Verwaltungsgericht Köln, 23 K 7046/18

September 18, 2021

Verwaltungsgericht Köln, 23 K 7046/18

Tenor:
Der von der Beklagten durchgeführte Sofortvollzug zur Räumung und Beseitigung von Anlagen auf den Grundstücken Gemarkung D. , Flur 0, Flurstück 00 und Gemarkung D. , Flur 0, Flurstück 000 ab dem 13. September 2018 war rechtswidrig und wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

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T a t b e s t a n d

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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Räumung und des Abrisses von Anlagen im Hambacher Forst im September/Oktober 2018, soweit die Anlagen auf dem Gebiet der Beklagten lagen. Der hier betroffene Teil des Hambacher Forstes war Teil des Braunkohleplanes „Teilplan 00/0 – Hambach – Abbau und Außenhaldenfläche des Tagebaus Hambach“. Der Braunkohleplan Hambach sah in dieser Fassung eine Abbau- und Haldenfläche von ca. 85 km² vor; der Abbau des gesamten Feldes sollte bis etwa in das Jahr 2045 dauern. Ein großer Teil des Waldbestandes des Hambacher Forstes war in der Vergangenheit bereits für den sich weiter ausbreitenden Tagebau gerodet worden, im hier interessierenden Bereich stand die Rodung noch aus.

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Bereits im Jahr 2012 errichteten Gegner des Braunkohletagebaus im Rahmen einer „Waldbesetzung“ erste bauliche Anlagen im Hambacher Forst. In den Folgejahren wurden zahlreiche weitere Anlagen errichtet. Hierbei handelte es sich zum Teil um Barrikaden, die ein Vordringen von Polizei- und Ordnungskräften verhindern sollten, um ebenerdige Anlagen (z.B. Holzhütten, mit und ohne Planen abgedeckte Holzunterstände, Zelte, mit Paletten belegte Bereiche, Sitzflächen, Feuerstellen), Holzstelzenhäuser und unterschiedlichste Anlagen in den Bäumen, die zum Teil in einer Höhe von mehr als 20 m angebracht wurden. Die Anlagen in den Bäumen bestanden weit überwiegend aus einer Basis in Gestalt einer hölzernen Plattform auf die zum Teil (mehrgeschossige) Aufbauten aufgesetzt waren, die teilweise mit Planen überzogen waren. Zum Teil gab es auch keine Aufbauten auf den Plattformen. Vielfach waren die Anlagen untereinander mit Hängebrücken oder Seilen verbunden. Die Anlagen in den Bäumen waren überwiegend mit Seilen an den Bäumen befestigt. Leiter oder Treppen zu den Anlagen in den Bäumen gab es überwiegend nicht, vielmehr musste zum Erreichen der Anlagen auf die Bäume geklettert werden. Wegen der Ausgestaltung der Anlagen wird auf die Fotodokumentation „Objektakten – Baum- und Bodenstrukturen im Hambacher Forst“ des Polizeipräsidiums Aachen vom 24. August 2018 (CD in der Beiakte 1) verwiesen.

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Bis zum Sommer 2018 stellte die Polizei etwa 75 Anlagen fest, von denen 23 auf dem Gebiet der Beklagten gelegen waren.

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Schon in den Jahren 2013 und 2014 gab es in der Landesregierung Nordrhein-Westfalen Überlegungen dazu, wie mit den errichteten Anlagen umzugehen sei. In einem Erlass vom 16. Juni 2014 (VI A 3-100/2) stellte das damalige Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr für die zuständigen Bauaufsichtsbehörden fest: „Ich teile die Auffassung des Kreises Düren, wonach es sich bei den beispielhaft genannten Barrikaden auf Waldwegen, ausgehobenen Gräben, Nagelbrettern und Baumhäusern nicht um bauliche Anlagen im Sinne von § 2 BauO NRW handelt. Eine Zuständigkeit der Bauaufsichtsbehörden ist daher nicht gegeben.“

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Im Laufe des Jahres 2018 beabsichtigte die T. R. AG die Rodungen im Hambacher Forst mit Beginn der Rodungsperiode ab Oktober 2018 fortzusetzen, zugleich verstärkten sich die Proteste gegen dieses Vorhaben.

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Unter dem 2. Juli 2018 stellte die T. R. AG u.a. bei der Beklagten den Antrag, die Räumung von Waldbesetzungen in Teilbereichen der Reste des Hambacher Forstes zum Zwecke der planmäßigen Fortsetzung des genehmigten Braunkohletagebaus Hambach zu verfügen und zwangsweise durchzusetzen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. August 2018 ab.

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Am 25. Juli und 29. August 2018 fanden Besprechungen im Ministerium des Innern NRW unter Beteiligung von Vertretern des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW, des Verfassungsschutzes, des Kreises Düren und der Beklagten statt. Ausweislich der in den Akten der Beklagten befindlichen Niederschriften über diese Besprechungen befürworteten insbesondere die Vertreter der Polizei und des Ministeriums des Innern NRW ein baurechtliches Vorgehen gegen die Anlagen im Hambacher Forst. Die Vertreter der unteren Bauaufsichtsbehörden lehnten dies weit überwiegend ab. Am 27. August 2018 fand zudem unter dem Schutz der Polizei eine Ortsbesichtigung unter Beteiligung von Vertretern des Innenministeriums, des Bauministeriums, der Bezirksregierung Köln, des Rhein-Erft-Kreises, des Kreises Düren und der Beklagten statt.

9
Unter dem 4. September 2018 erging eine erste Weisung des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW gegenüber der Bezirksregierung Köln und dem Rhein-Erft-Kreis als obere Bauaufsichtsbehörden. Inhalt der Weisung war, im Rahmen der Aufsicht die unteren Bauaufsichtsbehörden anzuweisen, gegen die Anlagen im Hambacher Forst bauordnungsrechtlich einzuschreiten. Zur Begründung führte das Ministerium im Kern aus, die Ortsbesichtigung vom 27. August 2018 habe ergeben, dass im Hambacher Forst eine Vielzahl baulicher Anlagen formell und materiell illegal errichtet worden seien und daher ein bauaufsichtliches Einschreiten erforderlich sei. Bei den Anlagen handele es sich um ortsfeste Zelte, Lagerplätze sowie um sonstige bauliche Anlagen, die u.a. der Unterkunft von Personen zu dienen bestimmt seien. Darüber hinaus seien mehrere Konstruktionen in den Bäumen errichtet worden, die gebäudeähnliche Strukturen aufwiesen; diese „Baumhäuser“ seien zum Teil über mehrere Stockwerke angelegt. Bei diesen Anlagen handele es sich insgesamt um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 BauO NRW in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 2000 (GV NRW, S. 256) (im Folgenden: BauO NRW a.F.); an dem Erlass vom 16. Juni 2014 werde nicht mehr festgehalten. Auch die Baumhäuser seien bauliche Anlagen, da die Verbindung mit dem Erdboden über die vorhandenen Baumstrukturen als mittelbare Verbindung ausreiche. Die Anlagen seien augenscheinlich für den dauerhaften Aufenthalt von Menschen geeignet und würden auch hierfür genutzt. Gerade unter Berücksichtigung des Zwecks der bauordnungsrechtlichen Begriffsbestimmungen, nämlich die Anlagen zu erfassen, von denen für Bauwerke typische Gefahren ausgehen können, sei hier von baulichen Anlagen im Sinne von § 2 BauO NRW a.F. auszugehen. Insbesondere bei den Baumhäusern sei eine Verletzung brandschutzrechtlicher Vorschriften gegeben. Da diese über Aufenthaltsräume verfügten, sei hier § 17 Abs. 3 Satz 1 BauO NRW a.F. anzuwenden. Danach müssten für jede Nutzungseinheit in jedem Geschoss zwei Rettungswege vorhanden sein, wobei der erste Rettungsweg über eine notwendige Treppe führen müsse. Ein erster Rettungsweg in Gestalt einer Treppe sei bei keinem der Objekte vorhanden. Ebenso wenig sei eine Rettung über Geräte der Feuerwehr möglich, da die Baumhäuser aufgrund der örtlichen Verhältnisse nicht in angemessener Zeit zu erreichen seien. Daher sei weder eine Selbstrettung noch eine Fremdrettung möglich. Auch sei ein Verstoß gegen § 17 Abs. 2 BauO NRW a.F. gegeben, da die Baumhäuser aus leicht entflammbaren Baustoffen errichtet worden seien. Darüber hinaus verfügten die Baumhäuser nicht über die nach § 41 BauO NRW a.F. erforderlichen Umwehrungen und Fensterbrüstungen. Aufgrund der bauordnungsrechtlichen Verstöße sei ein Einschreiten gerade gegen die Baumhäuser zwingend geboten. Der Umstand, dass langjährig nicht eingeschritten worden sei, sei unerheblich, da die behördliche Befugnis zum Einschreiten nicht verwirkt sei. Die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts stehe dem Einschreiten nicht entgegen. Zum einen sei einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG das Element der „Zeitweiligkeit“ immanent, was hier nicht mehr anzunehmen sei. Zum andern diene das bauaufsichtliche Einschreiten der Abwehr von gegenwärtigen und dringenden Gefahren für Leib und Leben. Auch Art. 13 GG stehe dem Einschreiten nicht entgegen. Als Handlungsform dränge sich der Erlass einer Nutzungsuntersagung, einer Beseitigungsverfügung und einer Verfügung zur Untersagung der Errichtung weiterer baulicher Anlagen durch eine Allgemeinverfügung gegenüber den Protestlern als Verhaltensstörern auf. Zudem sei die sofortige Vollziehung anzuordnen. Hierfür spreche schon die überragende Bedeutung des Brandschutzes. Aufgrund der großen Gefahren für die Schutzgüter von Leib und Leben sei die Eingriffsschwelle nach der Rechtsprechung niedrig. Zudem sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Beseitigungsverfügung zulässig, wenn die Beseitigung ohne Substanzverlust und andere hohe Kosten zu bewerkstelligen sei, die Vorbildwirkung eines illegal ausgeführten Vorhabens eine Nachahmung befürchten lasse, so dass der Ausweitung der Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung rasch vorgebeugt werden müsse, ein beharrlicher und notorischer Schwarzbauer nur auf diese Weise erfolgversprechend an der Fortsetzung seiner rechtswidrigen Betätigung gehindert werden könne oder wenn die vom Bauwerk ausgehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ein sofortiges Einschreiten erforderten. Diese Voraussetzungen seien erfüllt.

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In einer E-Mail vom 6. September 2018 an Vertreter der Bezirksregierung Köln, des Kreises Düren, des Rhein-Erft-Kreises, der Beklagten, verschiedene Mitarbeiter des Innenministeriums und den die Landesregierung beratenden Rechtsanwalt (Bl. 269 der Beiakte 1) erklärte der zuständige Abteilungsleiter des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW u.a. mit Blick auf ein Verfahren beim Oberverwaltungsgericht NRW zum Rahmenbetriebsplan bestehe die Möglichkeit, dass die vom T. geplanten Rodungen im Hambacher Forst nicht vor Ablauf der zweiten Oktoberwoche beginnen würden, so dass eine Verschiebung der Fristen für die Räumung in Betracht komme.

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In der Folgezeit übersandte das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW den Entwurf einer zweiten Weisung und den Entwurf einer Allgemeinverfügung. Hierauf teilte die Beklagte dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW am 10. September 2018 mit, die avisierte Weisung werde sie umsetzen, sobald sie vorliege. Dies stelle jedoch kein Einverständnis und keine rechtliche und/oder politische Zustimmung zu der Vorgehensweise dar. Weiter wies die Beklagte darauf hin, Ziel des bauordnungsrechtlichen Einschreitens dürfe es nicht sein, Rodungsarbeiten für ein bergbautreibendes Unternehmen vorzubereiten. Schließlich sei der Antrag der T. R. AG auf Einschreiten bestandskräftig abgelehnt. Zielführender sei es, wenn der landeseigene Landesbetrieb Wald und Holz nach §§ 4 ff. LForstG ein Waldbetretungsverbot ausspreche, das durch einen Dauerplatzverweis der Polizei durchgesetzt werden könne. Auch sei es nicht angemessen, dass die Beklagte die Kosten der Vollzugshilfe durch die Polizei tragen solle, denn die Beklagte sei „Haushaltssicherungskommune“ und sei daher stetig zum Sparen und zum Haushaltsausgleich aufgefordert. Aufgrund der bereits kommunizierten Rechtsauffassungen halte sie das Vorgehen für rechtlich angreifbar. Insbesondere bestehe die erhebliche Gefahr, dass ein Verwaltungsgericht wegen sachfremder Erwägungen Ermessensfehler annehme.

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Am 12. September 2018 erließ das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW die abschließende Weisung gegenüber den oberen Bauaufsichtsbehörden (Bezirksregierung Köln und Rhein-Erft-Kreis). Hiermit gab das Ministerium den oberen Bauaufsichtsbehörden auf, im Wege der Aufsicht die betroffenen unteren Bauaufsichtsbehörden umgehend anzuweisen, die folgenden Maßnahmen zu treffen: „Im Wege des Sofortvollzuges sind beginnend ab Donnerstag, dem 13. September 2018, 7:00 Uhr, auf Grundlage von § 20 Abs. 1 S. 2 OBG NRW i.V.m. §§ 60, 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW die baulichen Anlagen in Gestalt der Baumhäuser im Hambacher Forst unter vorheriger Ankündigung per Lautsprecher zu räumen und diese baulichen Anlagen zu beseitigen. (…) Darüber hinaus ist unverzüglich eine Allgemeinverfügung auf der Grundlage von § 35 S. 2 VwVfG NRW i.V.m. §§ 60, 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW zu treffen, in der mit sofortiger Wirkung angeordnet wird, es zu unterlassen, auf den genau bezeichneten Grundstücken weitere bauliche Anlagen zu errichten.“ Zur Begründung führte das Ministerium im Kern aus, im Rahmen der durchgeführten Ortsbesichtigung seien Wohn- und Lagerstrukturen entdeckt worden, die aus einer Vielzahl verschiedener Arten von baulichen Anlagen bestehen. So seien ortsfest benutzte Zelte, Plätze zur Lagerung verschiedener Gegenstände des häuslichen Gebrauchs aber auch von Müll und Unrat sowie sonstige Holzkonstruktionen, die offenkundig der längerfristigen Unterbringung von Menschen dienen sollten, vorgefunden worden. Zudem seien bauliche Konstruktionen in den Bäumen angebracht worden, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach teils mehrgeschossige Gebäude darstellten und offenbar über Kochgelegenheiten, Schlafplätze und Gemeinschaftsräume verfügten. Diese Baumhäuser seien zum Teil über Stützen zum Teil auch unter Ausnutzung der vorhandenen Baumstrukturen mit dem Boden verbunden und erreichten eine Höhe von bis zu 25 m. Keine einzige der vorgefundenen baulichen Anlagen sei bauaufsichtlich genehmigt. Die Zulässigkeit des Sofortvollzugs ergebe sich aus § 55 Abs. 2 VwVG NRW. Die Befugnis der Bauaufsichtsbehörden zum Einschreiten ergebe sich aus § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW a.F. Insbesondere sei keine vorrangige Zuständigkeit der Versammlungsbehörde begründet, da das Versammlungsrecht angesichts der inzwischen sechsjährigen Nutzung des Hambacher Forstes als Ausgangspunkt für Protestaktionen keine Anwendung finde. Wie in der Vergangenheit bereits ausgeführt, handelt es sich bei den Anlagen im Hambacher Forst, insbesondere auch bei den Baumhäusern aufgrund der jedenfalls mittelbaren Verbindung mit dem Erdboden um bauliche Anlagen. Auch seien Verstöße gegen das materielle Bauordnungsrecht gegeben. Keines der Baumhäuser habe einen funktionierenden Rettungsweg (§ 17 Abs. 1 und Abs. 3 BauO NRW), die Baumhäuser seien entgegen der brandschutzrechtlichen Vorgaben des §§ 17 Abs. 2 BauO NRW errichtet worden, die erforderliche Erschließung im Sinne von § 4 Abs. 1 BauO NRW fehle, die Verkehrssicherheit nach § 41 Abs. 1 und Abs. 4 BauO NRW sei nicht gegeben und die statische Standsicherheit der Baumhäuser sei nicht gewährleistet. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Baumhäuser im Hambacher Forst unzweifelhaft zum sogar dauerhaften Aufenthalt von Menschen geeignet und bestimmt seien. Nach Erkenntnissen von Polizei und Verfassungsschutz seien in den Baumhäuser Kochgelegenheiten geschaffen worden und es gebe Wohn- und Schlafräume. Darüber hinaus seien auch Verstöße gegen das Bauplanungsrecht, namentlich gegen § 35 BauGB festzustellen. Maßnahmen der Bauaufsicht seien regelmäßig gegen denjenigen zu richten, der für einen Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verantwortlich sei. Die Bewohnerinnen und Bewohner und Nutzer der baulichen Anlagen seien dabei jedenfalls zustandsverantwortlich, möglicherweise seien sie auch Handlungsstörer. Die Entscheidung über die getroffene Anordnung sei auch ermessensgerecht im Sinne des § 40 VwVfG NRW. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Vorgaben zum Brandschutz geltenden Bauordnungsrecht eine überragende Rolle haben. Bei der Einschätzung der Dringlichkeit einer Gefahr mit Bezug auf den Brandschutz seien auch die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Insoweit bestehe nach der obersten Brandschutzdienststelle (Ministerium des Innern) die eindeutige Einschätzung, dass bei einem Brand- und Unglücksfall im Hambacher Forst eine zeitnahe Rettung der im Forst befindlichen Personen nicht gewährleistet sei. Aufgrund des Zustands und der Lage der baulichen Anlagen bestehe eine akute Lebensgefahr, sodass die weitere Nutzung der baulichen Anlagen nicht vertretbar sei. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass sich der Eintritt einer konkreten Gefahr bereits am 9. September 2018 realisiert habe, als eine junge Frau nach eigenen Angaben ohne Fremdeinwirkung aus größerer Höhe aus einem Baum gestürzt sei und sich schwer verletzt habe. Es sei nicht auszuschließen, dass dieser Unfall auf die vorhandenen bauordnungsrechtlichen Mängel zurückzuführen sei. Bezüglich sämtlicher baulicher Anlagen sei zudem darauf hinzuweisen, dass das wilde Campieren im Außenbereich (z.B. in Gestalt von sogenannten Wagenburgen) einen extremen städtebaulichen Missstand darstelle, dem die Bauaufsichtsbehörden schnell und effektiv begegnen müssten. Die erlassenen Anordnungen seien auch geeignet, die angetroffenen Missstände zu beseitigen, weil die akuten Gefahren für Menschen nur durch die vollständige Räumung und Beseitigung der baulichen Anlagen entschärft werden könnten. Alleine die Untersagung der Nutzung sei nicht hinreichend effektiv. Blieben die baulichen Anlagen im Hambacher Forst erhalten, so müsse mit einer zügigen Wiederaufnahme der Nutzung gerechnet werden, zumal der Wald aufgrund seiner Zugänglichkeit von allen Seiten faktisch nicht zu kontrollieren sei. Allein durch die Beseitigung der baulichen Anlagen insgesamt lasse sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass die rechtswidrige Nutzung aufgegeben werde. Bei erneuter Aufnahme der Nutzung sei davon auszugehen, dass sich Vorfälle wie in der Vergangenheit, bei denen sowohl Polizisten als auch Mitarbeiter des T. angegriffen und zum Teil durch den Beschuss mit „Zwillen“ schwer verletzt worden seien, wiederholen würden. Nach Erkenntnissen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden sei die Nutzerstruktur im Hambacher Forst zu einem signifikanten Anteil von gewaltbereiten Personen durchsetzt. Im Nachgang zur Begehung am 27. August seien – wie in der Vergangenheit schon häufig – Polizeibeamtinnen und Beamte durch den Beschuss mit „Zwillen“ erheblich verletzt worden. Die nicht zu ermittelnden Täter seien dabei wiederholt in den Wohn- und Lagerstrukturen im Wald untergetaucht. Bei Aufräumarbeiten am 5. September seien einsatzbereite Zwillen und mit Nägeln bespickte Autoreifen sichergestellt worden. Am 10. September hätten Vermummte einen Streifenwagen angegriffen und sich danach wieder in den Wald zurückgezogen. Es sei davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der in den Camps befindlichen Personen jedwede Form von staatlicher Autorität dem Grunde nach ablehne, was durch anarchistische Symbole und Transparente an den baulichen Anlagen dokumentiert werde. Diese Erkenntnisse seien im Rahmen der Prognoseentscheidung über die Effektivität von bauordnungsrechtlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen in Rechnung zu stellen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit stehe dem Vorgehen gegen die baulichen Anlagen nicht entgegen. Zum einen sei aufgrund der lang anhaltenden Besetzung des Hambacher Forstes nicht mehr von einer Versammlung auszugehen. Zum anderen überwiege hier der Schutz von Leib und Leben gegenüber der Versammlungsfreiheit. Auch Art. 13 GG stehe dem bauordnungsrechtlichen Eingreifen nicht entgegen. Die Bewohner des Hambacher Forstes könnten sich schon deshalb nicht auf dieses Grundrecht berufen, weil sie unberechtigt dort eingedrungen seien. Zudem sei hier der Schutz der Privatsphäre nicht tangiert, weil der Eingriff nicht dazu diene, in die Wohnung als private Sphäre einzugreifen, sondern es um die Durchsetzung von insoweit neutralen baurechtlichen Vorschriften gehe. Die sofortige Vollziehung der Allgemeinverfügung sei anzuordnen, weil die auf den Grundstücken im Hambacher Forst vorgefundenen Zustände es nicht zuließen, mit der Umsetzung der Allgemeinverfügung für die Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens abzuwarten. Auch hinsichtlich der Beseitigung könne die sofortige Vollziehung angeordnet werden, weil jedenfalls die Vorbildwirkung der illegal ausgeführten Vorhaben eine Nachahmung befürchten lasse, sodass auch eine Ausweitung der Störung zu befürchten sei, die beharrlichen und motorischen Schwarzbauer nur auf diese Weise erfolgversprechend an einer Fortsetzung ihrer rechtswidrigen Betätigung gehindert werden könnten und die von den baulichen Anlagen ausgehenden Gefahren ein sofortiges Einschreiten erforderten. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Ausmaß der rechtswidrigen baulichen Anlagen erst durch die Begehung im August 2018 festgestellt worden sei. Vor diesem Hintergrund sei es unerheblich, dass über Jahre nicht eingeschritten worden sei. Es sei auch erforderlich, im Wege des Sofortvollzugs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr vorzugehen. Dies gelte gerade mit Blick auf die erheblichen brandschutzrechtlichen Gefahren. Auch bei der Frage der gegenwärtigen Gefahr seien die Besonderheiten des Nutzerkreises zu berücksichtigen. Die Baumhäuser würden immer wieder als Ausgangs- und Rückzugspunkt für die Begehung teils schwerer Straftaten genutzt. Auch sei nicht sicher, dass man bei einem Vorgehen im gestreckten Verfahren alle Nutzer erreiche. Im Übrigen hätten Gruppen schon dazu aufgerufen, den Widerstand fortzusetzen und die Anlagen im Hambacher Forst nicht aufzugeben.

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Am Morgen des 13. September 2018 begann die Räumung der baulichen Anlagen im Hambacher Forst, gefolgt von der Beseitigung der Anlagen. Nach den von der Beklagten vorgelegten Vollstreckungsunterlagen dauerte die Räumung bis einschließlich des 2. Oktober 2018. An den Räumungstagen wurde jeweils morgens zunächst per Mikrofon der folgende Text verlesen:

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„Achtung, Achtung!

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Die Baumhäuser auf den Grundstücken Gemarkung D. , Flur 0, Flurstück 00 und Gemarkung D. , Flur 0, Flurstück 000 sind unverzüglich von ihnen zu räumen. Darüber hinaus müssen die Baumhäuser beseitigt werden. Ich untersage ihnen die weitere Nutzung der Baumhäuser.

16
Es besteht Gefahr für Leib und Leben.

17
Es liegen schwerwiegende Verstöße gegen geltendes Bauordnungsrecht vor.

18
Die Baumhäuser verfügen nicht über die erforderlichen Rettungswege. Sie wurden entgegen der einschlägigen brandschutzrechtlichen Vorschriften errichtet, die erforderliche Erschließung ist nicht sichergestellt, die Verkehrssicherheit ist nicht gegeben und die Standsicherheit der Baumhäuser ist nicht sicher gewährleistet.

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Sofern sie die Baumhäuser nicht freiwillig innerhalb der nächsten 30 Minuten räumen und deren Nutzung unterlassen, werde ich die Räumung in Anwendung des unmittelbaren Zwangs vornehmen.

20
Bitte nehmen sie beim Verlassen der Baumhäuser ihre persönlichen Gegenstände mit.“

21
Zu welchem Zeitpunkt das vom Kläger genutzte Baumhaus „0x“geräumt und beseitigt wurde, ist den vorgelegten Unterlagen nicht genau zu entnehmen. Jedenfalls auf der Übersicht „Status Baumhäuser (Stand 18. September 2018, 22:00 Uhr)“ (Bl. 17 der Beiakte 4) ist für das Baumhaus 0x vermerkt „abgebaut“.

22
Bereits am 13. September 2018 wurde anwaltlich im Namen des Klägers Klage erhoben (23 K 6323/18) und zugleich ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (23 L 2068/18) gestellt. Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte die Kammer mit Beschluss vom 19. September 2018 ab.

23
Am 16. Oktober 2018 hat der Kläger (persönlich) die vorliegende Klage erhoben.

24
Das Klageverfahren 23 K 6323/18 stellte die Kammer mit Beschluss vom 15. Februar 2019 ein, nachdem der Prozessbevollmächtigte auf die Betreibensaufforderung, mit der ihm aufgegeben worden war, eine ladungsfähige Anschrift des Klägers mitzuteilen und eine Prozessvollmacht vorzulegen, nicht reagiert hatte. Im Einstellungsbeschluss hat die Kammer dem Prozessbevollmächtigten als vollmachtlosem Vertreter die Kosten des Verfahrens auferlegt.

25
Der Kläger macht geltend, er wende sich gegen die Räumung und gegen den Abriss des Baumhauses P. , das von der Polizei als 0x bezeichnet worden sei. Er halte beide Maßnahmen für rechtswidrig. Am 18. September 2018 sei das Baumhaus durch Polizeibeamte geräumt und am darauffolgenden Tag durch unbekannte Personen abgerissen worden. Dieses Baumhaus habe zu diesem Zeitpunkt seine Wohnung und seinen Lebensmittelpunkt dargestellt. Allerdings sei er zum Zeitpunkt der Räumung vorübergehend, was jedenfalls seine Absicht gewesen sei, nicht in seiner Wohnung gewesen. Ihm sei bekannt, dass bei anderen Baumhäusern eine Räumungsverfügung verlesen worden sei, hier sei dies allerdings unterblieben. Zudem mache er sich die Argumente der Beklagten in ihrem Schreiben vom 10. September 2018 an das Bauministerium zu eigen, in dem die Beklagte selbst ausgeführt habe, dass es nicht Ziel des Einschreitens sein dürfe, Rodungsarbeiten für ein bergbautreibenden Unternehmen vorzubereiten und dass die Gefahr bestehe, dass ein Verwaltungsgericht aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Räumung und beabsichtigter Rodung Ermessensfehler bejahen könne.

26
Der Kläger beantragt,

27
den von der Beklagten durchgeführten Sofortvollzug zur Räumung und Beseitigung von Anlagen im Hambacher Forst ab dem 13. September 2018 aufzuheben.

28
Die Beklagte beantragt,

29
die Klage abzuweisen.

30
Sie trägt vor, der Räumung liege eine Ordnungsverfügung zugrunde. Verstehe man die Klage nicht als „konkludente Anfechtungsklage“, so sei die Klage bereits aus diesem Grund unzulässig. Verstehe man hingegen die Klage als Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung, so sei hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung auf die zutreffenden Erwägungen der Kammer im Beschluss im Verfahren 23 L 2061/18 und den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts NRW im Verfahren 7 B 1362/18 zu verweisen. Auch sei das Rechtsschutzbedürfnis zweifelhaft, weil der Kläger nach eigenen Angaben weder selbst geräumt worden sei noch sich zum Zeitpunkt der Räumung dort aufgehalten habe. Letztlich sei die Ordnungsverfügung schon deshalb nicht zu beanstanden, weil es sich bei dem Baumhaus unstreitig um ein formell und materiell illegales Gebäude gehandelt habe. Im Übrigen sei die Ordnungsverfügung bestandskräftig, nachdem die Klage im Verfahren 23 K 6323/18 eingestellt worden sei.

31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

32
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

33
Die Klage ist zulässig und begründet.

34
Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zulässig. Die Anfechtungsklage ist statthaft, obwohl die Räumung und die Beseitigung der Anlagen im Wege des Sofortvollzugs nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW und somit durch einen Realakt,

35
vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – 28 K 12588/17 –, juris,

36
durchgeführt wurden. Denn nach dem analog anzuwendenden § 18 Abs. 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes sind im Falle des Sofortvollzugs die Rechtsbehelfe statthaft, die gegen Verwaltungsakte allgemein zulässig sind; mithin auch die Anfechtungsklage.

37
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. Oktober 2008 – 7 A 696/07 –, juris.

38
Dies ist hier sowohl hinsichtlich der Räumung als auch hinsichtlich der Beseitigung der Anlagen der Fall; beide Maßnahmen hat die Beklagte im Wege des Sofortvollzugs durchgeführt. Hinsichtlich der Räumung ist zwar in den täglich erfolgten Durchsagen eine Ordnungsverfügung enthalten, da die Personen, die sich im Wald aufhielten, ausdrücklich aufgefordert wurden, die Baumhäuser innerhalb von 30 Minuten zu räumen. Letztlich hat die Beklagte die zwangsweise Räumung jedoch nicht im gestreckten Verfahren auf der Grundlage dieser Ordnungsverfügung, sondern – wie es in der Weisung vom 12. September 2018 auch angeordnet wurde – mangels Festsetzung eines Zwangsmittels im Wege des Sofortvollzugs ausgeführt (§§ 55 Abs. 2, 64 Satz 2 VwVG NRW). Hinsichtlich der Beseitigung der Anlagen wurde dieser in den Durchsagen nur angekündigt, insoweit ist also keine Grundverfügung ergangen und auch im Ansatz kein gestrecktes Verfahren durchgeführt worden.

39
Nur zur Klarstellung und ohne dass dies für die Begründetheit der Klage von Bedeutung ist, weist die Kammer darauf hin, dass nicht nur die Räumung und Beseitigung des „Baumhauses 0x“, das vom Kläger bewohnt wurde, Gegenstand der Anfechtung ist. Vielmehr handelt es sich bei der Maßnahme der Beklagten zur Räumung und Beseitigung der Anlagen im Hambacher Forst um eine einheitliche Gesamtmaßnahme und nicht um eine Vielzahl einzelner Räumungen und Beseitigungen, also um eine nicht teilbare Maßnahme. Für diese Bewertung spricht bereits der vorgelesene Ansagetext. Denn dort war pauschalisierend von den „Baumhäusern“ die Rede. Dabei war der Beklagten wie auch dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW, das die zugrundeliegende Weisung erteilt hatte, bewusst, dass sich im entsprechenden Bereich des Hambacher Forstes eine Vielzahl anderen Anlagen auf dem Erdboden befand. Nach dem eindeutigen Willen, der sich aus dem Inhalt der beiden Weisungen und dem Inhalt der den Weisungen zugrundeliegenden Besprechungen beim Ministerium des Innern NRW ergibt, sollten sämtliche Anlagen im Hambacher Forst beseitigt werden. Vor diesem Hintergrund wurden die zu räumenden und zu beseitigenden Anlagen von der Beklagten nicht im Einzelnen bezeichnet. Vielmehr sollte die Maßnahme sogar solche Anlagen umfassen, die bislang nicht bekannt waren. Dies wird insbesondere in einem Vermerk in der Vollstreckungsakte der Beklagten vom 2. Oktober 2018 (Beiakte 4, Bl. 42/43) deutlich zum Ausdruck gebracht, in dem es heißt, dass sollten weitere Objekte entdeckt werden, diese bis Mitte Oktober zu räumen sind. Auch die angenommenen bauordnungsrechtlichen Verstöße gegen §§ 17 und 41 BauO NRW a.F. hat die Beklagte – erneut entsprechend der Weisung vom 12. September 2018 – nicht gesondert für die einzelnen baulichen Anlagen geprüft und festgestellt.

40
Eine Erledigung der angefochtenen Maßnahme ist nicht eingetreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,

41
Urteil vom 25. September 2009 – 7 C 5.08 –, juris,

42
der sich die Kammer anschließt, tritt eine Erledigung einer Vollstreckungsmaßnahme nicht ein, so lange diese noch Grundlage einer Kostenforderung sein kann. Dies ist vorliegend der Fall, weil nach § 77 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 2 Nr. 7 und 8 VwVG-VO NRW die Beträge, die bei der Ersatzvornahme oder der Anwendung unmittelbaren Zwangs an Beauftrage und an Hilfspersonen zu zahlen sind sowie sonstige Kosten der Ausführung des unmittelbaren Zwangs vom Ordnungspflichtigen zu erstatten sind.

43
Im Übrigen wäre die Klage – sollte man eine Erledigung annehmen – als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft; das insoweit erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse würde sich aus dem Gesichtspunkt einer sich kurzfristig erledigenden Eingriffsmaßnahme,

44
vgl. zu dieser Fallgruppe des Fortsetzungsfeststellungsinteresses BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 2 BvR 527/99 – und jüngst OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2021 – 15 A 363/20 –, beide juris,

45
ergeben.

46
Die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis ergibt sich jedenfalls unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit. Dass der Kläger sich in dem betreffenden Bereich des Hambacher Forsters „wohnmäßig“ aufgehalten hat, ist unstreitig. Ob darüber hinaus auch ein Eingriff in Art. 13 GG im Raum steht, kann daher offen bleiben.

47
Die Klage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer entgegenstehenden Rechtshängigkeit unzulässig. Hierbei handelt es sich um eine (negative) Sachurteilsvoraussetzung, die – wie Sachurteilsvoraussetzungen allgemein – im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegen muss.

48
Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1966 – I C 24.63 –, juris.

49
Da die Kammer das Verfahren 23 K 6323/18 bereits mit Beschluss vom 15. Januar 2019 eingestellt hat, war im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine doppelte Rechtshängigkeit (mehr) gegeben. Im Übrigen ist die Kammer im Einstellungsbeschluss davon ausgegangen, dass der damalige Prozessbevollmächtigte die Klage als Vertreter ohne Vertretungsmacht erhoben hat, so dass die Klage im Verfahren 23 K 6323/18 dem Kläger nicht zuzurechnen war. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auch bestätigt, dass er zwar Kontakt zum damaligen Prozessbevollmächtigten hatte; von einer Klageerhebung wusste er jedoch nichts.

50
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klage auch nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, insbesondere sind die angefochtenen Maßnahmen nicht bestandskräftig geworden. Dies folgt schon daraus, dass die streitigen Vollstreckungsmaßnahmen als Realakte keiner Bestandskraft fähig sind.

51
Die Klage ist auch begründet. Die Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagten in Gestalt der Räumung und Beseitigung der Anlagen im Hambacher Forst waren rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

52
Als Rechtsgrundlage für die Räumung wie auch für die Beseitigung hat die Beklagte weisungsgemäß § 55 Abs. 2 VwVG NRW i.V.m. §§ 57 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 sowie 59 und 62 VwVG NRW herangezogen. Nach dieser Bestimmung kann der Verwaltungszwang in Gestalt des unmittelbaren Zwangs und der Ersatzvornahme ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollzugsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt.

53
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Beklagte hat nicht innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt und die Entscheidung über die Notwendigkeit des Sofortvollzugs ist rechtsfehlerhaft.

54
Die Handlungsbefugnis der Beklagten zur Räumung und zum Abriss der Anlagen hat sie aus § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a.F. abgeleitet. Nach dieser Bestimmung hat die untere Bauaufsichtsbehörde zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben aus Satz 1 nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dabei gehört es nach Satz 1 u.a. zu den Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbehörde, bei der Errichtung und der Nutzung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden.

55
Die Kammer kann offen lassen, ob es sich bei den im Hambacher Forst geräumten und beseitigten Anlagen insgesamt um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 BauO NRW a.F. handelte. Auch kann letztlich offen bleiben, ob die angenommenen Verstöße gegen §§ 17 und 41 BauO NRW flächendeckend vorlagen. Ohne dies zu vertiefen, ist gleichwohl darauf hinzuweisen, dass jedenfalls hinsichtlich zahlreicher Anlagen auf dem Erdboden insoweit erhebliche Bedenken bestehen.

56
Ferner bestehen Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der ausgesprochenen Räumungsverfügung (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW). Durch den in § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verwandten Begriff „hinreichend bestimmt“ wird klargestellt, dass eine Bestimmbarkeit des Regelungsgehalts der Verfügung genügt. Dieses Erfordernis ist dann gegeben, wenn aus der getroffenen Regelung, d.h. aus dem Entscheidungssatz in Verbindung mit den Gründen und sonstigen bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen für die Beteiligten, insbesondere für die Adressaten, die Regelung, die den Zweck, Sinn und Inhalt des Verwaltungsakts ausmacht, so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass diese ihr Verhalten an der Regelung ausrichten können. Welches Maß an Konkretisierung im Einzelfall notwendig ist, hängt von der Art des Verwaltungsaktes, den Umständen seines Erlasses und seinem Zweck ab. Ein Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Bestimmtheitsgebot liegt vor, wenn der Inhalt des Verwaltungsaktes auch durch Auslegung – aus dem Empfängerhorizont – nicht zweifelfrei ermittelt werden kann.

57
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2008 – 7 B 107/08 –, juris.

58
Vor dem Hintergrund, dass sowohl in der Weisung vom 12. September 2018 als auch bei der Durchsage vor Beginn der Räumung ausdrücklich und ausschließlich von „Baumhäusern“ die Rede war, ist zweifelhaft, inwieweit die Räumungsverfügung einer ausdehnenden Auslegung auf alle anderen Arten von Anlagen im Hambacher Forst fähig ist. Betrachtet man die von der Polizei angefertigte Fotodokumentation vom 24. August 2018, so stellt man fest, dass deutlich mehr als die Hälfte der Anlagen gerade keine Baumhäuser waren. Dies gilt selbstredend für alle Anlagen, die auf Erdboden standen, aber auch für reine Plattformen in den Bäumen, die auch umgangssprachlich nicht als Baumhäuser erfasst werden. Zwar haben die Adressaten das Gesamtgeschehen dahingehend verstanden, dass sie den Wald verlassen sollten. Ob dies aufgrund der mündlichen Ordnungsverfügung oder nur aufgrund des immensen Polizeiaufgebots der Fall war, ist für die Kammer jedoch nicht erkennbar.

59
All diese Fragen bedürfen keiner abschließenden Prüfung, da die der Räumung und der Beseitigung zugrundeliegenden (hypothetischen) Grundverwaltungsakte jedenfalls ermessensfehlerhaft sind. Dabei sind hier keine hypothetischen Ermessenerwägungen in den Blick zu nehmen. Vielmehr ist hinsichtlich der Ermessenserwägungen auf die Weisung des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW vom 12. September 2018 abzustellen, da diese ausdrückliche Ermessenserwägungen enthält. Zwar eröffnet § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a.F. der unteren Bauaufsichtsbehörde Ermessen, allerdings wollen die Ermessensnormen die Verwaltungshierarchie nicht außer Kraft setzen.

60
Vgl. VGH München, Urteil vom 25. Mai 2004 – 22 B 01.2468 –, juris.

61
Die Weisung verschiebt daher nur die Anforderungen an eine rechtmäßige Ermessensausübung „eine oder zwei Stufen höher“, ohne sie inhaltlich zu verändern. Die angewiesene Behörde hat somit die Ermessenserwägungen, die die anweisende Behörde vorgenommen hat, zu übernehmen und zur Grundlage ihres Handelns zu machen.

62
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Januar 1992 – 10 A 111/88 –, juris, Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage, § 114, Rdn. 115.

63
Zugleich ist die gerichtliche Überprüfung der Ermessensausübung durch § 114 VwGO darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

64
Ausgehend hiervon sind die vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW angestellten Ermessenserwägungen rechtsfehlerhaft, da sowohl ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt als auch zweck-/sachfremde Erwägungen zur Grundlage der Weisung gemacht wurden.

65
Ein Ermessensfehlgebrauch liegt unter anderem dann vor, wenn nicht alle für die Ermessensentscheidung erheblichen tatsächlichen Umstände ermittelt werden. Denn das Ermessen enthält das Gebot, unter Berücksichtigung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Für und Wider, die für den konkreten Einzelfall sachgerechte Rechtsfolge im vorgegebenen gesetzlichen Rahmen zu finden. Grundlage der Ermessenausübung ist also die Ermittlung und Berücksichtigung des vollständigen Sachverhalts.

66
Vgl. Sodann/Ziekow, a.a.O., § 114, Rdn. 80.

67
Dem Gebot der vollständigen Ermittlung des Sachverhalts ist das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW als anweisende Behörde nicht nachgekommen. Vor dem Hintergrund, dass die Räumung an einem angenommenen Verstoß gegen §§ 17 und 41 BauO NRW a.F. anknüpft, musste der Sachverhalt hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Normen ermittelt werden. Insbesondere mussten die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme baulicher Anlagen und für die Notwendigkeit von Rettungswegen und Brüstungen ermittelt werden. Dies ist jedoch nicht geschehen. Vielmehr ist das Ministerium ohne jegliche individuelle Prüfung der im Wald tatsächlich vorhandenen Anlagen rein pauschal von „Baumhäusern“, für die die Anforderungen der §§ 17 und 41 BauO NRW gelten, ausgegangen. Dabei hätte es sich angesichts der Fotodokumentation vom 24. August 2018 aufgedrängt, dass weitergehende Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind, um die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten auf der Grundlage des Bauordnungsrechts prüfen zu können. Der hierin zugleich liegende Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht aus § 24 VwVfG NRW begründet nicht nur einen formellen Fehler, sondern schlägt unmittelbar auf die Ermessensausübung durch. Denn es wäre nicht ausgeschlossen gewesen, dass bei umfassender Feststellung des Sachverhalts mit Blick auf den Brandschutz nur die Räumung und Beseitigung einzelner Anlagen in Frage gekommen wäre.

68
Ein weiterer und zugleich der zentrale Ermessensfehler liegt darin, dass das Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigungsnorm entsprechenden Art ausgeübt wurde.

69
Zweckentsprechend ist der Ermessensgebrauch dann, wenn er geeignet ist, den mit dem Gestaltungsauftrag verfolgten Zweck zu erfüllen.

70
So schon grundlegend BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1978 – 5 C 16.76 –, juris.

71
Der Zweck gibt damit zum einen die Richtung an, die der Entscheidungsfindungsprozess einhalten muss. Zum andern gibt er auch die Spannbreite des Sachbereichs an, aus dem die einzelnen Ermessensgesichtspunkte zu gewinnen sind.

72
Ein besonderer Fall der zweckwidrigen Ermessensausübung ist dabei die „Vorwegbindung“ der Behörde. Voraussetzung jeder Ermessensausübung ist der unvoreingenommene Blick auf den Sachverhalt. Die Unbefangenheit des entscheidenden Verwaltungsbeamten ist eine wesentliche allgemeine Voraussetzung des Verwaltungsverfahrens und muss es wegen des größeren Freiraums erst recht für die Ermessensentscheidung sein. Die bewusste Berücksichtigung unsachlicher Motive ist daher nicht nur ein beachtlicher Verfahrensfehler, sondern zugleich zumindest Fehler der Ermessensausübung. Vorwerfbare subjektive Motive oder Haltungen des konkreten Amtswalters, der den Verwaltungsakt erlässt, widersprechen der aus der Ermessensnorm entstehenden Pflicht zur Berücksichtigung der maßgeblichen einschlägigen Gesichtspunkte.

73
Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 – 5 C 51.90 –, juris; OVG Koblenz, Urteil vom 5. Januar 1999 – 2 A 10946/98 –, juris und Kopp/Schenke, VwGO, § 114, Rdn. 15.

74
Weiter ist zu berücksichtigen, dass es bei mehreren Ermessensgründen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ausreicht, wenn der maßgebliche Grund dem Gesetz entspricht. Dieser Grund muss jedoch wirklich tragend und nicht nur Vorwand sein. Umgekehrt führt es zum Ermessensfehler, wenn ein zweckwidriger Grund für die im Ermessensweg getroffene Entscheidung gewichtige Bedeutung hatte.

75
Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40, Rdn. 69 und BVerwG, Urteil vom 26. November 1987 – 2 C 53.86 –, juris.

76
Gemessen hieran ist die Ermessenausübung in der Weisung vom 12. September 2018 in tragenden Teilen zweckwidrig und damit fehlerhaft.

77
Zweck der hier herangezogenen Ermächtigungsnorm § 61 BauO NRW a.F. war – ebenso wie bei den §§ 58 und 82 der aktuellen BauO NRW –, das formelle und materielle Baurecht (Bauordnungsrecht wie Bauplanungsrecht) durchzusetzen. Hiervon ausgehend muss die Ermessenausübung darauf bezogen sein, ob bauordnungs- und/oder bauplanungsrechtliche Ziele verfolgt bzw. Missstände beseitigt werden sollen.

78
In der Weisung vom 12. September 2018 wird unter dem Gliederungspunkt „(5) Rechtsfolgenseite“ zunächst – dem Zweck der Ermächtigungsnorm entsprechend – der hohe Stellenwert des Brandschutzes und der damit verbundene Schutz von Leib und Leben der Bewohner betont. Sodann folgen jedoch umfangreiche Ausführungen dazu, welche Personen nach Erkenntnissen der Polizei und des Verfassungsschutzes zu der Waldbewohnerszene gehören, welche Art von erheblichen Angriffen (z.B. Zwillenbeschuss) von diesen Personen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sowie Mitarbeitende des T. ausgegangen sind und dass diese Personen nach Angriffen immer wieder in den „Wohn- und Lagerstrukturen im Wald“ untergetaucht sind. Dieser gewichtige Teil der Ermessenserwägungen weist keinen Bezug zu § 61 BauO NRW a.F. auf. Schon der sprachliche Wechsel von „baulichen Anlagen“ zu „Wohn- und Lagerstrukturen“ führt klar vor Augen, dass es hier nicht mehr um Bauplanungs- und/oder Bauordnungsrecht geht, sondern dass die Räumungsmaßnahme der allgemeinen Gefahrenabwehr dient. Während die zunächst benannten Regelungen zum Brandschutz in erster Linie und gerade dem Schutz der Bewohner von baulichen Anlagen dienen, findet hier ein Paradigmenwechsel hin zum Schutz vor den Bewohnern der baulichen Anlagen statt. Damit lösen sich die Ermessenserwägungen vollständig vom dem Zweck der Ermächtigungsnorm.

79
Darüber hinaus zeigt der Inhalt der Akte deutlich, dass hier – mit Blick auf die gewählte Eingriffsnorm aus dem Bauordnungsrecht – ein Fall der „inneren Vorwegbindung“ gegeben ist. Schon in der ersten Besprechung im Ministerium des Innern NRW am 25. Juli 2018 bestand am gewünschten Ergebnis, nämlich der Beseitigung sämtlicher Anlagen im Hambacher Forst, kein Zweifel. So betonten die Vertreter des Ministeriums des Innern, dass man die Unterstützung aller Anwesenden brauche, um die Maßnahmen der Polizei (und nicht etwa der Bauaufsicht) auf rechtliche Grundlagen zu stützen. Ferner führten sie aus, es müsse mit einem weiteren Zulauf von Extremisten gerechnet werden; intensive Gewalt gegen Personen und Sachen sei vorprogrammiert. Daher müsse es gelingen, im Vorfeld die Rückzugs- und Vorbereitungsmöglichkeiten für militanten Widerstand durch konsequente Räumungen einzuschränken. Angesichts der weiteren Demonstrationen aus dem „bürgerlich-demokratischen Feld“ sei die Aufgabe für die Polizei „herausragend“. Deshalb benötige man dringend die Unterstützung was die Grundlage für „Vorfeldmaßnahmen, sprich Räumungsmaßnahmen“ angehe. Dieses klare Ziel, aus offensichtlich polizeitaktischen Erwägungen heraus für Zwecke der Abwehr von Gefahren, die von der Besetzerszene ausgehen, den Wald als Angriffs- und Rückzugsraum auszuschließen, zieht sich wie ein roter Faden durch die weiteren Besprechungen und den Schriftverkehr. Die rechtsstaatlich gebotene Offenheit für die Ausübung des bauordnungsrechtlich eröffneten Ermessens ist an keiner Stelle erkennbar. Die Vertreter der beteiligten Ministerien (Ministerium des Innern NRW und Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW) haben weder nach den Niederschriften über die Besprechungen noch im Schriftverkehr mit der Beklagten und dem gleichfalls beteiligten Kreis Düren und auch nicht in den gutachterlichen Ausarbeitungen erkennen lassen, dass der durch § 61 BauO NRW a.F. eröffnete Ermessensspielraum auch nur gesehen wurde. Letztlich ging es erkennbar darum, für die polizeilichen Aktionen eine Rechtsgrundlage zu finden, die – aus Gründen, die sich der Akte nicht entnehmen lassen – nicht im Polizei- und Ordnungsrecht liegen sollte.

80
Dass der dem Schutz der Bewohner dienende Brandschutz lediglich als „Vehikel“ genutzt wurde, um § 61 BauO NRW als Ermächtigungsgrundlage heranziehen zu können, zeigt auch die E-Mail des zuständigen Abteilungsleiters des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW vom 6. September 2018, 18:37 Uhr an die Bezirksregierung Köln, den Kreis Düren und die Beklagte (Bl. 269, Beiakte 1)). Während in den Weisungen die besondere Dringlichkeit des Eingreifens mit dem hohen Stellenwert des Brandschutzes und den akuten Gefahren für die Bewohner der Baumhäuser begründet wurde, führt der Abteilungsleiter in dieser E-Mail u.a. aus, da sich das Land aufgrund eines Verfahrens beim Oberverwaltungsgericht NRW dafür einsetze, dass die Rodungen nicht vor Ablauf der zweiten Oktoberwoche beginnen, komme eine Verschiebung der Fristen (für die Räumung) um wenige Tage in Betracht. Damit wird in bemerkenswerter Klarheit zum Ausdruck gebracht, dass die besondere Eile und das Ziel des schnellen Eingreifens nicht den Brandgefahren geschuldet waren.

81
Die aufgezeigten Ermessenfehler werden nicht dadurch ausgeräumt, dass die Beklagte die Räumung und Beseitigung in der mündlichen Verhandlung in erster Linie auf die fehlenden Baugenehmigungen für die Anlagen sowie auf die nach § 35 BauGB gegebene bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit gestützt hat. Dabei ist zutreffend, dass die Anlagen – soweit sie genehmigungsbedürftig sind – ohne Baugenehmigung errichtet wurden und somit formell illegal sind. Auch spricht alles dafür, dass sie als sonstige Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig sind. Allerdings ist bereits zweifelhaft, ob die Beklagte die durch die Weisung vom 12. September 2018 vorgegebenen Ermessenserwägungen überhaupt modifizieren kann. Erst recht ist fraglich, ob dem Sofortvollzug nach der Durchführung eine andere Zweckrichtung gegeben werden kann.

82
Dies kann jedoch beides dahinstehen, denn selbst dann, wenn ein vollständiger Austausch der Ermessenserwägungen zulässig wäre, würde dies nicht zur Rechtmäßigkeit der Räumung und Beseitigung der Anlagen im Wege des Sofortvollzugs führen. Denn in diesem Fall wäre eine gegenwärtige Gefahr, die die Abweichung vom gestreckten Verfahren nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW rechtfertigt, nicht mehr erkennbar.

83
Auch dann, wenn man die in der mündlichen Verhandlung erklärte Modifizierung der Ermessenserwägungen zum Sofortvollzug außer Acht lässt, ist nach dem Akteninhalt nicht erkennbar, dass es zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig war, im Wege des Sofortvollzugs zu räumen und zu beseitigen. Auch insoweit ist nochmals auf die zuvor benannte E-Mail vom 6. September 2018 zu verweisen. Wenn die Räumung verschoben werden konnte, weil die Rodung des Hambacher Forstes später als zunächst geplant beginnen sollte, war es nicht aus Gründen des Brandschutzes notwendig, die Maßnahmen im Wege des Sofortvollzugs durchzuführen.

84
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

85
Rechtsmittelbelehrung

86
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

87
88
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

89
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

90
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

91
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

92
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

93
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

94
Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.

95
Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

96
Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

97
Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

98
Beschluss

99
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf

100
5.000,00 €

101
festgesetzt.

102
Gründe

103
Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für der Kläger ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG).

104
Rechtsmittelbelehrung

105
Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.

106
Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.

107
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

108
Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

109
Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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