OLG Köln, Urteil vom 12.07.2017 – 5 U 144/16

Januar 6, 2021

OLG Köln, Urteil vom 12.07.2017 – 5 U 144/16

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 26.10.2016 – 25 O 326/15 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Die Klägerin ist die Ehefrau des inzwischen verstorbenen Herrn L H (im Folgenden: der Patient). Der Patient ließ am 27.04.2012 im Krankenhaus der Beklagten eine Koloskopie vornehmen. Bei dem Eingriff wurde der Darm perforiert. Der Patient erlitt eine Peritonitis und musste mehrfach operiert werden. Er blieb nach Eintritt von Komplikationen bis zum 05.06.2012 in stationärer Behandlung im Hause der Beklagten.

Der Patient holte ein Privatgutachten von Dr. T zu der Frage ärztlicher Behandlungsfehler ein (Gutachten vom 30.01.2014, Anlage K 9). Dr. T kam zu dem Ergebnis, dass die Perforation des Darmes zwar eine schicksalshafte Komplikation der Koloskopie gewesen sei, es indes einen groben Fehler dargestellt habe, den Darmwanddefekt drei Tage nach der Perforation im Stadium der akuten Entzündung laparoskopisch zu übernähen. Prof. Dr. T2 stellte in seinem für die B erstatteten Gutachten ebenfalls Behandlungsfehler fest (Gutachten vom 18.12.2012, Anlage K 8). Die Operation sei verspätet und unter Verwendung einer fehlerhaften Operationstechnik durchgeführt worden. Der Patient einigte sich mit dem Haftpflichtversicherer der Beklagten auf eine Abfindungszahlung in Höhe von 90.000,- EUR.

Die Klägerin verklagte die Deutsche Rentenversicherung auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (Sozialgericht Köln, Az. S 2 R 366/15). In dem dortigen Verfahren machte die Klägerin geltend, sie sei wegen der Folgen einer Krebserkrankung, wegen Bandscheibenschäden sowie wegen einer mittelgradigdepressiven Episode als Folge der lebensbedrohlichen Erkrankung ihres Ehemannes im Jahr 2012 in der Erwerbsfähigkeit gemindert. Nach Einholung eines neurologischpsychiatrischen Gutachtens von Dr. S erkannte die Deutsche Rentenversicherung die volle Erwerbsminderung der Klägerin für den Zeitraum vom 01.02.2015 bis 31.12.2016 an.

Die Klägerin hat behauptet, ihr Ehemann sei im Hause der Beklagten grob fehlerhaft behandelt worden. Er habe über mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt. Infolge der Fehlbehandlung und der hierdurch verursachten lebensbedrohlichen Erkrankung ihres Ehemannes habe sie massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten. Sie leide bis heute an Schlafstörungen, ständiger Angst vor schlechten Nachrichten, rezidivierender Übelkeit und panischer Angst vor Krankenhäusern. Sie traue sich kaum noch, die Wohnung zu verlassen. Trotz regelmäßiger Einnahme von Psychopharmaka und regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlungen habe sich die Beschwerdesymptomatik nicht gebessert. Sie sei nicht mehr erwerbsfähig und könne auch den Haushalt nicht mehr eigenständig versorgen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes, eigenes Schmerzensgeld wegen ihrer psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert auf Grund der fehlerhaften Behandlung ihres Ehemannes, des Herrn L H, im Zeitraum vom 28.04. bis 5.6.2012 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 15.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.02.2015;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden sowie unvorhersehbare künftige immaterielle Schäden, die ihr auf Grund der o.g. Diagnose in Folge der fehlerhaften Behandlung ihres Ehemannes entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, unter Berücksichtigung der zu sog. „Schockschäden“ entwickelten höchstrichterlichen Rechtsprechung fehle es bereits an einer relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin. Ein eigener Schmerzensgeldanspruch komme nur im Falle des Todes oder des lebensbedrohlichen Zustandes eines nahen Angehörigen, den der Anspruchsteller selbst unmittelbar erlebt haben müsse, in Betracht. Der Ehemann der Klägerin habe sich jedoch zu keiner Zeit in einem lebensbedrohlichen Zustand befunden. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Behandlung des Ehemanns und den gesundheitlichen Problemen der Klägerin werde bestritten.

Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 68 ff d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, das Klagevorbringen sei bereits unschlüssig, so dass für die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens kein Anlass bestehe. Nach der Rechtsprechung seien Ansprüche wegen sog. Schockschäden beschränkt auf Gesundheitsschäden bei seelischer Erschütterung durch die Nachricht vom Tode eines Angehörigen. Vorliegend sei (infolge der behaupteten Fehlbehandlung) weder der Tod des Ehemannes der Klägerin zu beklagen noch sei die behauptete Fehlbehandlung des Ehemannes und deren Folgen mit dem Tod eines nahen Angehörigen gleichzusetzen. Dies gelte umso mehr, als der behauptete Behandlungsfehler als Auslöser psychischer Belastungen nicht von dem übrigen Behandlungsverlauf isoliert betrachten werden könne. Die Darmperforation sei schicksalshaft aufgetreten und das Auftreten derartiger Komplikationen dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen. Im Übrigen fehle es aber auch an einem außergewöhnlichen Maß an psychischen Belastungen, wie es von der Rechtsprechung gefordert werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Sie ist der Auffassung, das Landgericht habe verkannt, dass es nach der Rechtsprechung nicht darauf ankomme, ob der Angehörige durch einen Verkehrsunfall, eine ärztliche Fehlbehandlung oder durch andere Umstände zu Tode gekommen oder nur verletzt worden sei. Soweit das Landgericht ausgeführt habe, dass der behauptete Behandlungsfehler nicht von dem übrigen Behandlungsverlauf getrennt betrachtet werden könne, habe es übersehen, dass der lebensbedrohliche Zustand des Ehemannes der Klägerin nicht auf die schicksalshafte Darmperforation, sondern auf die verzögerte und fehlerhafte Folgebehandlung im Hause der Beklagten zurückzuführen sei. Die Feststellung des Landgerichts, dass die vorgetragenen Beeinträchtigungen der Klägerin kein außergewöhnliches Maß erreicht hätten, beruhe auf eigener Wertung, die die Kammer ohne eigene Sachkunde nicht habe treffen dürfen. Die Kammer habe zudem übersehen, dass vorbestehende psychische Beeinträchtigungen den Schädiger nicht entlasten könnten.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt dem Berufungsvorbringen im Einzelnen entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1.)

Der Klägerin steht auch unter Berücksichtigung der zu den sogenannten „Schockschäden“ entwickelten Rechtsprechung kein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld gegen die Beklagte zu.

a) Das deutsche Recht kennt bislang keinen gesetzlich geregelten Anspruch für eine Entschädigung beim Tod oder bei schwerer Verletzung eines nahen Angehörigen (siehe aber den Regierungsentwurf vom 08.02.2017 „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld“, abrufbar unter www.bmjv.de) In Rechtsprechung und Literatur ist jedoch seit langem anerkannt, dass psychische Beeinträchtigungen, die jemand infolge eines Unfalltodes oder einer schweren Gesundheitsverletzung eines nahen Angehörigen erleidet, eine zum Schadensersatz verpflichtende Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen können (vgl. BGH Urteil vom 13.01.1976, VI ZR 58/74; Urteil vom 31.01.1984, VI ZR 56/82; Urteil vom 27.01.2015, VI ZR 548/12; Urteil vom 10.02.2015, VI ZR 8/14; Münchener Kommentar-Wagner, 7. Auflage 2017, § 823, Rz. 186 ff; Palandt-Grüneberg, 76. Auflage 2017, vor § 249, Rz. 40). Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass die durch den Angehörigen erlittenen psychische Beeinträchtigungen echten Krankheitswert haben und damit einen pathologisch fassbaren Gesundheitsschaden darstellen, der nach Art und Schwere über das hinausgeht, was nahe Angehörige in vergleichbarer Lage erfahrungsgemäß erleiden (vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2015, VI ZR 548/12; Urteil vom 10.02.2015, VI ZR 8/14).

b) Als haftungsbegründendes Schadensereignis kann ein Unfallgeschehen oder jedes andere Schadensereignis und damit auch eine fehlerhafte ärztliche Behandlung in Betracht kommen (vgl. zur Anerkennung von Schmerzensgeld eines Angehörigen in Arzthaftungsfällen beispielsweise Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.12.2008, 1 U 12/08 und Urteil vom 22.08.2013, 1 U 118/11; OLG Frankfurt, Urteil vom 15.12.1998, 8 U 137/98; OLG Köln, Beschluss vom 16.09.2010, 5 W 30/10; LG Aachen, Urteil vom 31.10.2012, 11 O 98/10; OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.07.1992, 8 U 78/91).

c) Entgegen der Annahme des Landgerichts setzt ein Schmerzensgeldanspruch wegen des Erleidens eines sog. Schockschadens nicht grundsätzlich das Miterleben oder die Nachricht vom Tode eines nahen Angehörigen voraus (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10.02.2015, VI ZR 8/14; Urteil vom 05.02.1985, VI ZR 198/83). Allerdings kann bei einer ganz erheblichen psychischen Reaktion auf ein nach seiner Schwere nur ganz unbedeutendes Schadensereignis der Zurechnungszusammenhang entfallen und damit ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen sein (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.1996 = BGHZ 132, 341 ff).

d) Ein Anspruch der Klägerin scheidet entgegen den Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen nicht bereits deswegen aus, weil die von ihr behaupteten psychischen Beeinträchtigungen nicht das von der Rechtsprechung geforderte außergewöhnliche Ausmaß erreicht hätten. Die Klägerin behauptet, dass sie infolge der lebensbedrohlichen Erkrankung des Patienten an einem mittelschweren depressiven Syndrom und an Angstzuständen leide. Sie habe bis heute Angst vor Krankenhäusern und generell vor schlechten Nachrichten, neige zu panikartigen Zuständen mit Hyperventilation und müsse Psychopharmaka einnehmen. Legte man diese bestrittenen Angaben als unstreitig zugrunde, würde die Klägerin an psychischen Beeinträchtigungen leiden, die hinsichtlich ihrer Intensität und vor allem aber hinsichtlich ihrer Dauer zweifellos über das hinausgingen, was ein Angehöriger in vergleichbarer Lage erleiden würde.

e) Der Klägerin steht jedoch deswegen kein Anspruch auf Schmerzensgeld gegen die Beklagte zu, weil sich ihr verstorbener Ehemann, als er – nach ihrem Vorbringen – infolge eines ärztlichen Behandlungsfehlers eine lebensgefährliche Peritonitis erlitt, bereits in einem potenziell lebensbedrohlichem Zustand befand. Der Patient hatte bei Durchführung einer Koloskopie eine Darmperforation erlitten, deren möglicherweise fehlerhafte Behandlung zu einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustands durch Auftreten einer Peritonitis geführt hat.

Ein solcher Fall, bei dem ein bereits potenziell lebensbedrohlicher Zustand eines Patienten durch einen ärztlichen Behandlungsfehler weiter verschlechtert wird, wird nach Auffassung des Senates nicht mehr vom Schutzzweck der verletzten Normen erfasst.

Das Erleben einer nach ärztlicher Behandlung eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines nahen Angehörigen ist dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen und unterfällt daher grundsätzlich nicht dem Schutzzweck der deliktischen oder vertraglichen Haftung. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise für solche Fälle gelten, in denen infolge eines Behandlungsfehlers ein Gesundheitsschaden des Patienten verursacht worden ist, der von Art und Schwere eine ganz andere Qualität als die behandelte Grunderkrankung aufweist. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich ein Patient wegen einer an sich harmlosen Erkrankung in ärztliche Behandlung begibt und er aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers in einen völlig unerwarteten lebensbedrohlichen Zustand verfällt oder gar verstirbt und der Angehörige aufgrund dessen einen psychischen Gesundheitsschaden erleidet. Zu fordern ist eine ganz erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch den ärztlichen Behandlungsfehler, der das Erleben eines durch den ärztlichen Behandlungsfehler ausgelösten „Schocks“ in irgendeiner Weise verständlich macht. Anderenfalls würde einer nahezu uferlosen Haftung der behandelnden Ärzte für psychische Leiden von Angehörigen Raum gegeben.

Ein solcher Fall einer behandlungsfehlerbedingt erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten liegt hier nicht vor. Der Ehemann der Klägerin hatte eine Darmperforation erlitten, die aufgrund der damit einhergehenden Gefahr einer Peritonitis potenziell lebensbedrohlich war und die einen risikobehafteten operativen Eingriff erforderlich machte. Die möglicherweise durch einen Behandlungsfehler, hier eine verzögert einsetzende Behandlung, verursachte Peritonitis stellt demgegenüber keinen Gesundheitsschaden von einer ganz anderen Qualität dar, die die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes des Angehörigen rechtfertigen könnte.

f) Aus den vorgenannten Gründen kommt es auf die sich sonst im Weiteren stellende Frage, ob die Klägerin den ihr obliegenden Beweis der haftungsbegründenden Kausalität führen könnte, nicht mehr an. Lediglich ergänzend sei jedoch angemerkt, dass der Senat an der Beweisbarkeit der Schadenskausalität erhebliche Zweifel hat, weil nicht auszuschließen sein dürfte, dass die psychischen Beeinträchtigungen der aufgrund ihrer eigenen Krankengeschichte vorbelasteten Klägerin bereits durch das Erleben der nicht ungefährlichen Darmperforation mit der Notwendigkeit einer Operation ausgelöst worden sind.

2.)

Da die Klägerin keinen immateriellen und materiellen Schadensersatz von der Beklagten verlangen kann, bleibt auch die Feststellungsklage ohne Erfolg.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Berufungsstreitwert: 40.000 EUR

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