VG Würzburg, Beschluss vom 17.10.2016 – W 6 S 16.993

Februar 8, 2021

VG Würzburg, Beschluss vom 17.10.2016 – W 6 S 16.993

Tenor

I.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 2 des Bescheides des Landratsamts Aschaffenburg vom 20. September 2016 wird angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

II.

Von den Kosten hat der Antragsteller 4/5 und der Antragsgegner 1/5 zu tragen.

III.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit einer Duldungsanordnung betreffend die infektionsschutzrechtliche Begehung seiner Arztpraxis.

In der Vergangenheit erfolgten wiederholt Maßnahmen des Antragsgegners (vertreten durch das Landratsamt Aschaffenburg) gegen den Antragsteller betreffend seine Arztpraxis, unter anderem die Anordnung der Praxisschließung wegen Hygienemängel (vgl. W 6 K 16.398 und W 6 S 16.399).

Mit Bescheid vom 20. September 2016 ordnete der Antragsgegner an, dass der Antragsteller und dessen Beschäftigte mit sofortiger Wirkung die Begehung aller Räume in seiner Arztpraxis zu dulden hätten (Nr. 1). Für den Fall, dass der Antragsteller dem Kontrollpersonal des Landratsamtes (insbesondere des Gesundheitsamtes) den Zutritt zu Teilen der Praxis oder der Praxis als Ganzes verwehre, so werde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Nr. 2).

Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller betreibe in seinem Anwesen eine allgemeinmedizinische Praxis. Bereits in der Vergangenheit sei aufgefallen, dass massive hygienische Verstöße vom Antragsteller in den genannten Räumen zu vertreten gewesen seien. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. März 2015 habe der Antragsteller zur Duldung der Kontrollen der Praxis durch Mitarbeiter des Gesundheitsamtes verpflichtet werden müssen. Er habe im Rahmen einer Hygienekontrolle die Überprüfung aller Räume zu dulden gehabt, die als Arztpraxis dienten. Hierzu gehörten unter anderem Lagerräume, Toilettenanlagen, Personalaufenthaltsräume, Büros, Behandlungszimmer, Wartebereiche. Am 1. April 2015 und am 19. März 2016 sei jeweils eine Anordnung der Praxisschließung wegen Hygienemängel erfolgt. Nach einer Nachbegehung am 29. April 2016 habe die Praxis abgenommen werden können. Am 14. Juli 2016 habe eine Überprüfung stattgefunden. Wegen neuer Verrümpelungstendenzen und Hygienemängel sei eine Nachkontrolle erforderlich gewesen. Am 20. September 2016 sei die Überprüfung gescheitert. Der Antragsteller habe über die Zulassung einer Kontrolle erst nach Rücksprache mit seinem Anwalt entscheiden wollen. Die Kontrolle sei abgebrochen worden. Der Antragsteller habe keine Kontrolle seiner Praxis dulden wollen und das Kontrollpersonal der Praxis verwiesen.

Rechtsgrundlage der Untersagung sei § 16 Abs. 1 IfSG. Der Antragsteller habe große Schwierigkeiten, die Praxis in einem Zustand zu halten, der dem Mindeststandard einer Arztpraxis entspreche. Es sei immer wieder dazu gekommen, dass Praxisräume verrümpelt gewesen seien, Medikamente vorrätig gehalten worden seien, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen gewesen sei oder praxisferne Artikel gehortet worden seien. Solche Zustände der Praxis würden die Gefahr der ungewollten Übertragung von Krankheitserregern in sich bergen. In der Praxis würden auch invasive Eingriffe vorgenommen, wie etwa Blutentnahmen oder die Verabreichung von Injektionen. Im festgestellten Umfeld sei die Gefahr einer Keimübertragung konkret gegeben. Nur durch eine relativ dichte Kontrolle sei ein Entgleisen der Hygienevorsorge zu verhindern. Der Antragsteller sei nicht willens oder in der Lage, die allgemein anerkannten Regeln der Praxishygiene zum Schutz seiner Patienten zu gewährleisten. Aus diesem Grund habe der Antragsteller die Kontrollen zu dulden. Er könne sich nicht aussuchen, wann und durch wen seine Praxis kontrolliert werde. Die Beauftragten des Landratsamtes seien zur Durchführung von Ermittlungen und zur Überwachung der angeordneten Maßnahmen berechtigt, Grundstücke, Räume, Anlagen und Einrichtungen aller Art zu betreten (§ 16 Abs. 2 IfSG). Die Anordnungen seien kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 16 Abs. 8 IfSG). Die Androhung des Zwangsgeldes beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Wenn der Antragsteller abermals eine Kontrolle eines Praxisraumes oder der ganzen Praxis nicht hinnehme, so werde er jeweils eine Rechnung über das fällige Zwangsgeld erhalten.

Am 28. September 2016 ließ der Antragsteller im Verfahren W 6 K 16.992 Klage gegen den Duldungsbescheid vom 20. September 2016 erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes Aschaffenburg vom 20. September 2016 anzuordnen.

Zur Begründung brachte er im Sofortverfahren vor, ohne die erforderliche gegenständliche und räumliche Beschränkung des Duldungsbescheides überwiege das private Hausrecht des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse. Des Weitere wurde im Klagebegründungsschriftsatz ausgeführt: Der Bescheid sei wegen Unbestimmtheit rechtswidrig. Er erfülle nicht die Bestimmtheitsanforderungen an eine Duldungsanordnung. Der Antragsteller solle mit sofortiger Wirkung verpflichtet werden, „die Begehung aller Räume in seiner Arztpraxis“ zu dulden. Dabei werde offen gelassen, zu welchem Zweck die Begehung stattfinden solle. Der Antragsteller habe einen Anspruch darauf, dass sich die Begehung auf eine Hygienekontrolle in Räume beschränke, die tatsächlich als Arztpraxis genutzt würden. Ohne diese räumliche und gegenständliche Beschränkung sei der Duldungsbescheid willkürlich. Der Begehungsbericht über die vorausgegangene Begehung vom 14. Juli 2016 sei dem Antragsteller erst mit Schreiben vom 21. September 2016 mitgeteilt worden. Zuvor habe er keine Möglichkeit gehabt, dazu Stellung zu nehmen. Die Nachbegehung sei zurückzustellen, bis der Antragsteller Gelegenheit gehabt habe, zum Ergebnis der vorausgegangenen Kontrolle Stellung zu nehmen.

Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2016 ließ der Antragsteller weiter ausführen: Er habe bei der Nachkontrolle am 20. September 2016 angesichts der Vielzahl der Kontrollpersonen und des ausgeübten Kontrolldrucks zunächst Rücksprache mit dem Prozessbevollmächtigten halten wollten. Unzutreffend sei, dass der Antragsteller die Kontrollpersonen ausdrücklich der Praxis verwiesen habe. Vielmehr hätten die Kontrollpersonen die Nachkontrolle von sich aus abgebrochen. Der Antragsteller sei Eigentümer des gesamten Anwesens, so dass die räumlichen Grenzen zwischen Arztpraxis und Privaträumen nicht objektiv durch einen Mietvertrag vorgegeben seien. Der Umfang der Kontrolle bedürfe einer räumlichen Abgrenzung.

Das Landratsamt Aschaffenburg beantragte mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2016 für den Antragsgegner,

den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzuweisen.

Der Antragsgegner führte zur Begründung der Antragserwiderung aus: Die Praxis habe aufgrund der gemachten Erfahrungen in überschaubaren Zeitabständen kontrolliert werden sollen, damit früher zu beklagende Missstände nicht wieder vorkämen. Der Antragsteller habe am 20. September 2016 deutlich gemacht, dass er eine Praxisbegehung ausschließlich in Anwesenheit seines Anwaltes hinnehmen wolle. Die Diskussion habe schließlich damit geendet, dass der Antragsteller die Beschäftigten des Landratsamts ausdrücklich der Praxis verwiesen habe. Bei der Kontrolle am 14. Juli 2016 seien wieder erhebliche Mängel bezüglich der Praxishygiene festzustellen gewesen. Die bei früheren Begegnungen angetroffenen Zustände der Praxis begünstigten eine Übertragung von Krankheiten oder sie seien zumindest höchstwahrscheinlich Hinweise auf das Vorliegen solcher Tatsachen. Die Tatsache, dass die Praxis bereits mehrfach auf amtsärztlicher Anordnung hin geschlossen worden sei, belege die Sorge um eine regelrechte Patientenversorgung nachdrücklich. Aufgrund der Regelung in § 16 Abs. 2 IfSG sei das Gesundheitsamt zur Begehung der Praxis berechtigt gewesen. Der Antragsteller sei bereits gesetzlich zur Duldung der Begehung verpflichtet. Die Rüge der mangelnden Bestimmtheit der Duldungsanordnung könne nicht nachvollzogen werden. Es gehe hier einzig und allein um die Räume der Arztpraxis. Die Praxisräume ergäben sich aus dem Grundriss, welcher der Baugenehmigung des Gebäudes zugrunde läge. Es gehe nicht um Privaträume oder Kellerräume. Hätte der Antragsteller nicht kategorisch die Besichtigung der Praxis verweigert, so hätte ihm anhand des Grundrisses das Ansuchen des Amtes erläutert werden können. Der Antragsteller sei nicht kooperativ. Dem Landratsamt blieben ausschließlich Kontrollen zur Verhinderung einer akuten Gefährdung der Patienten. Das Verhalten des Antragstellers habe in der Vergangenheit gezeigt, dass es Zustände gegeben habe, die eine latente Gefahr für die Patienten beinhalteten. Der Antragsteller solle dazu angehalten werden, der nachschauenden Behörde Gelegenheit zu geben, sich von einer hinreichend ordnungsgemäßen Praxisführung zu überzeugen. Insofern sei die Anordnung verhältnismäßig und geboten gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Klageverfahrens W 6 K 16.992) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang teilweise begründet; im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und statthaft, soweit der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 1 des Bescheides vom 20. September 2016 anzuordnen. Nach § 16 Abs. 8 IfSG (Infektionsschutzgesetz) hat die Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach § 16 Abs. 1 bis 3 IfSG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Auch die Klage gegen die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Zwangsgeldandrohung entfaltet gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. Art. 21a Satz 1 VwZVG (Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz) keine aufschiebende Wirkung.

Entfällt kraft Gesetzes die aufschiebende Wirkung, so kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wobei es eine eigene Abwägungsentscheidung trifft. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts oder Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.

Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass die Klage voraussichtlich mit großer Wahrscheinlichkeit nur zum Teil Erfolg haben wird.

Der Antrag mit Bezug auf Nr. 2 des Bescheides vom 20. September 2016 ist begründet, weil die Zwangsgeldandrohung rechtswidrig ist.

So bestehen rechtliche Bedenken betreffend die hinreichende Bestimmtheit der Zwangsgeldandrohung (Art. 36 Abs. 3 und Abs. 5 VwZVG, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), weil nach der Formulierung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides, wonach für den Fall, dass der Antragsteller „den Zutritt zu Teilen der Praxis oder der Praxis als Ganzes verwehrt, … jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € angedroht“ wird, unklar bleibt, worauf sich das „jeweils“ bezieht, ob etwa bei Verweigerung des Zutritts zu verschiedenen Teilen der Praxis mehrere Zwangsgelder fällig werden, also für jeden Teil ein gesondertes Zwangsgeld, zum Beispiel für jeden Raum. Eine Androhung zur Durchsetzung mehrerer Verpflichtungen muss erkennen lassen, ob sich diese auf Verstöße gegen jede einzelne bezieht oder nur auf Verstöße gegen alle Verpflichtungen zugleich. Zwangsmittel müssen bestimmt und unzweideutig angedroht und einer bestimmten Unterlassungs- und Duldungspflicht konkret zugeordnet werden. Dabei dürfen mehrere Zwangsmittel nicht gleichzeitig angedroht werden. Unklarheiten gehen zulasten der Behörde (vgl. nur Giehl, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, 34. Aktualisierung, März 2013, Art. 36 VwZVG Erl. III und IV).

Auch liegt ein Verstoß gegen das Kumulationsverbot des Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG vor. Denn ein Zwangsgeld kann nicht für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht werden. Eine besondere gesetzliche Ermächtigung für eine solche Vorgehensweise besteht im bayerischen Landesrecht nicht. Eine Zwangsmittelandrohung für jeden Fall der Zuwiderhandlung beinhaltet zugleich eine unzulässige gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel unter Verstoß gegen Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG. Die Androhung einer unbestimmten Zahl von Zwangsmitteln, die allein vom Verhalten des Adressaten und der Häufigkeit der Kontrollen der Behörden abhängt, ist rechtswidrig. So ist unzulässig, mehrere Zwangsmittel zur Anwendung nacheinander für den Fall der Erfolglosigkeit unter Anwendung des ersten angedrohten Zwangsmittels gleichzeitig anzudrohen. Eine neue Androhung ist nach Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG vielmehr erst dann zulässig, wenn die Androhung des Zwangsmittels erfolglos geblieben ist und die Vollstreckungsbehörde festgestellt hat, dass die erste Androhung offensichtlich ihren Zweck nicht erreicht hat (vgl. VG Regensburg, U.v. 22.10.2010 – RO 09.00083 usw. – juris; NdsOVG, B.v. 28.10.2010 – 13 ME 86/10 – OVGE MüLü 53, 448; BVerwG, GB v. 26.6.1997 – 1 A 10/95 – Buchholz 452.00 § 93 VAG Nr. 1 sowie Deusch/Burr in Beck’scher Online-Kommentar, VwVG, Bader/Ronellenfitsch, 32. Edition, Stand 1.4.2016, § 13 VwVG Rn. 21; Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVfG, VwZG, 10. Auflage 2014, § 13 VwVG Rn. 4; Weber in Praxis der Kommunalverwaltung A 19 Bay, September 2012, Art. 36 VwZVG Erl. 8.2 und 8.5; Harrer/Kugele/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Art. 36 VwZVG Rn. 9 und 14; Giehl, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, 34. Aktualisierung, März 2013, Art. 36 VwZVG Erl. III und IV 1).

Gegen diese gesetzlichen Vorgaben verstößt die Zwangsgeldandrohung unter Nr. 2 des Bescheides vom 20. September 2016, weil dort ausdrücklich bestimmt ist, dass jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht wird, falls der Antragsteller dem Kontrollpersonal des Landratsamtes (insbesondere des Gesundheitsamtes) den Zutritt zu Teilen der Praxis oder der Praxis als Ganzes verwehrt. Nach der Begründung des Bescheides, in der an mehreren Stellen von den erforderlichen Kontrollen (Plural) die Rede ist, bezieht sich die Zwangsgeldandrohung auf eine Mehrzahl von Kontrollen. Weiterhin ist in der Begründung dazu ausgeführt, das angedrohte Zwangsgeld werde fällig, wenn die auferlegte Verpflichtung nicht eingehalten werde. Da die Androhung einen Leistungsbescheid im Sinne von Art. 23 Abs. 1 VwZVG darstelle, könne das Zwangsgeld im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben werden, wenn die Zwangsgeldforderung fällig werde; eines neuen Verwaltungsaktes bedürfe es dazu nicht. Mit anderen Worten: Wenn der Antragsteller abermals eine Kontrolle eines Praxisraums oder der ganzen Praxis nicht hinnehme, so werde er jeweils eine Rechnung über das fällige Zwangsgeld erhalten. Eine solche Vorgehensweise ist unzulässig, weil der Vorbehalt des Gesetzes einer solchen Androhung auf Vorrat entgegensteht. Der Antragsgegner würde so mit einer einzigen Zwangsgeldandrohung nacheinander verschiedene Zwangsgelder kumulieren, ohne dass entgegen Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG neue Androhungen bei Erfolglosigkeit des vorigen Zwangsmittels erfolgen müssten. Die Androhung kann auch nicht in dem Sinne teilweise aufrechterhalten werden, dass jedenfalls eine erste Zwangsgeldfestsetzung möglich ist; dies verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot des Androhungsrechts (siehe Art. 36 Abs. 3 und Abs. 5 VwZVG). Letztlich ist die Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides insgesamt rechtswidrig ist (vgl. BVerwG, GB v. 26.6.1997 – 1 A 10/95 – Buchholz 452.00 § 93 VAG Nr. 1).

Im Übrigen ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage – betreffend Nr. 1 des Bescheides vom 20. September 2016 – unbegründet.

Eine summarische Prüfung der Hauptsache ergibt, dass die Klage insoweit voraussichtlich mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. Denn die in Nr. 1 getroffene Regelung ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Duldungsanordnung ist § 16 Abs. 1 und Abs. 2 IfSG. Danach sind in Fällen des § 16 Abs. 1 IfSG die Beauftragten der zuständigen Behörde und des Gesundheitsamts zur Durchführung von Ermittlungen und zur Überwachung der angeordneten Maßnahmen berechtigt, Grundstücke, Räume, Anlagen und Einrichtungen sowie Verkehrsmittel aller Art zu betreten und Bücher oder sonstige Unterlagen einzusehen und hieraus Abschriften, Ablichtungen oder Auszüge anzufertigen oder sonstige Gegenstände zu untersuchen oder Proben zur Untersuchung zu fordern oder zu entnehmen. Der Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist verpflichtet, den Beauftragten der zuständigen Behörde und des Gesundheitsamts Grundstücke, Räume, Anlagen, Einrichtung und Verkehrsmittel sowie sonstige Gegenstände zugänglich zu machen. Voraussetzung für ein Einschreiten ist gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 IfSG, dass Tatsachen festgestellt werden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, oder dass anzunehmen ist, dass solche Tatsachen vorliegen. Dann trifft die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren.

Nicht erst die Feststellung, sondern bereits die Annahme, dass Tatsachen vorliegen könnten, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG führen könnten, befugt und verpflichtet die Behörde zu den notwendigen Maßnahmen, einschließlich entsprechender Kontrollmaßnahmen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen muss die Behörde tätig werden; ein Ermessensspielraum bleibt nur bei der Auswahl der notwendigen Maßnahmen (Pelchen in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 208. Ergänzungslieferung Mai 2016, § 16 IfSG Rn. 1). Die Eingriffsvoraussetzungen sind dabei relativ großzügig. Denn es entspricht dem Ziel der Regelung, übertragbare Krankheiten bereits im Vorfeld, also noch vor Ausbruch und ihrer Verbreitung, bekämpfen zu können (vgl. VG München, B.v. 6.5.2013 – M 18 E 13.1883 – juris; VG Karlsruhe, U.v. 20.10.2011 – 9 K 2215/10 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 4.1.2009 – 5 K 6458/08 – juris; OVG NRW, B.v. 4.11.2008 – 13 E 1290/08 – WuM 2008, 740).

Hinreichende Anhaltspunkte als Rechtfertigung für Kontrollmaßnahmen lagen hier vor. Der Antragsgegner hat zu Recht auf die Vorgeschichte und die hierdurch bedingte Notwendigkeit zeitnaher Kontrollen und Nachkontrollen verwiesen. Der Antragsteller hat zuletzt bei einer Überprüfung am 14. Juli 2016 neue Verrümpelungstendenzen und Hygienemängel festgestellt und dokumentiert. Aufgrund der aktenkundigen Feststellungen besteht die Gefahr, dass durch die Tätigkeiten in der Arztpraxis über das Blut Krankheitserreger übertragen werden können (vgl. § 36 Abs. 2 IfSG). Da in der Praxis gerade auch invasive Eingriffe vorgenommen werden, wie Blutabnahmen oder Verabreichung von Injektionen, ist die konkrete Gefahr einer Keimübertragung gegeben und eine Gefährdung des Patientenwohls zu befürchten. Denn der Zweck des Infektionsschutzgesetzes nach § 1 Abs. 1 IfSG ist, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Wesentlicher Schwerpunkt des Infektionsschutzrechts ist die Verstärkung der Prävention übertragbarer Krankheiten. Es verpflichtet die zuständigen Behörden deshalb bereits in einem sehr frühen Stadium, Gefahrenabwehrmaßnahmen zu ergreifen. Gegen das grundsätzliche Erfordernis der Kontrolle aus infektionshygienischer Sicht hat die Antragstellerseite auch nichts substanziiert vorgebracht.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner nach § 16 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 IfSG ohnehin schon kraft Gesetzes ohne das Erfordernis einer behördlichen Anordnung verpflichtet ist, entsprechende Kontrollen seiner Arztpraxis zu dulden. Darüber hinaus bestimmen gleichermaßen § 1 Abs. 1 Nr. 8 i. V. m. § 14 Abs. 2 und Abs. 4 MedHygV (Verordnung zur Hygiene und Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen), dass insbesondere Arztpraxen durch die zuständigen Behörden infektionshygienisch überwacht werden. Die mit der Überwachung beauftragten Personen sind danach, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, befugt, zu Betriebs- und Geschäftszeiten Betriebsgrundstücke, Geschäfts- und Betriebsräume, zum Betrieb gehörende Anlagen und Einrichtungen sowie Verkehrsmittel zu betreten, zu besichtigen usw. Eine entsprechende Befugnis ergibt sich ausdrücklich auch aus Art. 16 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GDVG (Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz), die ebenfalls bestätigen, dass eine anlassbezogene Hygieneüberwachung von Arztpraxen und das dazu erforderliche Betreten und Besichtigen der betreffenden Räumlichkeiten zulässig ist (vgl. auch Wachsmuth/Schua/Scheid, Praxis der Kommunalverwaltung K 6 Bay, GDVG, September 2015, Art. 16 Erl. 3 und Art. 17 Erl. 2). Gravierende infektionshygienische Mängel berechtigen im Übrigen erforderlichenfalls zu noch deutlich weiterreichenden Maßnahmen, wie zur Praxisschließung und letztlich sogar zum Widerruf der Approbation als Arzt (vgl. dazu BayVGH, B.v. 20.5.2016 – 21 CS 16.752 – juris).

Die Nr. 1 des Bescheides vom 20. September 2016 leidet – entgegen dem Vorbringen des Antragstellerbevollmächtigten – auch nicht an Bestimmtheitsmängeln nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.

Das Bestimmtheitsgebot in Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG bedeutet zum einen, dass der Adressat des Verwaltungsakts in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Zum anderen muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts sowie nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Dabei genügt die Erkennbarkeit des Inhalts der Regelung aufgrund einer Auslegung des Verwaltungsakts unter Berücksichtigung der weiteren Umstände. Bei der Ermittlung des Inhalts der Regelung ist nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Personen abzustellen, die innerhalb der Behörde die Entscheidung getroffen oder den Verwaltungsakt verfasst haben, sondern auf den objektiven Erklärungsinhalt des Verwaltungsakts. Es genügt, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts, also neben dem Tenor aus der von der Behörde gegebenen Begründung des Verwaltungsakts, aus dem Zusammenhang, aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses sowie den dem Erlass gegebenenfalls vorausgegangenen Verfahren und Maßnahmen im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann. (vgl. etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 37 Rn. 5 ff.).

Die Nr. 1 des Bescheides vom 20. September 2016 ist hinreichend bestimmt. Dort ist geregelt, dass die Duldungsanordnung die „Begehung aller Räume in seiner Arztpraxis“ in dem Anwesen des Antragstellers betrifft. In der Begründung findet sich unter anderem die Ausführung mit Bezug auf eine frühere Duldungsmaßnahme, dass die Hygienekontrolle sich auf die Überprüfung aller Räume bezieht, die der Arztpraxis dienen. Hierzu gehörten unter anderem Lagerräume, Toilettenanlagen, Personalaufenthaltsräume, Büros, Behandlungszimmer, Wartebereiche. Die Duldungsanordnung bezieht sich damit ausdrücklich auf die Praxisräume und nicht auf reine Privaträume, die sich ebenfalls in dem Anwesen befinden. Hintergrund waren Überprüfungen in der Vergangenheit, gerade auch in der Arztpraxis. Einer vorherigen ausdrücklichen weiteren räumlichen Abgrenzung bedurfte es nicht. Vielmehr genügt hier eine funktionale Konkretisierung der Räumlichkeiten, die der Arztpraxis zugehören bzw. der Arztpraxis dienen. In der Antragserwiderung vom 6. Oktober 2016 hat der Antragsgegner ausdrücklich klargestellt, dass es nicht um Privaträume oder Kellerräume gehe. Die Praxisräume ergäben sich aus dem Grundriss, welcher der Baugenehmigung des Gebäudes zugrunde liege. Der Antragsgegner hat auch nicht vorgebracht, dass die Bediensteten der Antragsgegnerseite Räumlichkeiten hätten besichtigen wollen, die nicht zur Arztpraxis gehörten bzw. nicht der Arztpraxis dienten. Insbesondere hat der Antragsteller nicht vorgebracht, dass bei den früheren Hygienebegehungen Räumlichkeiten besichtigt worden wären, die keinen Bezug zur Arztpraxis gehabt hätten, bzw. dass abweichend davon nun solche Maßnahmen vorgesehen gewesen seien. Ausweislich einer Stellungnahme vom 21. September 2016 waren Gegenstand der vorhergehenden Kontrolle am 14. Juli 2016 das Arztzimmer 1 (Flur rechts), das Arztzimmer 2 (Flur links), der Flur- und Wartebereich, das Behandlungszimmer, das Labor, der Heizungsraum, der Personalaufenthaltsraum sowie der Notdienstkoffer.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde nach dem umfassenden Schutzzweck des Infektionsschutzrechts auch das Recht hat, bestimmte Räume zu betreten und zu besichtigen, um zu klären, ob ein Praxisbezug besteht, wenn entsprechende Anhaltspunkte auch für diese Räume vorliegen, etwa betreffend die Räume, die – wie hier – nach dem Grundriss aus der Bauakte zur Arztpraxis gehören, aber deren Betreten der Antragsteller etwa bei der Kontrolle am 17. März 2016 offensichtlich mangels Begehbarkeit verweigert hat (vgl. Bl. 104 f. und 163 der Behördenakte).

Insgesamt betrachtet hat das Gericht keinen Zweifel, dass mit dem Bezug auf die Räume der Arztpraxis eine hinreichende gegenständliche und räumliche Beschränkung der Duldungsanordnung gegeben war und ist, ohne dass ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot vorliegt.

Nach alledem hat das Landratsamt Aschaffenburg die Duldungsanordnung gemäß Nr. 1 des Bescheids vom 20. September 2016 zu Recht erlassen. Aufgrund des überragenden Schutzzwecks des Infektionsschutzrechts überwiegen die infektionshygienischen Interessen und der Schutz der Patienten die privaten und beruflichen Interessen des Antragstellers. Die Duldungsanordnung zur Begehung der zur Arztpraxis gehörenden bzw. der Arztpraxis dienenden Räume ist gerade nach den Gesamtumständen des vorliegenden Falles ohne zeitlichen Aufschub, geschweige denn ohne Verzögerung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu dulden, zumal das infektionsschutzrechtlich begründete Recht, die Räumlichkeiten der Arztpraxis zu betreten und die damit korrespondierende Pflicht des Antragstellers, dies zu dulden, sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Eine zeitweilige Aussetzung dieser Duldungspflicht ist kontraproduktiv und sowohl infektionshygienisch als auch im Patientenwohl nicht hinnehmbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie folgt dem Grad des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 § 63 Abs. 2 GKG und der Empfehlung in Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wonach der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR im Sofortverfahren zu halbieren war, so dass letztlich 2.500,00 EUR festzusetzen waren.

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