VG Karlsruhe, Beschluss vom 12.11.2020 – 10 K 4564/20

Dezember 16, 2020

VG Karlsruhe, Beschluss vom 12.11.2020 – 10 K 4564/20

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe

I.

Mit dem am 08.11.2020 eingegangenen Antrag begehrt die Antragstellerin die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Sicherung der Durchführung einer politischen Veranstaltung in den Veranstaltungsräumen des „…-Hauses …“ der Antragsgegnerin.

II.

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Nach dieser Vorschrift ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der sich aus dem Tatsachenvortrag des Klägers/Antragstellers ergebenden wahren Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der im Rechtsstreit geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Im Eilverfahren kommt es nach § 123 VwGO auf das zu sichernde Recht in der Hauptsache an (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 08.04.2002 – 5 S 378/02 – juris, Rn. 4 m.w.N).

Die Beteiligten streiten um die – hier zunächst von der Antragsgegnerin gewährte und dann wieder rückgängig gemachte – Zulassung vermeintlich der Antragstellerin zum „…-Haus …“, bei welchem es sich um eine öffentliche Einrichtung der Antragsgegnerin handelt. Das …-Haus ist seiner Zweckbestimmung nach den Einwohnern und Vereinigungen im Gemeindegebiet geöffnet und ist auch der Nutzung durch diese bestimmt (vgl. VGH Bad.-Württ. Urt. v. 20.11.1978 – I 2400/78 – juris, Rn. 22; Aker, in: Aker/Hafner/Notheis, Gemeindeordnung Baden-Württemberg, 1. Aufl. 2012, § 10 Rn. 9). Dass sich das „…-Haus …“ nach dem erkennbaren Willen der Antragsgegnerin nicht auf Gemeindeeinwohner beschränkt, sondern auch sonstigen Außenstehenden eine Zugangsmöglichkeit einräumt, ändert an seiner Eigenschaft als öffentliche Einrichtung nichts (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.10.1986 – 9 S 2497/86 – juris). Das Recht auf Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung und damit die Frage, „ob“ Zulassung gewährt wird gehört hier vorliegend dem öffentlichen Recht an, da sich die Antragstellerin auf den aus § 5 PartG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch beruft. Das gilt auch, wenn das Benutzungsverhältnis mit den zugelassenen Bewerbern privatrechtlich – hier: durch den „Mietvertrag“ vom 20./21.10.2020 – ausgestaltet ist (sog. Zwei-Stufen-Theorie, vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.05.2003 – 1 S 1449/01 – juris, Rn. 24).

1. Der Antrag hat jedoch keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig. Zwar ist die Antragstellerin als Fraktion gemäß § 61 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 46 AbgG beteiligtenfähig und aufgrund des von ihr geltend gemachten Anspruchs auch antragsbefugt, § 42 Abs. 2 VwGO (analog). Es fehlt ihr jedoch am für den hier statthaften Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Regelungsanordnung) erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Dies ist anzunehmen, wenn ein Antragsteller vor der gerichtlichen Antragstellung sein Recht bei der zuständigen Verwaltungsbehörde noch gar nicht geltend gemacht hat (Happ, in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 34). Die Antragstellerin selbst hat ein Recht auf Zugang gegenüber der Antragsgegnerin jedoch noch gar nicht geltend gemacht bzw. hat sie diese nicht um den Abschluss eines Vertrages zur Überlassung der öffentlichen Einrichtung nachgesucht. Als Vertragspartnerin bzw. Zugangsberechtigte wurde sie von den am Vertrag beteiligten Personen und in der Vertragsurkunde nie benannt, vielmehr ausdrücklich ausgeschlossen. Auf die Bitte der Hausleitung der Antragsgegnerin vom 06.10.2020, zu konkretisieren, wer nun Vertragspartner sein solle bzw. ob mit der Nennung der „Landesgruppe BW[,] …-Fraktion im Deutschen Bundestag“ zwei Vertragspartner gemeint seien, die … Fraktion des Bundestages und die Landesgruppe BW (Landesgruppe Baden-Württemberg der …-Fraktion im Deutschen Bundestag, nachfolgend: „Landesgruppe BW“), erklärte Herr … als Organisator und Mitglied der Landesgruppe BW ausdrücklich, Vertragspartner sei die Landesgruppe BW, lediglich die Adressierung laute auf „…-Fraktion im Deutschen Bundestag[,] Landesgruppe BW[,] Platz der Republik 1 11011 Berlin“. Außerdem bekundete er, dass der Mietvertrag von Herrn …, dem Sprecher der Landesgruppe BW, unterzeichnet werde. Im Vertrag wurde demgemäß die „Landesgruppe BW“ mit der Adresse „…-Fraktion im Deutschen Bundestag, Platz der Republik 1“ als Vertragspartner genannt. Der Vertrag wurde dann in Vertretung von Herrn … unterzeichnet, einem Mitglied der Landesgruppe BW. Die Landesgruppe BW dürfte vor diesem Hintergrund in Abgrenzung zur Antragstellerin als Gruppe von Bundestagsabgeordneten des Landes Baden-Württemberg rechtlich als Gesellschaft bürgerlichen Rechts i.S.d. §§ 705 ff. BGB zu identifizieren sein, die den Zweck verfolgt – innerhalb der … wie nach außen – die politischen Interessen der … und der …-Mitglieder des Landes Baden-Württemberg zu vertreten und zu diesem Zweck auch – wie geschehen – am Rechtsverkehr teilzunehmen. Demzufolge ist die im Vertrag aufgeführte Landesgruppe BW durch diesen berechtigt und verpflichtet worden und nicht die Antragstellerin.

2. Im Übrigen ist der Antrag auch unbegründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist gemäß §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 ZPO, dass der Antragsteller sowohl einen Anspruch, der durch die begehrte Anordnung vorläufig gesichert werden soll (Anordnungsanspruch), als auch Gründe glaubhaft macht, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund). Außerdem darf eine stattgebende Entscheidung die Hauptsache grundsätzlich nicht – auch nicht zeitlich befristet – vorwegnehmen, es sei denn, dass dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes unerlässlich ist (VG Karlsruhe, Beschl. v. 01.03.2016 – 10 K 803/16 – juris, Rn. 20).

a) Die Antragstellerin kann schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen.

aa) Zunächst folgt ein Anspruch auf Überlassung der gemieteten Räumlichkeiten nicht aus § 10 Abs. 2 GemO. Der in dieser Vorschrift verwurzelte Anspruch steht nur den Gemeindeeinwohnern und – vermittelt über § 10 Abs. 4 GemO – nur den in der Gemeinde ansässigen juristischen Personen bzw. Personenvereinigungen zu. Die Antragstellerin hat ihren Sitz aber nicht auf der Gemarkung der Antragsgegnerin, sondern in Berlin (vgl. VG Karlsruhe, Beschl. v. 01.03.2016, a.a.O., Rn. 22).

bb) Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin ergibt sich ein solcher Anspruch auch nicht aus § 5 PartG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG bzw. Art. 3 Abs. 1 GG. Denn zwar ist es nach diesen Vorschriften geboten, politische Parteien gleich zu behandeln, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien kommunale Einrichtungen zur Nutzung zur Verfügung stellt (dazu VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.10.2014 – 1 S 1855/14 – juris, Rn. 11 m.w.N.). Die Antragstellerin ist jedoch keine politische Partei i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GG bzw. § 5 PartG, sondern eine von der Partei rechtlich und funktional zu trennende rechtsfähige Vereinigung (§ 46 Abs. 1 AbgG). Zwar können Fraktionen soziologisch als parlamentarische Repräsentanten der Parteien bezeichnet werden. Rechtlich handelt es sich bei ihnen jedoch um Organteile der entsprechenden Parlamente, die in der Regel anknüpfend an die Parteizugehörigkeit gebildet werden können (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 08.04.2019 – 15 L 530/19 – juris, Rn. 13; „Parteien haben ihren Standort in der Gesellschaft, Fraktionen den ihren im Staat“, Klein, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Art. 21 GG, Rn. 233, 234; Kluth, in: BeckOK GG, Art. 21, Rn. 56). Auch für eine analoge Anwendung des § 5 PartG ist vor diesem Hintergrund kein Raum, da es an einer vergleichbaren Interessenlage fehlt.

cc) Ferner kann die Antragstellerin keinen Anspruch aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Selbstbindung der Verwaltung herleiten. Dabei ist vor dem Hintergrund der Ausführungen unter 2.a).bb) bereits fraglich, ob die Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Fraktion des Deutschen Bundestages überhaupt Trägerin von Grundrechten sein kann. Es ist anzunehmen, dass sie als Teil des Staates durch die Grundrechte verpflichtet und nicht durch diese berechtigt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2018 – 10 CN 1.17 – juris, Rn 34).

Selbst wenn dies anders zu sehen sein sollte, steht der Antragstellerin der genannte Anspruch nicht zu. Denn es ist zwar grundsätzlich möglich, dass eine Behörde durch rein tatsächliche Verwaltungspraxis bei wesentlich gleichen Sachverhalten einen Vertrauenstatbestand dergestalt schafft, dass für den Betroffenen daraus ein Anspruch erwächst, bei wesentlich gleicher Ausgangslage, gleich behandelt zu werden. In gleicher Weise kann die Verwaltungspraxis aber auch – ohne Verstoß gegen Vertrauensschutzaspekte – aus sachgerechten Erwägungen für die Zukunft geändert werden, auch wenn die Betroffenen gegenüber der bisherigen Praxis benachteiligt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.06.2007 – 1 WB 12/07 – juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 17.12.2018 – 6 S 2448/18 – juris, Rn. 15). Zwar hat die Antragsgegnerin die öffentliche Einrichtung in der Vergangenheit immer einem inner- wie überörtlichen Nutzerkreis zur Verfügung gestellt, für die Absage der Veranstaltung im Monat November 2020 liegt jedoch keine Ungleichbehandlung bei vergleichbarem Sachverhalt vor. Denn die Antragsgegnerin hat aufgrund des Wiedererstarkens der Corona-Pandemie Ende Oktober/Anfang November 2020 mit Ausnahme der Gemeinderatssitzung sämtliche Veranstaltungen im „…-Haus …“ abgesagt. Dass die Antragstellerin gegenüber anderen Veranstaltern/Nutzern bei vergleichbarer Ausgangslage ungleich behandelt wird, ist nicht ersichtlich. Ein anspruchsauslösendes Handeln i.S.e. Ungleichbehandlung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin im „…-Haus …“ am 11.11.2020 eine öffentliche Sitzung ihres Gemeinderates hat stattfinden lassen. Denn die Sitzung des Gemeinderates dient der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Gemeinde bzw. der Wahrnehmung der dem Gemeinderat nach § 24 GemO zugewiesenen Aufgaben, sie hat gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO grundsätzlich öffentlich stattzufinden und ist weder mit einer Freizeitveranstaltung noch mit der von der Landesgruppe BW der Antragstellerin geplanten politischen Veranstaltung vergleichbar. Im Übrigen dürfte die vorhergehende Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin schon gar nicht dazu geeignet sein, den von der Antragstellerin behaupteten Vertrauenstatbestand zu schaffen. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin ihre Vergabepraxis bereits ab Ende März 2020 dergestalt geändert hat, dass sie den Zugang zu dieser öffentlichen Einrichtung nunmehr in Abhängigkeit der Entwicklung des Infektionsgeschehens der Corona-Pandemie beschränkt gewährt. Dafür sprechen nicht nur die vielen ab diesem Zeitpunkt verschobenen oder abgesagten Veranstaltungen, sondern auch die für eine Vielzahl von Verträgen entworfenen und vorliegend zusätzlich in den Vertrag aufgenommenen „Corona-bedingte[n]“ Ergänzungsregelungen.

Wenn man entgegen der Ausführungen in der Zulässigkeit davon ausgeht, dass die Antragstellerin selbst durch den Vertrag vom 20./21.10.2020 berechtigt und verpflichtet wurde, würde die Durchsetzung eines möglicherweise nach Art. 3 Abs. 1 GG bestehenden Anspruchs auf Zugang jedoch auch daran scheitern, dass der Vertrag durch die Antragsgegnerin wirksam gekündigt worden ist. Denn der so unwirksam gewordene Vertrag vom 20./21.10.2020 schlägt aller Voraussicht nach auf das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Zugangsanspruchs durch. Zum einen hat sich die Antragsgegnerin zulässigerweise dafür entschieden, ihre zunächst positive Zugangsentscheidung und die Modalitäten der Benutzung der öffentlichen Einrichtung in einem zivilrechtlichen Vertrag und nicht in einem Verwaltungsakt zu verkörpern, so dass angenommen werden kann, dass nach dem Willen der Antragsgegnerin die positive Zugangsentscheidung mit dem Vertrag stehen und fallen soll. Zum anderen ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg anerkannt, dass eine Gemeinde den Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen dergestalt beschränken bzw. davon abhängig machen kann, dass bestimmte Verpflichtungen übernommen werden, etwa die Befolgung von Benutzungsordnungen, die Bezahlung eines Entgelts oder die Übernahme eines Schadensrisikos (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 11.05.1995 – 1 S 1283/95 – NVwZ-RR 1996, 681; Beschl. v. 20.05.1987 – 1 S 1287/87 – NJW 1987, 2698, 2699; Aker, in: Aker/Hafner/Notheis, a.a.O., Rn. 15). Im Umkehrschluss dürfte dies bedeuten, dass der Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung zulässigerweise versagt werden kann, wenn die Übernahme solcher Verpflichtungen scheitert bzw. der die Zugangsentscheidung und -modalitäten verkörpernde Vertrag unwirksam ist. Dies ist hier aller Voraussicht nach der Fall. Die Antragsgegnerin hat den am 20./21.10.2020 geschlossenen Mietvertrag mit Erklärung vom 29.10.2020 („Wir stornieren hiermit Ihre geplante Veranstaltung am 13.11.2020 in unserem Hause.“) gegenüber der Antragsgegnerin wirksam gekündigt und nicht – wie von der Antragstellerin angenommen – erst mit Schreiben vom 04.11.2020. Die Erklärung ist der Antragstellerin an diesem Tag auch wirksam zugegangen, in dem sie per Email an Herrn … und Herrn … versandt wurde. Denn wenn angenommen wird, dass die Vertreter der Landesgruppe BW die Antragstellerin wirksam berechtigt und verpflichtet haben, so sind sie auch als deren Empfangsberechtigte anzusehen.

Die Antragsgegnerin hatte aller Voraussicht nach auch das Recht, den Vertrag außerordentlich fristlos zu kündigen. Ein solches Recht dürfte der Antragsgegnerin sowohl aus Vertrag (dazu (1) als auch aus Gesetz zustehen (dazu (2).

(1) Ein vertragliches Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages dürfte sich aus den „Corona-bedingte[n] Ergänzungen zu den AGBs“ ergeben. Bei diesen Vertragsbedingungen dürfte es sich unstreitig um wirksam in den Vertrag einbezogene Allgemeine Geschäftsbedingungen nach den §§ 305 ff. BGB handeln. In § 5 dieser Regelungen heißt es, dass „[e]ine Absage der Veranstaltung seitens des Vermieters, […] unter den in den AGBs genannten Situationen erfolgen [kann], zusätzlich gilt dies auch ausdrücklich für den Fall der erforderlichen Absage wegen der Corona-Pandemie. Sollten Veranstaltungen wieder verboten werden, z.B. wegen eines landesweiten Veranstaltungsverbots oder wegen der Überschreitung der 7-Tage-Inzidenz im Landkreis … (7 Tage- Inzidenz bedeutet die Überschreitung des derzeitigen Grenzwerts von 35 bzw. 50 Neuinfektionen in den letzten 7 Tagen pro 100.000 Einwohner)“. Nach verständiger Auslegung dieser Klausel (§§ 133, 157 BGB) dürfte der Antragsgegnerin ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages für den Fall zustehen, dass die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis … überschritten wird, d.h. über 35 bzw. 50 Neuinfektionen in den letzten 7 Tagen pro 100.000 Einwohner. Der Schwellenwert der 7-Tage-Inzidenz lag zum Zeitpunkt der Kündigung am 29.11.2020, 0:00 Uhr, nach Auskunft eines Internetinformationsdienstes, der die anhand der Lageberichte des Robert-Koch-Instituts veröffentlichen Zahlen mittels einer Übersichtskarte darstellt, bei 97,65 (https://www.proplanta.de/karten/covid-19:_fälle_in_7_tagen_pro_100.000_einwohner_je_stadt_bzw._landkreis_29.10.2020-uebersichtskarte7052020_20201029.html, Stand: 12.11.2020). Zum Vergleich: im Zeitpunkt des Vertragsschlusses lag dieser Wert noch bei 35,43 (https://www.proplanta.de/karten/proplanta_karten.php, Stand: 12.11.2020).

(2) Zusätzlich dürfte der Antragsgegnerin ein Recht zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund auch allgemein aus § 314 BGB zustehen. Ein wichtiger Grund ist nach der Definition in § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB dann gegeben, wenn dem Schuldner die weitere Erfüllung des Vertrages unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen bis zur vereinbarten Beendigung (bei befristeten Dauerschuldverhältnissen wie vorliegend) nicht zugemutet werden kann (vgl. zur st. Rspr. BGH Urt. v. 26.09.1996 – I ZR 265/95 – juris, Rn. 26; Urt. v. 30.01.1964 – VII ZR 5/63 – juris; Lorenz, in BeckOK BGB, Stand: 01.08.2020, § 314 Rn. 8). Im Falle der Antragsgegnerin ist hierbei insbesondere zu berücksichtigen, dass sie als Trägerin hoheitlicher Gewalt auch im Rahmen eines privaten Rechtsgeschäfts unabhängig der privaten Handlungsform weiterhin verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt (vgl. nur Kirchhof, in: Maunz/Dürig, a.a.O., Art. 83 Rn. 103). Nach diesen Maßgaben dürfte es der Antragsgegnerin nicht länger zuzumuten gewesen sein, am Vertrag festzuhalten. Denn sie war und ist als Trägerin hoheitlicher Gewalt aus Gründen des Infektionsschutzes im engeren Sinne und aus Gründen des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) im weiteren Sinne dazu verpflichtet, die Veranstaltung wie sämtliche andere Fremdveranstaltungen im November 2020 nicht stattfinden zu lassen. Für das Durchschlagen dieser Verpflichtung streitet vorliegend der Umstand, dass die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis … vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses bis zum Zeitpunkt der Kündigung um fast das Dreifache (von 35,43 auf 97,65) angestiegen ist, wohingegen im gleichen Zeitraum vor Vertragsschluss lediglich ein Anstieg von 19,01 auf 35,43 verzeichnet worden war (vgl. bei Eingabe der entsprechenden Parameter: https://www.proplanta.de/karten/covid-19:_fälle_in_7_tagen_pro_100.000_einwohner_je_stadt_bzw._landkreis_29.10.2020-uebersichtskarte7052020_20201029.html, Stand: 12.11.2020). Den dadurch veranschaulichten rapiden Anstieg von Neuinfektionen gilt es aus Sicht der Antragsgegnerin mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln einzudämmen, sie hat sich schützend vor das Leben zu stellen. Demgegenüber dürfte die Antragstellerin keine Interessen geltend machen können, die bei Abwägung zu der Annahme führen, dass das Interesse der Antragsgegnerin am Infektions- und Gesundheitsschutz zurücksteht. Denn zunächst bleibt es der Antragstellerin unbenommen, die von der Landesgruppe BW geplante Veranstaltung im „…-Haus …“ zu einem Zeitpunkt durchführen zu lassen, zu welchem sich das Infektionsgeschehen wieder verlangsamt hat, hierauf hatte die Antragsgegnerin auch ausdrücklich bei der Kündigungserklärung hingewiesen. Das reine Interesse daran, zu genau dem vereinbarten Zeitpunkt, die öffentliche Einrichtung für die geplante Veranstaltung zu nutzen, dürfte daher eindeutig hinter den Interessen der Antragsgegnerin zurückstehen. Weiter dürfte sich die Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Fraktion gegenüber der Antragsgegnerin auch nicht auf die von ihr geltend gemachten Grundrechtspositionen aus Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG berufen können (vgl. die Ausführungen oben). Selbst wenn dies anders zu sehen sein sollte, ist aufgrund der obigen Ausführungen nicht von einer Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes auszugehen. Aber auch das Interesse der an Durchführung einer politischen Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG dürfte dann untergeordnet sein. Denn dieses vermeintliche Recht der Antragstellerin wird durch die Kündigung der Antragsgegnerin nicht unverhältnismäßig eingeschränkt, da es ihr unbenommen bleibt, eine politische Versammlung an anderen Orten auf der Gemarkung der Antragsgegnerin durchzuführen, nur eben nicht in der von ihr betriebenen öffentlichen Einrichtung. Ob es sich bei der geplanten Veranstaltung überhaupt um eine Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG handelt, kann daher offen bleiben.

dd) Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch auf Verschaffung des Zugangs aufgrund des am 20./21.10.2020 geschlossenen Mietvertrages. Wie gesehen, ist dabei bereits nicht anzunehmen, dass die Antragstellerin überhaupt durch den Mietvertrag berechtigt und verpflichtet worden ist (vgl. dazu die Ausführungen unter II.1.). Unabhängig dieser Frage sind Ansprüche aus dem Vertrag durch die wirksame Kündigung desselben vom 29.10.2020 erloschen. Auf die Ausführungen unter II.2.cc) wird verwiesen.

b) Aufgrund des Umstands, dass hier nicht die Landesgruppe BW, sondern die Antragstellerin den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung am 13.11.2020 geltend macht, steht ihr nach obigen Ausführungen auch kein Anordnungsgrund zu Seite.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

III.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 22.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Eine Herabsetzung des Streitwerts im Hinblick auf die Vorläufigkeit des beantragten Rechtsschutzes (Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs) kam im Hinblick darauf, dass der Rechtsschutzantrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache und damit auf eine endgültige Entscheidung gerichtet ist, nicht in Betracht.

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