OLG Köln, Beschluss vom 03.06.2019 – 7 VA 7/19

Oktober 10, 2021

OLG Köln, Beschluss vom 03.06.2019 – 7 VA 7/19

Tenor
Der als Beschwerde bezeichnete Antrag des Klägers zu 1), die Entscheidung der Direktorin des Amtsgerichts Euskirchen vom 12.04.2019 aufzuheben, durch die dem Antrag des Beklagten zu 1) auf Gewährung von Akteneinsicht stattgegeben worden ist, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Antragsteller auferlegt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Gegenstandswert wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe
I.

Mitte 2007 erhoben der Antragsteller und seine Ehefrau Klage gegen ihre Grundstücksnachbarn und beantragten, diese zu verpflichten, den Überbau zu beseitigen, der durch die Errichtung einer Garage unmittelbar an der Grundstücksgrenze entstanden sei. Das Verfahren wurde unter dem Az. 13 C 88/13 vor dem Amtsgericht Euskirchen geführt. Im Laufe des Verfahrens tauchten Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beklagten zu 1) auf, die sich aus einer psychiatrischen Untersuchung im Zusammenhang mit einem anderen Gerichtsverfahren ergeben hatten. Mit Beschluss vom 28.10.2008 unterbrach das AG Euskirchen das Verfahren wegen Prozessunfähigkeit des Beklagten zu 1) nach § 51 ZPO. Mit Beschluss vom 29.05.2013 bestellte das sachverständig beratene Gericht dem Beklagten zu 1) nach § 57 Abs. 1 ZPO einen Prozesspfleger, Rechtsanwalt A. Etwa drei Jahre später schlossen die Parteien des Verfahrens in Abwesenheit des Beklagten zu 1) unter Mitwirkung des Prozesspflegers am 01.06.2016 einen Vergleich, der den Rückbau einer Dachziegelreihe an der Garage der Beklagten vorsah; die Kosten des Verfahrens wurden zwischen den Parteien hälftig aufgeteilt.

In der Folgezeit ging der Vergleich in die Vollstreckung. Unter dem 10.06.2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels, die ihm auch erteilt wurde. Mit Schreiben vom 13.06.2016 beantragte der Beklagte zu 1) Akteneinsicht und begründete dies damit, er sei von dem Verfahren in rechtswidriger Weise „ausgeschlossen“ worden. In der Folgezeit entwickelte sich ein reger Schriftverkehr zwischen ihm und dem AG Euskirchen. Derweil wurde die Vollstreckung weitergeführt. Unter dem 22.09.2016 beantragte der Kläger zu 1) die Ermächtigung zur Ersatzvornahme. Auch hiermit war der Beklagte zu 1) nicht einverstanden. Schließlich konnten die im Vergleich geregelten Rückbauarbeiten am 22.05.2017 unter dem Schutz des Gerichtsvollziehers durch ein beauftragtes Fachunternehmen ausgeführt werden. In der Folgezeit wurden die entstandenen Kosten abgerechnet.

Knapp zwei Jahre später meldete der Beklagte zu 1) sich unter dem 21.01.2019 mit einem erneuten Akteneinsichtsgesuch im Hinblick auf die Verfahrensakten 13 C 88/13 sowie zahlreiche weiterer Verfahren. Seine Eingabe war durch zahlreiche wüste Beschimpfungen geprägt, die in der Quintessenz darauf hinauslaufen, sämtliche Richter hätten in verbrecherischer Absicht zu seinem Nachteil das Recht gebeugt.

Mit Schreiben vom 23.01.2019 teilte die zuständige Abteilungsrichterin für das Verfahren 13 C 88 / 13 dem Beklagten zu 1) mit, dass sein Anspruch auf Akteneinsicht sich nach dem Abschluss des Verfahrens nach § 299 Abs. 2 ZPO richte und er daher ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht darlegen und glaubhaft machen müsse. Gleichzeitig leitete sie die Anhörung der übrigen Beteiligten ein. Im Ergebnis stimmten weder die Beklagte zu 2) – die Ehefrau des Beklagten zu 1) – noch die Kläger dem Akteneinsichtsgesuch des Beklagten zu 1) zu.

Noch bevor eine gerichtliche Entscheidung hatte ergehen können, meldete sich der Beklagte zu 1) unter dem 27.01.2019 mit einer erneuten Eingabe; aus ihr ging hervor, dass er weiterhin Akteneinsicht begehrte. Den gerichtlichen Hinweis auf § 299 Abs. 2 ZPO vermochte der Beklagte zu 1) offensichtlich nicht rechtlich einzuordnen, er fühlte sich „veralbert“, sprach von erneuten Rechtsbeugungen, kündigte Strafanträge an und legte Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Unter dem 29.01.2019 leitete die Direktorin des Amtsgerichts die Eingabe an den zuständigen Dezernenten des Amtsgerichts weiter. Dieser wiederum leitete am 31.01.2019 das Anhörungsverfahren nach § 299 Abs. 2 ZPO ein – zunächst im Hinblick auf die weiteren Verfahren. In diesem Zusammenhang meldete sich unter dem 07.02.2019 der Kläger zu 1) und erklärte, er sei mit einer Akteneinsicht durch den Beklagten zu 1) nicht einverstanden. Nähere Gründe dafür, warum die Akteneinsicht seinem Interesse widerspreche, trug er nicht vor. Unter dem 06.03.2019 gab die Direktorin des Amtsgerichts dem Akteneinsichtsgesuch im Hinblick auf drei andere Verfahren teilweise statt – jeweils soweit die übrigen Beteiligten keine Einwände gegen die Akteneinsicht erhoben hatten.

Am 21.03.2019 wurde das Anhörungsverfahren im Hinblick auf die Verfahrensakten 13 C 88/13 eingeleitet, nachdem die Verfahrensakten vom Landgericht Bonn an das Amtsgericht Euskirchen zurückgelangt waren. In diesem Zusammenhang teilte der zuständige Dezernent des Amtsgerichts Euskirchen allen Beteiligten mit, es sei mit Blick auf die Durchführung der Zwangsvollstreckung in dem betreffenden Verfahren beabsichtigt, die begehrte Akteneinsicht zu gewähren. Den Verfahrensbeteiligten wurde eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme eingeräumt. Auch der Prozessbevollmächtigte der Kläger wurde in diesem Zusammenhang angehört, ebenso wie der Prozesspfleger des Beklagten zu 1) und der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 2).

Noch bevor die Zweiwochenfrist abgelaufen war entschied die Direktorin des Amtsgerichts Euskirchen mit Bescheid vom 12.04.2019, dem Beklagten zu 1) Akteneinsicht in die Akten des Verfahrens 13 C 88/13 zu gewähren, und führte zur Begründung aus, dass ein Widerspruch der übrigen Verfahrensbeteiligten nicht eingegangen sei und zudem ein rechtliches Interesse des Beklagten zu 1) bereits aufgrund des durchgeführten Zwangsvollstreckungsverfahrens anzunehmen sei, obwohl der Beklagte zu 1) zu seinem rechtlichen Interesse keine näheren Darlegungen gemacht habe. Der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Bescheid wurde unter anderem auch dem Prozessbevollmächtigten der Kläger zugestellt, der ihn ausweislich seines Empfangsbekenntnisses am 18.04.2019 erhielt.

Hiergegen hat der Kläger zu 1) mit Schreiben vom 25.04.2019, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, „Beschwerde“ eingelegt und angegeben, er habe sehr wohl der Einsichtnahme widersprochen. Dies habe der Sachbearbeiter grob fahrlässig übersehen. Mit Verfügung vom 29.04.2019 hat die Direktorin des Amtsgerichts die Verfahrensakten dem Oberlandesgericht übersandt.

II.

Die Beschwerde des Klägers zu 1) ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG statthaft und zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden.

Nach zutreffender Ansicht richtet sich die Akteneinsicht nach Abschluss eines Verfahrens nach § 299 Abs. 2 ZPO, auch wenn der Antrag auf Akteneinsicht – wie hier – von einer Partei des Verfahrens gestellt wird; dies hat der Bundesgerichtshof damit begründet, dass das Einsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO nur der Prozessführung diene und dass die Aufbewahrung der Akten nur bis zum Abschluss des Verfahrens dem zur Entscheidung berufenen Spruchkörper obliege, danach jedoch der Gerichtsverwaltung übertragen sei (BGH, Beschluss vom 29.04.2015 – XII ZB 214/18, NJW 2015, 1827). Dies hat verfahrensrechtlich zur Folge, dass als Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Gerichtsverwaltung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG statthaft ist. Beschwert ist bei einer den Antrag zurückweisenden Entscheidung der Antragsteller und im Falle einer stattgebenden Entscheidung jede Partei, die der Einsichtnahme nicht zugestimmt hat (vgl. BeckOK ZPO/Bacher, 32. Edition Stand 01.03.2019, § 299 Rn. 36).

In der Sache kann der zulässige Antrag indes keinen Erfolg haben. Zwar trägt die Begründung des Bescheids insofern nicht, als sie davon ausgeht, die übrigen Beteiligten hätten der Akteneinsicht nicht widersprochen; dies ist nicht richtig. In der Sache ist die Gewährung der Akteneinsicht aber gleichwohl nicht zu beanstanden, weil dem Beklagten zu 1) ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht zugesprochen werden muss, während der Kläger zu 1) sein entgegenstehendes Interesse ebenso wenig begründet hat wie die übrigen Verfahrensbeteiligten.

Personen, die nicht Partei sind, darf gemäß § 299 Abs. 2 Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn alle Parteien zustimmen oder wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen. Entsprechendes gilt, wenn eine Partei nach Abschluss des Verfahrens Akteneinsicht begehrt. Das rechtliche Interesse muss sich aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Ein rechtliches Interesse ist beispielsweise zu bejahen, wenn die Akteneinsicht zur Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen durch den Antragsteller benötigt wird und die vermeintlichen Ansprüche einen rechtlichen Bezug zu dem Verfahren aufweisen, in dem Akteneinsicht begehrt wird. Diese Voraussetzung wird in der Regel als erfüllt angesehen, wenn der Antragsteller die Akteneinsicht im Zusammenhang mit einer Zwangsvollstreckung begehrt, die auf der Grundlage des betreffenden Verfahrens betrieben wird (BeckOK ZPO/Bacher, § 299 Rn. 26-28 mit weiteren Nachweisen). Kein ausreichender Bezug und damit kein rechtliches Interesse besteht demgegenüber, wenn die Akteneinsicht nur zur Ermittlung allgemeiner Informationen dienen soll, auf deren Grundlage andere, nicht mit dem Akteninhalt in Verbindung stehende Ansprüche gegen Dritte in Erfahrung gebracht werden und durchgesetzt werden sollen (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1997, 1489). Grundsätzlich sind die Tatsachen, aus denen sich das rechtliche Interesse ergibt, vom Antragsteller glaubhaft zu machen. An die Glaubhaftmachung sind indes keine hohen Anforderungen zu stellen, wenn sich das Interesse aus dem Akteninhalt und dem bisherigen Verfahrensverlauf von selbst ergibt und daher gleichsam auf der Hand liegt.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist die Entscheidung der Direktorin des AG Euskirchen, dem Beklagten zu 1) vorliegend Akteneinsicht in die Verfahrensakten 13 C 88/13 zu gewähren, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Beklagte zu 1) war Partei des Ursprungsverfahrens, er hat für den vorliegenden Rechtsstreit einen Prozesspfleger bekommen. Dieser hat für ihn einen Vergleich abgeschlossen, durch den der Beklagte zu 1) neben seiner Ehefrau zur Beseitigung eines Überbaus in verhältnismäßig geringem Umfang verpflichtet worden ist. Die Vergleichsregelung musste in der Folgezeit mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung gegen den Beklagten zu 1) durchgesetzt werden. Der Beklagte zu 1) mutmaßt – vermutlich krankheitsbedingt -, das Verfahren und insbesondere auch das Vollstreckungsverfahren seien in rechtswidriger Weise über seinen Kopf hinweg durchgeführt worden. Dies hat er in mehreren diffus abgefassten Beschimpfungsschreiben bereits offengelegt. Daher liegt es auf der Hand, dass es ihm mit dem Akteneinsichtsgesuch darum geht, Anhaltspunkte für die von ihm vermuteten rechtswidrigen Verstöße zu finden, um aus diesen Ansprüche herzuleiten. Zwar hat sich aus dem Akteninhalt, soweit er dem Senat vorgelegen hat, kein Anhaltspunkt für die Vermutungen des Beklagten zu 1) ergeben; gleichwohl hat die Direktorin des Amtsgerichts zu Recht ein rechtliches Interesse des Beklagten zu 1) an der Einsicht der Verfahrensakten bejaht, da es um mögliche Ansprüche geht, derer der Beklagte zu 1) sich konkludent berühmt, und die sich aus dem Zusammenhang des vorliegenden Zivilverfahrens und des anschließenden Vollstreckungsverfahrens ergeben sollen. Das rechtliche Interesse für die Akteneinsicht besteht auch dann, wenn die Akteneinsicht Anhaltspunkte für Ersatzansprüche voraussichtlich nicht generieren kann.

Ein überwiegendes entgegenstehendes Interesse hat der Kläger zu 1) nicht vorgetragen. Er nimmt in seiner „Beschwerdebegründung“ lediglich auf die Krankheit des Beklagten zu 1) Bezug. Welche besonderen rechtlichen Nachteile ihm dadurch entstehen könnten, dass der Beklagte zu 1) in die Verfahrensakten noch einmal Einsicht erhält, legt er hingegen nicht dar. Tatsächlich enthalten die Akten eine Vielzahl höchstpersönlicher medizinischer Bewertungen, die aber allesamt den Beklagten zu 1) selbst betreffen und damit vor diesem nicht „geschützt“ werden müssen.

Die Akteneinsicht kann dem Beklagten zu 1) auch nicht mit dem Argument grundsätzlich verwehrt werden, er habe ja bereits über seinen Prozesspfleger alle für ihn bedeutsamen Unterlagen erhalten. Tatsächlich mutmaßt der Beklagte zu 1) gerade, dass der Prozesspfleger seine Interessen nicht in ausreichendem Umfang vertreten habe, so dass er mit seiner Akteneinsicht offenbar auch in diesem Verhältnis eine Kontrolle begehrt, die ihm von Rechts wegen nur verwehrt werden kann, wenn die übrigen Verfahrensbeteiligten erhebliche berechtigte Interessen darlegen können, die einer Einsichtnahme entgegenstehen; dies ist hier nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG, die Bestimmung des Gegenstandswerts auf § 36 Abs. 1 GNotKG.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG bestand kein Anlass, weil das Verfahren weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern. Vielmehr sind die Grundsätze der Akteneinsicht nach Abschluss des Verfahrens höchstrichterlich geklärt und vom Einzelfall abhängig.

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