Oberverwaltungsgericht NRW, 4 B 1376/21.NE

September 12, 2021

Oberverwaltungsgericht NRW, 4 B 1376/21.NE

Tenor:
Der Vollzug von § 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Antragsgegnerin über das Offenhalten von Verkaufsstellen in der Fassung vom 17.8.2021 wird im Wege einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:
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Der Antrag,

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den Vollzug von § 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über das Offenhalten von Verkaufsstellen in der Fassung vom 17.8.2021 im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen,

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ist zulässig und begründet.

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Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

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Das ist hier der Fall. Schon gemessen an dem für eine normspezifische einstweilige Anordnung allgemein anerkannten besonders strengen Maßstab erweist sich die angegriffene Regelung als offensichtlich rechtswidrig und nichtig. Ihre Umsetzung beeinträchtigt die Antragstellerin so konkret, dass eine einstweilige Anordnung deshalb dringend geboten ist.

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Die umstrittene Verordnungsregelung ist von der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 LÖG NRW nicht gedeckt. Bereits die Voraussetzungen für eine Dringlichkeitsentscheidung durch die Bürgermeisterin und ein Ratsmitglied anstelle des Rates bzw. des Hauptausschusses der Antragsgegnerin nach § 60 Abs. 1 Satz 2 GO NRW haben nicht vorgelegen (dazu 1.). Darüber hinaus wird die Regelung dem in § 6 LÖG NRW konkretisierten verfassungsrechtlichen Schutzauftrag aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, der ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewährleistet und für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert, zweifelsfrei nicht gerecht (dazu 2.).

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1. Für den Erlass ortsrechtlicher Bestimmungen ist gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 lit. f) GO NRW der Rat der Gemeinde zuständig, sofern während der Feststellung einer epidemischen Lage von landesweiter Tragweite nicht nach § 60 Abs. 2 GO NRW in der seit dem 1.10.2020 geltenden Fassung eine Delegierung an den Hauptausschuss erfolgt ist. Die Bürgermeisterin darf nach § 60 Abs. 1 Satz 2 GO NRW gemeinsam mit einem Ratsmitglied nur entscheiden, wenn die Einberufung des Rates oder Hauptausschusses nach § 60 Abs. 1 Satz 1 GO NRW nicht rechtzeitig möglich ist und die Entscheidung nicht aufgeschoben werden kann, weil sonst erhebliche Nachteile oder Gefahren entstehen können. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist vom Gericht, solange der Rat den Beschluss noch nicht genehmigt hat (§ 60 Abs. 1 Satz 3 GO NRW), in vollem Umfang nachprüfbar. Bei der Frage, ob eine Ratssitzung noch rechtzeitig einberufen werden konnte, ist auf die Möglichkeit einer Sondersitzung abzustellen und nicht auf die nächste turnusmäßige Sitzung. Denn die Möglichkeit der Einberufung von Sondersitzungen ist gerade für Eilfälle vorgesehen.

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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 31.5.1988 – 2 A 1739/86 –, OVGE 40, 93 = juris, Rn. 9 ff., 13, und Beschluss vom 31.5.2019 – 4 B 691/19.NE –, juris, Rn. 10 f.

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Hier lagen die Voraussetzungen für eine Dringlichkeitsentscheidung durch die Bürgermeisterin und ein Ratsmitglied offenkundig nicht vor. Seit dem Beginn der Anhörung nach § 6 Abs. 4 Satz 7 LÖG NRW am 23.6.2021, in der im Übrigen ausdrücklich davon die Rede war, die beabsichtigte Verordnung solle dem Rat zur Beschlussfassung vorgelegt werden, war ausreichend Zeit, um auf der Grundlage der Coronaschutzverordnung vom 24.6.2021 den Rat auch ohne Verkürzung der Ladungsfrist – etwa für den 6.8.2021, an dem die Dringlichkeitsentscheidung getroffen worden ist – einzuberufen, ihm die Verordnung zur Beschlussfassung vorzulegen und sie rechtzeitig – erforderlichenfalls auch früher als dem Regelfall nach § 33 Abs. 2 OBG NRW entsprechend eine Woche nach dem Tage ihrer Verkündung – in Kraft zu setzen.

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Vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 3.9.2020 – 4 B 1306/20.NE –, juris, Rn. 12 f., m. w. N., und vom 25.9.2020 – 4 B 1445/20.NE –, juris, Rn. 7.

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Nicht nachzuvollziehen vermag der Senat die Einschätzung der Antragsgegnerin, wegen der urlaubsbedingten Abwesenheit zahlreicher Ratsmitglieder sei nicht davon auszugehen, dass der Rat beschlussfähig sein werde. Mit Blick auf die Regelungen in § 49 GO NRW war eine Beschlussunfähigkeit des Rates nicht so offenkundig absehbar, dass nicht zumindest der Versuch der Ladung zu einer Sondersitzung hätte gemacht werden müssen, deren Termin sogar noch in der letzten Ratssitzung am 1.7.2021 unter den Ratsmitgliedern hätte abgestimmt werden können. Stattdessen hat die Bürgermeisterin bereits langfristig eine Dringlichkeitsentscheidung geplant, was sie schon am 28.6.2021 in der Sitzung des Hauptausschusses unter TOP 21 mitgeteilt hat.

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Die Entscheidungszuständigkeit durch den Rat ist auch nicht lediglich eine unbedeutende Formalie, der stets unbedenklich auch nachträglich in der nächsten regulären Sitzung Rechnung getragen werden kann. Zur gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gehören nicht nur die materiell-rechtlichen, sondern auch die verfahrensrechtlichen Vorgaben, an die das ermächtigende Gesetz den ermächtigten Verordnungsgeber bindet. Die Entscheidungszuständigkeit des Rates dient in Verbindung mit dem Anhörungserfordernis nach § 6 Abs. 4 Satz 7 LÖG NRW auch der Wahrung der Rechte und rechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin. Das Anhörungserfordernis kann nämlich seine Funktion grundsätzlich nur erfüllen, wenn im Rahmen der Anhörung abgegebene Stellungnahmen den Ratsmitgliedern bei der Beschlussfassung vorliegen oder jedenfalls ihrem wesentlichen Inhalt nach bekannt sind, so dass sie bei der Willensbildung berücksichtigt werden können. Inhaltlich auswirken können sich im Rahmen der Anhörung erhobene Einwände (insbesondere solche mit Hinweisen auf einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung, wie sie von der Antragstellerin hier mit Schreiben vom 12.7.2021 erhoben worden sind) nur, wenn die Beschlussfassung durch den Rat vor der geplanten Freigabe von Ladenöffnungen erfolgt. Durchbrechungen lässt die Gemeindeordnung nur in hier nicht gegebenen Fällen gesteigerter Dringlichkeit zu. Dabei kann hier weiterhin offen bleiben, ob im Zusammenhang mit der Freigabe sonntäglicher Ladenöffnungen die Voraussetzungen für Dringlichkeitsentscheidungen der Bürgermeisterin nach § 60 Abs. 1 Satz 2 GO NRW, die das Drohen erheblicher Nachteile oder Gefahren voraussetzen, überhaupt jemals gegeben sein können.

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Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 31.5.2019 – 4 B 691/19.NE –, juris, Rn. 14 ff., m. w. N.

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2. Die umstrittene Verordnungsregelung ist von der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 LÖG NRW auch materiell-rechtlich nicht gedeckt. Sie wird dem in dieser gesetzlichen Regelung konkretisierten verfassungsrechtlichen Schutzauftrag aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, der ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewährleistet und für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert, zweifelsfrei nicht gerecht.

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a) Bei Ladenöffnungen im Zusammenhang mit örtlichen Veranstaltungen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LÖG NRW muss nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gewährleistet sein, dass die Veranstaltung ‒ und nicht die Ladenöffnung ‒ das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägt. Um das verfassungsrechtlich geforderte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu wahren, muss die im Zusammenhang mit der Ladenöffnung stehende Veranstaltung selbst einen beträchtlichen Besucherstrom auslösen. Ferner müssen Sonntagsöffnungen wegen einer Veranstaltung in der Regel auf deren räumliches Umfeld beschränkt werden, nämlich auf den Bereich, der von der Ausstrahlungswirkung der jeweiligen Veranstaltung erfasst wird und in dem die Veranstaltung das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägt. Die prägende Wirkung muss dabei von der Veranstaltung selbst ausgehen. Die damit verbundene Ladenöffnung entfaltet nur dann eine lediglich geringe prägende Wirkung, wenn sie nach den gesamten Umständen als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung erscheint. Das kann für den Fall angenommen werden, dass die Ladenöffnung innerhalb der zeitlichen Grenzen der Veranstaltung ‒ also während eines gleichen oder innerhalb dieser Grenzen gelegenen kürzeren Zeitraums ‒ stattfindet und sich räumlich auf das unmittelbare Umfeld der Veranstaltung beschränkt. Von einem Annexcharakter kann nur die Rede sein, wenn die für die Prägekraft entscheidende öffentliche Wirkung der Veranstaltung größer ist als die der Ladenöffnung. Die öffentliche Wirkung hängt wiederum maßgeblich von der jeweiligen Anziehungskraft ab. Die jeweils angezogenen Besucherströme bestimmen den Umfang und die öffentliche Wahrnehmbarkeit der Veranstaltung einerseits und der durch die Ladenöffnung ausgelösten werktäglichen Geschäftigkeit andererseits. Daher lässt sich der Annexcharakter einer Ladenöffnung kaum anders als durch einen prognostischen Besucherzahlenvergleich beurteilen. Erforderlich ist dabei, dass die dem zuständigen Organ bei der Entscheidung über die Sonntagsöffnung vorliegenden Informationen und die ihm sonst bekannten Umstände die schlüssige und nachvollziehbare Prognose erlauben, die Zahl der von der Veranstaltung selbst angezogenen Besucher werde größer sein als die Zahl derjenigen, die allein wegen einer Ladenöffnung am selben Tag ‒ ohne die Veranstaltung ‒ kämen. § 6 Abs. 1 Satz 3 LÖG NRW entbindet von einer auf die jeweiligen Besucherzahlen bezogenen Prognose im Einklang mit Verfassungsrecht nur dann, wenn gewährleistet ist, dass atypische Sachverhaltsgestaltungen nicht in die Nachweiserleichterung einbezogen werden.

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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.10.2020 – 4 B 1443/20.NE –, juris, Rn. 16 f., unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 11.11.2015 – 8 CN 2.14 –, BVerwGE 153, 183 = juris, Rn. 24 f., und vom 22.6.2020 – 8 CN 3.19 –, BVerwGE 168, 356 = juris, Rn. 15 ff., 17 ff., 21, 23, 25 f.

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Bezogen auf die Ziele nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 LÖG NRW ist bereits letztinstanzlich für das Landesrecht und mit Bundesrecht in Einklang stehend geklärt, dass sie in der Regel allenfalls dann das verfassungsrechtlich erforderliche Gewicht aufweisen können, wenn aus anderen Gründen ohnehin mit einem besonderen Besucherinteresse zu rechnen ist und über den davon erfassten Bereich hinaus zum Ausgleich besonderer örtlicher Problemlagen oder struktureller Standortnachteile der Freigabebereich auf hiervon betroffene Bereiche erweitert werden soll.

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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.10.2020 – 4 B 1443/20.NE –, juris, Rn. 18 ff., m. w. N., Urteil vom 17.7.2019 – 4 D 36/19.NE –, GewArch 2019, 396 = juris, Rn. 40, 91 ff. 106 ff., m. w. N., ausdrücklich als nicht zu restriktiv interpretiert bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 22.6.2020 ‒ 8 CN 3.19 ‒, BVerwGE 168, 356 = juris, Rn. 33.

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Diese rechtlichen Maßstäbe werden nicht, wie die Antragsgegnerin meint, durch eine „neue Realität“ in Frage gestellt, in der es zurzeit Veranstaltungen in den bekannten Formen nicht geben könne. Auch in Zeiten der Corona-Pandemie kann schon aus Gründen der Wettbewerbsneutralität bei grundsätzlich aufrechterhaltenem und verfassungsrechtlich geschütztem Arbeitsverbot an Sonntagen nicht auf einen besonderen Sachgrund von hinreichendem Gewicht für die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags verzichtet werden. Fehlt es an einem solchen Sachgrund, ist die Freigabe verfassungswidrig und unwirksam. Ein Argument, auf einen solchen Sachgrund verzichten zu können, liegt in der neuen Lebenswirklichkeit nicht.

20
Der Senat hat bezogen auf die sehr weit gefassten Fallgruppen des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 LÖG NRW, auf die sich die Antragsgegnerin in ihrer Begründung auch stützt, bereits mehrfach darauf hingewiesen, bei einer nach ihrem Wortlaut möglichen, nicht hinreichend differenzierten und begrenzten Möglichkeit zur Erweiterung von Ladenöffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen, von der auch die Antragsgegnerin für ihr Innenstadtgebiet profitieren möchte, sei ernsthaft zu befürchten, dass die ohnehin und schon vor der Corona-Pandemie bereits angespannte Wettbewerbslage im stationären Einzelhandel, die nach Annahme des Gesetzgebers schon bisher den Bestand zahlreicher Geschäfte gefährdet habe, um den Preis einer Erhöhung der zu bekämpfenden Gefahren noch weiter verschärft werde. Ohne das angenommene verfassungskonform einschränkende Verständnis der Fallgruppen des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 LÖG NRW wären diese Rechtfertigungsansätze weitergehend über das Auslösen werktäglicher Geschäftigkeit hinaus sogar darauf angelegt, den alltagstypischen kommunalen Standortwettbewerb des stationären Einzelhandels auf den grundsätzlich arbeitsfreien Sonntag an einzelnen Tagen auszuweiten. Die geltend gemachten Schwierigkeiten stationärer Einzelhändler, sich im ‒ aktuell durch die Corona-Pandemie und ihre Wirkungen auf den hiervon profitierenden Online-Handel ‒ verstärkten Wettbewerb zu behaupten, gebieten nach kürzlich bestätigter höchstrichterlicher Rechtsprechung keine restriktivere Konkretisierung des Sonntagsschutzes gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. Art. 12 Abs. 1 GG vermittelt kein Recht auf Schutz vor Konkurrenz, sondern nur ein Recht auf Teilnahme am Wettbewerb im jeweiligen rechtlichen Rahmen. Ein erkennbarer Sachgrund für nur einzelne Gemeinden erfassende Freigaberegelungen, die nicht nur der grundsätzlich gebotenen Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen Rechnung tragen, sondern auch unter Berücksichtigung der gebotenen Wettbewerbsneutralität gerechtfertigt werden können, liegt darin aber offensichtlich nicht.

21
Vgl. z. B. OVG NRW, Beschluss vom 2.10.2020 – 4 B 1420/20.NE –, juris, Rn. 33 ff.

22
Davon unberührt bleibt im Rahmen der angeführten rechtlichen Maßstäbe die Notwendigkeit, einzelfallbezogen im Rahmen der anzustellenden Prognose der veranstaltungsbedingten sowie ladenöffnungsbedingten Besucherströme, durch die Corona-Pandemie geänderte Entwicklungen und neue Unsicherheiten zu berücksichtigen. Diesen Umständen trägt die Rechtsprechung auch dann Rechnung, wenn sie die geklärten Maßstäbe auch in Pandemiezeiten anwendet.

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b) Diesen materiell-rechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Freigaberegelung für den Innenstadtbereich von Gladbeck am 5.9.2021, die ausdrücklich als Marketing-Instrument zur „Attraktivierung“ der von Leerständen betroffenen Innenstadt verstanden wird, nicht gerecht. Die aktenkundigen Umstände, die sich insbesondere aus der Begründung der Dringlichkeitsentscheidung vom 6.8.2021 ergeben, erlauben nicht die schlüssige und nachvollziehbare Prognose, die Zahl der von der Veranstaltung selbst angezogenen Besucher werde größer sein als die Zahl derjenigen, die allein wegen einer Ladenöffnung am selben Tag ‒ ohne die Veranstaltung ‒ kämen. Die Antragsgegnerin geht – ohne die ihr offenbar vorliegenden Passantenfrequenzzahlen der IHK aus September 2020 mitzuteilen, obwohl sie aus diesen eine ebenfalls pandemiebedingt rückläufige Anziehungskraft geöffneter Geschäfte ableitet – selbst nicht davon aus, dass die Zahl der Veranstaltungsbesucher überwiegt. Sie meint vielmehr sinngemäß, das Erfordernis einer größeren Prägekraft der Veranstaltung gegenüber der Ladenöffnung sei mit Blick auf einschränkende Maßnahmen der Coronaschutzverordnung für Großveranstaltungen nicht mehr gerechtfertigt. Diese Einschätzung ist wie oben ausgeführt rechtlich nicht tragfähig. Gerade dann, wenn andere Gemeinden zur infektionsschutzrechtlich gebotenen Verhinderung zu großer unkontrollierter Menschenansammlungen weithin noch auf verkaufsoffene Sonntage mit erheblicher Sogwirkung verzichten, ist es nicht gerechtfertigt, denjenigen Gemeinden einen Wettbewerbsvorteil einzuräumen, die zahlenmäßige Besucherbegrenzungen nur bezogen auf Veranstaltungen vorsehen und zugleich mit als Marketinginstrument verstandenen sonntäglichen Ladenöffnungen deutlich höhere Kundenzahlen anlocken, während andernorts die Geschäfte geschlossen sein müssen. Abgesehen davon sind mittlerweile, worauf die Antragsgegnerin allerdings noch nicht abgestellt hat und bei Beschlussfassung auch noch nicht abstellen konnte, im Hinblick auf den erreichten Impffortschritt wieder Großveranstaltungen mit bis zu 25.000 Besuchern zulässig, wobei wegen der erhöhten Inzidenz ab mehr als 2.500 Teilnehmenden ausschließlich immunisierte oder getestete Personen zugelassen sind (§ 4 Abs. 4 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Coronaschutzverordnung NRW). Auch deshalb geht die Annahme der Antragsgegnerin fehl, das Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung „käme einem generellen Verbot der üblichen Sonntagsöffnungen gleich“.

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Ohne eine auch nur etwaige Größenordnung anzugeben, rechnet die Antragsgegnerin zum Appeltatenfest, dem – in früheren Jahren – größten Fest der Stadt, das alljährlich am ersten Septemberwochenende gefeiert wird, trotz seiner Ausgestaltung als „Appeltatenfest light“ in diesem Jahr mit einem „hohen“ Besucheraufkommen, jedenfalls aber nicht mit den von ihr angeführten Besucherzahlen zwischen 90.000 und 100.000 Besuchern wie in den Jahren 2017 bis 2019. Das Fest ist in diesem Jahr nach Umfang und Größe vielmehr so gestaltet, dass nach der Coronaschutzverordnung erforderliche Schutzmaßnahmen auch noch bei höheren Inzidenzen bis zur früheren Inzidenzstufe 2 sichergestellt sind. Bei Beschlussfassung wurde danach für die Zeit ab dem 27.8.2021 mit der Zulässigkeit von Stadt- und Straßenfesten je nach geltender Inzidenzstufe nur mit höchstens 500 oder 1.000 teilnehmenden Personen mit Negativtestnachweis gerechnet (vgl. § 18 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bzw. § 18 Abs. 4 Nr. 6 lit. a) Coronaschutzverordnung vom 24.6.2021 in der ab dem 30.7.2021 geltenden Fassung, https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/210729_coronaschvo_ab_30.07.2021_lesefassung.pdf). Hierauf noch abgestimmt sollten am Sonntag, dem 5.9.2021, zum coronakonformen „Appeltatenfest light“ acht Gastronomiebetriebe Apfelrezepte und acht Händler Köstlichkeiten rund um den Apfel anbieten. Daneben waren zeitversetzt zwei Straßentheatervorstellungen für jeweils höchstens 500 Personen vorgesehen.

25
Das Fest findet in einer Innenstadt statt, die nach der Verordnungsbegründung von ihren Magnetbetrieben, einer Vielzahl inhabergeführter Einzelhandelsbetriebe sowie regionalen und überregionalen Filialkonzepten profitiert und für die im Einzelhandelskonzept von 2013 noch 174 Einzelhandelsbetriebe verzeichnet waren. Anhaltspunkte dafür, dass von den ausnahmsweise an einem Sonntag geöffneten Geschäften in der Innenstadt von Gladbeck im Öffnungszeitraum zwischen 13.00 und 18.00 Uhr voraussichtlich weniger als 500 bzw. 1.000 Kunden angezogen werden könnten, der Zahl der noch Anfang August voraussichtlich höchstens zulässigen Veranstaltungsbesucher, sind weder angeführt noch ersichtlich. Bereits die von der Antragsgegnerin angeführte Passantenfrequenzzählung in den Mittelzentren der Emscher-Lippe-Region 2020 der IHK Nord Westfalen, die über das Internet allgemein zugänglich ist, ergab für Samstag, den 26.9.2020, schon während der Corona-Pandemie innerhalb eines nur einstündigen Zählintervalls deutlich mehr als 1.000 Besucher in beiden Haupteinkaufsstraßen von Gladbeck (https://www.ihk-nordwestfalen.de/blueprint/servlet/resource/blob/4960064/ 3ab0eba7b21beeffcec8acd8b4c4313e/passantenfrequenzzaehlung-emscher-lippe-region-2020-data.pdf). Sie ergab ferner, dass die Passantenfrequenz sowohl an dem betreffenden Samstag als auch am Donnerstag zuvor in Gladbeck zu den höchsten Passantenfrequenzen im Kreis Recklinghausen zählte.

26
Lagen damit bereits nach Einschätzung der Antragsgegnerin die in der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine sonntägliche Ladenöffnung im Zusammenhang mit örtlichen Veranstaltungen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LÖG NRW nicht vor, war die Ladenöffnung jedenfalls nicht allein nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 LÖG NRW gerechtfertigt.

27
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

28
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Senat in ständiger Praxis für jeden freigegebenen Sonntag den Auffangstreitwert heranzieht.

29
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.6.2016 – 4 B 504/16 –, NVwZ-RR 2016, 868 = juris, Rn. 48 ff., m. w. N.

30
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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