OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.01.2009 – 15 B 1609/08

August 2, 2021

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.01.2009 – 15 B 1609/08

Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.138,75 Euro festgesetzt.

Gründe
Der Senat hat das Rubrum auf Seiten des Antragsgegners von der Körperschaft auf deren Bürgermeister als die im Anfechtungshauptsacheverfahren zu verklagende Behörde (§ 78 Abs. 1 Nr. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 des nordrheinwestfälischen Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung) umgestellt.

Die so zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung der Klage 17 K 4878/08 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf gegen den Vorausleistungsbescheid des Antragsgegners vom 25. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2008 anzuordnen,

zu Recht stattgegeben. Auch unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren vorgetragenen, allein vom Senat zu prüfenden Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheides (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) im Sinne der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs des Rechtsbehelfs, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen war.

Allerdings kann die Entscheidung nicht darauf gestützt werden, dass die Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr Eigentümerin des erschlossenen Grundstücks und deshalb auch nicht vorausleistungspflichtig sei. Eigentümerin des Flurstücks 119 war die Antragstellerin bis zum 31. Oktober 2007, dem Tag der Eintragung des Eigentums der U. Entwicklungsgesellschaft mbH, die auf Grund der Auflassung vom 13. September 2007 erfolgte. Erst damit ging das Eigentum über (§ 873 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB -). Die Vorausleistungspflicht entstand jedoch bereits mit der Bekanntgabe des Vorausleistungsbescheides.

Vgl. Dietzel in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Straßenbaubeitragsrecht, G Rn. 165; Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes Nordrhein-Westfalen, 6. Aufl., Rn. 233; ebenso für das Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1968 – IV C 29.67 -, DVBl. 1968, 521; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitrage, 8. Aufl., § 21 Rdnr. 32; ebenso für das rheinlandpfälzische Entwässerungsbeitragsrecht OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. Oktober 1989 – 12 A 48/89 -, NVwZ 1990, 1091 f.

Beitragspflichtig war diejenige Person, die in diesem Zeitpunkt Eigentümerin war, also die Antragsstellerin. Spätere Veränderungen in der Eigentümerstellung berühren die einmal in dieser Person entstandene Vorausleistungspflicht ebenso wenig wie bei der einmal entstandenen endgültigen Beitragspflicht.

Jedoch setzt der Bescheid eine Vorausleistung für das falsche Grundstück fest. Entgegen der im Bescheid niedergelegten Annahme ist nicht die aus den Flurstücken 119, 122, 123, 124 teilweise und 125 teilweise gebildete Fläche das der zukünftigen Beitragspflicht unterworfene Grundstück. Bei diesen Flurstücken handelt es sich im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides um je eigene Buchgrundstücke, da sie im Bestandsverzeichnis des Grundbuches von L. , Bl. 762, unter je eigener laufender Nummer geführt wurden.

Vgl. zu dieser Definition des Grundstücks im bürgerlich rechtlichen (grundbuchrechtlichen) Sinne Demharter, GBO, 26. Aufl., § 2 Rn. 15; Ellenberger, in: Palandt, BGB, 68. Aufl., Überbl v § 90 Rdnr. 3; Wacke, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6, 4. Aufl., Vor § 873 Rn. 3; Tussaint, in: Juris Praxiskommentar BGB, Bd. 3, 2. Aufl., § 890 Rn. 7.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist unerheblich, dass die Flurstücke alle im Bestandsverzeichnis eines einzigen Grundbuchblattes aufgeführt sind. Zwar ist dann, wenn ein Realfolium geführt wird, für jedes Grundstück ein Grundbuchblatt zu führen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 der Grundbuchordnung – GBO -).

Demharter, GBO, 26. Aufl., § 3 Rn. 2.

Wenn jedoch – wie hier – ein Personalfolium angelegt ist, kann über mehrere Grundstücke desselben Eigentümers ein gemeinschaftliches Grundbuchblatt geführt werden (§ 4 Abs. 1 GBO).

Allerdings ist Grundstück im Sinne des Beitragsrechts nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW) die wirtschaftliche Einheit, also der demselben Eigentümer gehörende Teil der Grundfläche, der selbständig – regelmäßig baulich oder gewerblich – genutzt werden kann. Ausgangspunkt ist das Buchgrundstück, denn in der Mehrzahl der Fälle sind Grundstücke des bürgerlichen Rechts zugleich auch wirtschaftliche Einheiten. Davon ausgehend ist hier festzustellen, ob das an der U1.–straße liegende, landwirtschaftlich genutzte Flurstück 119 und die dahinter liegenden, hier veranlagten weiteren Buchgrundstücke ganz oder teilweise zur Bildung einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefasst werden müssen. Für eine Zusammenlegung von Flächen ist ein Mindestmaß an rechtlicher Zusammengehörigkeit der Flächen erforderlich.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. Juni 2008 – 15 A 285/06 -, KStZ 2008, 171 (172); Urteil vom 15. März 2005 – 15 A 636/03 -, NWVBl. 2005, 317 (318).

Hier ist das aus dem Flurstück 119 bestehende Buchgrundstück allein von der ausgebauten U1.–straße erschlossen. Für eine Zusammenlegung dieses Flurstücks mit den wohl eine wirtschaftliche Einheit bildenden und gewerblich genutzten Flurstücken 123, 124 und 125 fehlt jeglicher Anhalt. Für das erforderliche Mindestmaß rechtlicher Zusammengehörigkeit ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Allenfalls kann erwogen werden, ob das hinter dem Flurstück 119 liegende, ebenfalls wie dieses landwirtschaftlich genutzte und nicht von der U1.–straße erschlossene Flurstück 122 mit den Gewerbegrundstücken einer wirtschaftlichen Einheit zuzurechnen ist. Der Antragsgegner behauptet, dass dafür 1968 eine Baugenehmigung für einen dem Betrieb zuzuordnenden Parkplatz erteilt worden sei. Unabhängig davon, dass diese Baugenehmigung wohl mangels Verwirklichung im Zeitpunkt des Erlasses des Vorausleistungsbescheides erloschen gewesen sein dürfte, wäre eine so gebildete wirtschaftliche Einheit und damit das beitragsrechtliche Grundstück ebenfalls kein Anliegergrundstück der U1.–straße.

Somit kann lediglich für das Flurstück 119 als unmittelbares Anliegergrundstück eine Beitragspflicht und damit eine Vorausleistungspflicht entstehen, allenfalls für die Flurstücke 119 und 122 gemeinsam, wenn bei ihnen die Voraussetzungen für eine Zusammenlegung zu einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne eines Mindestmaßes rechtlicher Zusammengehörigkeit vorliegen.

Die Flurstücke 123, 124 und 125 sind auch nicht als Hinterliegergrundstück beitragspflichtig.

Vgl. zum Erschlossensein eines Hinterliegergrundstücks OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2007 – 15 A 785/05 -, NVwZ-RR 2007, 808 (809); Beschluss vom 14. Oktober 2005 – 15 A 240/04 -, KStZ 2006, 16 (17 f.).

Da nämlich das Gewerbegrundstück bereits anderweitig voll erschlossen ist, nämlich über eine Zufahrt zur C.——straße, reicht die bloße Möglichkeit, eine Zufahrt über die Flurstücke 122 und 119 zur U1.–straße anzulegen, nicht aus, um von einem Erschlossensein des Gewerbegrundstücks zu sprechen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2005 – 15 A 548/03 -, NVwZ-RR 2006, 63 (65).

Obwohl somit zwar jedenfalls für das Flurstück 119, möglicherweise auch für das Flurstück 122 als Teil des Beitragsgrundstücks oder als Hinterliegergrundstück, eine Beitragspflicht entstehen kann, war die aufschiebende Wirkung der Klage dennoch voll anzuordnen. Denn der in das Ermessen des Antragsgegners gestellte Vorausleistungsbescheid geht von der grundsätzlich unrichtigen Annahme aus, das Flurstück 119 sei als Teil eines Gewerbegrundstücks beitragspflichtig. Außerdem bedürfte es zur Beurteilung der Beitragspflicht nur des Flurstücks 119 und gegebenenfalls des Flurstücks 122 noch der Prüfung, ob diese Flurstücke überhaupt bebaubar sind, so dass die Verteilungsanteile noch zu ermitteln sind, was möglicherweise wiederum Rückwirkungen auf den zu Grunde zu legenden Beitragssatz hat. Alle diese Gesichtspunkte, die das Ob der Heranziehung und die Höhe der geforderten Vorausleistung beeinflussen können, hat der Antragsgegner gegebenenfalls im weiteren Verfahren zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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