VG Düsseldorf, Urteil vom 14.12.2020 – 20 K 4706/20

Februar 3, 2021

VG Düsseldorf, Urteil vom 14.12.2020 – 20 K 4706/20

1. Die Gewährung der „NRW Soforthilfe 2020“ setzt nach nicht zu beanstandender Verwaltungspraxis voraus, dass sich antragstellende Unternehmen nicht bereits am 31. Dezember 2019 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gemäß Art. 2 Abs. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung befunden haben.2. Unternehmen in diesem Sinn sind sämtliche Einheiten (natürliche oder juristische Personen oder rechtsfähige Personengesellschaften), die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und demnach in der Regel auch Solo-Selbstständige.3. Ein Verschulden ist für den Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht erforderlich.4. Eine überwiegende Mitverantwortung der Bewilligungsbehörde, die einer Rücknahme des Bewilligungsbescheides wegen unrichtiger Angaben im Zuschussantrag entgegenstehen würde, liegt regelmäßig nicht vor, wenn – wie hier – die Billigkeitsleistung aufgrund der pandemiebedingten Sondersituation unbürokratisch größtenteils allein auf der Grundlage von Versicherungen und Erklärungen des Antragstellers ohne jegliche Überprüfung der Angaben vor Erlass des Zuschussbescheides gewährt wurde.
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Tatbestand

Der im Jahr 1951 geborene Kläger ist nach seinen eigenen Angaben Business-Coach und freischaffender Künstler und als solcher selbstständig tätig.

Der Kläger führt wegen nicht gestundeten Rückständen von Einkommens-, Kirchen- und Umsatzsteuern aus den Jahren 2003 bis 2013 in Höhe von 360.000,00 Euro bei der Q. ein Pfändungsschutzkonto.

Er beantragte am 6. April 2020 einen Zuschuss nach der „Richtlinie des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige Freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2 Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ (im Folgenden: Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020) in Höhe von 9.000,00 Euro.

Im Antrag kreuzte der Kläger unter Ziffer 6.8 das Feld mit nachfolgendem Inhalt an: “ Ich erkläre, dass es sich bei meinem Unternehmen am Stichtag 31.12.2019 nicht um ein Unternehmen in Schwierigkeiten gemäß Art. 2 Abs. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (VO EU Nr. 651/2014), (siehe Nr. 1.1) handelte.“

Noch am selben Tag bewilligte die Bezirksregierung E. die Gewährung des Zuschusses und zahlte diesen an den Kläger aus.

Mit Bescheid vom 10. Juli 2020 nahm die Bezirksregierung E. den Bewilligungsbescheid zurück und forderte den Kläger zur Rückzahlung des Zuschusses in Höhe von 9.000,00 Euro innerhalb von vier Wochen nach Bekanntgabe auf. Zur Begründung stützte sich die Bezirksregierung E. darauf, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des Zuschusses nicht vorgelegen hätten, da schon vor dem 1. März 2020 ein Liquiditätsengpass bestanden habe. Dies sei aufgrund der bestehenden Steuerrückstände in Höhe von 360.000,00 Euro und der seit 2003 durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen der Fall. Im Rahmen der getroffenen Ermessensentscheidung stellte die Bezirksregierung E. darauf ab, dass aufgrund der falschen Angaben, die dem Kläger bekannt gewesen sein müssten, der Zuschuss irrtümlich genehmigt worden sei und das Interesse am Behalten des Zuschusses deshalb hinter dem öffentlichen Interesse an der Rückforderung zurückstehe.

Der Kläger hat am 10. August 2020 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, bei der Antragstellung müssten Steueraltschulden unberücksichtigt bleiben. Die Corona-Soforthilfe diene – so die Rechtsprechung der Finanzgerichte – nicht der Befriedigung von vor der Krise entstandenen Ansprüchen des Finanzamtes. Dies müsse konsequenterweise auch bei der Antragstellung gelten. Schließlich habe er auf den Bestand der gewährten Soforthilfe vertraut bzw. habe entsprechende Vermögensdispositionen getroffen, die er nicht mehr oder nur mit unzumutbaren Folgen rückgängig machen könne. Auf Vertrauensschutz könne er sich jedenfalls auch deshalb berufen, weil aus dem Antragsformular und den sonstigen Äußerungen und Bekanntmachungen des Beklagten nicht für ihn ersichtlich gewesen sei, dass auch für ihn als Solo-Selbstständigen das Merkmal „Unternehmen in Schwierigkeiten“ zu prüfen gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 10. Juli 2020 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft er sich auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheides und führt ergänzend dazu aus, Sinn und Zweck der Soforthilfe sei es, Unternehmer, die durch die Corona Pandemie in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, kurzfristig zu unterstützen. Es sei gerade nicht das Ziel, bereits vor der Pandemie in Schwierigkeiten geratene Unternehmen am Leben zu erhalten, was in Punkt 6.2 und 6.8, wonach Unternehmen in Schwierigkeiten gemäß Art. 2 Abs. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (VO EU Nr. 651/2014) von der Förderung ausgeschlossen seien, zum Ausdruck komme.

Zeitgleich mit der Klageerwiderung versandte die Bezirksregierung E. an den Kläger ein gesondertes Anhörungsschreiben, zu dem der Kläger mit Verweis auf seine Klagebegründung Stellung nahm.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Gründe

A. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 10. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Die Bezirksregierung E. hat zu Recht den Zuschussbescheid vom 6. April 2020 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (I.) und den ausgezahlten Zuschussbetrag in Höhe von 9.000,00 Euro von dem Kläger zurückgefordert (II.).

I. Der Rücknahmebescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW). Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nach Satz 1 der vorgenannten Vorschrift nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere wurde das Verwaltungsverfahren in Ansehung der während des laufenden Verwaltungsprozesses nachgeholten Anhörung gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 28 Abs. 1 VwVfG NRW ordnungsgemäß durchgeführt.

2. Der Rücknahmebescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bewilligungsbescheid vom 6. April 2020 ist rechtswidrig (a.). Zudem kann sich der Kläger auch nicht auf Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW berufen (b.).

a. Die Rechtswidrigkeit des Zuwendungsbescheides folgt aus einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Das beklagte Land gewährt auf der Grundlage von § 53 Landeshaushaltsordnung Nordrhein-Westfalen (LHO NRW) in Verbindung mit dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“ (Corona Soforthilfeprogramm des Bundes), der dazu ergangenen Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Beklagten über die Corona Soforthilfen und der mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft getretenen Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020 vom 31. Mai 2020 aufgrund ihres pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel eine Soforthilfe in Form einer Billigkeitsleistung.

Bei der hier einschlägigen Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020 handelt es sich nicht um eine gesetzliche Regelung, sondern um einen Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (V B 5 – 2020) vom 31. Mai 2020 und damit um eine Verwaltungsvorschrift. Als solche ist sie grundsätzlich dazu bestimmt, für die Verteilung von Fördermitteln Maßstäbe zu setzen und regelt insoweit das Ermessen der letztlich für die Verteilung der jeweiligen Leistungen bestimmten Stellen. Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung begründen Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetzesvorschriften bereits durch ihr Vorhandensein subjektive Rechte. Sie unterliegen daher auch keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6/95 -; Urteil vom 2. Februar 1995 – 2 C 19/94 -; OVG Lüneburg, Urteil vom 23. Januar 2014 – 8 LA 144/13 -; zitiert nach juris.

Allerdings können Verwaltungsvorschriften über die ihnen zunächst nur innewohnende interne Bindung hinaus in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 1 GG) eine anspruchsbegründende Außenwirkung im Verhältnis zum Bürger begründen. Jeder Leistungsbewerber hat einen Anspruch darauf, entsprechend den aufgestellten Richtlinien behandelt zu werden. Entscheidend ist, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebunden sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6/95 -, Urteil vom 23. April 2003 – 3 C 25/02 -; zitiert nach juris.

Das Gleichbehandlungsgebot kann aber auch zu Lasten von Leistungsempfängern Bedeutung gewinnen. Versagt eine Behörde in Anwendung der einschlägigen Richtlinien unter bestimmten Voraussetzungen regelmäßig die Gewährung einer Zuwendung, so verletzt sie das Gleichbehandlungsgebot in seiner objektivrechtlichen Funktion, wenn sie sich im Einzelfall über diese Praxis hinwegsetzt und trotz Fehlens der ansonsten geforderten Voraussetzungen die Leistung gewährt. In einem solchen Fall ist die Entscheidung wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG rechtswidrig,

vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2003 – 3 C 25/02 -, juris Rn. 17 m.w.N.

Hiervon ist im Fall des Klägers auszugehen. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Billigkeitszuschusses lagen zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheides am 6. April 2020 nicht vor.

Die für die Bewilligung der in Rede stehenden Billigkeitsleistung zuständige Bezirksregierung E. hat ihre Zuwendungspraxis an der vorgenannten Richtlinie, die wiederum auf dem Corona Soforthilfeprogramm des Bundes beruht, ausgerichtet.

Namentlich sind nach dem Corona Soforthilfeprogramm des Bundes antragsberechtigt Soloselbstständige, Angehörige der Freien Berufe und kleine Unternehmen einschließlich Landwirte […], die wirtschaftlich am Markt als Unternehmen tätig sind. Nach Ziffer 1.2 der Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020 erfolgt die Soforthilfe in Form einer Billigkeitsleistung als freiwillige Zahlung, wenn Unternehmen aufgrund von Liquiditätsengpässen in Folge der Corona-Krise in ihrer Existenz bedroht sind […]. Antragstellende Unternehmen dürfen sich nach Ziffer 2.2 der Richtlinie nicht bereits am 31. Dezember 2019 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gemäß Art. 2 Abs. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung befunden haben. In der Fußnote wird verwiesen auf die entsprechend lautende Regelung in § 2 Abs. 6 der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 (Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020).

Dementsprechend sieht Ziffer 2.3 der Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020 vor, dass der Antragsteller [Selbstständige, Angehörige der Freien Berufe und gewerbliche Kleinunternehmen] versichern muss, dass er durch die Sars CoV 2 Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, die seine Existenz bedrohen […].

Diese Vorschriften und die Ausführungen des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung zugrunde gelegt, umfasst der Begriff des „Unternehmens“ im Sinne der Ziffer 2.2 der Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020 nicht nur juristische Personen oder rechtsfähige Personengesellschaften, sondern sämtliche Einheiten (natürliche oder juristische Personen oder rechtsfähige Personengesellschaften), die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, vgl. insoweit auch Artikel 1, Anhang I zur Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung. Als Solo-Selbstständiger (Berufs-Coach und freischaffender Künstler) übt der Kläger eine solche wirtschaftliche Tätigkeit aus.

Seine Antragsberechtigung fehlte aber nach Ziffer 2.2 der Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020 weil er sich bereits am 31. Dezember 2019 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach Art. 2 Nr. 18 lit. c) 2. Alt. der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung befunden hat. Danach ist ein Unternehmen in Schwierigkeit, das die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag seiner Gläubiger erfüllt. Dies trifft auf den Kläger zu. Nach § 17 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) ist allgemeiner Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren die Zahlungsunfähigkeit. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (Satz 2). Voraussetzung der Zahlungseinstellung ist ein nach außen hervortretendes Verhalten, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus,

vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 – IX ZR 50/15 -, juris Rn. 12 f.

Ausgehend davon ist von einer Zahlungseinstellung und damit der Zahlungsunfähigkeit des Klägers zum Stichtag am 31. Dezember 2019 auszugehen, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt die fälligen Steuerverbindlichkeiten in Höhe von zuletzt 360.000,00 Euro nicht beglichen hat und nach den Angaben des Klägerbevollmächtigten auch nicht über finanzielle Mittel verfügt (hat), diese zu begleichen.

b. Der Rücknahme des Bescheides steht auch kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers entgegen. Nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier – eine einmalige […] Geldleistung […] gewährt […], auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn nicht der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat oder sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach Satz 2 der vorgenannten Vorschrift unter anderem nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2). Letzteres trifft auf den Kläger zu.

Jedenfalls die Erklärung des Klägers im Antrag unter Ziffer 6.8, dass es sich bei „seinem Unternehmen“ am Stichtag 31. Dezember 2019 nicht um ein Unternehmen in Schwierigkeiten gemäß Art. 2 Abs. 18 Gruppenfreistellungsverordnung (VO EU Nr. 651/2014) handelte, ist unrichtig, da sie – wie zuvor ausgeführt – nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt.

Die Unrichtigkeit der Angaben ist zunächst ausschließlich objektiv zu bestimmen,

vgl. BVerwG, Urteil vom 14. August 1986 – 3 C 9/85 -, juris Rn. 29; J. Müller, BeckOK, VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 49. Edition, Stand 1. April 2020, § 48 Rn. 76.

Bei der Erklärung unter Ziffer 6.8 des Antrags handelt es sich auch um eine Angabe, die in „wesentlicher“ Beziehung unrichtig ist, da sie sich nicht auf einen Randbereich des Bewilligungssachverhalts bezieht, sondern den Kern der gewährten Soforthilfe betrifft, nämlich die Gewährung einer Billigkeitsleistung, wenn Unternehmen […] in Folge der Corona-Krise in ihrer Existenz bedroht sind, vgl. Ziffer 1.2 der Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020.

Durch diese Angabe hat der Kläger den Zuschussbescheid erwirkt im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW. Voraussetzung für ein Erwirken in diesem Sinne ist, dass ein auf den Erhalt der Begünstigung gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln im Sinne einer Mitursächlichkeit vorliegt. Dies ist hier der Fall, da die Angabe, der Kläger bzw. „sein Unternehmen“ habe sich nicht am Stichtag 31. Dezember 2019 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden, für die Entscheidung kausal war,

vgl. zum Kausalitätserfordernis BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1996 – 3 C 13.94 -, juris Rn. 49; Müller in: Huck/Müller, VwVfG, 3. Auflage 2020, § 48 Rn. 34.

Ob dem Kläger bei der Abgabe der entsprechenden Erklärung gegebenenfalls nicht bewusst gewesen sein mag, dass er nicht anspruchsberechtigt war, kann dahinstehen, weil ein Verschulden für die Anwendung des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht erforderlich ist und die bloße Verursachung der Rechtswidrigkeit durch den Antragsteller für den Ausschluss von Vertrauensschutz nach dieser Vorschrift genügt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1996 – 3 C 13.94 -, juris Rn. 48; OVG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2018 – 4 A 150/17 -, juris Rn. 11.

Ebenso ist grundsätzlich unerheblich, ob die Behörde eine Mitverantwortung trifft. Eine solche Mitverantwortung der Behörde kann allenfalls im Einzelfall dazu führen, dass sich die Rücknahme des Verwaltungsakts entsprechend den Grundsätzen des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als unzulässige Rechtsausübung darstellt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 14. August 1986 – 3 C 9/85 -, juris Rn. 30; ohne ausdrückliche Bezugnahme auf § 242 BGB eine Ausnahme vom Ausschlusstatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW in diesen Fällen annehmend: BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 C 23/13 -, juris Rn. 33; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 10 B 676/18 -, juris Rn. 19.

Ein solcher Ausnahmetatbestand ist vorliegend nicht erfüllt. Es kann dabei dahinstehen, ob überhaupt von einer partiellen Mitverantwortung der Bezirksregierung E. für die fehlerhafte Angabe des Klägers auszugehen ist. Diese könnte allenfalls darin begründet liegen, dass im Antragsformular und in der Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020 an verschiedenen Stellen zwischen Unternehmen einerseits und Selbstständigen und Angehörigen Freier Berufe andererseits differenziert wird, obwohl wiederum an anderer Stelle, wie zum Beispiel in Ziffer 1.2 oder eben in Ziffer 2.2 der Richtlinie, – unmissverständlich – der Begriff des „Unternehmens“ als Oberbegriff auch für Soloselbstständige und Angehörige Freier Berufe verwendet wird. Jedenfalls hat aber die Verantwortung des Klägers für die Fehlerhaftigkeit des zu seinen Gunsten erlassenen Zuschussbescheides weit überwiegende Wirkung und lässt daher die Rücknahme nicht als treuwidrig erscheinen. Maßgeblich zu berücksichtigen ist nämlich insofern, dass es primär im Verantwortungsbereich des Klägers lag, zu eruieren, ob er Antragsberechtigter für die Gewährung des beantragten Billigkeitszuschusses war. Dabei hat er im konkreten Einzelfall nicht das zu fordernde Maß an Sorgfalt walten lassen. Legt man die – vom Kläger vorgetragene – Ansicht zugrunde, er sei als Soloselbstständiger nicht von dem Unternehmensbegriff in Ziffer 2.2 der Richtlinie NRW-Soforthilfe 2020 erfasst gewesen, steht hierzu bereits der Umstand im Widerspruch, dass er das Feld 6.8 („mein Unternehmen“ […]) im Antragsformular überhaupt angekreuzt hat. Insofern bestand schon nach seiner geschilderten Betrachtungsweise des Unternehmensbegriffes Nachforschungsbedarf, dem er mit einer Nachfrage bei der Bezirksregierung E. oder einer anwaltlichen Beratung – ggf. unter Inanspruchnahme von Beratungshilfe – hätte in zumutbarer Weise nachkommen können. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Soforthilfe hier aufgrund der pandemiebedingten Sondersituation unbürokratisch größtenteils allein auf der Grundlage von Versicherungen und Erklärungen des Antragstellers ohne jegliche Überprüfung dieser Angaben vor Erlass des Zuschussbescheides gewährt wurde, kam dem Antragsteller eine besondere Verantwortung für die eigenen Angaben zu.

c. Die Rücknahme des Bescheides erfolgte auch binnen der Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG NRW.

d. Schließlich hat die Bezirksregierung E. beim Erlass des Rücknahmebescheides auch ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Entscheidung, ob eine Rücknahme des Zuschussbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit gerechtfertigt ist, ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW eine Ermessensentscheidung der Behörde. Insoweit überprüft das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Vor diesem Hintergrund sind keine Ermessensfehler erkennbar.

Denn das der Bezirksregierung E. eingeräumte Ermessen bei der Rücknahme des angefochtenen Zuschussbescheides ist gemäß § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW als sog. intendiertes Ermessen zu qualifizieren. Danach wird in den Fällen des – hier einschlägigen – § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Mithin müssen besondere Gründe vorliegen, wenn eine Rücknahme nur für die Zukunft angeordnet oder überhaupt von der Rücknahme abgesehen werden soll. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst; mit der Folge, dass es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG NRW auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung bedarf,

vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1996 – 3 C 13.94 -, juris Rn. 51; OVG NRW, Urteil vom 26. März 2010 – 1 A 945/08 -, juris Rn. 97.

Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind. Die entsprechenden Erwägungen sind dann auch in der Begründung kenntlich zu machen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1996 – 3 C 13.94 -, juris Rn. 51; OVG NRW, Urteil vom 26. März 2010 – 1 A 945/08 -, juris Rn. 99.

Im Falle des Klägers liegen derartige außergewöhnliche Umstände nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls ausnahmsweise zurücktritt,

vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 48 Rn. 127c.

Insbesondere die – von der Bezirksregierung E. in ihren Ermessenserwägungen nicht einbezogene – Tatsache, dass der Kläger, der den Zuschuss in Höhe von 9.000,00 Euro nach eigenen Angaben verbraucht hat und nicht über finanzielle Mittel verfügt, sie zurückzuzahlen, wirtschaftlich in seiner Existenz bedroht ist, kann schon deshalb nicht zur Annahme eines atypischen Falles im Rahmen der Ermessenserwägung über die Rücknahme des Zuschussbescheides herangezogen werden, weil die wirtschaftliche Existenzbedrohung bereits zum Stichtag 31. Dezember 2019 bestand und im konkreten Fall schon auf tatbestandlicher Ebene die fehlende Antragsberechtigung begründet.

II. Die Rückforderung des gezahlten Zuschusses in der geltend gemachten Höhe ist ebenfalls rechtmäßig.

Rechtsgrundlage ist § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit – wie hier – ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Die zu erstattende Leistung ist gemäß § 49a Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW durch schriftlichen Verwaltungsakt festgesetzt.

B. Die Kosten des Verfahrens trägt nach § 154 Abs. 1 VwGO der Kläger. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Der Antrag kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingereicht werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.

Die Berufung ist nur zuzulassen,

1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen.

Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.

Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG -). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.

Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 9.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 3 GKG erfolgt.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.

Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,– Euro nicht übersteigt.

Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.

War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

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