Vertragserfüllungsbürgschaft

Juli 17, 2020

OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 1997 – 22 U 69/97
Rückforderung der Bürgschaftssumme wegen Inanspruchnahme nach Beendigung der Verpflichtung aus einer Vertragserfüllungsbürgschaft

Gründe

… Die Klägerin verlangt von der Beklagten zu Recht die Erstattung des an die S.-Bank geleisteten Betrages von 619.620,72 DM, nachdem die Beklagte die S.-Bank in dieser Höhe aus der Bürgschaft vom 30.9.1993 in Anspruch genommen hat.
Allerdings erscheint zweifelhaft, ob der Anspruch sich, wie das Landgericht angenommen hat, aus dem Bereicherungsrecht ergibt. Zwar steht einer bürgenden Bank, die vereinbarungsgemäß „auf erstes Anfordern” an den Gläubiger geleistet hat, gegen diesen ein Erstattungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sofern die Inanspruchnahme zu Unrecht erfolgte. Vorliegend verlangt aber nicht die S.-Bank als Bürgin, sondern die Klägerin als Hauptschuldnerin die Rückzahlung der Bürgschaftssumme. Indes kann hier offen bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen der Hauptschuldner nach durchgeführtem Bürgenrückgriff einen eigenen Bereicherungsanspruch gegen den Gläubiger hat (allgemein bejahend: OLG Düsseldorf BauR 1978, 228; zustimmend Heiermann in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, 8. Aufl., B § 17.4, Rdn. 29; vgl. hierzu auch BGH NJW 1984, 2456 ff und MünchKomm-Pecher, BGB, 2. Aufl., § 765, Rdn. 43 a.E.). Denn die Klägerin kann, sofern die Beklagte die Bürgschaftssumme zu Unrecht forderte, zumindest auch aus positiver Vertragsverletzung der Sicherungsabrede von der Beklagten Ersatz verlangen (vgl. hierzu OLG Düsseldorf WM 1996, 1856 = BB 1996, 1957 = OLGR Düsseldorf 1996, 249) und/oder, falls das Recht der Beklagten zur Inanspruchnahme der Bürgschaft nachträglich wegfiel, aus der Sicherungsabrede selbst.
Allerdings umfaßte die Bürgschaft der S.-Bank vom 30.9.1993 entgegen der Ansicht des Landgerichts grundsätzlich auch Mängelansprüche. Dies ergibt eine Auslegung der in der Bürgschaftsurkunde niedergelegten Erklärungen (§§ 133, 157 BGB), wobei, da es hier um das Schuldverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten geht, auch deren Vertragserklärungen heranzuziehen sind. Gemäß Nr. 2 der Bürgschaftsurkunde vom 30.9.1993 sollte die S.-Bank die Bürgschaft „für die Ausführung der dem Auftragnehmer übertragenen Lieferungen/Leistungen” übernehmen. Danach läßt sich die Bürgschaft vom 30.9.1993 als sogenannte Ausführungsbürgschaft und damit gleichbedeutend als Vertragserfüllungsbürgschaft begreifen (vgl. BGH BauR 1988, 220, 222; Locher, Das private Baurecht, 6. Aufl., Rdn. 429 b). Durch eine Vertragserfüllungsbürgschaft werden aber nicht nur die Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit der Werkleistung, sondern auch etwaige Mängelrechte des Auftraggebers gesichert (vgl. BGH WM 1977, 290; Inge Jagenburg in Ganten/Jagenburg/Motzke, VOB Teil B, § 17 Nr. 2, Rdn. 9; Palandt-Thomas, BGB, 56. Aufl., Einf. vor § 765, Rdn. 14; Graf Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdn. 81). Das vom Landgericht angeführte Argument, daß die Beklagte dann zur Sicherung von Mängelrechten auf 40 % des vereinbarten Werklohnes zurückgreifen könnte und dies der vertraglichen Vereinbarung eines lediglich 10 %-igen Sicherungseinbehaltes widerspreche, steht nicht durchgreifend entgegen. Daß auch etwaige Mängelrechte der Beklagten gesichert werden sollten, ergibt nämlich nicht nur der umfassende Wortlaut der Bürgschaftserklärung, sondern auch der Umstand, daß die S.-Bank auf Wunsch der Beklagten und nach Abstimmung mit der Klägerin die Klausel
„… Diese Bürgschaft umfaßt nicht Ansprüche auf fristgerechte Erfüllung der dem Auftragnehmer obliegenden Mängelgewährleistung …”
mit Schreiben vom 30.9.1993 aus der Bürgschaft gestrichen hat.
Indes war die Inanspruchnahme der Bürgschaft – gleich aus welchem Rechtsgrund – nur bis zur Abnahme der Anlage durch die Beklagte möglich. Zwar kann eine Ausführungsbürgschaft auch nach der Abnahme der Werkleistung Gewährleistungsansprüche sichern (vgl. OLG Hamburg VersR 1984, 48, dem folgend Palandt-Thomas, BGB, 56. Aufl., Einf. vor § 765, Rdn. 14, Nicklisch/Weick, VOB Teil B, 2. Aufl., § 17 Rdn. 16 a; Kaiser, Das Mängelhaftungsrecht in Baupraxis und Bauprozeß, 7. Aufl., Rdn. 216) und sogar Schadensersatzansprüche des Auftraggebers wegen Nichterfüllung umfassen (vgl. BGH BauR 1988, 220; Ingenstau/Korbion, VOB, 13. Aufl., B § 17, Rdn. 28). Allgemeine Regeln lassen sich hierzu indes nicht aufstellen. Entscheidend sind stets die Vereinbarungen und Umstände des Einzelfalls. Vorliegend ergibt sich die bis zum Zeitpunkt der Abnahme begrenzte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Bürgschaft vom 30.9.1993 aus Nr. 27 des Werkvertrages vom 15.6.1993, wo es heißt, daß die Bürgschaft nur bis zur Übergabe stattfindet, ferner aus der Vereinbarung der Parteien vom 12.9.1994, wonach die „Fertigstellungsgarantie” nach Übergabe der Anlage zurückgesandt werden sollte, und schließlich aus der Regelung in Nr. 3 der Bürgschaftsurkunde, wo es heißt:
„… 3. Die Verpflichtungen der Bank aus dieser Bürgschaft erlöschen mit der Abnahme der vereinbarten Lieferung/Leistung oder mit der Rückgabe dieser Bürgschaftsurkunde, spätestens jedoch – insoweit abweichend von § 777 BGB -, wenn die Bank nicht bis zum 5.3.1994 aus dieser Bürgschaft in Anspruch genommen worden ist. …”
Danach sollten die Bürgschaftsverpflichtungen jedenfalls mit der Abnahme der Werkleistung enden. Mit Blick auf den insoweit klaren Wortlaut bleibt für eine andere Auslegung kein Raum. Ohnedies gilt der Grundsatz, daß bei einer erweiternden Auslegung einer Bürgschaft Zurückhaltung geboten ist (vgl. BGH NJW 1982, 172, 173 = WM 1981, 1302, 1303; Heiermann/Riedl/Rusan a.a.O., B § 17.4, Rdn. 24) und Unklarheiten über den Umfang der mit der Bürgschaft gesicherten Hauptschuld zu Lasten des Gläubigers gehen müssen, wenn sich für die Erweiterung kein eindeutiger Anhaltspunkt ergibt (BGHZ 76, 186, 190 = MDR 1980, 664).
Die Beklagte hat die Abnahme der Werkleistung indes am 23.1.1995 erklärt. Dies ergibt sich aus ihrem Testprotokoll, das sie der Klägerin übersandte und in dem sie feststellt, daß die Anlage bis auf bestimmte Mängel betriebsbereit sei und den in der Bestellung getroffenen Vereinbarungen entspreche und nur noch bestimmte Mängel „geringfügiger Art” zu erledigen seien. Zudem hat sie in einem nachfolgenden Schreiben ihrer Anwälte vom 7.2.1994 ausdrücklich bestätigt, die Anlage abgenommen zu haben. In Anbetracht dieses eindeutigen Sachverhalts kann die Abnahme nicht zweifelhaft sein und ist das Berufungsvorbringen der Beklagten, sie habe nur einen „Abnahmeversuch” unternommen, nicht nachvollziehbar.
Mithin konnte die Beklagte die Bürgschaft der S.-Bank vom 30.9.1993 nach dem 23.1.1995 nicht mehr in Anspruch nehmen. Wegen des Wegfalls des Sicherungszwecks der Bürgschaft ist sie zudem gegenüber der Klägerin aus der Sicherungsabrede (Nr. 27 des Werkvertrages) verpflichtet, die seitens der S.-Bank geleistete und der Klägerin rückbelastete Bürgschaftssumme zu erstatten. Hinsichtlich der Personalkosten für die Vorbereitung und Durchführung von Verfügbarkeitstests bis zum 20.1.1995, der Betriebskosten für die Halle in der Zeit vom 1.12.1994-23.1.1995 und der bis dahin angefallenen Finanzierungskosten ist indes festzustellen, daß diesbezügliche Ansprüche der Beklagten von vornherein nicht durch die Bürgschaft gesichert waren, weil die Bürgschaft nur die Ausführung der Werkleistung garantieren, nicht aber die Beklagte von Kosten befreien sollte, die ihr auch bei rechtzeitiger Fertigstellung der Anlage entstanden wären. Die Aufwendungen für die Verfügbarkeitstests, die Finanzierungskosten für die Zeit vom 1.12.1994 bis zur Abnahmeerklärung vom 23.1.1995, sowie die Betriebskosten für die Lagerhalle wären ihr aber auch dann entstanden, wenn ihr die Anlage, wie ursprünglich nach Nr. 18 des Werkvertrages vorgesehen, am 1.3.1994 übergeben worden wären. Da sie gleichwohl die Bürgschaft in Anspruch nahm, haftet sie der Klägerin aus der Sicherungsabrede in Höhe des Rückgriffs der S.-Bank. Dies gilt auch für das angeblich an die Firma M. gezahlte Entgelt für ein Feinpflichtenheft. Denn diese Kosten fielen nach dem eigenen Vortrag der Beklagten auf Seite 6 der Berufungsbegründung schon deshalb nicht unter die Bürgschaft vom 30.9.1993, weil sie mit dem am 12.9.1994 zwischen den Parteien vereinbarten Nachlaß abgegolten waren.
Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist nicht ganz oder teilweise durch die hilfsweise erklärte Aufrechnung der Beklagten erloschen (§§ 387, 389 BGB). Nach dem oben Ausgeführten sind die zur Aufrechnung gestellten (etwaigen) Gegenforderungen der Beklagten nicht durch die Bürgschaft vom 30.9.1993 gesichert. Dann ist es der Beklagten aber verwehrt, diese Ansprüche nunmehr im Wege der Aufrechnung gegenüber dem Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Bürgschaftssumme nicht nur zu sichern, sondern sogar einer Befriedigung zuzuführen. Ein derartiges Vorgehen ist nach dem Zweck der Bürgschaft, lediglich die Ausführung des Werkes bis zur Abnahme zu gewährleisten, stillschweigend ausgeschlossen (vgl. BGHZ 95, 109, 113 = MDR 1986, 30; 113, 90, 93 = MDR 1991, 526; OLGR Düsseldorf 1996, 249). Der Hinweis der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12.9.1997 auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.1.1978 (NJW 1978, 814) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der entschiedene Fall ist vorliegend nicht einschlägig, weil es dort um einen auf Befreiung vom Werklohnanspruch gerichteten Schadensersatzanspruch des Auftraggebers ging und der Bundesgerichtshof dessen Rechtsverteidigung gerade nicht als Aufrechnung wertete (vgl. BGH a.a.O., 815, 816).
Der Beklagten steht gegenüber dem Erstattungsanspruch der Klägerin auch kein Zurückbehaltungsrecht bis zur Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft zu. Ein Zurückbehaltungsrecht scheitert schon daran, daß nach der Vereinbarung der Parteien vom 12.9.1994 die „Fertigstellungsgarantie” (gemeint: die Bürgschaft der S.-Bank vom 30.9.1993) bereits nach Übergabe der Anlage – im übrigen also vorbehaltlos – an die Klägerin zurückzusenden war und damit nicht von der Vorlage der Gewährleistungsbürgschaft abhängen sollte. …

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