OLG Köln, Beschluss vom 08.04.2019 – 17 U 8/19

Oktober 10, 2021

OLG Köln, Beschluss vom 08.04.2019 – 17 U 8/19

Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten gegen das am 6. Dezember 2018 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln – 86 O 58/18 – wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe
I.

Das am 6. Dezember 2018 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln wurde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 10. Dezember 2018 zugestellt. Mit einem auf den 10. Januar 2019 datierten Schriftsatz legte die Beklagte Berufung ein. Der erwähnte Schriftsatz wurde seitens der Mitarbeiterin Frau A der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Frau Rechtsanwältin B, an diesem Tage an das Gericht per Fax übersandt. Dieser ging beim Landgericht Köln ein, da dessen Faxnummer angewählt wurde. Dieses leitete den Schriftsatz an das als Adressat genannte Oberlandesgericht Köln weiter, wo er tags darauf, am 11. Januar 2019, einging. Der seitens der Mitarbeiterin am 10. Januar 2019 per Post übersandte Originalschriftsatz ging beim Oberlandesgericht Köln ebenfalls am 11. Januar 2019 ein. Anlässlich eines Telefonats mit der Geschäftsstelle des erkennenden Senats wurde die Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 21. Januar 2019 darüber informiert, dass die Berufung infolge des um einen Tag verspäteten Eingangs der Berufungsschrift beim Berufungsgericht verfristet ist. Mit einem am 31. Januar 2019 beim Oberlandesgericht Köln eingegangenen Schriftsatz begehrt die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung.

Sie ist der Ansicht, die Fristversäumung sei ohne Verschulden erfolgt. In der Kanzlei werde seit 2016 das Kanzlei-Management-System „KLEOS“ benutzt, das von der Firma C lizensiert werde, einem der weltweit führenden Informationsdienstleister. Das System beruhe auf einer SQL-Datenbank, in welcher die zur Mandatsannahme und -bearbeitung erforderlichen Daten hinterlegt seien. Diese würden sodann in Arbeitsabläufe integriert. Während Namen, Anschriften und andere Daten der Prozessbeteiligten bei der Aktenanlage manuell von den Rechtsanwälten und den übrigen Kanzleimitarbeitern eingegeben würden, würden die Stammdaten der Gerichte (Anschrift, Faxnummer u.s.w.) vom System unmittelbar durch Zugriff auf eine netzwerkfähige Datenbank generiert. Zur Vermeidung von Übertragungsfehlern bei Eingabe per Hand würden Daten der Gerichte dabei durch eine gesondert hierzu eingerichtete Funktion zur Akte gespeichert, dem sogenannten „Gerichtsfinder“. Es handele sich dabei um eine Datenbank, die vom Systemanbieter zur Verfügung gestellt werde. Durch deren Verwendung seien Eingabe- und Übertragungsfehler an sich ausgeschlossen, da die Stammdaten nicht von Hand eingegeben werden müssten, sondern unmittelbar der Datenbank entnommen würden.

Zur fristgerechten Einhaltung der jeweiligen Termine bestünden in der Kanzlei der Beklagten bestimmte Anweisungen, die auch Frau A geläufig seien. Werde ein Schriftsatz per Fax versandt, sei zuvor zu prüfen, ob der korrekte Adressat eingesetzt worden sei, die zutreffende Anschrift und die richtige Faxnummer des Empfängers, dies anhand einer „verlässlichen Quelle“. Handele es sich um einen bestehenden Vorgang, sei ein Abgleich mit den Daten im jüngsten Schreiben des Adressaten, etwa des Gerichts, in der Akte vorzunehmen. Bei einem neuen Vorgang das jeweilige Gericht betreffend sei ein Abgleich der Daten mit der Website des Gerichts, bei Diskrepanzen oder Zweifeln ein Anruf bei der Geschäftsstelle erforderlich. Nach Versendung des Faxes sei ein Abgleich zwischen der auf dem Sendeprotokoll ausgewiesenen Faxnummer mit derjenigen auf dem versandten Schriftstück vorzunehmen. Bei Erstellung des Schriftstückes füge das System automatisch, nachdem das betreffende Gericht durch Anklicken ausgewählt worden sei, im Adressfeld oberhalb des Empfängers, beispielsweise des Oberlandesgerichts Köln, die Worte: „VORAB PER FAX“ und sodann dessen Faxnummer ein, die Grundlage des anschließenden Anwählvorganges sei. Die Einhaltung der Anweisungen durch die Mitarbeiter werde in unregelmäßigen Abständen überprüft.

Am Morgen des 10. Januar 2019 habe die Mitarbeiterin, Frau A, für die Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwältin B, absprachegemäß die Berufungsschrift vorbereitet. Zur Jahreswende 2018/2019 habe der dafür in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zuständige Geschäftsführer, Herr Rechtsanwalt D, Anpassungen von bereitgestellten Formatvorlagen für Schriftsätze und andere Dokumente zusammen mit dem Mitarbeiter Herrn E vorgenommen gehabt. Darüber seien alle Kanzleimitglieder von Herrn D per E-Mail vom 3. Januar 2019 (Anlage BK 3 = Bl. 569 GA) unterrichtet worden. Da aber am Morgen des 10. Januar 2019 noch keine Formatvorlage für eine Berufungsschrift zur Verfügung gestanden habe, hätten Frau B und Frau A Herrn D telefonisch kontaktiert, um zu erfragen, welche Formatvorlage anstatt dessen verwendet werden könne. Von diesem habe man die Auskunft erhalten, es sei entweder die Formatvorlage „Klage“ oder „Schriftsatz“ zu verwenden, da diese vom Layout her schon angepasst worden seien. Es müsse lediglich die Überschrift geändert und der Inhalt des Schriftsatzes, wie üblich, eingefügt werden.

Dementsprechend sei die Mitarbeiterin, Frau A, sodann vorgegangen. Diese sei auf den Button „Gericht“ und dann auf „Namen suchen“ gegangen. Sodann könne man auf der Oberfläche die gesuchte Art des Gerichts eingeben. Durch Betätigung des Buttons „suchen“ könne man den Gerichtsort auswählen. Hiernach sei als Empfänger des Schreibens das Oberlandesgericht Köln auf dem Bildschirm erschienen. Das System habe nunmehr dieses nebst Adresse in das Schriftsatzkonstrukt eingeführt und darüber „VORAB PER FAX: +49 221 477-xxxx“ eingefügt, da diese Stammdaten in der vom Systemanbieter zur Verfügung gestellten Datenbank schon enthalten gewesen seien. Nach Ausdruck habe Rechtsanwältin B den Schriftsatz unterzeichnet. Da die Vorwahl „0221“ (für Köln) angegeben gewesen sei, habe diese nicht bemerkt, dass die Faxnummer die des Landgerichts Köln und nicht des Oberlandesgerichts Köln gewesen sei. Frau A habe sodann den Schriftsatz gefaxt, ohne die Angaben, insbesondere die Faxnummer, nochmals wie sonst auf der Website des Gerichts auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Nach dem Faxen habe diese die Faxnummer auf dem Schriftsatz mit der auf dem Faxprotokoll abgeglichen und festgestellt, dass diese identisch seien. Frau A sei seit mehr als 10 Jahren die Assistentin von Frau Rechtsanwältin B und als zuverlässig, sorgfältig und vertrauenswürdig bekannt. Es habe in dieser Zeit keinen Vorfall gegeben, der zu einem Versäumnis der hier vorliegenden Art – Fristversäumung – geführt habe, auch nicht mit einem solchen vergleichbar wäre.

Nachdem sich herausgestellt gehabt habe, dass bei Erstellung des Schriftsatzes trotz Auswahl des Oberlandesgerichts Köln als Empfänger die falsche Faxnummer durch das System eingesetzt worden war, was zuvor noch nie vorgekommen sei, habe man testweise den Vorgang vom 10. Januar 2019 wiederholt. Erneut sei trotz Angabe des Oberlandesgerichts Köln die Faxnummer des Landgerichts Köln automatisch der Datenbank entnommen worden. Sodann habe man als Empfangsgericht das Oberlandesgericht Hamburg angegeben. Wiederum sei automatisch die Faxnummer des dortigen Landgerichts eingesetzt worden.

Man habe dann den Geschäftsführer, Rechtsanwalt D, informiert. Dieser habe herausgefunden, dass in der verwendeten und hinterlegten Vorlage anstatt der korrekten Variablen für die Faxnummer des Oberlandesgerichts eine „alphanumerische Variable“ hinterlegt gewesen sei. Diese sei mit einem falschen Datenbankfeld verknüpft gewesen, nämlich der Faxnummer des Landgerichts. Wie und wann diese fehlerbehaftete Variable Eingang in das System „KLEOS“ gefunden habe, sei zurzeit nicht erklärbar. Anlässlich der Überarbeitungen zum Jahreswechsel 2018/2019 sei eine inhaltliche Anpassung der für den Adressblock verwendeten Variablen nicht erforderlich gewesen.

Zur Glaubhaftmachung ihres Wiedereinsetzungsantrages hat die Beklagte eine eidesstattliche Versicherung von Frau A (Anlage BK 1 = Bl. 562 ff. GA) und eine eben solche von Rechtsanwalt D (Anlage BK 2 = Bl. 566 ff. GA) vorgelegt. Sie ist der Ansicht, die Fristversäumung sei unverschuldet.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Antrag auf Wiedereinsetzung sei zurückzuweisen, da die Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle bei der Übersendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax missachtet habe, was sich die Beklagte zurechnen lassen müsse. Es sei grob sorgfaltswidrig gewesen, die Formatvorlage „Klageschrift“ einfach zu überschreiben. Offenbar habe sich bei diesem massiven Eingriff in die Formatvorlage angesichts der von Rechtsanwalt D zuvor vorgenommenen Änderungen eine fehlerhafte Verknüpfung ergeben, was zur Einsetzung der falschen Faxnummer geführt habe. In dieser besonderen Situation sei die Prozessbevollmächtigte der Beklagten gehalten gewesen, ihre Mitarbeiterin explizit anzuweisen, die für das Oberlandesgericht Köln angegebene Faxnummer nochmals anhand einer zuverlässigen Quelle zu vergleichen. Gerade bei der Entnahme der Faxnummer aus elektronisch oder buchmäßig erfassten Daten bestehe ein besonders hohes Verwechslungsrisiko. Deshalb entlaste die Nichtbeachtung einer ausreichenden Anweisung zur Kontrolle der Faxnummer durch die Mitarbeiterin die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht. Gerade dann, wenn Berufung erst am Tage des Fristablaufs eingelegt werde, sei ein besonders strenger Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Letztlich sei nicht ausreichend vorgetragen, wie auf Seiten der Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Einhaltung der kanzleiinternen Anweisungen kontrolliert werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien zur Frage der Wiedereinsetzung wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zulässig. Er ist rechtzeitig innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt worden (§ 234 ZPO). In der Sache selbst ist der Beklagten jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu versagen. Die Versäumung dieser Frist beruht auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, welches sich die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Dies hat zur Folge, dass die Berufung der Beklagten gegen das am 6. Dezember 2018 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln – 86 O 58/18 – als unzulässig nach § 517 ZPO durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen ist. Sie ist nicht rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist am 10. Januar 2019, sondern erst einen Tag später, am 11. Januar 2019 beim Berufungsgericht eingegangen, § 519 Abs. 1 ZPO.

1.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2014, 1390) muss der Rechtsanwalt eine Ausgangskontrolle für den Fall der Übersendung fristwahrender Schriftsätze per Fax schaffen, durch die gewährleistet wird, dass solche rechtzeitig an den richtigen Adressaten abgeschickt werden. Das setzt in jedem Fall vor dem Absenden den Abgleich der Faxnummer mit einer zuverlässigen Quelle voraus, weil nur so Ermittlungs- und Eingabefehlern wirksam vorgebeugt werden könne (BGH NJW 2014, 1390).

Nach ebenso ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2014, 1390; 2016, 3667; NJW-RR 2013, 1467; 2017, 1139; NJOZ 2018, 831) genügt ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Mitarbeiter anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts nicht darauf beschränken, die auf diesem aufgedruckte Faxnummer mit der zuvor benannten, etwa in den Schriftsatz eingefügten zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines Verzeichnisses (Internetseite des Gerichts; aktuelles, sich in den Akten befindendes Schreiben des Gerichts) vorgenommen werden, aus dem die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist. Durch diese Form der Ausgangskontrolle sollen nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Faxnummer und ihrer Übertragung in den Schriftsatz ausgeschlossen werden. Es ist mithin ein zweifacher Abgleich erforderlich, vor und nach der Übersendung.

b) Diesen Anforderungen kann allerdings auch durch eine Anweisung des Rechtsanwalts genügt werden, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits zuvor aus einer sicheren Quelle ermittelt worden war. Dies setzt aber voraus, dass zusätzlich die generelle Anweisung besteht, die ermittelte Faxnummer vor der Versendung auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen. Dann muss der Sendebericht nicht mehr zusätzlich mit der zuverlässigen Ausgangsquelle verglichen werden. Infolge des vorangegangenen Abgleichs der auf den Schriftsatz übertragenen Faxnummer mit der zuverlässigen Ausgangsquelle ist die Faxnummer auf dem Schriftsatz nach diesem Abgleich selbst als aus ausreichend zuverlässiger Quelle stammend anzusehen (BGH NJW 2014, 1390; NJW-RR 2013, 1467; 2017, 1139; NJOZ 2018, 831).

2.

Dies vorausgeschickt ist der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren. Die Fristversäumung beruht aufgrund der besonderen Umstände des vorliegend zu beurteilenden Einzelfalles auf einen Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, das Letztere sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

a) Es begegnet bereits Zweifeln, ob die in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten geltenden Anweisungen, wie vor Faxversendung eines Schriftsatzes zu verfahren ist, den von der Rechtsprechung insoweit aufgestellten Voraussetzungen genügen. Danach ist der Schriftsatz u. a. auf die Verwendung der korrekten Faxnummer anhand einer aktuellen verlässlichen Quelle zu überprüfen. Handelt es sich um einen bestehenden Vorgang, hat ein Abgleich mit den Daten im jüngsten Schreiben des Adressaten, etwa des Gerichts, zu erfolgen. Bei einem neuen Vorgang hat ein Abgleich mit den Daten auf der Internetseite des Gerichts zu erfolgen. Bei Diskrepanzen oder Zweifeln ist bei der Geschäftsstelle des Gerichts nachzufragen. Diesen Anweisungen entspricht die tatsächliche Handhabung in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten allerdings nicht. Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat vorgetragen, dass seit Einführung des Systems „KLEOS“ vor einigen Jahren die Anweisung bestehe, Schriftsätze an das Gericht ausschließlich aus diesem System mit Hilfe der Dokumentenvorlage zu generieren. Die von „KLEOS“ bereitgestellten Stammdaten der Gerichte, u. a. die Faxnummer, stammten unmittelbar aus der Datenbank des Systemanbieters. Gehe ein Streit – so wie hier – in die nächste Instanz, habe die Mitarbeiterin zunächst das betreffende Gericht anhand des sogenannten „Gerichtsfinders“ auszuwählen und anzulegen. Werde dann ein Schriftsatz aus „KLEOS“ in der betreffenden Akte generiert, greife das System automatisch auf die zuvor hinterlegten, vom Anbieter zur Verfügung gestellten Stammdaten des betreffenden Gerichts zurück. Dies kann nur so verstanden werden, dass eine eigenständige und eigenverantwortliche Prüfung der Faxnummer des in Rede stehenden Gerichts durch die Prozessbevollmächtigte der Beklagten bzw. deren zuständige Büromitarbeiter weder vor noch nach der Übersendung fristwahrender Schriftsätze erfolgt, sondern auf die Richtigkeit der von dritter Seite, nämlich des Anbieters des Systems KLEOS zur Verfügung gestellten Daten vertraut wird.

b) Der eingangs aufgeworfenen Frage, ob bereits die bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten angeordneten und praktizierten Regelungen betreffend die vor der Faxversendung fristgebundener Schriftsätze zu wahrende Sorgfalt den aufgezeigten Anforderungen genügen, kommt letztlich jedoch keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Dies kann hier dahinstehen, weil jedenfalls die hausinternen Anweisungen, wie nach dem Ende des Faxvorgangs zu verfahren ist, den oben dargestellten Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entsprechen. Nach den Anweisungen in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten bedarf es lediglich der Überprüfung, ob die im Sendeprotokoll ausgewiesene Nummer mit derjenigen, die auf dem versandten Schriftstück enthalten ist, übereinstimmt. Ein erneuter Abgleich der Faxnummer anhand einer zuverlässigen Quelle ist gemäß diesen Anweisungen nicht mehr vorgesehen. Auch insoweit gehen die Prozessbevollmächtigten der Beklagten vielmehr augenscheinlich davon aus, dass die vom Systemanbieter im Rahmen der Stammdaten für das betreffende Gericht benannte Faxnummer korrekt ist und von dem elektronischen Datensystem KLEOS zutreffend in den Schriftsatz eingesetzt wird. Jedenfalls unter den Umständen des gegebenen Falls füllt dies jedoch die Anforderungen an die bei Faxversendung fristgebundener Schriftsätze zu wahrende anwaltliche Sorgfalt nicht aus.

c) Allerdings hat der Bundesgerichtshof auch entschieden (NJW 2004, 2830; 2007, 996), dass der Rechtsanwalt sich zur Ermittlung der Faxnummer auf ein seit Jahren bewährtes EDV-Programm in der Regel verlassen darf, wenn ihm die neueste Fassung zur Verfügung stehe. Einer organisatorischen Anweisung des Rechtsanwalts an seine Bürokraft, eine Abgleichung der Faxnummer mit den Angaben im Schreiben des Gerichts oder im Telefonbuch vorzunehmen, sei dann grundsätzlich nicht erforderlich.

d) Aufgrund der den vorliegenden Fall prägenden besonderen Umstände kann sich die Beklagte indessen auf diese Rechtsprechung nicht berufen. Ebenso wenig bedarf es eines Hinweises des Senats gegenüber der Beklagten, dass ihrem Vortrag nicht zu entnehmen ist, ob die zur Zeit des verfahrensgegenständlichen Faxvorgangs vom Systemanbieter zur Verfügung gestellten Stammdaten der neuesten Fassung entsprachen. Denn der Beklagten ist im gegebenen Zusammenhang schon deshalb Wiedereinsetzung nicht zu gewähren, weil sie in der konkreten Situation, in welcher der Faxvorgang stattfand, gehalten war, sich eigens über die Richtigkeit der angefaxten Nummer und damit über den fristwahrenden Eingang der Berufungsschrift bei dem als Adressat ausgewiesenen Oberlandesgericht Köln zu vergewissern, sie dem indessen nicht nachgekommen ist.

aa) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH NJW 1985, 1710) ist vom Rechtsanwalt grundsätzlich die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts zu verlangen, nicht aber die äußerste, nach den Umständen mögliche Sorgfalt. Für die Annahme eines Verschuldens reicht es nicht aus, eine lediglich objektiv mögliche Sorgfalt zu beschreiben, durch die der Fehler hätte verhindert werden können. Vielmehr muss die Beachtung dieser Sorgfalt im Einzelfall auch zumutbar sein, das heißt, sie muss den nach der konkreten Sachlage zu stellenden Erwartungen entsprechen. Geht es um eine Fristwahrung, muss der Rechtsanwalt stets den sichersten Weg beschreiten (Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 233 Rn. 14). Schöpft er eine Rechtsmittelfrist bis zum letzten Tag aus, sind an den Rechtsanwalt wegen der damit erfahrungsgemäß verbundenen Risiken aus diesem Grund erhöhte Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf die Einhaltung der Frist zu stellen (BGH NJW-RR 2004, 1502; NJW 2006, 2637). Eine Wiedereinsetzung ist in solchen Fällen ausgeschlossen, wenn der Rechtsanwalt nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen hat, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten (BGH NJW-RR 2004, 1217).

bb) Diesen Maßstäben ist die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht gerecht geworden. Vielmehr wäre dieser gehalten gewesen, ihre Mitarbeiterin die unmissverständliche Anweisung zu erteilen, nach dem Faxen die gewählte Faxnummer anhand einer zuverlässigen Quelle abzugleichen, da es eine generelle Anweisung dieser Art in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten – wie dargelegt – nicht gab.

(1) Der Prozessbevollmächtigten der Beklagten war positiv bekannt, dass zum Jahreswechsel die verwendeten Vorlagen zur Anpassung an das für den Außenauftritt der Kanzlei gewählte neue „Layout“ umgestellt worden waren. Darüber war sie durch die E-Mail des Geschäftsführers, Rechtsanwalt D (Anlage BK 3 = Bl. 569 f. GA), vom 3. Januar 2019 informiert worden. Da für eine Berufungsschrift noch keine neue Formatvorlage zur Verfügung stand, hatten sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten und deren Mitarbeiterin am Morgen des 10. Januar 2019, dem letzten Tag der laufenden Berufungsfrist, an den Geschäftsführer telefonisch gewandt um zu erfragen, welche Dokumentenvorlage infolge der Umstellung stattdessen verwendet werden könnte. Man erhielt die Auskunft, dass man entweder die Vorlage „Klage“ oder „Schriftsatz“ nehmen könne, sodann lediglich die Überschrift ändern müsse. Diese beiden Vorlagen seien bereits dem neuen Layout angepasst. Dem Rat des Geschäftsführers entsprechend sei man, so der Vortrag, vorgegangen, indem Frau A die Überschrift „Klage“ in „Berufungsschrift“ abgeändert habe. In diesem Zusammenhang hat die Mitarbeiterin in ihrer eidesstattlichen Versicherung (Anlage BK 1 = Bl. 562 ff. GA) angegeben, sie habe im kanzleiintern verwendeten System „KLEOS“ durch Eingabe diverser Befehle das Oberlandesgericht Köln als Empfänger der Berufungsschrift ausgewählt; denn Daten wie Anschrift und Faxnummer seien in den vom Anbieter zur Verfügung gestellten Stammdaten bereits vorhanden. Das Schriftsatzkonstrukt habe sich dann entsprechend aufgebaut, das heißt, als Adressat des Schreibens sei das Oberlandesgericht Köln nebst Adresse automatisch in den Schriftsatz eingefügt gewesen. Allerdings sei nicht dessen, sondern die Faxnummer des Landgerichts Köln in der Zeile „VORAB PER FAX …“ eingesetzt worden, was nicht bemerkt worden sei. Diese unzutreffende Faxnummer habe sie, Frau A dann bei der Übermittlung der Berufungsschrift, nachdem diese von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnet worden war, für den Faxvorgang verwendet, wodurch es zur Verfristung gekommen sei.

(2) Aus alledem ergibt sich, dass am Morgen des 10. Januar 2019 eine Sondersituation vorlag. Infolge der Umstellung des Systems um die Jahreswende gab es keine geeignete Vorlage für eine Berufungsschrift. Aus diesem Grunde musste ein anderes „Vorstück“, im konkreten Fall die Vorlage für eine Klageschrift, entsprechend abgeändert werden. Angesichts dessen musste der Prozessbevollmächtigten der Beklagten klar sein, dass ein Sonderfall vorlag, weil der gewohnte Arbeitsablauf aus faktischtechnischen Gründen nicht möglich war. In dieser besonderen Situation wäre sie gehalten gewesen, ihre Mitarbeiterin anzuweisen, die Faxnummer jedenfalls nach dem Faxvorgang mit einer zuverlässigen Quelle, etwa der Internetseite des Oberlandesgerichts Köln abzugleichen. Man hatte die für die Versendung an ein erstinstanzliches Empfängergericht zur Verfügung stehende Vorlage „Klageschrift“ in „Berufungsschrift“ abgeändert, so dass Anlass bestand sich eigens zu vergewissern, dass auch die maßgeblichen übrigen Daten der elektronischen Vorlage, insbesondere die zur Fristwahrung essentielle Faxadresse des richtigen zweitinstanzlichen Oberlandesgerichts, entsprechend angepasst bzw. zutreffend im System generiert würden. Angesichts dessen, dass es am betreffenden Morgen nicht möglich war, den gewohnten Arbeitsablauf vorzunehmen infolge der kurz zuvor vorgenommenen Umstellungen, kann sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten gerade nicht darauf berufen, das System „KLEOS“ werde in der Kanzlei schon seit 2016 verwendet, ohne dass sich Hinweise auf Unzuverlässigkeiten ergeben hätten. Soweit sie in diesem Zusammenhang vorbringt, dass es zu einer derartigen Fehlfunktion zuvor noch nie gekommen sei, bleibt – dies unterstellend – nur die Möglichkeit, dass es zu der Fehlfunktion im Rahmen der Umstellungsarbeiten um die Jahreswende 2018/2019 gekommen ist. Eine andere nachvollziehbare Erklärung ist weder ersichtlich noch dargelegt.

c) Aus alledem folgt, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am Morgen des 10. Januar 2019 angesichts des anstehenden Fristablaufes am selbigen Tage gerade nicht den sichersten Weg beschritten hat und sie den daraus resultierenden besonderen Sorgfaltsanforderungen, die einzuhalten ihr zumutbar und abzuverlangen gewesen wäre, schuldhaft nicht gerecht geworden ist.

d) Des Eingehens auf die Frage, ob der Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, wie die Einhaltung der bestehenden Anweisungen durch die Mitarbeiter von den Rechtsanwälten kontrolliert wird, ausreichend ist, bedarf es vor diesem Hintergrund nicht.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.963.163,87 €.

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.