Anschluss des Grundstücks an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit dem Inkrafttreten der 3. Änderungssatzung entstanden.

Eine Festsetzungsverjährung wäre nur dann in Bezug auf den gesamten Beitragsanspruch eingetreten, wenn bereits die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 in ihrer Ursprungsfassung oder in der Fassung der ersten Änderung vom 25. April 2008 wirksam gewesen wäre. Dies trifft jedoch nicht zu. Die Satzung weist in beiden Fassungen eine unwirksame Maßstabsregelung auf und enthält damit nicht den von § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V geforderten Mindestinhalt. Als Folge davon sind sie unwirksam. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die Vorteilsverteilung erfolgt sowohl in der Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 als auch in der Fassung der 1. Änderung vom 25. April 2008 nach dem prinzipiell nicht zu beanstandenden Vollgeschossmaßstab. Allerdings ist seine satzungsrechtliche Ausformung in Bezug auf die Flächenermittlung fehlerhaft. Nach § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 1 ABS 2003/2008 gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die kein B-Plan besteht, und die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§ 34 BauGB), die Gesamtfläche des Grundstücks, höchstens jedoch die Fläche zwischen der Straßengrenze der dem Innenbereich zugewandten Straße und einer im Abstand von siebzig Metern dazu verlaufenden Parallelen.

Die metrische Festlegung der Tiefenbegrenzungslinie beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe (einschließlich der Tiefe der sog. bauakzessorischen Nutzung) im Gemeindegebiet. Nach der im Rahmen des Erlasses der 2. Änderungssatzung vom 16. September 2013 erfolgten Untersuchung der Bebauungstiefe im Gemeindegebiet, deren Ergebnisse in der „Herleitung der Tiefenbegrenzung aus der tatsächlichen Nutzungsgrenze“ vom 19. August 2013 zusammengefasst sind, spiegelt eine Tiefenbegrenzung von 70 m die Tiefe der ortsüblichen baulichen Nutzung nicht ansatzweise wider und führt damit zu vorteilswidrigen Ergebnissen bei der Beitragsberechnung. Danach weisen lediglich 28 von insgesamt 285 untersuchten Grundstücken eine bauliche bzw. bauakzessorischen Nutzung von mehr als 60 m auf (eine Nutzungstiefe von 70 m ist nicht gesondert ausgewiesen). Damit beträgt bereits der Anteil der Grundstücke, deren bauliche bzw. bauakzessorische Nutzung eine Tiefe von mehr als 60 m erreicht, weniger als 10 v.H. der untersuchten Grundstücke. Es ist davon auszugehen, dass der Anteil der Grundstücke, deren bauliche bzw. bauakzessorische Nutzung eine Tiefe von 70 m erreicht, noch geringer ist. Da der Anteil der Grundstücke, deren bauliche bzw. bauakzessorische Nutzung eine Tiefe von 60 m überschreitet, so gering ist, dass diese Grundstücke bei einer wertenden Betrachtung als nicht prägende „Ausreißer“ eliminiert werden könnten, ist es denklogisch ausgeschlossen, sie als repräsentativ für die Bebauungsstruktur im Gebiet der Gemeinde Ostseeheilbad Zingst anzusehen.

d) Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris).

e) In dem Erlass des vorliegend streitgegenständlichen Beitragsbescheides liegt trotz der Existenz des bestandskräftigen Beitragsbescheides vom 10. August 1999 keine unzulässige Doppelerhebung. Zwar ist dieser Bescheid vom Beklagten bisher nicht aufgehoben worden. Allerdings ist er mit dem Abschluss des über das Vermögen der F.-GmbH eröffneten Insolvenzverfahrens gegenstandslos geworden, weil die Adressatin des Bescheides mit dem Abschluss des Insolvenzverfahrens ersatzlos weggefallen ist. Wie in dem Verfahren 3 A 1186/15 HGW (vgl. das Urt. v. 31.05.2018, juris) gerichtsbekannt wurde, ist die Löschung im Handelsregister nach § 394 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ist am 20. März 2015 erfolgt. Eine unzulässige Mehrfachvollstreckung derselben Beitragsforderung ist damit nicht möglich.

Soweit die Klägerin bezweifelt, dass der Beklagte die Forderung im Insolvenzverfahren auch nicht teilweise realisieren konnte, ist dieser Vortrag unsubstanziiert und vermag deshalb keine weiteren gerichtlichen Nachforschungen auszulösen. Der Beklagte hat von vornherein mit „offenen Karten gespielt“ und der Klägerin die Problematik um die Heranziehung der F.-GmbH bereits im Zusammenhang mit der Beitragserhebung mitgeteilt. Auf Nachfrage der Klägerin hat er auch die Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle vorgelegt. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der zuletzt in der mündlichen Verhandlung bekräftigten Darstellung, dass der Beklagte keine Zahlungen aus der Insolvenzmasse erhalten habe.

Weil der F.-GmbH rechtsnachfolgerfrei erloschen ist, ist es entgegen der Auffassung der Klägerin völlig unerheblich, ob die persönliche Beitragspflicht der F.-GmbH mit dem Inkrafttreten der 3. Änderungssatzung vom 6. Februar 2015 entstanden ist. Zur Vermeidung von Missverständnissen sei jedoch darauf hingewiesen, dass dies nicht der Fall ist. Zwar kann das Inkrafttreten einer wirksamen Anschlussbeitragssatzung dazu führen, dass ein unter Geltung einer unwirksamen Anschlussbeitragssatzung ergangener und damit fehlerhafter Beitragsbescheid geheilt wird. Denn eine bestimmte zeitliche Reihenfolge besteht für das Vorliegen der Merkmale des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V nicht. Anders als im Straßenbaubeitragsrecht, aber ebenso wie im Erschließungsbeitragsrecht reicht es im Anschlussbeitragsrecht aus, wenn die (wirksame) Satzung der Vorteilslage nachfolgt. Entsteht die sachliche Beitragspflicht erst nach Bekanntgabe des Beitragsbescheides, so entsteht mit ihr auch die persönliche Beitragspflicht, weil die Bekanntgabe bis zur Aufhebung des Beitragsbescheides fortwirkt (Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 05/08, § 7 Anm. 12.7).

Der Eintritt dieser Heilungsfolge erfordert aber, dass zu diesem Zeitpunkt alle sonstigen Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht erfüllt sind und insbesondere der in Anspruch Genommene dann noch Eigentümer des Grundstücks oder dinglich Berechtigter ist (vgl. für den Erschließungsbeitrag: BVerwG, Urt. v. 27.09.1983 – 8 C 145.82 –, DVBl. 1983, 135 <136>; VGH Kassel, Urt. v. 27.11.1991 – 5 UE 80/89 –, GemHH 1993, 115 <116>). Nur dann wird der Beitragsbescheid mit Wirkung „ex-nunc“ geheilt (VGH Kassel, a.a.O.). Dies trifft auf die F.-GmbH aber nicht zu, denn sie hatte die Wohnungen in dem Zeitraum bis 2007 an die Klägerin bzw. ihren Rechtsvorgänger und damit vor dem mit dem Inkrafttreten der 3. Änderungssatzung bewirkten Entstehen der sachlichen Beitragspflicht an die Klägerin bzw. ihren Rechtsvorgänger veräußert.

f) Auch soweit die Klägerin meint, ihre Heranziehung sei fehlerhaft, weil die Erschließungskosten in dem an die F.-GmbH gezahlten Kaufpreis enthalten waren, und sie daher doppelt zahle, kann dem nicht gefolgt werden. Richtig ist zwar, dass der Gemeinde in Ansehung der im Erschließungsgebiet gelegenen Anlagenteile (sog. „innere Erschließung“) kein beitragsfähiger Aufwand entstanden ist. Dies führt jedoch nur dazu, dass insoweit auf der Kostenseite der Beitragskalkulation kein Aufwand berücksichtigt werden kann und darf. Auf der Flächenseite der Beitragskalkulation sind jedoch auch die im Erschließungsgebiet gelegenen Grundstücke zu berücksichtigten. Deren Eigentümer und mit ihnen auch die Klägerin sind in gleicher Weise auf die Benutzung außerhalb des Erschließungsgebiets gelegenen Teile der Abwasserbeseitigungsanlage („äußere Erschließung“, wie z.B. Klärwerk und Hauptsammelleitungen) angewiesen, wie die Eigentümer von nicht in Erschließungsgebieten gelegenen Grundstücken. Sie gehören daher zu jenen, denen die Anlage Vorteile im Sinne von § 7 Abs. 1 KAG M-V gewährt, und sind wie diese zu Beiträgen heranzuziehen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 23.10.1998 – 1 M 22/98 -, juris Rn. 10 f.; Beschl. v. 20.10.1998 – 1 M 17/98 –, juris Rn. 24; Beschl. v. 14.05.2001 – 1 L 23/00 –, juris Rn. 11). Die Leistungen der Eigentümer der Grundstücke im Erschließungsgebiet für die dort errichteten Erschließungsanlagen und Teile von Erschließungsanlagen, insbesondere für die dort verlegten Abwasserkanäle, befreien diese nicht von der Anschlussbeitragspflicht für die Gesamtanlage (VG Greifswald, Urt. v. 26.97.2018 – 3 A 556/17 –, n.v.).

Man mag dieses Ergebnis für unbefriedigend halten, da es zu einer stärkeren Belastung der Eigentümer von Grundstücken in Erschließungsgebieten gegenüber denen im übrigen Gemeinde- bzw. Verbandsgebiet führt. Während alle Grundstückseigentümer zu den Kosten der Gesamtanlage außerhalb des Erschließungsgebietes – entsprechend der ihnen gewährten Vorteile – gleichmäßig herangezogen werden, trägt das Erschließungsgebiet die Aufwendungen für das Kanalnetz innerhalb des Gebietes zusätzlich und ohne Beteiligung anderer. Dem ist aber entgegen zu halten, dass diese Mehrkosten der Preis für die im Verhältnis zu einer Erschließung durch den kommunalen Aufgabenträger in Eigenregie früher eingetretenen Baureife des Grundstücks sind (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 08.03.2018 – 3 A 969/17 HGW –, S. 8 des Entscheidungsumdrucks, n.v.). Denn Erschließungsverträge werden in der Regel nur dann geschlossen, wenn eine Erschließung in Eigenregie nach der Finanzplanung des Aufgabenträgers zeitnah nicht vorgesehen ist. Es ist auch keineswegs so, dass die Mehrbelastung der Grundstücke im Erschließungsgebiet unvermeidbar war. Eine Vertragsgestaltung, wonach der Abwasserzweckverband das Kanalnetz nach dessen Herstellung durch den Erschließungsunternehmer entgeltlich mit der Folge erwirbt, diese Gegenleistung in seine Beitragskalkulation einstellen zu können, wäre rechtlich möglich gewesen. Bei einer solchen Vertragsgestaltung wäre eine Berücksichtigung der Herstellungskosten der im Erschließungsgebiet gelegenen Anlagenteile im Kaufpreis und damit die vom Kläger beanstandete Mehrbelastung unterblieben. Auch kann die Anschlussbeitragspflicht der Grundstückseigentümer im Vertragsgebiet nach § 7 Abs. 5 KAG M-V in einer Weise abgelöst werden, die die Eigenleistungen angemessen berücksichtigt (vgl. VG Greifswald, Beschl. v. 10.11.1998 – 3 B 992/98 –, juris Rn. 26). Damit haben der Erschließungsträger und ihm nachfolgend die einzelnen Grundstückseigentümer bei ihren vertraglichen Vereinbarungen in Kauf genommen, diese Mehrkosten zu übernehmen. Die Frage, ob dies für sie wirtschaftlich von Interesse war, unterlag allein ihrer Disposition (zu sog. Fremdanliegern: BVerwG, Urt. v. 27.06.1997 – 8 C 23.96 –, juris Rn. 23 = NJW 1997, 3257).

g) Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinde Ostseeheilbad Zingst ihr Recht zur Beitragserhebung verwirkt haben könnte, bestehen ebenfalls nicht. Zwar ist davon auszugehen, dass zwischen dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks an die Schmutzwasseranlage und der damit gegebenen Möglichkeit der Beitragserhebung im Jahre 1995 und seiner Heranziehung im Jahre 2015 ein verhältnismäßig langer Zeitraum liegt. Dies allein reicht für die Annahme einer Verwirkung jedoch nicht aus. Denn neben dem Zeitablauf muss hinkommen, dass der Kläger in Folge eines bestimmten Verhaltens des Beklagten darauf vertrauen durfte nicht (mehr) zu einem Anschlussbeitrag herangezogen zu werden (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 02.05.2005 – 1 L 105/05 –, juris Rn 81). Hierzu fehlt ein Vortrag der Klägerin. Sie stellt allein auf den Zeitablauf ab.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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