LG Cottbus, Urteil vom 27.01.2009 – 25 Ns 278/08

August 12, 2021

LG Cottbus, Urteil vom 27.01.2009 – 25 Ns 278/08

Tenor
Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Cottbus vom 13.10.2008 aufgehoben.

Der Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse, die auch seine notwendigen Auslagen zu tragen hat, freigesprochen.

Gründe
I

Das Amtsgericht Cottbus verurteilte den Angeklagten am 13.10.2008 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10 €. Hiergegen richtete sich die zulässige Berufung des Angeklagten, der einen Freispruch erstrebt hat. Das zulässige Rechtsmittel hatte auch in der Sache Erfolg und führte zu einer Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils und einer Freisprechung des Angeklagten.

II

Die Berufungshauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen geführt:

1 Zur Person des Angeklagten

Der 57-jährige Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger und verheiratet. Er hat weder minderjährigen Kindern noch anderen Verwandten Unterhalt zu leisten. Der Angeklagte ist von Beruf Lokführer, jedoch Frührentner und erhält monatlich 329 € Rente und ergänzend Arbeitslosengeld II.

2 Zur Sache

Am 09.11.2006 richtete der Angeklagte in dem Zivilprozess Aktenzeichen … ein Schreiben an das Amtsgericht Cottbus, Richterin …. Darin schreibt er u. a.: „Ich stelle es Ihnen zum Vorteil, dass Ihr Intelligenzquotient wohl nur mit dem Durchschnitt zu bewerten ist, da Sie sich ansonsten nicht zu einer derartigen Begründung hinreißen lassen könnten. Von der Sache her gehören Sie auf das Arbeitsamt, da Sie wohl trotz Qualifikation nicht Ihrer Aufgabe gewachsen sein dürften.“ Anlass für das Schreiben des Angeklagten war ein Beschluss der Richterin am Landgericht … gewesen, mit dem er nicht einverstanden gewesen war und über den er sich subjektiv sehr erregt hatte, wie das gesamte achtseitige „Protestschreiben“ ergibt.

III

Der Angeklagte war aus Rechtsgründen freizusprechen.

Zu Unrecht und ohne nähere Begründung, insbesondere ohne die erforderliche Abwägung von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, hat das Amtsgericht diese Unmutsäußerung des Angeklagten als Beleidigung gewertet.

Der Angeklagte hat das Schreiben eingeräumt und sich dahin eingelassen, dass er hiermit nicht die Absicht gehabt hätte, die Richterin … in ihrer Ehre herabzusetzen, sondern lediglich seinen Unmut über eine von dieser Richterin verantwortete richterlichen Entscheidung zum Ausdruck bringen wollen. Es sei „nicht persönlich gemeint“ gewesen, er habe sich nicht anders zu helfen gewusst. Bereits in seiner Stellungnahme zur Anklageschrift hatte der Angeklagte betont, seine Aussage sei „im Sinn der freien Meinungsäußerung“ zu verstehen und nicht als Beleidigung gedacht gewesen.

Die Rechtssprechung lässt – insbesondere bei Rechtsanwälten – derartige Unmutsäußerungen „im Kampf ums Recht“, auch wenn sie „im Eifer des Gefechts“ über das Ziel hinausschießen, sehr weitgehend zu, solange keine Formalbeleidigungen oder keine offensichtliche Schmähkritik vorliegt. Dies ist hier nicht der Fall.

Zum einen ist die Meinungsäußerung, dass die Richterin … „nur“ über einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten verfüge, schon objektiv nicht beleidigend. Denn ca. 68 % der Bevölkerung verfügen per definitionem nach der überwiegend anerkannten Wechslerskala über einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten von 100 Punkten mit einer Standardabweichung von +/- 15 Punkten (vgl. Wikipedia, Freie Enzyklopädie, Stichwort „Intelligenzquotient“) und es kann nicht beleidigend sein, für eine Person anzunehmen, was für die Mehrheit der Bevölkerung objektiv zutrifft.

Im Übrigen ist die Kammer auch davon überzeugt, dass es keiner überdurchschnittlichen Intelligenz bedarf, um das Abitur abzulegen, ein Jurastudium zu absolvieren und richterlicher Tätigkeit nachzugehen. Die Kammer ist aufgrund langjähriger Erfahrung mit einer Vielzahl von Juristen und von Kollegen der Überzeugung, dass es jedem durchschnittlich intelligenten Menschen bei einem gewissen Fleiß möglich ist, erfolgreich die höhere Schulbildung und ein Jurastudium zu absolvieren und beanstandungsfrei richterlicher Tätigkeit nachzugehen. Dass richterliche Tätigkeit Hochintelligenten mit einem überdurchschnittlichen IQ vorbehalten wäre, entspricht keinem Erfahrungssatz.

Auch die Auffassung des Angeklagten, dass die Richterin … besser auf dem Arbeitsamt aufgehoben wäre, ist objektiv nicht beleidigend, sondern mit ihrer Begründung sogar durchaus vorsichtig formuliert, weil der Angeklagte ihr sowohl ihre juristische Qualifikation durchaus zugesteht als auch die vorsichtige Formulierung „dürften“ gebraucht. Im Übrigen lässt sich die Äußerung nicht nur so (böswillig) interpretieren, dass die Richterin … infolge mangelnder Qualifikation aus dem Dienst entfernt werden und als Arbeitssuchende sich auf dem Arbeitsamt melden müsste, sondern sie kann durchaus auch so verstanden werden, dass der Angeklagte der Auffassung ist, dass die Richterin … statt richterlicher Tätigkeit nachzugehen, besser einer Tätigkeit auf dem Arbeitsamt nachgehen sollte. Es ist gerichtsbekannt, dass bei den Arbeitsagenturen, insbesondere in leitenden Positionen, auch Volljuristen beschäftigt sind, die gesellschaftlich kein oder nur geringfügig geringeres Ansehen genießen als Volljuristen, die im richterlichen Dienst tätig sind. Insoweit kann auch eine solche Äußerung schon objektiv nicht als Beleidigung gewertet werden, zumal es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht, dass von mehreren möglichen Interpretationen nicht zu Lasten des Angeklagten diejenige gewählt werden darf, die zu einer Strafbarkeit führt, wenn auch eine Auslegung möglich ist, die zu einer Straflosigkeit des Angeklagten führt: Entscheidet ein Gericht unter mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung sich für eine dem Äußerndem zum Nachteil gereichten Auslegung, ohne die anderen in Betracht kommenden Auslegungen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen, so wird durch diese Vorgehensweise die Freiheit der Meinungsäußerung verkannt (BVerfG, Beschluss 1 BVr 40/86 vom 19.04.1990; BVerfG E 82, 43 ff (51); BVerfG, Beschluss 1 BVr 126/91 vom 14.07.1993).

Im Übrigen wären die Äußerungen des Angeklagten, selbst dann, wenn man sie als objektiv beleidigend qualifizieren wollte, nach § 193 StGB wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt. Bei der Anwaltschaft geht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Obergerichte insoweit sehr weit. Das Kammergericht hat entschieden, dass die Äußerung eines Anwalts „die Justiz kann sich nach Auffassung des Unterzeichneten weder Richter leisten, welche zu dumm sind, noch solche, welche absichtlich Fehlurteile produzieren…“ als von § 193 StGB gedeckt betrachtet (KG Berlin, 5. Strafsenat, 1 Ss 204/95, Beschluss vom 20.09.1996). Diese Äußerung, die das Kammergericht bei einem Anwalt nach § 193 StGB als gerechtfertigt angesehen hat, ist wesentlich härter als die Formulierung, die der Angeklagte hier in Bezug auf die Richterin … gebraucht hat.

Auch das Oberlandesgericht Köln hat entschieden, dass übertreibende Bewertungen des Gläubigerverhaltens wie „Wucher“ oder „erpressen“ in einem Anwaltsschriftsatz noch durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein können (OLG Köln, 1. Strafsenat, Urteil vom 20.02.1979 1 Ss 69/79).

In einer neuen – allerdings auch nach Auffassung der Kammer sehr weitgehenden – Entscheidung hat das BVerfG (1 BvR 1318/07) am 05.12.2008 einstimmig beschlossen, dass selbst die Bezeichnung „Dummschwätzer“ nicht notwendig den Tatbestand der Beleidigung erfüllt, sondern nach § 193 StGB gerechtfertigt sein kann, wenn nicht die notwendige kontextorientierte Analyse der Aussage ergibt, dass im Einzelfall in der Güterabwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre dem Ehrenschutz der Vorrang gebührt. Unabhängig davon könne eine Aussage nur dann als Schmähkritik gewertet werden, „wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Zusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint“ und daher kontextunabhängig stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, „wie dies möglicherweise bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus dem Bereich der Fäkalsprache – der Fall sein kann (BVerfG 1 BvR 1318/07 v. 05.12.2008, Zit. nach juris, Rz. 16).

Seit der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfG, StV 2000, 414 f m.w.N. ist anerkannt, dass die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Persönlichkeitsschutz vorgeht, zumal bei einer Abwägung zugunsten eines Rechtsanwalts ins Gewicht fällt, dass dieser „im Kampf ums Recht“ auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte zur Unterstreichung seiner Rechtsposition gebrauchen darf (BVerfG a.a.O.). Wenn dies einem Organ der Rechtspflege erlaubt ist, von dem man erwarten kann, dass es seine Worte sorgfältiger wählt als ein wenig gebildeter Lokomotivführer und Frührentner, so muss dies erst recht für die Unmutsäußerungen einer Naturpartei gelten; diese kann nicht in vergleichbaren Situationen strenger beurteilt werden als ein gebildetes Organ der Rechtspflege, das dazu ausgebildet und gewohnt ist, seine Worte sorgfältig zu setzen.

Es ist anerkannt, dass eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter einer Schmähung annimmt, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, Beschluss 1 BVr 1165/89 vom 26.06.1990; BVerfG 82, 272 (284); BVerfG, Beschluss 1 BVr 1917/04 vom 23.08.2005).

Dies ist hier schon objektiv nicht der Fall. Umso weniger wäre der Nachweis der subjektiven Tatseite zu führen, da der Angeklagte bestritten hat, dass es ihm um die Diffamierung der Richterin … gegangen sei.

Schließlich ist festzuhalten, dass es für Beamtete oder in einem beamtenähnlichen Verhältnis wie Richter stehende im öffentlichen Dienst beschäftigte Personen keinen gesteigerten Ehrenschutz gegenüber der durchschnittlichen Bevölkerung gibt. Ein besonderer Tatbestand der Richter– oder Beamtenbeleidigung existiert entgegen verbreiteten Fehlvorstellungen in Teilen der Bevölkerung nicht. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Angeklagter deshalb verurteilt werden würde, weil er Zweifel an der Qualifikation eines Automechanikers, eines Klempnermeisters oder Zahntechnikers übt, sofern dies nicht in formal beleidigender Form oder in Form verbotener Schmähkritik erfolgt. Gleiches muss auch für Richter gelten. In einem Staatswesen, das sich nicht autoritär und obrigkeitsstaatlich, sondern als demokratischer Rechtsstaat versteht, sind Organe der Justiz nicht der Kritik der Bevölkerung generell enthoben, sondern sie müssen sich wie jede andere Berufsgruppe auch in den hier nicht überschrittenen zulässigen Grenzen der Meinungsfreiheit auch mit deutlichen Worten Kritik gefallen lassen, ohne hierauf sogleich mit Strafanzeigen wegen Beleidigung zu reagieren.

Der gegen den Angeklagten erhobene Vorwurf der Beleidigung ließ sich daher weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht aufrecht erhalten, so dass er mittels sich aus § 467 Abs. 1 StPO ergebenen Kostenfolge aus Rechtsgründen freizusprechen war.

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