Oberlandesgericht Köln, 9 U 199/20

Oktober 3, 2021

Oberlandesgericht Köln, 9 U 199/20

Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das am 02.09.2020 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 9 O 396/17 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Erhöhungen des Monatsbeitrags im Tarif A zum 01.01.2012 um 45,00 €, zum 01.04.2013 um 39,00 € und zum 01.04.2016 um 94,99 € in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer KV 2xxx0xxx0 unwirksam sind und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet ist.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.778,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 14.11.2017 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die die Beklagte vor dem 01.11.2017 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die Beitragserhöhungen im Tarif A zum 01.01.2012 um 45,00 €, zum 01.04.2013 um 39,00 € und zum 01.04.2016 um 94,99 € sowie im Tarif B zum 01.01.2011 um 10,00 € und zum 01.04.2016 um 9,90 € jeweils im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.10.2017 gezahlt hat und dass diese herauszugebenden Nutzungen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 14.11.2017 zu verzinsen sind.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.025,55 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten beider Instanzen tragen der Kläger zu 21 % und die Beklagte zu 79 %.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

1
Gründe:

2
I.

3
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung.

4
Der am xx.xx.1959 geborene Kläger ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Er unterhielt bis zum 31.08.2011 unter anderem die Tarife C, D und E, danach unter anderem die Tarife A und F, wobei letzterer wegen längerer Arbeitsunfähigkeit des Klägers durch die Beklagte zum 19.06.2020 gekündigt wurde.

5
Streitig sind zwischen den Parteien folgende Beitragsanpassungen:

6
C

01.01.2010

45,15 €

insgesamt: 145 €

C

01.01.2011

54,80 €

D

01.01.2010

25,80 €

D

01.01.2011

15,20 €

E

01.01.2010

4,05 €

A

01.01.2012

45,00 €

A

01.04.2013

39,00 €

A

01.04.2016

94,99 €

B

01.01.2011

10,00 €

B

01.04.2016

9,90 €

B

01.04.2017

7,13 €

7
Die für die streitgegenständlichen Prämienerhöhungen maßgeblichen Zustimmungen wurden durch den Treuhänder G erteilt.

8
Die Beklagte teilte dem Kläger die Erhöhungen jeweils durch vorherige Schreiben von November 2009, November 2010, November 2011 (vgl. insoweit Anlage K1, AH) und Februar 2013, Februar 2016 und Februar 2017 (vgl. insoweit Anlage B2, AH) nebst Anlagen mit.

9
Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.10.2017 forderte der Kläger die Beklagte zur unverzüglichen Rückzahlung der seiner Ansicht nach auf Grund unwirksamer Erhöhungen gezahlten Beitragsanteile in Höhe von 10.217,82 € binnen 14 Tagen ab Zugang auf (Anlage K2). Mit Schreiben vom 08.11.2017, dem vorprozessual tätigen klägerischen Prozessbevollmächtigten am 13.11.2017 zugegangen, wies die Beklagte die Zahlungsforderung des Klägers zurück.

10
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der genannten Beitragsanpassungen. Zudem fordert er die Verurteilung der Beklagten zur Rückerstattung von Prämienanteilen bis einschließlich Dezember 2017 und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe aus diesen Prämienanteilen vor dem 01.11.2017 gezogener Nutzungen, jeweils nebst Zinsen sowie die Verurteilung der Beklagten zur Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Zur Begründung macht er geltend, die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen seien entgegen § 203 Abs. 5 VVG nicht ordnungsgemäß von der Beklagten begründet worden. Außerdem seien die streitgegenständlichen Prämienerhöhungen auch materiell unwirksam.

11
Die Klageschrift ist am 22.12.2017 bei dem Landgericht eingegangen, die Zustellung bei der Beklagten am 22.01.2018 erfolgt (Bl. 31R GA). In der dem Kläger am 07.03.2018 zugestellten Klageerwiderung begründete die Beklagte die ihrer Auffassung nach wirksamen streitgegenständlichen Prämienerhöhungen mit einem Anstieg der Leistungsausgaben und teilte den jeweiligen auslösenden Faktor mit. Sie hat außerdem die Einrede der Verjährung erhoben. Hinsichtlich der Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen im Tarif B haben die Parteien den Rechtsstreit erstinstanzlich übereinstimmend für erledigt erklärt.

12
Das Landgericht hat in seinem von beiden Parteien angegriffenen Urteil festgestellt, dass die Erhöhungen des Monatsbeitrags im Tarif A zum 01.01.2012, 01.04.2013 und 01.04.2016 unwirksam seien und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet sei; ferner hat es die Beklagte zur Zahlung von 6.714,69 € wegen unwirksam erhöhter Prämienzahlungen in den Tarifen A und B für den Zeitraum 2014 – 2017 sowie zur Herausgabe insoweit bis zum 01.11.2017 gezogener Nutzungen nebst Verzugszinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Tariferhöhungen im Tarif A und die Tariferhöhung zum 01.04.2016 im Tarif B unwirksam seien, weil der auslösende Faktor nicht dem gesetzlichen Schwellenwert von 10% genüge und der tarifliche Schwellenwert von 5% gemäß § 8b Abs. 1.1 S. 1 Halbs. 2 MB/KK gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoße und daher unwirksam sei. Hinsichtlich der Tariferhöhung im Tarif B zum 01.01.2011 ist das Landgericht von einer formellen Unwirksamkeit ausgegangen, die Tariferhöhung in demselben Tarif zum 01.01.2017 hat es demgegenüber insgesamt als wirksam erachtet. Es hat weiterhin die Auffassung vertreten, dass dem Kläger ein Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der bis zum 31.12.2013 gezahlten Beitragserhöhungen nicht zustehe, weil der Anspruch verjährt sei. Den Anspruch auf Freistellung von den Rechtsanwaltsgebühren hat das Landgericht mit der Begründung abgewiesen, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte vor der anwaltlichen Beauftragung in Verzug gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der dort gestellten Schlussanträge und der Urteilsbegründung wird auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

13
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien form- und fristgerecht Berufung eingelegt.

14
Der Kläger ist der Ansicht, dass auch die Tariferhöhung im Tarif B zum 01.04.2017 mangels ordnungsgemäßer Begründung formell unwirksam sei. Im Übrigen hat das Landgericht seiner Meinung nach die Rückzahlungs- und Nutzungsherausgabeansprüche bis Ende 2013 zu Unrecht als verjährt angesehen. Schließlich vertritt er die Auffassung, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft seinen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen habe. Insoweit komme es nicht darauf an, ob sich die Beklagte bereits bei Beauftragung des Anwalts durch den Kläger in Verzug befunden habe, weil sich der Anspruch bereits daraus ergebe, dass in dem unberechtigten Prämienerhöhungsverlangen der Beklagten eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht liege. Im Übrigen verteidigt er die landgerichtliche Entscheidung, insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen zur Unwirksamkeit von § 8b Abs. 1.1 S. 1 Halbs. 2 MB/KK.

15
Der Kläger beantragt daher, die Beklagte unter Aufrechterhaltung des angegriffenen Urteils im Übrigen zu verurteilen,

16
17
1. an ihn 3.915,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.11.2017 zu zahlen,

18
19
2. festzustellen, dass die Beklagte

20
a) ihm zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vor dem 01.11.2017 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den er auf die Erhöhungen

21
im Tarif C zum 01.01.2010 um 45,15 € und zum 01.01.2011 um 54,80 €,

22
im Tarif D zum 01.01.2010 um 25,80 € und zum 01.01.2011 um 15,20 €

23
sowie im Tarif E zum 01.01.2010 um 4,05 € gezahlt hat,

24
b) die nach 2.a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.11.2017 zu verzinsen hat,

25
26
3. ihn von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 1.613,16 € freizustellen.

27
Die Beklagte beantragt,

28
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

29
Ferner beantragt sie,

30
das Urteil des Landgerichts Bonn zum Az. 9 O 396/17 vom 02.09.2020 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

31
Der Kläger beantragt,

32
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

33
Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Landgericht zu Unrecht von der Unwirksamkeit des § 8 Abs. 1.1 S. 1 Halbs. 2 MB/KK ausgegangen sei und sie daher aufgrund der Überschreitung des tariflichen Schwellenwerts zur Beitragserhöhung im Tarif A zum 01.01.2012, 01.04.2013 und zum 01.04.2016 sowie im Tarif B zum 01.04.2016 berechtigt gewesen sei. Hinsichtlich des Tarifs B trägt die Beklagten – vom Kläger in der Sache unwidersprochen – vor, dass der auslösende Faktor tatsächlich nicht wie in der Klageerwiderung zunächst angegeben 109,0, sondern richtigerweise 111,3 betragen habe, so dass ohnehin auch der gesetzliche Schwellenwert überschritten gewesen sei. Im Übrigen ist sie der Ansicht, dass die Tariferhöhung im Tarif B zum 01.01.2011 formell wirksam gewesen sei. Jedenfalls hätte das Landgericht ihrer Ansicht nach angesichts der formell wirksamen Beitragsanpassung zum 01.04.2017 dem Kläger die Beiträge nicht bis zum 31.12.2017 zusprechen dürfen, weil die Prämien infolge der formell wirksamen Anpassung insgesamt neu festgesetzt und die unwirksamen Erhöhungen damit überholt seien. Im Hinblick auf die Berufung des Klägers verteidigt sie das angefochtene Urteil und hält insbesondere die erhobene Einrede der Verjährung der Rückzahlungsansprüche aufrecht.

34
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

35
II.

36
Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg, während die Berufung der Beklagten insgesamt unbegründet ist.

37
1. Berufung des Klägers

38
a)

39
Dem Kläger steht ein weitergehender Rückzahlungsanspruch in Höhe von 64,17 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen die Beklagte zu. Er hat in dem Monaten April bis Dezember 2017 monatlich 7,13 € zu viel an die Beklagte gezahlt, weil die Beitragserhöhung im Tarif B zum 01.04.2017 in dieser Höhe formell unwirksam gewesen ist.

40
Hinsichtlich der formellen Wirksamkeit der Beitragsanpassungen ist von Folgendem auszugehen:

41
Nach § 203 Abs. 5 VVG werden die Neufestsetzung der Prämie und die Änderungen nach § 203 Abs. 2 und 3 VVG zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Mitteilung der Neufestsetzung oder der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt. Vorliegend genügt das von der Beklagten verfasste Begründungsschreiben aus Februar 2017 nebst Anlagen grundsätzlich nicht den zu stellenden Mindestanforderungen an eine Mitteilung der maßgeblichen Gründe im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG.

42
Nach der inzwischen vom BGH bestätigten Auffassung des Senats zu den formellen Anforderungen an eine wirksame Beitragsanpassung im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung einer Prämie die Angabe der Rechnungsgrundlage – Versicherungsleistungen, Sterbewahrscheinlichkeit oder beide -, deren nicht nur vorübergehende, den festgelegten Schwellenwert überschreitende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19 -, zit. nach juris, Rdnr. 26 ff.; BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 314/19 -, zit. nach juris, Rdnr. 21 ff.; BGH, Urteil vom 10.03.2021 – IV ZR 353/19 -, zit. nach juris; BGH, Urteil vom 14.04.2021, IV ZR 36/20 -, zit. nach juris; OLG Köln, Urteil vom 04.05.2021 – 9 U 306/19 -). Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat und ob der überschrittene Schwellenwert im Gesetz oder davon abweichend in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt ist (BGH Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19 -, zit. nach juris, Rdnr. 26, 30). Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben (BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19 -, zit. nach juris, Rdnr. 26; BGH, Urteil vom 14.04.2021 – IV ZR 36/20 -, zit. nach juris, Rdnr. 21). Außerdem müssen sich die maßgeblichen Gründe konkret auf die in Rede stehende Beitragsanpassung beziehen; eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht (BGH Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19 -, zit. nach juris, Rdnr. 27 – „hierfür“ i.S.d. § 203 Abs. 5 VVG).

43
Ausgehend hiervon ist die Mitteilung der Prämienerhöhung im Tarif B zum 01.04.2017 formell unwirksam (so bereits OLG Köln, Urteil vom 27.10.2020 – 9 U 263/19 – n.v.). In dem Mitteilungsschreiben aus Februar 2017 (Anlagenheft der Bekl. zu Bl. 35, H 2) wird im ersten Absatz mitgeteilt, dass langwierige Krankheitsfälle zunähmen und die Ausgaben für Versicherungen, die einen Verdienstausfall abdecken, gestiegen seien. Dies führe dazu, dass die Beiträge „einiger Krankentagegeldversicherungen“ erhöht werden müssen. Es fehlt indes eine Bezugnahme auf die vorgenommene konkrete Tariferhöhung. Konkrete Angaben zu den Rechnungsgrundlagen und deren Veränderung, die den angepassten streitgegenständlichen Tarifen zugrunde liegen, finden sich auch in den beigefügten Unterlagen nicht. Allgemeine Hinweise in den Informationsblättern darauf, dass eine Veränderung einer der beiden Rechnungsgrundlagen eine Prämienanpassung auslösen kann und bloße Erläuterungen der allgemeinen gesetzlichen und tariflichen Grundlagen reichen nicht aus, um eine Mitteilung der maßgeblichen Gründe anzunehmen und die Frist des § 203 Abs. 5 VVG auszulösen. In der Mitteilung ist vielmehr unmissverständlich, klar und eindeutig darauf hinzuweisen, welche geänderte Rechnungsgrundlage für die in Rede stehende konkrete Prämienerhöhung maßgeblich gewesen ist. Hieran fehlt es.

44
Da der Kläger nur Rückzahlungsansprüche bis einschließlich Dezember 2017 geltend macht, kommt es auf die Frage einer etwaigen Heilung durch Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung in der Klageerwiderung bzw. ein Wirksamwerden durch eine spätere Prämienerhöhung nicht an.

45
Von der Beklagten erhobene Einwendungen gegen die Höhe des geltend gemachten Rückzahlungsanspruchs greifen nicht durch. Im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung kommt eine Anrechnung des genossenen Versicherungsschutzes nicht in Betracht, weil der Kläger den Versicherungsschutz nicht ohne Rechtsgrund erlangt hat. Der Versicherungsvertrag bleibt trotz unwirksamer Prämienanpassung wirksam und verpflichtet die Beklagte zur Gewährung von Versicherungsschutz. Dies gilt nach der gesetzlichen Wertung gleichermaßen für einen aus einer unwirksamen Prämienerhöhung ggf. folgenden erhöhten Wert des Versicherungsschutzes. Auch kann sich die Beklagte auf einen Wegfall der Bereicherung nicht berufen. Sie ist nicht dadurch entreichert, dass sie die vereinnahmten höheren Prämien auch zur Erbringung von Versicherungsleistungen verwendet hat. Damit hat sie eigene Verbindlichkeiten aus dem weiterhin wirksamen Versicherungsvertrag erfüllt. Verwendet der Empfänger einer Leistung die Mittel dazu, sich von einer Verbindlichkeit zu befreien, besteht die Bereicherung grundsätzlich fort. Soweit die Beklagte die erhöhten Prämienzahlungen nach ihrem Vortrag zur Bildung von Rückstellungen verwendet haben will, fehlt es an einem dauerhaften Vermögensverlust. Zahlungen des Versicherungsnehmers, die ohne wirksame Prämienerhöhung erfolgten, sind nicht nach den für Prämien geltenden Vorschriften zu verwenden. Falls die Beklagte aus den Zahlungen des Klägers ohne gesetzliche Grundlage Rückstellungen gebildet haben sollte, kommt es für die Entreicherung auf die Möglichkeiten einer Rückbuchung oder späteren Verrechnung gegenüber dem Kläger an. Eine Bereicherung ist nicht weggefallen, soweit der Bereicherte seine eigene Verfügung über den empfangenen Vermögensvorteil wieder rückgängig machen kann (vgl. zu den Einwendungen der Versicherer auf der Rechtsfolgenseite des bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruches BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, zit. nach juris, Rdnr. 45 ff.; BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 314/19, zit. nach juris Rdnr. 42 ff.; BGH, Urteil vom 10.03.2021 – IV ZR 353/19, zit. nach juris Rdnr. 27 ff.; BGH, Urteil vom 14.04.2021 – IV ZR 36/20, zit. nach juris Rdnr. 28 ff). Insoweit fehlt jedoch Vortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten.

46
b)

47
Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.025,55 € zu.

48
Nach Auffassung des Senats folgt ein entsprechender Anspruch dem Grunde nach aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 257 BGB (vgl. OLG Köln, Urteil vom 27.10.2020 – 9 U 263/19, n.v.). Denn durch die unwirksamen Prämienerhöhungen hat die Beklagte gegenüber dem Kläger eine vertragliche Nebenpflicht verletzt. Die vom Kläger durch Vorlage des anwaltlichen Forderungsschreibens vom 27.10.2017 (Anlage K2, Anlagenhefter zur Klageschrift) nachgewiesene vorgerichtliche Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten ist daher kausal auf die vorgenannte Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen. Sie war im Übrigen angesichts der für den Kläger nicht ohne weiteres überschaubaren versicherungsrechtlichen Natur des Falls auch zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich.

49
Im Hinblick auf die Anspruchshöhe erachtet der Senat aber lediglich den Ansatz der Regelgebühr (1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG) nebst Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) sowie Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) als gerechtfertigt. Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn eine Tätigkeit umfangreich und schwierig und daher „überdurchschnittlich“ war (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2011 – IX ZR 110/10 -, NJW 2011, 1603, 1604 f. Rdnr. 16; Urteil vom 11.07.2012 – VIII ZR 323/11 -, NJW 2012, 2813, 2814 Rdnr. 8; Urteil vom 22.01.2015 – I ZR 59/14 -, NJW 2015, 3244, 3246 Rdnr. 34). Ob eine Rechtssache als wenigstens durchschnittlich anzusehen ist, bestimmt sich gemäß § 14 Abs. 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Die Tätigkeit der Rechtsanwälte des Klägers war nach diesen Kriterien jedenfalls nicht überdurchschnittlich aufwändig. Der vorliegende Sachverhalt ist weder in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht außergewöhnlich, sondern entspricht vergleichbaren Sachverhalten, die – gerichtsbekannt – von den Prozessbevollmächtigten des Klägers im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von Änderungsmitteilungen hinsichtlich Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung regelmäßig bearbeitet werden. Angesichts dieser gerichtsbekannten Tätigkeit der klägerischen Prozessbevollmächtigten in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle erfordert hier auch die anwaltliche Tätigkeit keinen überdurchschnittlichen Einsatz. Da auch bei den vorgerichtlichen Schriftsätzen nahezu ausschließlich Textbausteine und standardisierte rechtliche Bewertungen ohne individuellen Bezug zu dem konkreten Sachverhalt verwandt werden, ist ein höherer Ansatz als der Mittelsatz von 1,3 für die Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) nicht gerechtfertigt. Allein der Umfang der Schriftsätze oder der beigefügten Anlagen lässt gerade in solchen Serienverfahren nicht automatisch auf eine überdurchschnittlich schwierige oder aufwändige Tätigkeit schließen. Die Tätigkeit war auch nicht schwierig i.S.d. § 14 RVG. Schwierig ist eine Tätigkeit dann, wenn erhebliche, im Normalfall nicht auftretende Probleme auftauchen, unabhängig davon, ob diese auf juristischem oder tatsächlichem Gebiet liegen. Auch dies war hier nicht der Fall.

50
Zum Zeitpunkt der vorgerichtlichen Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten im Oktober 2017 ist von einem zugrunde zu legenden Streitwert für die seinerzeit berechtigt geltend gemachten Rückforderungsansprüche wegen Prämienmehrzahlungen i.H.v. 6.366,82 € auszugehen. Dies ergibt die folgende Berechnung:

51
Zahlung ab 01.01.2014 bis 27.10.2017

A

01.01.2012

45,00 €

46*45 € = 2.070 €

A

01.04.2013

39,00 €

46*39 = 1.794 €

A

01.04.2016

94,99 €

19*94,99 = 1.804,81 €

B

01.01.2011

10,00 €

46*10 € = 460 €

B

01.04.2016

9,90 €

19* 9,90 € = 188,10 €

B

01.04.2017

7,13 €

7*7,13 € = 49,91 €

206,02 €

6.366,82 €

52
Der Streitwert für die berechtigt geltend gemachten Feststellungsansprüche betrug 206,02 € x 42 = 8.652,84 €, so dass von einem vorprozessualen Gesamtstreitwert in Höhe von 15.019,66 € auszugehen ist, für den der Kläger berechtigterweise anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen hat.

53
Danach errechnen sich die vorprozessualen Rechtsanwaltsgebühren wie folgt:

54
1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) 845,00 €

55
Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 €

56
Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 160,55 €

57
Summe 1.025,55 €.

58
c)

59
Die vom Kläger darüber hinausgehend geltend gemachten Ansprüche bis einschließlich Ende 2013 sind – wie das Landgericht zu Recht ausführt – jedenfalls verjährt. Die Beklagte hat bereits mit der Klageerwiderung vom 16.02.2018 erfolgreich die Einrede der Verjährung erhoben. Es kann daher offenbleiben, ob die Anpassungsschreiben betreffend die Tariferhöhungen in den Tarifen C und D zum 01.01.2010 und zum 01.01.2011 sowie im Tarif E zum 01.01.2010 wirksam waren, da alle Ansprüche diesbezüglich verjährt sind, nachdem die Tarife seit dem 31.08.2011 beendet sind.

60
Für den bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch gilt die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB, deren Beginn sich nach § 199 Abs. 1 BGB bzw. § 199 Abs. 3 BGB richtet. Nach § 199 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

61
Der Rückzahlungsanspruch entsteht mit der monatlichen Prämienzahlung, weil mit der Zahlung einer überhöhten Prämie der Rückforderungsanspruch fällig wird (vgl. OLG Köln, Urteil vom 07.04.2017 – 20 U 128/16, juris Rdnr. 15; LG Neuruppin, Urteil vom 25.08.2017 – 1 O 338/16, juris Rdnr. 40). Grundsätzlich reicht eine Kenntnis aus, die den Berechtigten in die Lage versetzt, wenn auch nicht ohne Risiko, eine Feststellungsklage zu erheben (BGH, Urteil vom 26.02.2013 – XI ZR 498/11, NJW 2013, 1801 f., Rdnr. 27; LG Neuruppin, a.a.O., juris Rdnr. 42). Die erforderliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB des Klägers als Versicherungsnehmer liegt mit Erhalt der jeweiligen Anpassungsschreiben vor. Ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Mitteilung über die Beitragserhöhung ist von einer grob fahrlässigen Unkenntnis in dem Sinne auszugehen, dass der Versicherungsnehmer seine Beiträge in einer Höhe entrichtet, die auf einer möglicherweise unwirksamen Beitragserhöhung beruht. Es genügt insoweit die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen; nicht erforderlich ist, dass der Gläubiger den Vorgang rechtlich zutreffend bewertet (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2008 – XI ZR 160/07, NJW 2008, 1729 ff., Rdnr. 26; Senatsurteil vom 28.01.2020 – 9 U 138/19 –, zit. nach juris, Rdnr. 158; LG Neuruppin, a.a.O, juris Rdnr. 42).

62
Dem Kläger war eine Klageerhebung trotz des bis zur Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs am 16.12.2020 – IV ZR 294/19 – bestehenden Meinungsstreits in Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich der Anforderungen an eine Mitteilung der maßgeblichen Gründe im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG auch nicht unzumutbar. Dies zeigt sich schon daran, dass der Kläger trotz unübersichtlicher Rechtslage bereits Ende des Jahres 2017 Klage eingereicht und damit zu erkennen gegeben hat, dass er vom Bestehen des Anspruchs ausgeht.

63
Die Verjährung aller ab dem 01.01.2014 entstandenen Rückzahlungsansprüche wurde durch die Zustellung der Klageschrift am 22.01.2018 (Bl. 31R GA) gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Es gilt § 167 ZPO, nach dem wegen der demnächst erfolgten Zustellung der am 22.12.2017 bei Gericht eingegangenen Klage bereits der Eingang der Klage für die Hemmung der Verjährung maßgeblich ist.

64
Der Verjährung unterliegen gemäß § 217 BGB als Nebenleistungen auch – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat – die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Herausgabe von Nutzungen betreffend die Tarife C zum 01.01.2010 um 45,15 € und zum 01.01.2011 um 54,80 €, D zum 01.01.2010 um 25,80 € und zum 01.01.2011 um 15,20 € sowie im E zum 01.01.2010 um 4,05 €.

65
2. Berufung der Beklagten

66
a)

67
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet, nach der die Beitragserhöhungen durch die Beklagte im Tarif A zum 01.01.2012, zum 01.04.2013 und zum 01.04.2016 materiell unwirksam sind. Das Landgericht hat insoweit zu Recht die vom Kläger begehrte Feststellung der Unwirksamkeit ausgesprochen und ihm auch Rückzahlungsansprüche gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB in Höhe von 6.026,79 € zugesprochen.

68
Bei den genannten Tarifanpassungen liegt die Veränderung bei den Versicherungsleistungen jeweils unter dem gesetzlichen Schwellenwert von über 10 %, aber über 5 % (auslösender Faktor zum 01.01.2012: 106,8; zum 01.04.2013 und zum 01.04.2016 jeweils 106,5, vgl. Klageerwiderung vom 16.02.2018 S. 3, Bl. 37 GA). Die Beitragsanpassungsklausel in § 8 b Abs. 1.1, 2 der zwischen den Parteien vereinbarten MB/KK (Anlage H 18, AH) gestattet bei einer Abweichung der Versicherungsleistungen von mehr als 5 % eine Überprüfung aller Beiträge dieser Beobachtungseinheit und ggf. eine Anpassung der Prämie mit Zustimmung des Treuhänders. Diese Klausel ist nach Auffassung des Senats jedoch unwirksam.

69
Die Unwirksamkeit dieser Regelung ergibt sich nicht etwa daraus, dass bei den Versicherungsleistungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen auch ein geringerer Prozentsatz als über 10 % vorgesehen werden kann. Die Zulässigkeit einer solchen Regelung folgt bereits aus den §§ 12 b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3 S. 2 VAG. Die Unwirksamkeit der Tarifbedingung in § 8 b Abs. 1.1, 2 MB/KK ergibt sich vielmehr daraus, dass abweichend von den §§ 12 b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3, S. 2 VAG, 203 Abs. 2 VVG von einer Beitragsanpassung abgesehen werden kann, wenn die Veränderung der Versicherungsleistungen nur vorübergehend ist. Diese Regelung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, auf den der BGH in ständiger Rechtsprechung abstellt (BGH, Urteil vom 17.12.2008 – IV ZR 9/08 -, NJW 2009, 1147, 1148; BGH, Urteil vom 01.04.2015 – IV ZR 104/13 -, NJW-RR 2015, 1442, 1443 Rdnr. 13; BGH, Urteil vom 18.10.2017 – IV ZR 188/16-, NJW 2018, 305, 306 Rdnr. 12), dahin verstehen, dass dem Versicherer bei einer nur vorübergehenden Veränderung der Versicherungsleistung ein Ermessensspielraum bei der Entscheidung darüber eingeräumt wird, ob es zu einer Prämienanpassung kommt oder nicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8 b Abs. 1.1, 2 MB/KK wird dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ zum Nachteil des Versicherungsnehmers eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Dies widerspricht insoweit dem eindeutigen Wortlaut der §§ 12 b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3, S. 2 VAG, 203 Abs. 2 VVG, nach denen eine Prämienanpassung nur dann zulässig ist, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art ist. Nach der halbzwingenden Vorschrift des § 208 Abs. 1 VVG kann von der gesetzlichen Regelung nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden (Prölss/Martin-Voit, VVG, 31. Aufl. 2021, MB/KK 2009 § 8 b Rdnr. 2).

70
Dieser Bewertung steht das Urteil des BGH vom 22.09.2004 (IV ZR 97/03, VersR 2004, 1446 = NJW-RR 2004, 1677) nicht entgegen. In diesem Urteil hat der BGH keine Entscheidung zur Wirksamkeit einer solchen Beitragsanpassungsklausel getroffen, sondern Prämienanpassungen nach der früheren Rechtslage beurteilt, d.h. jene vor dem Inkrafttreten des Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG am 29.07.1994. Hierzu hat der BGH klargestellt, dass bei solchen Prämienanpassungen nach altem Recht, in denen die vertraglichen Bestimmungen zur Beitragsanpassung (dort § 8 a Teil II, III AVB) „weniger strenge Vorgaben enthalten“ als die seit dem 29.07.1994 geltenden Rechtsvorschriften und „dem Versicherer einen Ermessensspielraum eröffnen“, diese „Ermessensausübung auf ihre Billigkeit nach § 315 BGB zu prüfen“ ist (BGH, a.a.O., NJW-RR 2004, 1677, 1678). Eine nähere Prüfung, ob eine solche Regelung mit den halbzwingenden Vorschriften der §§ 12 b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3, S. 2 VAG, 203 Abs. 2, 208 Abs. 2 VVG zu vereinbaren ist, war im Rahmen dieser Entscheidung nicht veranlasst, da insoweit Prämienerhöhungen zum 01.07.1994, also nach altem Recht, betroffen waren.

71
Die Unwirksamkeit der Klausel in § 8 b Abs. 2 MB/KK führt auch zur Unwirksamkeit des § 8 b Abs. 1.1 MB/KK, weil die Regelungen in den Abs. 1.1 und 2 zu den Voraussetzungen einer Prämienerhöhung in einem untrennbaren Zusammenhang stehen. Im Falle des Wegfalls der Regelung in § 8 b Abs. 2 MB/KK wegen Unwirksamkeit könnte die Regelung in § 8 b Abs. 1.1 MB/KK nicht alleine fortbestehen, ohne nicht ebenfalls gegen die in §§ 12 b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3, S. 2 VAG, 203 Abs. 2 VVG vorgesehene Voraussetzung einer nicht nur vorübergehenden Veränderung für eine Prämienanpassung zu verstoßen (blue pencil test). Bei Unwirksamkeit des § 8 b Abs. 2 MB/KK könnte nach dem § 8 b Abs. 1.1 MB/KK eine Beitragsanpassung schon dann erfolgen, wenn der maßgebliche Schwellenwert überschritten ist, und zwar entgegen dem Gesetz auch dann, wenn eine nur vorübergehende Veränderung vorliegt (vgl. hierzu OLG Köln vom 22.09.2020 – 9 U 237/19 -, VersR 2021, 95 ff.; Werber VersR 2021, 288, 289). Eine Prämienanpassung ist hiernach von vornherein unwirksam, wenn bei der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ die Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen für einen Tarif nicht mehr als 10 vom Hundert „nach oben oder unten“ beträgt.

72
Ein Rückgriff auf § 306 Abs. 2 BGB, wonach sich der Inhalt des Vertrages nach den gesetzlichen Vorschriften richtet, soweit einzelne Bestimmungen nicht Vertragsinhalt geworden oder unwirksam sind, führt nicht zur Wirksamkeit der Prämienanpassung in materiell-rechtlicher Hinsicht. Nach dieser Grundregelung sind die §§ 203 Abs. 2 VVG, 155 Abs. 3 VAG einschlägig, die eine Anpassung auf der Basis einer – hier nicht erreichten – 10 %-Schwelle ausdrücklich für den Fall des Fehlens abweichender Bestimmungen in den AVB vorsehen. Dem Fehlen einer abweichenden Bestimmung in den AVB ist der Fall der Unwirksamkeit einer Klausel gleichzustellen. Ein für die Beklagte günstiges Ergebnis kommt ebenso nicht nach den Regeln der geltungserhaltenden Reduktion oder ergänzenden Vertragsauslegung in Betracht (zustimmend Werber in VersR 2021, 288; LG München, Urteil vom 18.12.2020 – 25 O 16494/18 -, n.v.; LG Freiburg, Urteil vom 20.11.2020 – 14 O 319/19 -, n.v.; a.A. Voit in VersR 2021; 673; LG Hannover, Urteil vom 29.03.2021 – 19 O 291/20-, VersR 2021, 626; LG Oldenburg, Urt. v.31.03.2021 – 13 O 2797/20 -, VersR 2021, 632).

73
Demnach sind die genannten drei Tariferhöhungen im Tarif VollMed M 4 von vornherein unwirksam, da bei der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ die Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen für einen Tarif nicht mehr als 10 vom Hundert „nach oben oder unten“ beträgt.

74
Die hieraus resultierenden Rückzahlungsansprüche des Klägers errechnen sich wie folgt:

75
Zahlung ab 01.01.2014; vorher verjährt, s. 1.c)

A

01.01.2012

45,00 €

48*45 € = 2.160 €

A

01.04.2013

39,00 €

48*39 = 1.872 €

A

01.04.2016

94,99 €

21*94,99 = 1.994,79 €

insgesamt

6.026,79 €.

76
b)

77
Die Berufung der Beklagten ist im Ergebnis ebenfalls unbegründet, soweit diese sich gegen die erstinstanzliche Entscheidung zur Unwirksamkeit der Tariferhöhung im Tarif B zum 01.04.2016 in Höhe von 9,90 € richtet. Das Landgericht hat dem Kläger insoweit im Ergebnis zu Recht einen Rückzahlungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB in Höhe von 207,90 € zuerkannt.

78
Zwar gelten insoweit nicht die vorstehenden Ausführungen betreffend die Unwirksamkeit von § 8 b MB/KK, nachdem die Parteien zweitinstanzlich unstreitig gestellt haben, dass der Anpassung in diesem Tarif richtigerweise der auslösende Faktor von 111,3 zugrunde lag, so dass der gesetzliche Schwellenwert von mehr als 10% überschritten ist. Das neue Vorbringen der Parteien muss der Entscheidung zugrunde gelegt werden, obwohl es erstinstanzlich zurückgewiesen worden war. Denn unabhängig davon, ob das Vorbringen in erster Instanz zu Recht zurückgewiesen worden ist, muss der neue Vortrag jedenfalls deshalb zugrunde gelegt werden, weil er unstreitig ist. § 531 Abs. 1 ZPO, nach dem Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, ausgeschlossen bleiben, gilt entgegen seinem Wortlaut nicht für Vortrag, der in zweiter Instanz unstreitig ist (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 531 Rn. 9 m.w.N.). Die Beitragsanpassung ist aber gleichwohl unwirksam, weil die formellen Anforderungen für eine wirksame Prämienerhöhung insoweit nicht erfüllt sind. Das Mitteilungsschreiben aus Februar 2016 (Anlage H 2, AH) entspricht im Wesentlichen dem Anschreiben aus Februar 2017. Es gelten die Ausführungen zu 1.a) sinngemäß entsprechend. Auch dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 27.10.2020 (9 U 263/19, n.v.) entschieden.

79
Der Rückzahlungsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 01.04.2016 bis zum 31.12.2017 beläuft sich insoweit auf 21 Monate à 9,90 €, insgesamt also auf 207,90 €.

80
c)

81
Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte schließlich auch gegen die Entscheidung des Landgerichts, soweit dieses die Prämienerhöhung im Tarif B zum 01.01.2011 für formell unwirksam gehalten hat. Das Landgericht hat dem Kläger insoweit mit zutreffenden Erwägungen einen Rückzahlungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB in Höhe von 480 € zuerkannt. Das Mitteilungsschreiben aus November 2010 (Anlage H 2, AH) genügt unzweifelhaft nicht den zuvor im Einzelnen aufgeführten Mindestanforderungen nach der Senatsrechtsprechung und nunmehr auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. im Einzelnen oben Ziff. 1.a), weil sich die Rechnungsgrundlage weder dem Schreiben noch dem Begleitbogen entnehmen lässt. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2017 beläuft sich insoweit auf 48 Monate à 10 € für die Jahre 2014 – 2017, insgesamt also auf 480 €. Weitergehende Rückzahlungsansprüche bis Ende 2013 sind verjährt (vgl. oben unter 1.c).

82
d)

83
Der Berufung der Beklagten bleibt schließlich auch der Erfolg versagt, soweit diese sich gegen die vom Landgericht festgestellte Verpflichtung zur Herausgabe der Nutzungen für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.10.2017 wendet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt., 818 Abs. 1 BGB auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen aus den von ihm gezahlten erhöhten Prämienanteilen in unverjährter Zeit aufgrund der o.g. formell unwirksamen Prämienanpassungen. Sein Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen ist auf die Zeit vor Eintritt der Verzinsungspflicht für die Hauptforderung ab dem 14.11.2017 beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, juris Rdnr. 58; BGH, Urteil vom 10.03.2021 – IV ZR 353/19, juris Rdnr. 35).

84
e)

85
Die Zinsansprüche des Klägers folgen – wie das Landgericht zutreffend und nicht ergänzungsbedürftig begründet hat – aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 BGB.

86
III.

87
1. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

88
2. Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf die Frage der Wirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel in § 8 b Ziffern 1, 2 MB/KK 2009 zugelassen. Die Rechtssache hat insoweit grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

89
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 18.147,44 €; davon entfallen 3.915,17 € auf die Berufung des Klägers und 14.232,27 € auf die Berufung des Beklagten.

90
Dem Feststellungsantrag kommt neben dem Zahlungsantrag vorliegend selbständige Bedeutung zu. Bei der Berechnung des Streitwerts ist zwar zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 10.03.2021, – IV ZR 353/19 -, zit. nach juris, Rdnr. 37) der neben dem jeweiligen Klageantrag auf Rückzahlung der geleisteten Prämienanteile gestellte wirtschaftlich identische Klageantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen und der Nichtverpflichtung zur Tragung der Erhöhungsbeträge den Streitwert nicht erhöht, soweit er sich auf denselben Zeitraum wie der Zahlungsantrag bezieht. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, weil der Kläger Rückzahlung nur für den Zeitraum bis Dezember 2017 und damit vor Anhängigkeit des Klageverfahrens verlangt.

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